Mehr als nur Rioja
Spanien ist nach dem Umfang seiner Rebfläche das größte Weinbauland der Erde. Gemessen an der Menge des Weins, die produziert wird, steht es freilich nur an dritter Stelle hinter Italien und Frankreich. Dieser Zwiespalt dokumentiert die Besonderheit Spaniens unter den weinerzeugenden Nationen. Durch die große Trockenheit, die in weiten Teilen des Landes herrscht, sind die Trauben ertrage gering. Außerdem ist Spanien stark von Traditionen geprägt, die noch aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen. So stehen in keinem anderen Weinbauland Europas so wenig Rebstöcke auf einem Hektar wie dort.
Seit den 60er Jahren hat in Spanien jedoch eine beispiellose Modernisierung des Weinbaus stattgefunden, die freilich zur Massenproduktion, zum Qualitätsverfall und damit zum Abstieg des spanischen Weinbaus führte. Der moderne, qualitätsorientierte Weinbau hat erst in den letzten Jahren in Spanien Einzug gehalten. Die Qualitätsrevolution ging dabei nicht von der Rioja, dem international bekanntesten Weinanbaugebiet Spaniens aus, sondern von vielen kleinen und kleinsten Anbaugebieten der Iberischen Halbinsel.
Weinverständnis und Geschichte
Langes Festhalten an der Tradition: Spanien ist heute eine der dynamischsten Weinnationen der Welt. In den meisten Anbaugebieten des Landes dominieren jedoch noch jene Rebsorten, die in den letzten 50 oder 100 Jahren der Landbevölkerung ein Auskommen ermöglichten, indem sie sichere, hohe Erträge bei geringen qualitativen Ansprüchen gaben. In der Rebenstatistik liegt unter den weißen Sorten die Airen, unter den roten die Garnacha vorn – beides Sorten, die schlichte, einfache Weine ergeben. Die traditionelle Art der Weinbereitung – späte Lese und fehlende Temperaturkontrolle bei der Gärung – gehört jedoch der Vergangenheit an. Dafür bestimmen Genossenschaften, die sich der industriellen Massenweinproduktion verschrieben haben, weitgehend das Bild des spanischen Weins. Das führt dazu, daß viele Weißweine des Landes mager und plump ausfallen. Die Rotweine sind häufig alkoholreich und meist sehr niedrig in der Säure. Erst die neue Generation von Weinerzeugern, die in den 1980er und 1990er Jahren die Bühne betrat, hat sich um eine Änderung bemüht. Diese Pioniere haben den Weinbau aus den heißen in kühlere Zonen getragen und stark in moderne Kellertechnik investiert. Das Resultat: Frische, saubere Weißweine und gehaltvolle, konzentrierte Rotweine, die weder überlagert noch zu säurearm ausfallen. Sie prägen mehr und mehr den heutigen spanischen Weinstil.
Von den Karthagern zu den Arabern
Kultiviert wurde die Rebe auf der Iberischen Halbinsel schon 4000 bis 3000 vor Christus. Doch erst als Phönizier die Stadt Cádiz gründeten und später die Karthager und Römer einen schwunghaften Handel im Mittelmeerraum begannen, erlebte Spanien seine erste Weinblüte (200 v. Chr.). Besonders in Rom trank man viel und gerne Wein aus Baetica (Andalusien) und Terraconensis (Tarragona). Nach der Eroberung Spaniens durch die Araber (711 n. Chr.) wurde der Weinbau nicht mehr gefördert – wohl aber geduldet. Der Prophet Mohammed hatte zwar den Weingenuß verboten, aber die Emire und Kalifen konnten auf die Weinsteuern nicht verzichten.
Weinbau in der Neuzeit
Nach der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel durch die Christen im 15. Jahrhundert blühte der Weinbau zum zweiten Mal auf. Jerez und Málaga waren die wichtigsten spanischen Weinbauregionen. 1587 überfiel Sir Francis Drake Cádiz und erbeutete 2900 Pipes (Fässer) Sherry. Bald darauf kam der Weinhandel mit England in Schwung. Spaniens Weinbau florierte. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vernichteten Mehltau und die Reblaus dieses Anbaugebiet erst, als die Reben schon weitgehend mit amerikanischen Unterlagen veredelt waren (1900 bis 1910). Zahlreiche Bordeaux-Winzer suchten in der Rioja Ersatz für ihre vernichteten Weinberge. Sie brachten ihre Barriques mit und führten neue Kellertechniken ein. Während der Weltkriege und des Spanischen Bürgerkriegs konnte sich der Weinbau kaum erholen.
Verfall und Wiederaufstieg
Nach 1950 wird der Weinbau durch Gründung zahlreicher Winzergenossenschaften neu belebt. Aber man konzentriert sich auf die Erzeugung einfacher Tafelweine sowie auf den Faßweinexport. Die Qualität verfällt. Nur Sherry und Rioja erleben seit den 1960er Jahren einen Boom. Erst in den 1980er Jahren bemüht sich Spanien, Anschluß an die Qualitätsbestrebungen anderer europäischer Länder zu bekommen. In Katalonien, Alt-Kastilien und einigen kleinen Anbaugebieten im Norden Spaniens starten junge Weinunternehmer und Investoren eine neue, atemberaubende Qualitätsoffensive. Die Weine von Marqués de Murrieta verkörpern den aristokratischen Stil der Rioja. Es sind durch und durch traditionelle Weine mit enormem Alterungsvermögen. Der 59er Castillo Ygay verbrachte noch 25 Jahre im Holzfaß. Inzwischen hat man die Faßreife verkürzt.
Das Weinland Spanien in Zahlen
Rebfläche: 1,2 Millionen Hektar
Weinproduktion: 32 bis 41 Millionen Hektoliter
Jährlicher Weinkonsum pro Kopf: 34 Liter
Die 10 häufigsten Rebsorten | ||
---|---|---|
Airen | weiß | 19,2 % |
Garnacha | rot | 8,8 % |
Tempranillo | rot | 6,6 % |
Monastrell | rot | 5,0 % |
Macabeo | weiß | 3,6 % |
Bobal | rot | 3,0 % |
Pedro Ximénez | weiß | 1,4 % |
Mencía | rot | 0,9 % |
Moscatel | weiß | 0,9 % |
Palomino | weiß | 0,8 % |
Das spanische Weinrecht
Denominación de Origen (DO):
Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete. Weine aus genau definierten Herkunftsgebieten mit einem eigenen Consejo Regulador, der die Bereitung und Vermarktung von Weinen überwacht und die Erfüllung bestimmter qualitativer Maßstäbe gewährleistet. Knapp 50 Prozent der spanischen Weinproduktion hat DO-Status.
Denominación de Origen Calificada (DOCa):
qualifizierte Qualitätsweine. 1991 zum ersten Mal den Rioja-Weinen zuerkannt.
Vino de la Tierra (VdlT):
Landwein. Weine aus einem bestimmten Anbaugebiet, das keinen DO-Status hat.
Vino de Mesa (VdM):
Tafelwein. Die Trauben stammen aus mehreren Gebieten.
Spanische Weinbezeichnungen
Es entspricht einer alten spanischen Tradition, Weine erst dann freizugeben, wenn diese trinkreif sind. Deshalb existiert ein differenziertes System von Altersbezeichnungen, anhand derer der Konsument schon beim Studieren des Etiketts erkennen kann, ob es sich um einen jungen oder einen gereiften Rotwein handelt:
- Joven: 1 Jahr
- Crianza: 2 Jahre
- Reserva: 3 Jahre
- Gran Reserva: 5 Jahre