Frankreich hat knapp 500 AOCs. Die meisten sind völlig unbekannt. Zu diesen gehört auch Saumur, die zwischen Loire und Fouet westlich der berühmten Schlösserlandschaft des Jardin de la France liegt mit den zum Weltkulturerbe zählenden Juwelen von Amboise, Chambord, Chaumont, Valençay, Villandry. Ein Aschenputtel ist Saumur Champigny zwar nicht, aber eben doch eine deutlich kleinere (1400 Hektar) und unbekanntere Appellation als Chinon und Bourgeuil mit ihren farbstarken, alterungsfähigen Rotweinen, die in Paris als Weine der Intellektuellen gelten.
Idealer Boden für die Cabernet Franc
Erzeugt werden sie aus der Cabernet Franc, die man hier auch „Breton“ nennt, und die fühlt sich nicht nur in Chinon und Bourgeuil wohl, sondern auch auf den terres blanches, den weißen Böden von Saumur-Champigny. Das kalkhaltige Gestein, Baumaterial für die meisten Loire-Schlösser, kann pro Kubikmeter bis zu 300 Liter Wasser speichern, was in den heißen Sommern ein erheblicher Vorteil ist.
Das hügelige Land nahe der unreguliert dahinströmenden Loire mit ihrem steilen Südufer, ihren Sandbänken, der vielfältigen Vogelwelt und dem heute gern von Radlern genutzten Hochwasserdamm war früher fast vollständig mit Chenin blanc bepflanzt. Das hat sich seit den 50er Jahren grundlegend geändert. Die Sorte Cabernet Franc, die in fast jedem Bordeauxwein enthalten ist (von St. Emilion abgesehen allerdings nur als kleinerer Verschnittpartner des Cabernet Sauvignon) hat den Chenin Blanc hier weitgehend verdrängt.
Potenzial der Cabernet franc nicht ausgereizt
Ein Umschwung zum Qualitätsweinbau war damit zunächst nicht verbunden. Zu leicht verkauften sich die „netten“, mitteltiefen, nach Himbeeren und Veilchen duftenden und häufig chaptalisierten Tropfen in den Bistros von Paris. Und mit 70 Hektoliter pro Hektar und mehr konnten keine charakterstarken Rotweine gelingen, die die Besonderheiten des Terroirs tatsächlich widergespiegelt hätten.
Wurde auf die Chaptalisierung verzichtet, so erhielt man vergleichsweise dünne, leicht grasige Weine mit uneleganten Noten von grüner Paprika und Nesseln. Die Stärken der Cabernet Franc, ihre kraftvolle Struktur, ihre in der Jugend leicht ungebärdige Charakteristik, vor allem aber ihre Würze kamen nicht recht zum Ausdruck
Die alten Meister und die jüngere Generation
Das hat sich mit der jüngeren Generation der Winzer geändert, die meist in den 90er Jahren das Ruder übernahm. Sie brachte nicht nur in Bordeaux oder Dijon erworbenes weinbauliches und önologisches Wissen mit. Sie ließ sich auch inspirieren von einige Spitzenwinzern, die in der Region lange als Außenseiter betrachtet wurden: Nady und Charly Foucault vom Clos Rougeard in Chazé etwa, Denis Duveau von der Domaine des Roches Neuves oder René Noël Legrand, beide in Varrains.
Auch wenn diese Winzer für sich in Anspruch nahmen, nur das zu tun, was ihre Väter, Großväter und Urgroßväter schon immer getan hatten, so wurde das große Geld woanders verdient. Mittlerweile haben sich die Gewichte verschoben: Die Weine der früheren Randfiguren sind frankreichweit und bis in den angelsächsischen Raum hinein bekannt geworden. Und mit einigem Staunen wird das unglaubliche Qualitätsstreben des Père (Antoine) Cristal wieder entdeckt, der sich um die Wende zum 20. Jahrhundert vorgenommen hatte, an der Loire Weine von der Qualität eines Gevrey-Chambertin zu erzeugen und zu diesem Zweck Mauern um den (heute unter Denkmalschutz stehenden) Clos Cristal südwestlich von Champigny errichten ließ.
Keine Alkoholbomben wie in Bordeaux
Ganz so weit wie Cristal, dessen Weine an den Tafeln der besten Restaurants in Paris und denen des englischen Hofes serviert wurden, ist man heute noch nicht – abgesehen von den Brüdern Foucault. Aber die Chancen stehen nicht schlecht.
Wenn Bordeaux es – wie 2010 – nicht mehr schafft, das Problem des mit 14,5 und mehr Vol.% überbordenden Alkohols in den Griff zu bekommen, könnte die Stunde der Spitzenwinzer von der Loire gekommen sein: Trotz Klimaerwärmung liegen die Alkoholgehalte ihrer Weine zwischen 12,5 bis 13,5 Vol.% – bei gleichzeitig beeindruckender Geschmackstiefe und Struktur.
Vorbildliche Weinbergsarbeit einschließlich Biodynamie
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die beispielhafte Weinbergsarbeit der führenden Winzer von Saumur Champigny. Ein Großteil setzt auf biologische und biodynamische Verfahren. Das Zusammenspiel von intensiver Bodenbearbeitung, zum Teil wieder mit Pferden, deutlich reduzierten Erträgen, überlegtem Laubmanagement, sorgfältiger Auslese im Weinberg und später bei der Anlieferung mit tables de tri, den Sortiertischen, und solider Kellertechnik auf der anderen Seite, gern auch unter Verwendung spontaner Hefen kann als gelungen bezeichnet werden.
Auch vom extensiven Gebrauch neuer Barriques sind die meisten Winzer abgekommen. Bevorzugt werden Zweit- oder Drittbelegungen, oder gleich größere Gebinde, wie zum Beispiel bei Philippe Vatan (Château du Hureau), der bekennt, sich in Fuder von 30 Hektoliter „verliebt“ zu haben. Schlüsselbegriff ist das terroir, nicht der goût du monde mit Vanille, Schokolade und Kaffee-Noten.
Mit diesem Stil konnte Paris ein zweites Mal erobert werden – dieses Mal auf der Qualitätsschiene. Und auch in Deutschland und in der Schweiz registriert man erste positive Reaktionen. Eine kleine Auswahl guter Weine sei hier vorgestellt
Hospices de Saumur, Clos Cristal, Souzay-Champigny
Eric Dubois, der im Auftrag des Hospitals seit 1995 den Clos Cristal führt, ist ein kompromissloser Anhänger des biodynamischen Weinbaus. Er beachtet die kosmischen Zyklen, beschränkt den Ertrag durch grüne Lese und eine strenge Auswahl bei der Ernte auf etwa 35 hl/ha, bearbeitet den Boden mit zwei Rössern, vergärt ausschließlich mit natürlichen Hefen und verzichtet unter Inkaufnahme eines nicht unerheblichen Stabilitätsrisikos sogar auf die Schwefelung vor der Abfüllung. Entsprechend der Zielsetzung des Stifters Antoine Cristal gehören seine Weine zu den besten, die in der Appellation erzeugt werden.
Château du Hureau, Dampierre-sur-Loire
Der 59jährige Agraringenieur Philippe Vatan ist seit seiner Übernahme der Verantwortung auf der 20-Hektar-Domaine 1987 einer der Gründerväter des Wiederaufstiegs der Appellation geworden. Seit 2009 ist sein Betrieb vollständig auf biologischen Weinbau umgestellt. Ein Innehalten kennt der Hobby-Musiker und Komponist nicht, der immer wieder auch mit seinen Kollegen anonyme Degustationen durchführt, um die Qualität weiter zu verbessern. Sein Ziel ist, Château du Hureau zu einer französischen Referenzgröße für die Rebsorten Cabernet Franc und Chenin blanc zu machen. Eigentlich ist ihm das – bei durchschnittlichen Hektarerträgen von 30 hl – schon jetzt gelungen.
Domaine des Roches Neuves (Thierry Germain), Varrains
Thierry Germain, Angehöriger einer Familie, der eine ganze Reihe von Weingütern gehört, ist 1991 aus dem Bordelais an die Loire gekommen, Folglich hieß er lange Zeit „der aus Bordeaux“, und was er so machte, wurde der Nichtvertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen zugeschrieben. Er ist bekennender Biodynamiker. Zum Schweigen gebracht wurden missgünstige Stimmen durch die unbestreitbare Qualität der Weine und seine Bereitschaft, mit den Kollegen vor Ort zusammenzuarbeiten. Die Qualität hängt nicht zuletzt mit den niedrigen Erträgen zusammen. Sein Terres Chaudes wird mit durchschnittlich 35 hl/ha erzeugt, beim Marginale sind es sogar nur 25 hl/ha. Mittlerweile gilt die Domaine des Roches Neuves als einer der führenden Betriebe von Saumur Champigny.
René Noël Legrand, Varrains
Der zurückhaltende René Noël Legrand gehört mit zu den ersten, die das Ruder in den 90er Jahren entschlossen herumlegten. Fruchtige und doch langlebige Weine zu produzieren gehört auf seiner 15-Hektar-Domaine, die von der Familie in der fünften Generation geführt wird, zur Tradition. Als ich ihn 1991 erstmals besuchte, war bei Familienfesten gerade der in tiefen Tuffkellern bei konstanten 12° C gelagerte Jahrgang 1947 erklärter Favorit. Wegen gesundheitlicher Probleme hat Legrand die Zügel im Wesentlichen seiner Tochter in die Hand gegeben, während er sich auf die Arbeit im Keller konzentriert.
Château de Villeneuve, Souzay-Champigny
Jean-Pierre Chévallier, in Bordeaux als Önologe ausgebildet, ist ein eher ruhiger, außergewöhnlich sorgfältiger und qualitätsorientierter Vertreter seiner Zunft. Mit dem 1969 erfolgten Erwerb des hübschen Château de Villeneuve unweit Souzay einschließlich 28 Hektar Rebland durch seine Familie fand er nach dem Abschluss seines Studiums seine Lebensaufgabe. Ohne viel Wind zu machen arbeitete er sich Schritt für Schritt in die Spitzengruppe der Appellation vor und wurde dabei vom Önologen immer mehr zum Weinbauern: niedrige Erträge, Zurückfahren der künstlichen Düngung, Begrünung, radikaler Rebschnitt im Winter, Laubarbeit, grüne Lese, Ausbau bevorzugt in großen Gebinden oder mehrfach belegten Barriques. Chévallier steht für solide Arbeit ohne Effekthascherei – und vorzügliche Weine. Das gilt auch für die Weißen aus der wieder entdeckten Sorte Chenin Blanc!
Château Yvonne, Mathieu Vallée, Parnay
Der freundliche Matthieu Vallée, der selbst kurz vor dem Packen für die Hochzeitsreise Zeit für den zufällig hereingeschneiten Gast fand, ist ausgebildeter Logistik-Ingenieur, kommt aber aus einer Weinbauernfamilie. Der von ihm geleitete 11-Hektar-Betrieb wurde 1996 durch einen Schweizer Verleger gegründet, der sich nach einem Jahrzehnt wieder von seinem Besitz trennte. Vallées gerade in der Startphase außerordentlich hilfreicher Bruder Gérald ist Besitzer der Domaine de la Cotelleraie in Saint-Nicolas-Bourgeuil. Matthieu führt seinen Betrieb biologisch, setzt auf begrenzte Erträge und hat sich in relativ kurzer Zeit in der Region wie in der Fachpresse Respekt erworben. Seine modern wirkenden Weine werden in einem Tuffkeller bei konstanten 13 Grad Umgebungstemperatur spontan vergoren, die Kühle sorgt vor dem Start für eine Art natürlicher Kaltmazeration. Der Ausbau der Cuvée La Folie erfolgt in Barriques.