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Schockierende Nachrichten aus Bordeaux: 2010 besser als 2009?

Die ersten Kommentare der Châteaux gleich nach der Lese fielen bereits enthusiastisch aus. Jetzt werden sie untermauert von analytischen Daten, die aus den Untersuchungslabors oder von Önologen kommen, die die Vinifikation begleitet haben. „Die Qualität der 2010er ist mindestens auf dem Niveau der 2009er“, berichtet Frédéric Bonnafous, Chef-Winemaker der Dourthe-Gruppe (Talbot, Belgrave,La Garde). „Das Potenzial für einen weiteren großen Jahrgang ist zweifellos vorhanden.“

Christian Seely, verantwortlich für die Châteaux der AXA-Gruppe (Pichon-Longueville Baron, Petit Village, Suidiraut u.a.), berichtet: „In diesem Jahr wiesen die Trauben viel Tannin auf, und die Alkoholwerte lagen wie im letzten Jahr zwischen 13 und 14 Vol.%.“ Insgesamt lautet sein Urteil über den Jahrgang: „hinreißend gut“.

Christophe Coupez, Leiter der önologischen Labore in Pauillac, wo ein Großteil der Jahrgangsproben  analysiert werden, ist sich sicher: „Die Natur hat sich entschlossen, uns einen weiteren außergewöhnlichen Jahrgang zu schenken.“

Bordeaux-Liebhaber, die im letzten Jahr subskribiert haben, werden sich ungläubig die Augen reiben. Bislang hieß es, dass 2009 ultimativ der beste Jahrgang der letzten Jahrzehnte gewesen sei: auf jeden Fall besser als 2005 und 2000. Und jetzt ein weiterer Spitzenjahrgang? Gar ein neuer Jahrhundertjahrgang? Gleich im Anschluss? Der Verdacht, dass hier ein Jahrgang hochstilisiert wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Oder haben die Châteaux und der Négoçe im letzten Jahr gelogen, als sie den 2009er in den Himmel lobten?

Einiges spricht dafür, dass sich die positiven Frühurteile über den 2010er bewahrheiten werden. Vor allem der Klimaverlauf. Feucht und kühl in der Vegetationsphase im Frühjahr, trocken und heiß im Juli, nur wenige Niederschläge im August, im September warme Tage und kühle Nächte – ideal also, um die Säure zu halten und die Reife zu verzögern. Statt 100 Tage hat es diesmal von der Blüte bis zur Lese 130 Tage gedauert: Alle Jahrgänge, die sich am Ende als groß herausgestellt haben, hatten eine langsame Reifeentwicklung. Und schließlich der Behang: Im Gegensatz zu 2009 ist die Erntemenge in 2010 um ein Viertel geringer auf Grund der Verrieselungsschäden. Auch das spricht für gute Qualität, führte allerdings gleichzeitig zu hohen Alkoholgehalten. Sie liegen in 2010 zwischen 13,5 und 15 Vol.%.

Von der Struktur her seien die 2010er ihren Vorgängern überlegen, lassen sich die ersten Berichte zusammenfassen. Die Anthocyane haben Rekordwerte erreicht. Die ph-Werte liegen niedriger. Der Jahrgang 2010 ähnele mehr dem 2005er als dem 2009er, wird daher geschlussfolgert. Vor allem die Merlot scheint überragende Qualitäten geliefert zu haben. Auf Grund der kühlen Witterung während der Blüte sei die Sorte stark verrieselt und habe kleine Beeren gebildet. Viel Schale, wenig Fleisch bedeuten: extrem hohe Tanningehalte. Tatsächlich liegen die Alkoholgehalte zwischen 14 und 15 Vol.%.

Gewiss, für eine sichere Prognose ist es noch zu früh. Doch schon jetzt kann als sicher bezeichnet werden, dass die glorifizierten 2009er Konkurrenz bekommen werden. „Die Qualität des Mosts war jedenfalls exzellent“, bestätigt auch Stéphane Toutoundji, ein bloggender Önologe, der für viele kleine Châteaux arbeitet, etwa Clos de l’Eglise. Er ist sich sicher: „Manche Châteaux werden einen noch besseren Wein machen als 2009.“

Auch die ersten Châteaux melden sich jetzt zu Wort. „Reicher an Tannin, straffer und konzentrierter als die 2009er“, beschreibt Pierre Lurton, Direktor von Cheval Blanc, den Jahrgang. Alexandre Thienpont von Vieux Château Certan: „Schon jetzt können wir sagen, dass der 2010er definitiv von hoher Qualität ist, mindestens auf dem Niveau von 2009. Im Moment würde ich sogar behaupten, er ist besser als 2009.“

Sollte sich bewahrheiten, was Châteaux und Experten sagen – was hieße das für die Preise? Dass sie, wie manche glauben, um mindestens 30, wenn nicht 50 Prozent sinken, ist unwahrscheinlich. Vermutlich werden sie sich nicht nennenswert unter dem 2009er-Niveau einpendeln. Die Nachfrage aus dem Fernen Osten, die im letzten Jahr allein ein Drittel des Subskriptionsvolumens ausgemacht hat, ist nach wie vor hoch. Und es gibt derzeit keine Anzeichen, dass China schwächelt. Westliche Investoren haben sich nolens volens auf dem höheren Preis-Plateau eingefunden. Bleiben nur die privaten Bordeaux-Liebhaber. Von ihnen wird sich ein großer Teil notgedrungen von Bordeaux verabschieden und auf andere Herkünfte ausweichen müssen. Aber das ist ja bereits im letzten Jahr passiert.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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