Sauer macht lustig: Gracia sì!

Spanien ist die wohl am stärksten unter der Klimaerwärmung leidende europäische Weinnation. In der Rioja wird die alte Graciano-Traube wieder entdeckt. Sie soll den Säureschwund der Weine stoppen. Ein Interview mit Agustin Santolaya, dem Direktor der Bodegas Roda.

Spa­ni­en lei­det mehr als ande­re Natio­nen unter dem Kli­ma­wan­del. Die Tro­cken­heit nimmt zu, die Reben lei­den unter Was­ser­stress. Die Win­zer kämp­fen um jedes Gramm Säu­re für ihre Wei­ne. Die­se kli­ma­ti­sche Situa­ti­on hat eine Reb­sor­te in den Fokus gerückt, die bis­lang nur ein Mauerblümchen-Dasein fris­te­te: die Gra­cia­no. Sie stammt aus der Rio­ja und ist bei den Win­zern ziem­lich unbe­liebt, weil sie so spät reift.

Graciano als „Rettungsanker“

Agustin Santolaya
Agus­tin Santolaya

Bes­ser: Sie war unbe­liebt. Im letz­ten Jahr­zehnt wur­de die Gra­cia­no wie­der neu ent­deckt und ist seit­dem nicht nur in der Rio­ja, son­dern auch in ande­ren spa­ni­schen Anbau­ge­bie­ten auf dem Vor­marsch. In der Ribei­ra del Due­ro steigt ihr Anteil an der Cuvée ein­zel­ner Wei­ne bis auf 30 Pro­zent. Sie wird als „Ret­tungs­an­ker“ gese­hen, die den Wei­nen, die in hei­ßen Jah­ren säu­re­mä­ßig zu ver­fla­chen dro­hen, wie­der Fri­sche und Span­nung gibt. In der Rio­ja haben die Bode­gas Cune Con­ti­no sie als ers­te in ihre Wei­ne ein­ge­blen­det, in gerin­ger Men­ge zwar, aber sys­te­ma­tisch. Des­glei­chen Mar­ques de Mur­rie­ta, La Rio­ja Alta, Muga, Con­de de Val­de­mar, Luis Cañas zum Bei­spiel. Die Bode­gas Roda haben die Gra­cia­no bis 2009 nur für ihren Basis-Rioja benutzt. Seit 2009 fin­det man sie auch im Roda 1 und seit 2012 auch in Rodas Top-Wein Cir­si­on. Der in Frank­reich leben­de eng­li­sche Wein­au­tor Andrew Black hat sich mit Agus­tin San­to­la­ya unter­hal­ten, dem Gene­ral­di­rek­tor der Bode­gas Roda.

Andrew Black: Die Sor­te Gra­cia­no wird immer im Zusam­men­hang mit dem Rio­ja genannt. Gibt es Bewei­se, dass sie eine auto­chtho­ne Sor­te des Anbau­ge­biets ist?
Agus­tin San­to­la­ya: Man kann nie sicher sein, wo eine Sor­te her­kommt. Aber alles deu­tet dar­auf hin, dass die Gra­cia­no aus dem obe­ren Ebro-Tal stammt. Genau­er gesagt: aus der Rioja.
Andrew Black: Mit wem ist die­se Sor­te verwandt?
Agus­tin San­to­la­ya: Es heißt, die Gra­cia­no sei iden­tisch mit der Par­ra­le­ta in Somon­ta­no mit der Tin­til­la de Rota in Anda­lu­si­en, der Mor­rast­rell in Süd­frank­reich und der Bova­le in Sardinien.
Andrew Black: Die Legen­de besagt, dass der Name daher rührt, dass die Wein­bau­ern „Gra­ci­as No“ sag­ten, wenn von ihr die Rede war. Also „nein dan­ke“. Woher kommt der schlech­te Ruf die­ser Sorte?
Agus­tin San­to­la­ya: Das ist ein Kli­schee. Die Gra­cia­no hat kei­nen schlech­ten Ruf. In mei­ner Fami­lie hiess es immer, dass die die Sor­te dem Wein, dem sie hin­zu­ge­fügt wur­de, „grace“ gäbe, also Anmut.

Cirsion - Topwein von Roda
Cir­si­on – Top­wein von Roda

Andrew Black: Könn­ten Sie sich vor­stel­len, einen rein­sor­ti­gen Gra­cia­no zu kel­tern? Eini­ge Kel­le­rei­en tun das ja.
Agus­tin San­to­la­ya: Wir haben bei Roda die Gra­cia­no eini­ge Zeit lang sepa­rat ver­go­ren und den Wein seprat aus­ge­baut. Aber nach einem Jahr wur­de der Wein nach dann in unse­ren Roda, in unse­ren Roda 1 und seit 2012 auch in den Cir­si­on ein­ge­blen­det. Gra­cia­no ist eine Sor­te, die mich neu­gie­rig macht. Sie ist unglaub­lich cha­rak­ter­voll und gibt einen extrem dunk­len, fast opa­ken Wein mit bläu­li­chem Schim­mer. Das Bou­quet ist sehr wür­zig mit medi­zi­na­len Noten. Lei­der ist der Wein, rein­sor­tig gekel­tert, am Gau­men weni­ger auf­re­gend wegen sei­ner hohen Säu­re und dem nied­ri­gen ph-Wert, wodurch er ein wenig leer wirkt. Als Essen­be­glei­ter ist er schwierig.
Andrew Black: Wie hoch ist der Graciano-Anteil in den Roda-Weinen?
Agus­tin San­to­la­ya: Im Roda und im Roda 1 nie mehr als 10 Pro­zent. Meis­tens nur 5 Pro­zent. Der Cir­si­on hat einen Anteil von 15 Prozent.
Andrew Black: Stimmt es, dass die Gra­cia­no für vie­le Kel­le­rei­en nur inter­es­sant ist, um Far­be und Säu­re zu kor­ri­gie­ren? Oder hat sie auch noble­re Aufgaben?
Agus­tin San­to­la­ya: Die Gra­cia­no lie­fert Far­be und Säu­re. Das stimmt. Die Anthocyan-Gehalt ist unglaub­lich hoch, wes­halb sie toll zum eher farb­schwa­chen Tem­pr­anil­lo passt, beson­ders wenn bei­de Sor­ten zusam­men mai­sche­ver­go­ren wer­den. Lei­der rei­fen Tem­pr­anil­lo und Gra­cia­no nicht zur glei­chen Zeit. Aber wenn man pas­sen­de Ter­ro­irs kom­bi­niert, kann man sie teil­wei­se zum glei­chen Zeit­punkt lesen.
Andrew Black: In der Rio­ja wird die Gra­cia­no an vie­len Orten kul­ti­viert, wobei es scheint, dass sie an war­men Orten die bes­ten Resul­ta­te bringt, zum Bei­spiel bei Con­ti­no nahe Logro­ño. Ist es ein Feh­ler, die Sor­te auch in küh­le­ren Orten zu pflan­zen, etwa bei Haro?
Agus­tin San­to­la­ya: Die Gra­cia­no ist eine tem­pe­ra­tur­sen­si­ble Sor­te. An hei­ßen, sehr son­ni­gen, tro­cke­nen Stand­or­ten fühlt sie sich wegen der dün­nen Haut ihrer Bee­ren nicht wohl. Küh­le Stand­or­te sind für sie aber auch nicht ide­al, weil sie sowie­so schon spät reift. Und auf frucht­ba­ren Böden sind die Erträ­ge zu hoch. Der Wein ist dann unin­ter­es­sant. Ich wür­de des­halb sagen: die bes­ten Ter­ro­irs sind war­me, nicht zu hei­ße Ter­ro­irs an der mitt­le­ren Rio­ja, also um Logro­ño her­um. Das heißt nicht, dass sie nicht auch in Haro gute Qua­li­tä­ten brin­gen kann. Aber es müs­sen dann schon kar­ge Böden sein, damit die Erträ­ge nied­rig blei­ben, und die Lagen soll­ten nach Süden aus­ge­rich­tet sein, um ein Maxi­mum an Son­ne zu garantieren.

Reserva von Roda
Reser­va von Roda

Andrew Black: Far­be und Säu­re mal außen vor gelas­sen: Was bie­tet die Gra­cia­no geschmacklich?
Agus­tin San­to­la­ya: Alles hängt davon ab, wo sie wächst und wie reif die Trau­ben geern­tet wer­den. Wenn sie nicht per­fekt aus­ge­reift sind, ist der Wein dünn und pfeff­rig auf der Zun­ge. Das­sel­be Pro­blem, wenn die Erträ­ge zu hoch sind. Wenn die Gra­cia­no hin­ge­gen reif geern­tet wird, ver­schwin­den die pfeff­ri­gen Noten. Statt­des­sen kom­men kom­ple­xe Würz­no­ten durch. Dazu medi­zi­na­le, her­ba­le Töne und dunk­le Bee­ren­frucht. Das alles passt wun­der­bar zum Temperanillo-Aromenbild.
Andrew Black: Drückt die Gra­cia­no auch den Alkoholgehalt?
Agus­tin San­to­la­ya: Zwei­fel­los. Sie bringt Balan­ce und Fri­sche in die Wei­ne und senkt deren ph-Wert. Ein guter Graciano-Wein hat einen ph-Wert von 3, und das kommt uns in die­sen Tagen sehr entgegen.
Andrew Black: Kann Gra­cia­no etwas, was Caber­net Sau­vi­gnon nicht auch kann?
Agus­tin San­to­la­ya: Die Funk­ti­on bei­der Sor­ten in der Rio­ja kann man nicht ver­glei­chen. Die Caber­net Sau­vi­gnon bringt in der Rio­ja nichts, wäh­rend die Gra­cia­no ein idea­ler Part­ner für den authen­ti­schen Tem­pr­anil­lo ist.
Andrew Black: Der Trend geht über­all zu ele­gan­ten Rot­wei­nen mit erhöh­ter Säu­re, mit gro­ßem Span­nungs­bo­gen und sehr prä­zi­sem Auf­bau: Hat die Gra­cia­no viel­leicht auch in ande­ren spa­ni­schen Anbau­ge­bie­ten eine Chance?
Agus­tin San­to­la­ya: Ich weiß nicht, ob sie sich über­all in Spa­ni­en an die ört­li­chen Ver­hält­nis­se anpas­sen kann, aber mit ihrer hohen Säu­re hat sie als Ver­schnitt­sor­te ein gros­ses Poten­ti­al. Viel­leicht steht sie vor einer gro­ßen Zukunft.

Bezugs­quel­len: 

2015 Cir­si­on | Roda
Preis: 169,00 Euro
Bezug: www.silkes-weinkeller.de

2010 I Reser­va | Roda
Preis: 44,90 Euro
Bezug: www.silkes-weinkeller.de

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