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Rotwein aus der Steckdose: Wozu Beaujolais sonst noch gut ist

Kein Aprilscherz: Nach einer Meldung der französischen Tageszeitung Le Monde verstärkt Beaujolais die supraleitenden Eigenschaften bestimmter Materialen. Das haben japanische Physiker herausgefunden. Man kann diesen Rotwein also nicht nur trinken. Er würde sich auch eignen, um Sonnenstrom effektiver aus der Sahara nach Europa zu transportieren. Ulrich Sautter wünscht ihn sich dennoch lieber im Glas.

RotweinglasDie französische Tageszeitung Le Monde berichtete am 6. April von einer Studie japanischer Wissenschaftler, die die Fähigkeit alkoholischer Getränke untersucht haben, Supraleitfähigkeit hervorzurufen. Supraleitfähigkeit ist die Eigenschaft bestimmter Stoffe, Strom ohne Energieverlust zu transportieren. Im Vergleich von Sake, Whisky, Bier und verschiedenen Weinen trug der Beaujolais den Sieg davon.

Physiker in aller Welt widmen sich in den letzten Jahren verstärkt dem Phänomen der so genannten Supraleitfähigkeit: Denn in herkömmlichen Stromkabeln sorgt der elektrische Widerstand für deutliche Energieverluste beim Transport elektrischen Stroms. Möchte man etwa in der Sahara Solarenergie gewinnen und Europa nachhaltig mit Strom versorgen, führt an supraleitfähigen Materialien kein Weg vorbei.

Perfekter Supraleiter

Weinberge Beaujolais | Foto: Inter BeaujolaisDas Problem ist nur, dass alle bekannten Supraleiter diese Eigenschaft erst bei sehr tiefen Temperaturen annehmen. Minus 135 Grad Celsius müssen beispielsweise herrschen, damit die keramische Substanz mit der chemischen Formel Hg0.8Tl0.2Ba2Ca2Cu3O8 supraleitfähig wird. Alle anderen bekannten Supraleiter erfordern noch tiefere Temperaturen. Zur Erzeugung solcher Kälte muss man jedoch soviel Energie aufwenden, dass der Stromtransport durch Supraleiter derzeit nur in physikalischen Labors technisch machbar ist.

Kein Wunder also, dass Forscher in dieser Situation schon einmal auf ungewöhnliche Ideen kommen. Das Team um die Physiker Keita Deguchi, Tohru Okuda und Yasuna Kawasaki hatte bereits im vergangenen Jahr festgestellt, dass eine Legierung aus Eisen, Tellurium und Schwefel (FeTe0.8S0.2) an Supraleitfähigkeit gewinnt, wenn sie 24 Stunden lang bei einer Temperatur von 70 Grad Celsius in alkoholischen Getränken badet. Interessanterweise blieb es ohne Effekt, wenn dieselbe Legierung mit Wasser, reinem Alkohol oder mit einem Alkohol-Wasser-Gemisch getränkt wurde. Das beste Resultat hingegen brachte die Vorbehandlung des Supraleiters mit Rotwein.

Besser als andere Rotweine

Beaujolais Moulin-a-Vent | Foto: Inter BeaujolaisIn einem zweiten Forschungsschritt, dessen Ergebnisse nun gerade auf der Wissenschafts-Plattform ArXiv publiziert wurden (siehe link unten), untersuchten die Forscher sieben verschiedene Rotweine: einen Beaujolais des Jahrgangs 2009 des Erzeugers Paul Beaudet, ein Merlot „Les Tannes“ des Jahrgangs 2010, einen Vin du Pays d’Oc und einen 2010er Cabernet Sauvignon „Les Tannes“ Tradition von Jean-Claude Mas, einen 2009er Bourgogne Pinot Noir des Maison Jean-Philippe Marchand, einen 2009er Sangiovese aus den Marken sowie den japanischen Markenwein Bon Marche, Jahrgang 2010, eine Assemblage verschiedener Rebsorten. Und siehe da: Es war die in Beaujolais lagernde Legierung, die die besten Resultate zeitigte. Der japanische Markenwein erzielte das schlechteste Ergebnis.

Bei weiteren Untersuchungen stellten die japanischen Wissenschaftler fest, dass die Verbesserung der Supraleitfähigkeit möglicherweise mit der Konzentration von Weinsäure im jeweiligen Wein korreliert. Ob dieser Forschungsbefund jemals praktische Konsequenzen haben wird, steht natürlich völlig dahin. Der Kommentator von Le Monde bemerkt süffisant, dass sich der französischen Weinwirtschaft wohl ungeahnte neue Perspektiven eröffneten: Wein rettet den Planeten vor dem Energiekollaps.

P.S.: Autor Ulrich Sautter hat Beaujolais dennoch lieber im Glas als in der Steckdose. Allerdings hat er uns diesmal mit einem konkreten Weintipp im Stich gelassen. Wir wissen nur, dass er im letzten Jahr ungeheuer gern den Brouilly „Chateau de Pierreux“ von Mommesin trank.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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