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Der sogenannte Spargelwein: ein skeptischer Kommentar zu Ostern 2024.

Soviel vorweg: Es gibt keinen Spargelwein. Spargelwein ist eine Erfindung verkaufstüchtiger Winzer und Weinhändler (ähnlich wie der Valentinstag eine Erfindung des Blumenhandels ist). Weil Spargel relativ teuer ist und nur saisonal angeboten wird, meinen die Leute, man müsse die Ankunft des edlen Gemüses auch mit einem edlen Getränk begießen. Unsinn. Spargel schmeckt auch zu einem Pils. Wenn man aber Wein zu ihm trinkt, kommt es sehr darauf an, wie der Spargel zubereitet ist. Ob Schinken dazu gereicht wird oder ein Kalbsfilet, grüne Sauce oder gehacktes Ei, Sauce Hollandaise oder einfach geschmolzene Butter oder sonst etwas. Entsprechend variabel muss man beim Wein sein. Zu grüner Sauce passt ein Sauvignon Blanc sehr gut, zu flüssiger Butter ein Chardonnay, zu Kalb ein gereifter Grüner Veltliner, zu Schinken eine Scheurebe, zu Petersilienkartoffeln ein Silvaner, zur Hollandaise ein…ach, alles Mögliche. Selbstverständlich lassen sich auch ausländische Weine mit Spargel kombinieren. Die einzige Verdikt ist Rotwein. Der passt zu Spargel wie Ketchup zur Auster.

Die Klassiker: Silvaner und Grüner Veltliner

Oft wird gesagt, Silvaner und Grüner Veltliner seien jene Weißweine, die am besten zu Spargel passen. Nicht ganz abwegig. Beide lassen sich ziemlich gut mit weißem Spargel an, weil sie nicht so dominant sind. Weine, die zu aromatisch ausfallen, töten nämlich den feinen, süßlichen Spargelgeschmack. Aus diesem Grunde trinke ich zum Beispiel nie Riesling zum Spargel. Gegen die kräftige Kräuterwürze eines Rieslings kommt der Spargel nicht an. Und die Säure – wie soll sie mit Butter, Eigelb harmonisieren? Manche meinen, dass deshalb ein Weißburgunder, etwa aus der Pfalz oder aus Rheinhessen, die optimale Lösung sei. Es gibt zwar keine Geschmackspolizei in Deutschland. Aber meiner Meinung nach ist ein deutsche Weißburgunder zu fruchtig. Seine Pfirsich- und Aprikosennoten passen nicht recht zur milden Asparagussäure, die den besonderen Geschmack des weißen Gemüses ausmacht. Eher schon ein Grauburgunder, wenn er nicht zu säurebetont ist. Oder ein Gutedel aus dem südlichen Baden. Überhaupt sollten sich Spargelesser von der Vorstellung lösen, dass unbedingt ein teurer, körperreicher Wein auf den Tisch muss, wenn es Spargel gibt. Im Gegenteil: elegante, leichte, im Geschmack zurückhaltende Weine sind für das edle Frühjahrgemüse eher angezeigt.

Manchmal darf es auch ein reifer Chardonnay sein

Natürlich kommt keiner ins Gefängnis, weil er den falschen Wein zum Spargel trinkt und dabei erwischt wird. Sonst säße ich wahrscheinlich selbst schon im Knast. Zu Spargel mit zerlassener Butter und jungen Kartoffeln, der wohl einfachsten Variante eines Spargelgerichts, hole ich regelmäßig einen gereiften weißen Burgunder aus dem Keller: mal einen Chassagne-Montrachet, mal einen Chablis, mal einen Meursault oder einen Pouilly Fuissé. Kein ganz billiges Vergnügen. Doch die Weine passen, auch wenn die Geschmacksexperten dieser Welt die Kombination für ziemlich unmöglich halten. Die Butter (und mehr noch die Hollandaise) ist eine „schwere“ Sauce, die einen substantiellen Wein als Gegenpart braucht. Und die feinen Petrolnoten, die ein guter burgundischer Chardonnay im Laufe der Jahre entwickelt, nehmen den Geschmack der Butter wieder auf.

Auch Müller-Thurgau möglich

Ansonsten plädiere ich für einfache Weine. Auch der viel geschmähte Müller-Thurgau kann, wenn er gut gemacht ist, den Spargel hervorragend ergänzen. Aber bitte nicht die erstbesten aus dem Supermarktregal. Weitgehend trocken sollte er sein, frisch (das heißt: aus dem 2022er Jahrgang) und blass gelb in der Farbe, auf keinen Fall goldgelb. Goldgelber Wein steht für jenen „Spargelwein“, der in Branchenkreisen beschrieben wie sonst die Wurst: Was drin ist, weiß nur der Metzger und der liebe Gott. Vermutungen zufolge besteht ein solcher „Spargelwein“ zu ungefähr 60 Prozent eines möglichst wässrigen Weißweins aus aktuellem Jahrgang, zu 30 Prozent eines älteren dünnen Weins, der in irgendeinem Tank der abfüllenden Kellerei vergessen wurde, dazu 5 Prozent Süßreserve und aus 5 Prozent unverkauften Resten des vorjährigen „Spargelweins“. Cheers!

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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