Gerade mal 20 Personen finden in ihr Platz: Mit siebzig Quadratmetern mutet die Weinkulturbar eher an wie ein großes Wohnzimmer. Vom offenen Ladenbereich mit verführerischer Käsetheke führen ein paar Stufen hinauf, wo karminrote Lederpolster zum Genießen einladen. Die hohen, dunklen Weinregale am Eingang wirken wie eine Schleuse, die Hektik des Alltags bleibt draußen.
Allein das Studium des Weinangebots nimmt eine Weile in Anspruch. Statt einer Weinkarte gibt es in der Weinkulturbar ein Weinbuch. Die fünfte und zweite komplett überarbeitete Auflage fasst mit rund sechs Zentimeter Dicke zwischen 1200 und 1300 Weine. „Mehr oder weniger“, genau kann es Nitzsche gar nicht sagen. „Während das Buch gedruckt wurde, haben wir schon wieder neue Weine eingekauft.”
Die meisten bekannten Weinregionen sind vertreten mit einer Breite und Tiefe, an der man die Leidenschaft des engagierten Weinprofis erkennen kann. Vom preiswerten Alltagswein für vier Euro bis zum 1982 Cheval Blanc für 1200 Euro – die Auswahl ist beeindruckend. Damit die Wahl zur Qual wird, schreibt Nitzsche eine Tagespost: drei, vier Empfehlungen pro Weinart, das Tagesgericht (beispielsweise Hummer-Ananasbisque mit roten Linsen) sowie ein paar datumshistorische Informationen und die Wettervorhersage.
Die Preise der Weinkulturbar sind äusserst genussfreundlich kalkuliert. Nur sieben Euro Aufschlag pro Flasche gegenüber dem Mitnahmepreis machen es dem Gast leicht, eine ganze Flasche zu ordern. Doch die meisten Gäste wollen gar keine ganze Flasche trinken. Sie haben mehr Spass daran, verschiedene Weine zu probieren. Zwischen 20 und 60 Sorten befinden sich immer im offenen Ausschank, darunter viel Burgunder und Riesling.
Aufwendiger Service und umfassende Beratung sind für ihn das Wichtigste. Dazu zählt, dem Gast mit dem Probeschluck die Flasche am Tisch zu präsentieren – selbst beim offenen Ausschank. „Ich versuche, die Gedanken des Gastes zu erhaschen“, erklärt er. „Will er Klassik oder Pop? Erst wenn ich das weiß, empfehle ich ihm einen Wein.“
Andererseits muss keiner, der ein paar gesellige Stunden in der Weinkulturbar verbringen möchte, einen Weinvortrag fürchten. Im Gegenteil. Nitzsche weiß auswendig, welche Weine seine Stammgäste gern trinken und serviert sie ihnen gern mit den Worten „wie immer?“
Manchmal wartet der „Genussmensch“, wie Nitzsche sich bezeichnet, auch mit spielerischen Experimenten auf. Etwa eine Käse-Wein-Probe zu Sauerkirschen in Eierlikör. Oder Rote Bete mit Pfefferminze. In drei Gängen werden je zwei Käse mit sechs verschiedenen Beilagen gereicht, so dass jeweils sechs bis neun Aromen aufeinandertreffen. Dazu zwei Weine.
Solche Weinproben kommen bei den Gästen an. Der Käseumsatz im angeschlossenen Laden beweist das: Dort werden 500 Kilo im Monat umgesetzt. Den Käse bezieht Nitzsche übrigens von einem Affineur direkt aus Frankreich – „auf den Punkt gereift”.
Überhaupt baut Nitzsche immer wieder spielerische Elemente in seinen Service ein. Restflaschen einer Sorte werden gern „blind“ serviert. Der Gast darf selbst bestimmen, wie viel ihm das Glas wert ist, wie viel er also zahlt. Und wer den Wein bei diesem Blind Date auch noch richtig errät, kommt in den Genuss eines Gratisglases.
Der gebürtige Brandenburger hat eine lange Karriere im Wein hinter sich. Sie begann im niedersächsischen Varel, wo Nitzsche Hotelkaufmann lernte, führte über die Brückenschänke in Bayreuth, die Speisemeisterei in Stuttgart nach Kalifornien, wo er im berühmten Elderberry House in Oakhurst zum Sommelier aufstieg. Nach seiner Rückehr nach Deutschland arbeitete er von 2000 bis 2005 dann in Dieter Müllers 3-Sterne-Restaurant in Bergisch Gladbach. Danach wechselte er zum Importeur KierdorfWein in Wildbergerhütte und zur Sommelier-Agentur Sommelier Consult in Köln. Im Oktober 2007 zog er dann nach Dresden, mietete sich in einem hell getünchten Eckhaus aus dem 19. Jahrhundert im Ortsteil Striesen ein und verwirklichte seinen Traum einer Weinkulturbar.
„Es wurde Zeit, sesshaft zu werden”, gibt Nitzsche zu. Warum Dresden und nicht Berlin oder Hamburg? „Hier stimmt für mich die Lebensqualität. Dresden ist spannend, kulturell geprägt und genussdefiniert.”
Geduld brauchte es allerdings, bis die Dresdener sich zu ihm trauten: „Es hat ein paar Monate gedauert, bis ich zum ersten Mal den sächsischen Dialekt in meiner Bar gehört habe.“ Doch nach einem halben Jahr wagten sich die Menschen aus dem Viertel langsam über seine Schwelle. Die Dresdener seien zwar, hat er beobachtet, „ein verschlossenes Völkchen“. Aber wenn sie einmal Vertrauen gefasst haben, sind sie offen, genussfreudig, treu. „Bevor sie aufstehen, machen die meisten Gäste gleich eine neue Reservierung.“
So ist aus der One-Man-Show mittlerweile ein florierendes kleines Familienunternehmen mit vier Angestellten geworden. Und Nitzsches Frau, ehemals Sommelière in der Bülow Residenz in Dresden, arbeitet ebenfalls mit. Die Zeit für Yoga und fürs Surfen, Nitzsches Hobbies, sowie für seine beiden Kinder wird knapp.
Und der Erfolg hört nicht auf. Im letzten Jahr wurde die Weinkulturbar von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „Weinlokal des Jahres” ausgezeichnet. Seitdem sind ein Drittel der Gäste Auswärtige. Die Wartezeit für einen Tisch beträgt jetzt mindestens zwei Monate.
Weinkulturbar Silvio Nitzsche
Wittenberger Str. 86
01277 Dresden-Striesen
Tel.: 0351/3157917
Fax.: 0351/4054843
silvio@weinkulturbar.de
www.weinkulturbar.de
geöffnet dienstags bis samstags
15.00 bis mindestens 23.00 Uhr
Hallo und Guten Abend Herr Nitzsche, in der heutigen “SZ” habe ich von Ihnen gelesen. Man staund was es so gibt. Bei mir stehen schon seit geraumer Zeit 2 Flaschen Tokajer da, eine 1967 und eine 1985, was soll man denn damit machen? Allerdings 2 Szamorodni. Ganz herzlichen Dank für Ihre Antwort.