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Starke Thermik in der Südpfalz, Teil I


Inhalt:


Frühling in der Pfalz kann wunderbar sein. Aber die Winter sind deprimierend. Lichtlos, nass, trist, ungemütlich. Die Landschaft ist grau. Der Himmel hängt tief. Die Dörfer sind menschenleer. Noch nicht einmal richtig kalt ist es. Und die Stimmung? Die ist überraschend gut angesichts der äußeren Bedingungen. Pfälzer neigen nicht zur Schwermut. Zumindest nicht die Südpfälzer Winzer. Sie sehen, auch wenn es noch so grauenhaft wintert, schon den Ausbruch ihrer Reben vor ihrem inneren Auge, spüren die kommende Wärme, fühlen unter ihren Wattejacken den bevorstehenden Sommer, träumen von reifen, knackigen Trauben, von einem wunderbaren Weinjahrgang, mit dem sie Deutschland endlich mal zeigen, dass es großes Kino ist, was zwischen Landau und dem Elsass gespielt wird. Teilweise jedenfalls. Von den sieben Winzern aus der Südpfalz, die ich im Januar besucht hatte, haben alle in die Kamera gelacht, obwohl ich sie darum gebeten habe, auch im Gesicht den nötigen Ernst zum Ausdruck zu bringen, der für Winzer, die gute Weine erzeugen, nun einmal unerlässlich ist. Sie waren alle jung, sind wesentlich besser ausgebildet als ihre Eltern und bringen eine Leidenschaft mit, die manch älterem Kollegen in der berühmteren Mittelhaardt, also der Nordpfalz, abhanden gekommen ist.

An den Preisen arbeiten sie alle

Soviel vorweg: In der Südpfalz ist es, obwohl der Name das Gegenteil suggeriert, im Durchschnitt kühler als an der Mittelhaardt. Das liegt daran, dass die Weinberge in der Südpfalz höher liegen. Der Riesling hat in dort nicht die herausragende Stellung wie in Ungstein, Kallstadt, Wachenheim, Forst, Deidesheim, Gimmeldingen und den anderen prestigereichen Weindörfern weiter nördlich. Auf den kalkhaltigen Löss- und Lehmböden bringt der Weißburgunder genauso gute Ergebnisse, manchmal sogar bessere. Erst recht der Spätburgunder: Er erreicht in der Südpfalz Qualitäten, wie es sie an der Mittelhaardt gar nicht gibt. Das Problem ist, dass es in der Südpfalz nur wenige Weingüter gibt, die demonstrieren, was das Anbaugebiet leisten kann. Nationale Bekanntheit genießen eigentlich nur Rebholz, Wehrheim und Friedrich Becker. Weit weniger bekannt sind Siegrist, Boris Kranz, Bernhard Koch, Theo Minges, Peter Siener, Herbert Messmer, Hans-Erich Dausch, Gies-Düppel, Bernhart und mehrere Dutzend andere, obwohl sie hervorragende Weine erzeugen. Nur vereinzelt kommen sie über regionale Bekanntheit hinaus. Die sieben Winzer, die ich besucht habe, sind eigentlich nur lokal bekannt. Aber ihre Weine verdienten es, stärker wahrgenommen zu werden. Zwischen Sylt und Bad Reichenhall könnten sie überall die Weinkarten gehobener Restaurants schmücken – zumindest ihre besten Weine. Ihre Preise sind allerdings so niedrig, dass der erfahrene Weintrinker von ihnen nichts Gutes erwartet. Das ist ein Nachteil. Aber daran arbeiten alle sieben Winzer.


Weingut Martinshof, Steinfeld

Die erste Station war Steinfeld am Fuße des Bienwaldes. Klingt hübsch, ist aber, historisch betrachtet, ein martialischer Ort. Hitlers Westwall verlief hier, Bunker und Panzergräben säumen die Landschaft. 1944 tobte der Krieg in diesem friedlich daliegenden Dorf, in dem der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck geboren wurde und heute seinen Ruhestand verbringt.

„Wir müsse uns erst hochdienen“,

In Steinfeld steuere ich erst einmal den Martinshof an, der eigentlich ein 200 Hektar großer landwirtschaftlicher Betrieb mit Getreide, Raps und Rüben ist, der aber auch über ein paar Hektar Spargel und 20 Hektar Reben verfügt. Weingut und Spargelhof nennt er sich deshalb. Nach hinten heraus ist eine schicke Vinothek entstanden mit blitzblank polierten Kristallgläsern, moderner Einrichtung und erfreulicherweise nur wenig dekorativem Kitsch.

Stefan Martin
Stefan Martin

Stefan Martin, der 38-jährige Winzermeister, ist stolz darauf, mehr als 90 Prozent seiner Weine über die Vinothek zu vermarkten. Die Investition hat sich also gelohnt. Die restlichen zehn Prozent sind Literwein, der im Dorf bei Edeka im Regal steht. „Die, wo gezielt zu uns kumme, wissen, was se wolle“, pfälzert er herum. Die Basisweine, die bei ihm „Ortsweine“ heißen, sind alle makellos, egal ob Riesling, Chardonnay, Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder. Am meisten beeindruckt mich an ihnen der Preis: 6 Euro. Glückliche Steinfelder! Den Spätburgunder hat Martin sich sogar getraut, auf 6,50 Euro anzuheben. Im Burgund würde dieser Wein als Bourgogne Pinot Noir nicht unter 18 Euro kosten: „Wir müsse uns erst hochdienen“, sagt er demütig. Wer mehr als Frische und Frucht will, geht auf die Lagenweine. Der Weiße Burgunder Pfarrwingert, zu einem kleinen Teil in Barrique ausgebaut, ist vielschichtiger (9,50 Euro) und wäre meine erste Wahl, gefolgt vom Spätburgunder. Der Martinshof, lerne ich, ist beim Burgunder stärker als beim Riesling.


Weingut Martinshof
Bahnhofstraße 2, 76889 Steinfeld
Tel. 06340 303, www.martinshof-steinfeld.de


Weingut Jülg, Schweigen-Rechtenbach

Weiter geht es nach Schweigen-Rechtenbach, dem letzten Ort vor der französischen Grenze. Der Gutsausschank Oskar Jülg am Eingang des Ortes ist unser Ziel. Im Sommer tobt dort das Leben. Im Garten und im Hof drängen sich dann die Menschen, machen sich über Saumagen und Bratkartoffeln her, über elsässischen Flammkuchen und Cross-Over-Gerichte. Dazu wird gebechert – aus hochstieligen Kristallgläsern auch hier. In ihnen befindet sich – natürlich – der Wein des Hauses. Das ist nicht schlimm. Neben Friedrich Becker, Bernhart, Nauerth-Gnägy ist Jülg erste Adresse im Orte. Jetzt im Januar ist der Gutsausschank geschlossen. Der schöne Innenhof ist verwaist, der prächtige Oleander weggeräumt. Johannes Jülg, 30, führt uns in die Gaststube. Sie ist ungeheizt und klamm. Was soll’s? Wir können nicht draußen im Schneeregen probieren. „Für uns“, sagt Jülg, „ist der Weißburgunder Gutswein wichtig.“ Man ahnt warum. Er ist gelbfruchtig-saftig, nicht so rass wie ein Riesling, und er ist, wie es sich für einen Gutswein gehört, preiswert. 7,10 Euro kostet er. Letztes Jahr waren es noch 6,80 Euro. Es tut sich also was in der Südpfalz.

Johannes Jülg
Johannes Jülg

„Wichtig ist, dass die Flasche leer ist“

„Wichtig ist für uns, dass die Flasche am Ende leer ist“, sagt Jülg ganz offen. Leer ist sie fast immer. Der Gutsausschank, 1961 eröffnet von Großvater Oskar, erweist sich auch heute noch als perfekter Vertriebskanal. Dort wird der größte Teil dessen konsumiert, was von den 18 Hektaren Jülgscher Weinberge kommt. Die Hälfte ihrer Reben liegt übrigens jenseits der Grenze in Frankreich, darf aber als deutscher Wein deklariert werden und in den Handel kommen. Adenauer und de Gaulle hatten das nach dem Krieg so ausgehandelt.

Die größte Überraschung: seine Spätburgunder

Jülg steht längst nicht mehr nur für süffige Gutsweine. Dafür hat Johannes nicht bei Clos de Lambrays im Burgund, bei Klaus Keller in Flörsheim-Dalsheim, bei Theo Minges in Flemlingen gearbeitet. Sein Weißburgunder Kalkmergel war für mich zum Beispiel eine Klasse besser (8,70 Euro), ganz zu schweigen vom Top-Weißburgunder Sonnenberg – für Jülg eine Art Großes Gewächs (15 Euro). Für den Gastgarten mag dieser Wein ungeeignet sein. In Berlin oder München würde er die Weinkarte jedes gehobenen Restaurants zieren – vorausgesetzt man kennt ihn dort. Die größte Überraschung waren jedoch Jülgs Spätburgunder. Schon der einfache Gutswein für 7,20 Euro bringt nicht nur Frucht mit, sondern auch Struktur. Die Réserve (16 Euro) war leider noch völlig verschlossen. Das allein zeigt schon, welches Entwicklungspotenzial in diesem Wein steckt. Feiner, zarter, eleganter ist der Sonnenberg (24 Euro). Unsicher bin ich mir nur mit dem Pinot Noir, dem Spitzenwein (36 Euro), von dem Jülg meint, er habe in ihn alles hineingelegt, was er in Frankreich gelernt habe. Relativ dunkel ist er, dicht, aromatief, eher erdig-würzig als fruchtig, dabei mit einem für einen Spätburgunder sehr kräftigen Tanninrückgrat ausgestattet – ein Wein zum Kauen, nicht zum Trinken. Überextrahiert – schießt es mir durch den Kopf. Aber ich erinnere mich, dass auch die hoch gelobten Spätburgunder vom Nachbar Friedrich Becker in den ersten zwei, drei Jahren geradezu abweisend sind, um danach förmlich zu explodieren. Vielleicht passiert das auch mit diesem Wein. Die Trauben für ihn kommen aus einer kleinen Parzelle auf der der französischen Seite, die ausschließlich mit dem Dijon-Klon 777 bestockt ist: also kleine, sehr kompakte Trauben.

 

Inzwischen ist es fast ein bisschen gemütlich geworden in der leeren Gaststube. Der Alkohol hat uns aufgewärmt, außerdem wabern Essensdüfte durch den Raum. Die Oma hat in der Küche nebenan Bratkartoffeln mit Bratwurst für uns zubereitet. Bevor sie serviert, legt Jülg noch einen Beweis für das Selbstbewusstseins eines 30-Jährigen an den Tag: „Wir stehen in Konkurrenz mit dem Burgund, und bei den einfachen Spätburgundern sind wir den Franzosen deutlich überlegen.“


Weingut Jülg
Hauptstraße 1, 76889 Schweigen-Rechtenbach
Tel. 06342-919090, www.weingut-juelg.de


Weingut Klaus Brendel, Pleisweiler-Oberhofen

Am Nachmittag geht es wieder zurück Richtung Landau, erst über den Otterbach, dann vorbei an Bad Bergzabern, von dem die Einheimischen sagen, dass man abends nackt durch die Stadt gehen kann und keiner nimmt Notiz davon, dann über den Hirtenbach nach Pleisweiler-Oberhofen. Ein staatlich anerkannter Erholungsort von 820 Einwohnern. Vielleicht haben die acht Weinstuben, die das Dorf beherbergt, zu dem Status beigetragen, vielleicht das jährlich stattfindende Kerwe-Fest, die Kirchweih, bei der es nicht etwa besinnlich, sondern laut und wild zugeht, auch zügellos, wie Die Südpfalz einmal kritisch bemerkte, die örtliche Tageszeitung. Jetzt im Winter herrscht dafür Totenruhe. Auch die Weinstube Brendel ist geschlossen. Wir müssen Christian Brendel, mit dem wir verabredet sind, erst suchen. Der Diplom-Ingenieur für Weinbau und Geisenheim-Absolvent gilt mit seinen 33 Jahren als eines der jungen Winzertalente. Viermal schon hat er sich mit seinen Weinen in die Siegerliste des Wettbewerbs „Die junge Südpfalz – da wächst was nach“ eintragen können. Wäre Pleisweiler-Oberhofen ein Stadtteil von Hollywood, entspräche das vier Oscars.

Christian Brendel
Christian Brendel

Irgendwann taucht der „Held der Südpfalz“, wie ihn ein Händler mal genannt hat, auf: die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen, schwere Arbeitsstiefel an den Füssen und eiskalte Hände. Der Keller ist keine Wärmekammer. Zuerst lässt er uns seinen Riesling probieren, der ebenfalls auf den beliebten Namen Kalkmergel hört. „Etwas gefällig und nicht ganz durchgegoren“ konstatiere ich. Brendel schaut mich ernst an: „Konsumentenfreundlich würde ich sagen. Unser Zugpferd.“ Er denkt dabei an die Weinstube. Im Sommer ist dort, salopp gesagt, der Bär los. Tag für Tag quetschen sich Leute von weiss-ich-woher an den langen Tischen, um mal richtig fröhlich zu sein. An den Wochenenden breitet sich die Weinseligkeit bis in den Hof aus. Die Eltern sind für Blutwurst, Leberwurst und Roastbeef zuständig, er für die flüssige Nahrung. „Wir vermarkten praktisch unsere gesamte Produktion über die Stubb“, erzählt Brendel und betont, dass ein runder, unanstrengender Wein unverzichtbar für diese Art der Gastronomie ist. Selbst der von Natur aus säuremilde Grauburgunder darf, wenn es dem gleichen Zweck dient, ein „Schwänzle“ haben. Sprich: eine leichte Restsüsse. Das andere Geheimnis des Erfolgs ist der Preis. 6,50 Euro für die Flasche Gutswein – da geht was, und zwar richtig.

„Wir vermarkten praktisch unsere gesamte Produktion über die Stubb“

Einerseits ist Brendel über den hochfrequenten Besuch im Weingut glücklich. Die Stubb erspart ihm ein aufwendiges Marketing. Andererseits liesse sich aus seinen 10 Hektar Weinbergen mehr rausholen, wenn es in Köln, Leipzig oder Kiel mehr Menschen gäbe, die anspruchsvolle Weine schätzten und wüssten, dass man sie in der Südpfalz bekommt: „Irgendwie werden wir hier noch nicht richtig wahrgenommen.“ Mit seinem Riesling Schlossberg hat er schon mal vorgelegt (9.50 Euro), und mit seinem Chardonnay Schlossberg auch. Dieser ist etwas breiter angelegt, in Tonneaux ausgebaut, hat darin aber keinen biologischen Säureabbau gemacht. Somit schmeckt er ganz anders als die fetten Neue Welt-Chardonnays. Man könnte sagen: Er verbindet die kühle Pfälzer Gelbfleischigkeit mit einer exotischen Note von Banane und Vanille. Dieser Chardonnay war einer der Siegerweine beim Südpfalz-Wettbewerb. Zu Kräutercrêpes mit Spargel, Brendels Lieblingsgericht, würde er gut passen. Mit den Rotweinen unterstreicht Brendel übrigens noch mehr seinen Ruf. Während in der Stubb der gemeine Spätburgunder in Strömen fliesst, wird die gehaltvollere, spannungsreiche Spätburgunder Reserve im Keller für Geniesser zurückgehalten. Preislich ist sie konkurrenzlos (9.20 Euro), qualitativ kann sie sich mit doppelt so teuren Weinen messen. Und für die, die mit deutschen Spätburgundern nichts anfangen können, hat Brendel einen richtig guten Blaufränkisch parat (11,20 Euro).


Weingut Brendel
Hauptstraße 13, 76889 Pleisweiler-Oberhofen
Tel. 06343-8450, www.weingut-brendel.de


Dies war der erste Teil meiner winterlichen Weinreise, die mich zu den Weingütern Martinshof, Jülg und Brendel führte.

Den zweiten Teil gibt es hier: Starke Thermik in der Südpfalz, Teil II

In ihm schildere ich meine Erlebnisse bei Rothmeier, Dengler-Seyler, Klaus Meyer und Thorsten Krieger.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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