So sieht der neue Sauternes von Rieussec aus

Edelsüsse Weine tun sich derzeit schwer, auch die berühmten Sauternes. Auf Chateau Rieussec geht man jetzt neue Wege: Man hat die Flasche verändert.

Sau­t­er­nes ist eine klei­ne, aber berühm­te Süßwein-Appellation süd­lich von Bor­deaux, und der Wein von Rieu­ss­ec ist einer bes­ten die­ser Appel­la­ti­on. Für vie­le Exper­ten gehört er zu den Top-Five des Anbau­ge­biets, man­che sehen ihn als die Num­mer 3 hin­ter Cha­teau d’Yquem und Cha­teau Ray­ne Vigneau: ein nobler, von der Edel­fäu­le gepräg­ter Wein (über­wie­gend) aus Sémillon-Trauben mit über 100 Gramm Rest­zu­cker und gleich­zei­tig knapp 14 Vol.% Alko­hol – also ein schwer-süßer Wein, der, wie alle Sau­t­er­nes, gern mit Gän­se­stopf­le­ber in Ver­bin­dung gebracht wird. Gold­gelb fun­kelt er in der Fla­sche, das Eti­kett ziert eine gol­de­ne Königs­kro­ne mit neun Strah­len. So kann­te man ihn bisher.

Sieht aus wie eine Olivenölflasche

Die neue Flasche von Chateau Rieussec

Aller­dings trifft Letz­te­res ab dem Jahr­gang 2019 nicht mehr auf den Rieu­ss­ec zu. Der Wein leuch­tet nicht gold­gelb, weil er sich nicht mehr in einer Fla­sche aus Weiß­glas, son­dern aus recy­cling­fä­hi­gem Braun­glas befin­det. Das neue Label – Eti­kett kann man es kaum nen­nen – ist eher gelb als gold. Die Kro­ne, das tra­di­tio­nel­le Emblem des zu den Domain­es Barons de Roth­schild gehö­ren­den Cha­teau, hat nur noch drei Zacken und ist stark sti­li­siert. Schließ­lich bau­melt an einem schrill-gelben Stoff­band ein kuge­li­ger Zweit­kor­ken am Fla­schen­hals. Die Roth­schilds wol­len, dass man die Fla­sche, ein­mal geöff­net, pro­blem­los wie­der ver­schlie­ßen kann, wenn sie nicht gleich geleert wird. Ein Instagram-Nutzer wit­zel­te bei der Social-Media-Präsentation, der neue Rieu­ss­ec sehe aus „wie eine Olivenölflasche“.

Die Nachfrage nach edelsüßen Weinen schwächt sich ab

Dass ein renom­mier­tes Cha­teau so radi­kal mit der Aus­stat­tungs­tra­di­ti­on bricht, zeigt, dass die Emo­tio­nen in Frank­reich auf­ge­wühlt sind. In der Tat lesen sich die zurück­lie­gen­den Jah­re in Sau­t­er­nes, aber auch in der benach­bar­ten Süß­wein­re­gi­on Bar­sac, nicht gera­de wie eine Erfolgs­ge­schich­te. Eini­ge Beob­ach­ter spre­chen gar von einer Kri­se. Um fast ein Vier­tel ist die Pro­duk­ti­ons­men­ge in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren ein­ge­bro­chen. Durch die Kli­ma­er­wär­mung bricht die Botry­tis nicht mehr so regel­mä­ßig aus und infi­ziert die Bee­ren nicht immer mehr so flä­chen­de­ckend wie frü­her. Damit ent­fal­len in vie­len Jah­ren die Vor­aus­set­zun­gen für die Erzeu­gung von edel­sü­ßen Wei­nen. Zum ande­ren schwächt sich die Nach­fra­ge nach süßen Wei­nen all­ge­mein ab. Trotz ihrer Ein­zig­ar­tig­keit gehö­ren die Sau­t­er­nes nicht mehr zu den gefrag­tes­ten Wei­nen der Welt.

Die Preise in Sauternes stagnieren

Wäh­rend die Prei­se der roten Grands Crus aus Bor­deaux und Bur­gund, der Super­tu­scans und der Winzer-Champagner seit den 1990ern expo­nen­ti­ell stei­gen, sta­gniert das Preis­ni­veau in Sau­t­er­nes. Bereits 2012 berich­te­te die eng­li­sche Wein­fach­zeit­schrift Decan­ter über auf­ge­zwun­ge­ne Pro­dukt­bün­de­lun­gen für Impor­teu­re, die Rot­wein von Cha­teau Lafite oder dem Schwes­tern­wein­gut Cha­teau Duhart-Milon kau­fen woll­ten. Sie waren zur Abnah­me einer bestimm­ten Men­ge Rieu­ss­ec ver­pflich­tet wor­den. Eini­ge Lon­don­der Händ­ler klag­ten Decan­ter ihr Leid über Ver­lust­ge­schäf­te mit dem süßen Wein aus Sau­t­er­nes. Die Prei­se, die Impor­teu­re bei die­sen Kop­pel­ge­schäf­ten für den Rieu­ss­ec, den sie eigent­lich gar nicht haben woll­ten, zu zah­len hat­ten, war viel zu hoch, um den Wein mit Gewinn zu verkaufen.

Trockene Weine außerhalb der Appellation – die Rettung?

Die alte Fla­sche von Cha­teau Rieussec

Immer mehr Sauternes- und Barsac-Erzeuger den­ken des­halb über Mög­lich­kei­ten nach, ihre Wei­ne erfolg­reich zu ver­mark­ten – not­falls auch außer­halb der AOP Sau­t­er­nes. Oli­vi­er Ber­nard, Besit­zer der Domaine de Che­va­lier in Pessac-Léognan, grün­de­te 2011 ein neu­es Wein­gut namens Clos des Lunes, um aus­schließ­lich tro­cke­ne Weiß­wei­ne zu pro­du­zie­ren. Sau­t­er­nes dür­fen sie nicht hei­ßen, da der Name allein für edel­sü­ße Gewäch­se reser­viert ist. Ber­nard bringt sie als ein­fa­che Bor­deaux Blanc auf dem Markt. Für ihn ist das Anbau­ge­biet den­noch span­nend, auch wenn sich sei­ne Wei­ne nicht mit der Her­kunfts­be­zeich­nung Sau­t­er­nes schmü­cken dür­fen: Die Böden im Sau­ter­nais wür­den sich bes­ser für Sémil­lon eig­nen als die der gro­ßen Weiß­wein­ap­pel­la­ti­on Gra­ves. Außer­dem sei Reb­land dort güns­tig zu haben: „Für eine exzel­len­te Par­zel­le zah­le ich in Pessac-Léognan dop­pelt bis vier­mal so viel wie in Sauternes“.

Wird es bald einen Sauternes Sec geben?

Ob ein Sau­t­er­nes Sec, also ein tro­cke­ner Weiß­wein inner­halb der tra­di­tio­nel­len Süßwein-Appellation, zur Kri­sen­be­wäl­ti­gung bei­tra­gen könn­te, ist eine heiß dis­ku­tier­te Fra­ge. An ihr schei­den sich die Mei­nun­gen von Win­zern und Kri­ti­kern. Auf der einen Sei­te kommt es nicht von unge­fähr, dass Sau­t­er­nes schon vor Jahr­hun­der­ten zur Süß­wein­re­gi­on her­an­ge­wach­sen ist: der star­ke Botry­tis­be­fall ist ein Garant für kon­zen­trier­te, edel­sü­ße Wei­ne, steht tro­cke­nen Wei­nen aber im Weg. Edel­fäu­le lässt sie fett und alko­hol­reich wer­den las­sen. Auf der ande­ren Sei­te tritt Botry­tis durch den Kli­ma­wan­del und die tro­cke­ne­ren Spät­som­mer sel­te­ner auf.

Die Sorte Sémillon ist nicht ideal für trockene Weine

Theo­re­tisch könn­te der Y genann­te tro­cke­ne Wein von Châ­teau d‘Yquem als Blau­pau­se für einen Sau­t­er­nes Sec die­nen. Er wird aber nicht jedes Jahr, son­dern nur in Jah­ren ohne Botry­tis erzeugt. Ähn­li­ches gilt für den S von Sudui­raut, für den Le G von Gui­raud, Le Sec von Ray­ne Vigneau, den Blanc Sec von Doisy-Daene und die Wei­ne von Clos des Lunes. Ein­zi­ges Pro­blem: Bis auf Clos des Lunes sind die­se Wei­ne von der Sor­te Sau­vi­gnon Blanc domi­niert, der aller­größ­te Teil der 1550 Hekt­ar umfas­sen­den Appel­la­ti­on ist jedoch mit der eher neu­tral schme­cken­den Sémil­lon bestockt. Und an die trau­en sich die meis­ten Spit­zen­er­zeu­ger bei ihren tro­cke­nen Vari­an­ten nicht so recht ran. Qua­li­ta­tiv konn­ten die tro­cke­nen Wei­ne bis­lang nie mit den gro­ßen Wei­ßen der Wein­welt mithalten.

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Wird der Konsument verstehen, dass aus Sauternes auch trockene Weine kommen?

Auch wer­den immer wie­der Stim­men laut, die besa­gen: Sau­t­er­nes ver­lie­re sei­ne Iden­ti­tät, wenn man die edel­sü­ße Appel­la­ti­on auf­wei­che. Die Kon­su­men­ten ver­stün­den dann nicht mehr, wofür Sau­t­er­nes über­haupt ste­he. Stimmt das? Dass Wein­trin­ker sich durch­aus im Neben­ein­an­der von tro­cke­nen und süßen Wei­nen zurecht­fin­den, zeigt der Erfolg von Tokaj. Die Kri­se war hier nach dem Zusam­men­bruch des Ost­blocks ungleich schwe­rer als heu­te in Sau­t­er­nes. Um die Jahr­tau­send­wen­de begann eine Hand­voll Win­zer neben den tra­di­tio­nel­len edel­fau­len Süß­wei­nen tro­cke­ne Einzellagen-Weine aus­zu­bau­en. Heu­te ste­hen sowohl die tro­cke­nen als auch die edel­sü­ßen Wei­ne so gut da wie nie. Ande­re His­to­rie, ande­rer Wein, ande­re Märk­te, aber der Exkurs nach Ungarn – man könn­te auch an die Mosel schau­en – zeigt, dass man sich zumin­dest um ver­brau­cher­sei­ti­ge Ver­ständ­nis­pro­ble­me kei­ne all­zu gro­ßen Sor­gen machen muss.

Same wine, new look

Zurück zu Rieu­ss­ec: Radi­kal sind die Neue­run­gen also nur, was das Pack­a­ging angeht. „Same wine, new look“, heißt es denn auch sei­tens der Rothschild-Gruppe – zyni­sche Raider-Twix-Sticheleien drän­gen sich hier natür­lich auf. Und „same wine“ ist, genau genom­men, auch nicht ganz kor­rekt. 2019 war ein groß­ar­ti­ges Jahr in Sau­t­er­nes, die Wei­ne sol­len so gut sein wie schon lan­ge nicht mehr und rei­hen sich neben 2009 und 2005 ein, die als glor­rei­che Jahr­gän­ge gel­ten, auf bei Rieu­ss­ec. Der Preis ist eben­falls nicht beim alten geblie­ben. Der neue Jahr­gang kos­tet fast dop­pelt so viel wie sei­ne Vor­gän­ger, näm­lich rund 120 Euro. „End­lich kos­ten­de­ckend“, ist das Cha­teau erleich­tert. Zuge­ge­ben, sämt­li­che Güter der Lafite-Gruppe sat­teln gera­de suk­zes­si­ve auf Bio­wein­bau um, was viel Geld kos­tet. Rieu­ss­ec selbst befin­det sich seit die­sem Jahr in der Umstel­lungs­pha­se. Trotz­dem fragt man sich ver­wun­dert, ob mas­si­ve Preis­er­hö­hun­gen in einem schrump­fen­den Markt die rich­ti­ge Kri­sen­be­wäl­ti­gungs­stra­te­gie sind.

Saskia de Rothschild steht hinter dem Relaunch

Dabei ist man sich bei Rieu­ss­ec des schwie­ri­gen Umfelds für Süß­wei­ne durch­aus bewusst. Die jun­ge Saskia de Roth­schild, die seit 2018 Chair­wo­man der Domain­es Barons de Roth­schild ist, hat lan­ge über das The­ma Süß­wein nach­ge­dacht. Die 34-Jährige, die einst Kriegs­be­richt­erstat­te­rin für die New York Times an der Elfen­bein­küs­te war und erst dann ein Önologie- und Land­wirt­schafts­stu­di­um begann, hat eine ande­re Sicht­wei­se auf die Welt der gro­ßen Wei­ne als zum Bei­spiel ihr Vater Eric de Roth­schild (der 44 Jah­re lang die Geschi­cke der Domain­es lenk­te und die­ses Jahr auch die Prä­si­dent­schaft an sei­ne Toch­ter abgab): Ehr­furcht macht bei Saskia  der prak­ti­schen Ver­nunft Platz. Sie war sie es, die die Schwei­zer Agen­tur Big Game enga­gier­te (die auch schon für Ikea oder Ales­si krea­tiv gewor­den ist), um das neue Fla­schen­de­sign für den Rieussec-Wein zu ent­wer­fen (das ihr Vater übri­gens hass­te) Sie folg­te deren Rat­schlag mit dem am Fla­schen­hals hän­gen­den Wiederverschluss-Korken, der ein Novum in der Welt der fei­nen Wei­ne dar­stellt. Ihre Über­le­gung: Wer im Sin­ne eines zuneh­men­den  Gesund­heits­be­wusst­seins ohne­hin schon weni­ger Alko­hol trinkt, wird sel­ten zu Käse oder Des­sert eigens eine Fla­sche Sau­t­er­nes köp­fen. Der prak­ti­sche Wie­der­ver­schluss­kor­ken inspi­riert die Men­schen viel­leicht, den Wein glas­wei­se zu genie­ßen, die Fla­sche wie­der zu ver­schlie­ßen und bis zum nächs­ten oder über­nächs­ten Tag auf­zu­be­wah­ren – zumin­dest beim Heim­kon­sum. Süß­wei­ne wie der Rieu­ss­ec blei­ben auch nach dem Öff­nen der Fla­sche noch meh­re­re Tage frisch. Wie unkon­ven­tio­nell sie denkt, demons­trier­te sie in einem Inter­view mit der Finan­cial Times, als sie zugab, ihren Sau­t­er­nes auch mit Eis­wür­feln als Ape­ri­tif zu trin­ken. An die­ser Äuße­rung wird deut­lich, dass sie – krea­tiv oder ver­zwei­felt – nach Wegen sucht, vom blo­ßen Dessertwein-Image wegzukommen.

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