Robert Haller: „In Franken geht die Post ab – und keiner merkt es“

Robert Haller in seinem Buero
Robert Haller hat vor anderthalb Jahren die Verantwortung für eines der größten und bedeutendsten Weingüter Deutschlands übernommen: das Bürgerspital in Würzburg. Nach Jahren der Stagnation wird nun langsam die Handschrift des neuen Gutsleiters erkennbar. Ein Interview von Stefan Krimm

Das Bür­ger­spi­tal Zum Hei­li­gen Geist in Würz­burg gehört mit 110 Hekt­ar Reb­flä­chen zu den größ­ten Wein­gü­tern in Deutsch­land. Es besitzt bes­te Lagen im Würz­bur­ger Stein und ande­ren  Muschelkalk-Lagen in und um Würz­burg. Das Gut befin­det sich im Besitz einer Stif­tung, die im Bereich der Alten­pfle­ge tätig ist. Die Erlö­se aus dem Wein­ge­schäft gehen in die Stif­tung ein. In nor­ma­len Jah­ren wer­den mehr als 800.000 Fla­schen pro­du­ziert. Weit über die Hälf­te der Pro­duk­ti­on besteht aus Ries­ling und Sil­va­ner. Robert Hal­ler, 50, ist seit 2010 allei­ni­ger Guts­di­rek­tor. Vor­her lei­te­te er die Wein­gü­ter des Fürs­ten Löwenstein.


Ste­fan Krimm:
Die Haupt­le­se steht bevor. Wie sehen Sie den Jahr­gang 2011 nach dem ver­hee­ren­den Frost­ein­bruch im Mai die­ses Jahres?
Robert Hal­ler: In Fran­ken wird es nur einen hal­ben Herbst geben. Wir erwar­ten 50 Pro­zent weni­ger Wein. Im Bür­ger­spi­tal ist die Lage nicht ganz so schlimm. Wir rech­nen hier nur mit etwa 25 Pro­zent Men­gen­ver­lust. Beson­ders betrof­fen sind die Sor­ten Bac­chus, Müller-Thurgau und vor allem die rote Domina.
Ste­fan Krimm: Und was ist mit Sil­va­ner und Riesling?
Robert Hal­ler: Auch beim Ries­ling haben wir Ein­brü­che. Das eigent­li­che Wun­der ist jedoch der Sil­va­ner. Er hat sich von dem Hagel­schlag kom­plett erholt. Die Rebe ist so vital, dass auch da, wo die Blät­ter im Mai wie tot her­un­ter­hin­gen, wie­der Saft fließt. Der Sil­va­ner ist der Glücks­brin­ger des Jah­res. Er wird in 2011 einen tol­len Wein geben.
Ste­fan Krimm: Hat man Ihnen bei Ihrem Start Zeit gelas­sen oder soll­ten Sie sofort die Pole Posi­ti­on in Würz­burg und Fran­ken erobern?
Robert Hal­ler: Das Bür­ger­spi­tal galt in man­chen Aspek­ten als ein wenig ver­staubt. Die­ser Ein­druck war nicht ganz rich­tig. Bei mei­nem Start bekam ich aber den Auf­trag, das Wein­gut zu ana­ly­sie­ren und zukunfts­fä­hig auf­zu­stel­len. Von Pole Posi­ti­on in Fran­ken kann jedoch nicht die Rede sein. Zum einen ist ein so gro­ßes Wein­gut ein dickes Schiff, das nicht sofort eine enge Kur­ve fährt. Zum ande­ren schla­fen die Kol­le­gen nicht. Ich sehe uns in Fran­ken in einem gesun­den kol­le­gia­len Wettbewerb.
Ste­fan Krimm: Wie fiel Ihre Ana­ly­se aus?
Robert Hal­ler: Mei­ne Ana­ly­se ergab, dass wir vor allem fle­xi­bler wer­den müs­sen. Alle reden vom Kli­ma­wan­del. Der wirkt sich mei­ner Mei­nung aber nicht so sehr auf  die Sor­ten­wahl aus – ich pflan­ze noch kei­nen Tem­pr­anil­lo. Aber er ver­langt eine beweg­li­che­re Struk­tu­rie­rung der Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on. Die Wet­ter­be­din­gun­gen der letz­ten Jah­re zeig­ten teil­wei­se extre­me Unter­schie­de. Des­halb haben wir in Kel­ter­haus und Kel­ler­aus­stat­tung inves­tiert. Zum Bei­spiel fin­den die Holz­fäs­ser wie­der mehr Ver­wen­dung – mei­ne Ant­wort auf die Mikrooxidation.
Ste­fan Krimm: Ihr Vor­gän­ger hat mir ein­mal gesagt, sein ein­zi­ges Ver­säum­nis sei viel­leicht, die kom­men­de Bedeu­tung frän­ki­scher Rot­wei­ne nicht erkannt zu haben. Wie ste­hen Sie dazu?
Robert Hal­ler: Das Bür­ger­spi­tal ist zu Recht ein Weißwein-Gut geblie­ben, für frän­ki­sche Ver­hält­nis­se könn­te man sogar sagen: ein Riesling-Gut. Die Reb­sor­te macht bei uns mehr als 30 Pro­zent aus. Natür­lich ver­langt der frän­ki­sche Kun­de mitt­ler­wei­le auch Rot­wein von sei­nem Win­zer. Aber von den frü­her pro­gnos­ti­zier­ten 25 Pro­zent der Reb­flä­che ist man wie­der abgekommen.
Ste­fan Krimm: Trotz gerin­gen Rotwein-Anteils: Das Bür­ger­spi­tal hat den größ­ten, moderns­ten Holz­fass­kel­ler Deutsch­lands. Ist er eine Last?
Robert Hal­ler: Wir ver­gä­ren neu­er­dings vie­le Weiß­wei­ne im Holz­fass. Die Gro­ßen Gewäch­se und die Spät­le­sen gehen sämt­lich ins Holz. Beim Weiß- und Grau­bur­gun­der wer­den sogar die Kabi­nett­wei­ne im 5000-Liter-Doppelstückfass ver­go­ren. Das gab es vor­her nie. Ich habe die Fäs­ser extra mit Kühl­plat­ten aus­stat­ten las­sen, damit eine Tem­pe­ra­tur­kon­trol­le mög­lich ist. Aber natür­lich ist der Holz­fass­kel­ler auch jetzt noch nicht aus­ge­las­tet. Ein­zi­ger Trost: Er bie­tet Abschreibungsmöglichkeiten.
Ste­fan Krimm: Wie ist Ihr Ver­hält­nis zu den wich­tigs­ten Reb­sor­ten, mit denen Sie
es im Bür­ger­spi­tal zu tun haben?
Robert Hal­ler: Von größ­ter Bedeu­tung sind natür­lich der Ries­ling und – als pro­fil­prä­gen­de Sor­te für Fran­ken – der Sil­va­ner, über des­sen Sti­lis­tik ja in den letz­ten Jah­ren inten­siv dis­ku­tiert wur­de. Wir zei­gen, wel­ches Poten­ti­al im Hin­blick auf Fri­sche, Kraft und Ele­ganz in ihm steckt. Das gilt auch für den Müller-Thurgau, der nach wie vor eine wich­ti­ge Rol­le spielt. Die „Frank-und-Frei“-Initiative hat mit ihren betont moder­nen Wei­nen sicher einen gro­ßen Anteil am Erfolg der Sor­te. Und erst im letz­ten Jahr haben wir fast zwei Hekt­ar mit Scheu­rebe neu bestockt. Sie ist eine Art frän­ki­scher Sau­vi­gnon blanc mit erheb­li­chem Potential.
Ste­fan Krimm: Wie begeg­nen Sie den zuneh­men­den Alko­hol­gra­den, gera­de auch beim Weißwein?
Robert Hal­ler: Mit Laub­ar­beit und dem rich­ti­gen Zeit­punkt der Lese. Hier liegt sicher ein wich­ti­ges Arbeits­feld für die Zukunft, denn die Men­schen wol­len Wein genie­ßen, nicht von ihm über­wäl­tigt wer­den. Ins­ge­samt gelingt es uns durch­aus noch, eine gewis­se Wucht und Alko­hol­schwe­re zu ver­mei­den, selbst wenn 13,5 Vol.% und mehr erreicht wer­den. Das bestä­ti­gen mir auch kri­ti­sche Weißweintrinker.
Ste­fan Krimm: Was ist anders als bei Fürst Löwen­stein, wo Sie schon 2004 als „Guts­ver­wal­ter des Jah­res“ aus­ge­zeich­net wurden?
Robert Hal­ler: Zum einen ist Fürst Löwen­stein nur halb so groß wie das Bür­ger­spi­tal. Zum ande­ren ist es auf ver­schie­de­ne Orte ver­teilt: auf den Rhein­gau, aufs badi­sche Fran­ken, und auch in Ungarn gibt es Besit­zun­gen. Das bedeu­te­te vie­le Kilo­me­ter auf der Stra­ße. Das Bür­ger­spi­tal ist eine zwar deut­lich grö­ße­re, aber auch betriebs­wirt­schaft­lich bes­tens durch­or­ga­ni­sier­te Ein­heit, in der alle Kenn­da­ten stän­dig über­wacht wer­den. Wenn der Chef hier steu­ert, dann tut er das nie im Blind­flug. Die Reb­flä­chen lie­gen aus­nahms­los im frän­ki­schen Muschelkalk-Bereich und kon­zen­trie­ren sich um Würz­burg. Letz­te Flä­chen im Stei­ger­wald wur­den im Rah­men der Kon­so­li­die­rung verkauft.

Ste­fan Krimm: Den Hom­bur­ger Kall­muth, der bei Fürst Löwen­stein Ihre „gro­ße Lie­be“ war, betreu­en Sie nicht mehr. Dafür haben sie jetzt den Würz­bur­ger Stein. Kann man die bei­den vergleichen?
Robert Hal­ler: Der Kall­muth war eine sehr gro­ße, vom kräu­ter­wür­zi­gen Cha­rak­ter sei­ner Wei­ne her und der mine­ra­li­schen Klar­heit ihrer Frucht ganz beson­de­re Lage. Die Sil­va­ner vom Würz­bur­ger Stein sind völ­lig anders. Sie schme­cken so, wie sie auch hei­ßen. Die Mine­ra­li­tät, der Geruch vom hei­ßen Stein in der Som­mer­son­ne, die Sal­zig­keit an den Zun­gen­rän­dern sind beson­ders prä­sent. Inter­es­sant ist dabei die Abgren­zung zu den ande­ren Würz­bur­ger Lagen. Der Pfaf­fen­berg geht mehr in eine fri­sche Kräu­ter­rich­tung, die Inne­re Leis­te hat durch ihren hohen Kalk­ge­halt eine fei­ne Cre­mig­keit und die reifs­te gel­be Frucht, die Abts­lei­te eine pfeff­ri­ge, bal­sa­mi­sche Note.
Ste­fan Krimm: Der VDP plant eine ver­fei­ner­te Lagen­klas­si­fi­ka­ti­on mit einem Grand Cru an der Spit­ze. Wie wol­len Sie das bei den Ers­ten Lagen, also vor allem beim Würz­bur­ger Stein, umsetzen?
Robert Hal­ler: Das wis­sen wir noch nicht. Aber über die­se Fra­ge dis­ku­tie­ren die drei gro­ßen Würz­bur­ger Güter inten­siv mit­ein­an­der. Einig sind wir uns, dass wir mit dem VDP an einem Strang zie­hen wol­len. Viel­leicht dau­ert es bei uns nur ein paar Jah­re län­ger als anderswo.
Ste­fan Krimm: Mit der Her­aus­he­bung der Klein­la­ge „Hage­mann“ im Würz­bur­ger Stein haben Sie ja bereits reagiert.
Robert Hal­ler: Der Würz­bur­ger Stein ist 71 Hekt­ar groß. Nicht an jeder Stel­le kann ein Grand Cru-Wein pro­du­ziert wer­den, obwohl der Stein offi­zi­ell zu 98 Pro­zent Grand Cru-fähig ist. Wir müs­sen die Spitzenwein-Produktion am Stein also ver-schlanken, ohne dass die Bezeich­nung „Stein“ für die ande­ren Wei­ne ver­lo­ren geht. Wir brau­chen einen zwei­ten Wein vom Stein.
Ste­fan Krimm: Wie soll­te sich Fran­ken Ihrer Mei­nung nach im Wett­be­werb mit den ande­ren deut­schen Anbau­ge­bie­ten positionieren?
Robert Hal­ler: Ein befreun­de­ter Jour­na­list sag­te mir schon vor fünf oder sechs Jah­ren: „In Fran­ken geht die Post ab, dass haben nur noch nicht alle gemerkt.“ Ein Fak­tor ist die Geschlos­sen­heit und das Qua­li­täts­stre­ben der Win­zer, unter­stützt durch eine sehr gut orga­ni­sier­te Bera­tung. Dar­über hin­aus hat Fran­ken auch die Wein­kul­tur als tou­ris­ti­schen Fak­tor entdeckt.
Ste­fan Krimm: Wird ver­stärkt über Export nachgedacht?
Robert Hal­ler: Der Fran­ken­wein wird in ers­ter Linie in sei­nem Umfeld getrun­ken. Wir haben bei gro­ßen Ver­kos­tun­gen auch inter­na­tio­nal immer wie­der zei­gen kön­nen, welch her­vor­ra­gen­de Wei­ne aus dem Bocks­beu­tel kom­men kön­nen. Doch der Export spielt mit etwa sie­ben Pro­zent kei­ne gro­ße Rolle.
Ste­fan Krimm: Sie haben unter ande­rem in der Tos­ka­na bei Antino­ri gear­bei­tet. Was haben Sie von dort für Ihre Arbeit in Fran­ken ler­nen können?
Robert Hal­ler: Die außer­or­dent­li­che Sorg­falt, Genau­ig­keit und Akku­ra­tes­se, die dort die Abläu­fe prägt und über die man nur stau­nen kann. Als Deut­scher hegt man ja Ita­li­en gegen­über gewis­se Vor­ur­tei­le bezüg­lich „lais­ser fai­re“ und „Schlam­pe­rei“. In Wirk­lich­keit wird dort im Qua­li­täts­wein­bau sehr prä­zi­se und hart gear­bei­tet. Wenn dann zum Aus­gleich eine gewis­se Locker­heit dazu­kommt, ist das nur von Vor­teil. Da kön­nen wir noch dazulernen.
Ste­fan Krimm: Wel­che Plä­ne hegt das Bür­ger­spi­tal für die Zukunft?
Robert Hal­ler: Gegen­wär­tig sind wir dabei, für die Ver­mark­tung ein „Wein­haus“ zu kon­zi­pie­ren, das neben dem Ver­kauf auch als eine Art Wein­bar Treff­punkt für die Men­schen bis tief in die Nacht wer­den soll. Das ist eine anspruchs­vol­le Auf­ga­be. In den Wein­ber­gen haben wir, glau­be ich, unse­re Haus­auf­ga­ben gemacht.
Ste­fan Krimm: Vor 15 bis 20 Jah­ren sah es danach aus, als ob dem oft mit bun­ten Wap­pen kos­tü­mier­ten Bocks­beu­tel die jün­ge­ren Leu­te in Rich­tung des „jugend­li­chen“ Pinot Gri­gio davon­lau­fen wür­den. Wie schät­zen Sie das heu­te ein?
Robert Hal­ler: Die jun­ge Gene­ra­ti­on haben wir, glau­be ich, für den frän­ki­schen Wein wie­der gewon­nen: Der Bocks­beu­tel hat, auch mit hel­le­ren Fla­schen und sti­lis­tisch über­zeu­gen­den Eti­ket­ten, sein etwas ver­staub­tes Image abge­streift. Hin­zu kom­men bei bestimm­ten Sor­ten Fla­schen­for­men mit jun­gem Design, die bei der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on gro­ßen Anklang fin­den. Ich den­ke, wir kön­nen zuver­sicht­lich sein.

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