Es ist schon ein wenig verrückt: Von Carsten Saalwächters erstem Jahrgang, 2017, gibt es seit geraumer Zeit keine einzige Flasche mehr zu kaufen. Bereits nach wenigen Monaten war letztes Jahr alles vergriffen, in denkbar kürzester Zeit hatte die Kunde von diesem unglaublichen Chardonnay dieses Jungwinzers die Runde gemacht. Die virtuelle Flüsterpost hat heutzutage starke Lauffeuer-Qualitäten, in Carstens Fall hat aber sicherlich auch die Nominierung zur „Entdeckung des Jahres“ im Vinum Weinguide zum Push beigetragen. Auf einmal wollten alle, die Rheinhessen sonst nie so wirklich auf der Karte hatten, Burgunder made in Ingelheim. Wie auch immer, man musste schnell sein. Und da ich Carstens Weine – Fabrice Thumm, dem Sommelier des Restaurants „Henne Weinbar“ in Köln sei dank – bereits vor Ausbruch des Saalwächter-Rausches im Glas haben durfte und an jenem Abend beim ersten Schluck fast vom Stuhl gefallen wäre, war klar: Davon möchte ich unbedingt mehr – haben und erfahren. Am nächsten Tag rief ich in Ingelheim an.
2018 Weißburgunder: Zen für den Gaumen
So fanden vergangenes Frühjahr also ein paar Flaschen des 2017er Jahrgangs – Weißburgunder, Grauburgunder und Chardonnay sowie zwei „Experimente“ – den Weg zu mir nach Köln an meinen Küchentisch und wurden eilig aufgerissen. Gleich vorweg: Alle Weine, auch der dieses Jahr zum ersten Mal releaste Spätburgunder sowie der Silvaner „Grauer Stein“, sind kein Fast Food. Sie sollten idealerweise ein paar Stunden vor dem Genuss geöffnet werden oder aber den Dekanter küssen, müssen atmen dürfen, brauchen Luft. Gibt man ihnen diese, gehen sie auf wie ein Popcorn. Das gilt in gleichem Maße für die Weine des neuen Jahrgangs, der bekanntermaßen kein ganz einfacher war. Gerade der Chardonnay, der 2017 vielen mit seiner burgundischen Schönheit regelrecht die Schuhe auszog, hat 2018 ein klein wenig Schlagseite abbekommen. Man schmeckt die Wärme des Jahrgangs, da ist mehr Speck als zuvor. Das bei Carsten immer ultrafein verpackte Holz ist hier einen kleinen Ticken lauter. Gewinner ist 2018 ganz eindeutig der Weißburgunder, der mit filigraner Eleganz, vielschichtiger Aromatik und klarer Präzision von Jetzt auf Gleich die Synapsen anknipst. Jung? Ja. Viel zu jung? Nicht unbedingt, da trotzdem schon überraschend präsent, ausbalanciert und harmonisch. Zen für den Gaumen. Auch für Carsten ist er „2018 der stärkste Wein.“
„Make Silvaner great again“
Vielleicht ist es aber auch der Silvaner „Grauer Stein“, den Carsten bei meinem Besuch Mitte Juni auf den von Wind und Wetter gegerbten Holztisch packt und den ich anfangs ohne Blick aufs Etikett trinke. Kawumm. Überraschung! Was für ein fantastischer Stoff. Gut 50 Jahre alt sind die Rebstöcke für diesen großen, mit den Jahren sicherlich noch viel größeren Wein. Diese alten Rebanlagen, von denen in Ingelheim so einige stehen, sind das Pfund, mit dem Carsten wuchern kann und das er auch zu nutzen weiß. Anders als in weiten Teilen Rheinhessens gab es in Ingelheim nie eine Flurbereinigung, die über Millionen von Jahren entstandene Bodenstruktur ist noch weitestgehend intakt, auf sage und schreibe 500 Hektar verteilen sich 48 kleine Parzellen, die ihre jeweils ganz eigene Charakteristik in sich tragen – spannend! So spannend wie auch dieser Ausnahme-Silvaner mit seiner höchst individuellen Aromatik. Zugegeben, ein Schnäppchen ist er nicht gerade, aber so präzise und in sich geschlossen, dass ich notfalls auch ein paar Tage von Brot und Butter leben würde, um ihn trinken zu können. Brot und Butter und Salz – und dazu dieser Wein.
Riesling sucht man bei Saalwächter vergebens
Riesling sucht man bei Carsten übrigens vergebens. Seine Passion sind, neben dem Silvaner, der in seinen Augen fest mit Ingelheim verwachsen ist, eindeutig die Burgunder-Rebsorten. Die kalkreichen Böden rund um Ingelheim (Muschelkalk und grauverwitterter Kalkstein) sind dafür geradezu perfekt. 11,5 Hektar bewirtschaftet Carsten insgesamt. Ein Teil der Trauben wandert immer noch in die Weine des Vaters. Irgendwann soll komplett auf Carstens Weine umgestellt werden. Aber er krempelt auch jetzt schon ordentlich um, hat sich bei seinem Eintritt ins Weingut 1,2 Hektar in Assmannshausen im Rheingau dazugeholt, um an den dortigen Steilhängen Pinot Noir anzubauen und das Terroir-Spektrum um Schieferböden zu erweitern. Zu Carstens Pinot-Begeisterung haben vor allem seine Lehrmeister beigetragen. Und er betont es immer wieder gerne, auch wenn er nach seinen Lehr- und Wanderjahren im fränkischen Veitshöchheim nochmal Theorie gebüffelt und seinen Weinbautechniker draufgesetzt hat: „Weinmachen lernt man nicht an der Tafel.“
In Burgund und besten deutschen Weingütern gelernt
Sein Gespür für Wein, sein Gefühl für die Gegend, dieses facettenreiche Dreieck Nahe-Rheingau-Rheinhessen, und sein Verständnis für den ihm zugehörigen Stil hat er sich auf seine Art erarbeitet: Durchs Zuschauen, Mitmachen, Hinfahren, Verkosten. Zu seinen Lehrmeistern und Mentoren gehören Rainer Schnaitmann in Fellbach (Weingut Schnaitmann, Remstal) und Hanspeter und Edeltraud Ziereisen (Weingut Ziereisen, Markgräfler Land), Jean Stodden (Weingut Jean Stodden, Ahr) und Friedrich Becker (Weingut Friedrich Becker, Pfalz). Später verbringt er ein knappes Jahr im Burgund, erst bei Thierry Brouin (Domaine des Lambrays, Morey St Denis) und schließlich bei Jean Chartron in Puligny-Montrachet, um sich nach all der Rotweinkompetenz in die Kunst des Chardonnay-Machens zu vertiefen. Denn bei aller Spätburgunderliebe schlägt sein Herz auch genauso für die weißen Burgunderrebsorten. Sogar der Grauburgunder, diese oft missverstandene und auch misshandelte Rebsorte, schmeckt bei ihm einfach genial.
In Stuttgart aufgewachsen, in Ingelheim gelandet
Das alles ist außergewöhnlich, nicht nur aufgrund des noch jungen Alters des Winzers – Carsten ist gerade 28 geworden – sondern auch weil er genau genommen immer in Stuttgart bei seiner Mutter wohnte, also gar nicht in Ingelheim aufgewachsen ist. Der Funke sprang trotzdem über, „mit 18 wusste ich, das hier ist genau mein Ding.“ Carsten erzählt oft von den Weinkarten, die sein Großvater gesammelt hat und die er sorgsam aufbewahrt, dass Pinot Noir aus Assmannshausen vor hundert Jahren in einer Liga mit Petrus oder Saint-Julien mitspielte und dass er den Pinots aus Ingelheim wieder zu alter Größe verhelfen möchte. Gleichzeitig pfeift er auf Hypes und Konventionen. „Entweder mein Wein schmeckt den Leuten oder er schmeckt ihnen eben nicht.“
Kein Naturwein, eher alte burgundische Schule
Wein nach seiner Façon zu machen bedeutet für ihn, den Weinen Zeit zu geben. Deswegen darf ein Fass auch mal länger als geplant brauchen. Anders als viele Winzer in Rheinhessen drängt er die Weine nicht unnötig schnell in die Flasche, lässt sie deutlich länger reifen. Das meiste passiert im Weinberg, im Keller ist der Wein dann – kleine Stellschrauben und Weichenstellungen hier und da – weitestgehend sich selbst überlassen. Low intervention heißt hier: Spontanvergärung, keine Schönung, keine Filtration und vor allem no pressure. „Ich glaube einfach, dass es dem Wein gut tut, lange bei mir auf der Hefe zu liegen, ausreichend Ruhe zu haben. Die Weine werden heutzutage häufig viel zu schnell gefüllt.“ Apropops Füllung: Kurz bevor der Korken runter geht, bekommt der Wein ein wenig Schwefel. Deswegen würde Carsten seine Weine, auch aus Respekt vor den Winzer-Kollegen, nie als Naturweine bezeichnen. „Wir machen hier eher alte burgundische Schule“. That’s it.
Silvaner Grauer Stein 2018: 57,00 Euro
Chadonnay 2018: 28,50 Euro
Weisser Burgunder 2018: 21,50 Euro
Bezugsquelle: https://www.viniculture.de
Lengfisch in Kartoffel-Senf-Kruste mit gefüllten Zucchiniblüten
Zutaten:
(2 Personen)
4 große mehlige Kartoffeln
2 Eiweiß (Klasse M)
Salz
20 ml Olivenöl (plus etwas zum Bepinseln)
2 EL Maisgries
1 TL Kartoffelstärke
3 EL körniger Dijonsenf („Moutarde à l’ancienne“)
3 EL Senfkaviar (eingelegte Senfkörner, optional)
450 – 500 g Lengfisch (alternativ ein anderer weiß fleischiger Fisch, z.B. Kabeljau, Waller oder Steinbeißer)
Meersalz, frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
6 Zucchiniblüten (mit oder ohne Babyzucchini)
1 kleines Bund Basilikum
80 g Ricotta
1 Eigelb
60 g Parmesan, gerieben
Salz, frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
2 EL Olivenöl
Zubereitung:
1. Die Kartoffeln in sprudelnd kochendem Salzwasser weich garen. Ausdämpfen lassen, dann schälen und durch eine Kartoffelpresse drücken. Ein Drittel der Kartoffelmasse für die Zucchiniblütenfüllung beiseite stellen.
2. Die Eiweiße mit einer Prise Salz steif schlagen und zusammen mit Olivenöl, Maisgries, Kartoffelstärke, Senf und 1 EL Senfkaviar (optional) vorsichtig unter die gepressten Kartoffeln heben und zu einer homogenen, luftigen Masse verarbeiten. Abschmecken.
3. Die Fischstücke mit etwas Olivenöl bepinseln und mit Salz und Pfeffer würzen, dann gleichmäßig, etwa 2 cm dick, mit der Kartoffelmasse bestreichen. Im vorgeheizten Backofen bei 200 g Oberhitze je nach Dicke der Fischstücke ca. 8-10 Minuten backen.
4. In der Zwischenzeit die Zucchiniblüten zubereiten. Dafür zunächst den Stempel der Blüten entfernen, dann eine Füllung aus den restlichen gepressten Kartoffeln, fein gehacktem Basilikum, Ricotta, Eigelb und Parmesan zubereiten. Alles zu einer homogenen Masse rühren, abschmecken und – mithilfe eines Spritzbeutels – die vorbereiteten Zucchiniblüten damit befüllen. Das klappt am besten, wenn die Blüten noch sehr frisch sind. Den oberen Blütenrand nun einschlagen oder eindrehen und die fertig gefüllten Blüten samt Babyzucchini (falls vorhanden) in einer antihaftbeschichteten Pfanne in etwas Olivenöl goldbraun braten.
5. Den fertig gebackenen Fisch auf Teller verteilen, den restlichen Senfkaviar darüber geben und zusammen mit den Zucchiniblüten und ggfs. einer leichten, lauwarmen Vichyssoise oder aber einer Beurre blanc servieren.