Beim Riesling gilt Deutschland in der Regel als Favorit. Aber die besten Rieslinge Österreichs sind auf Augenhöhe – nur anders. Das bewies eine hochkarätige Degustation in Wien. Jens Priewe bei Riesling United.
Riesling United gibt es nur alle zwei Jahre, und zwar im Untergrund. Genau: im ehemaligen Weinkeller des Pfarrwirt, eines bekannten Gasthauses im Wiener Stadtteil Heiligenstadt. Rund hundert Menschen treffen sich dort einen Abend lang, speisen, trinken und diskutieren dort – alles auf hohem Niveau. Das Thema ist Riesling.
3 x Deutschland plus 3 x Österreich = 6 x Spitzenriesling
Gastgeber ist Hans Schmid, ein weinbegeisterter österreichischer Unternehmer, der aus der Werbebranche kommt und sein Geld im Wein angelegt hat. Ihm gehören zwei Weingüter in Wien: Mayer am Pfarrplatz und Rotes Haus – zwei mächtig aufstrebende Erzeuger, die in den letzten Jahren bei der Presse hohe und höchste Bewertungen für ihre Weine erfahren haben. Alle zwei Jahre läd Schmid drei deutsche und drei österreichische Riesling-Erzeuger aus verschiedenen Anbaugebieten ein, um sich zu messen. Diesmal Gunderloch (Rheinhessen), Christmann (Pfalz) und Nik Weis – St. Urbanshof (Mosel) aus Deutschland, Jurtschitsch (Kamptal), Alzinger (Wachau) und Mayer am Pfarrplatz aus Österreich. Deutschland gilt beim Riesling als hoher Favorit. Aber wenn der Wein im Glas ist. schlägt die Stunde der Wahrheit – so auch an jenem warmen Juni-Abend in Wien.
2018 Riesling Klassik
Mit Klassik sind Weine vom Typ Gutswein gemeint, die in der Regel die Basis der Qualitätspyramide jedes Weinguts bilden. In diesem Segment sah ich zwei Österreicher vorn: Mayer am Pfarrplatz (Ried Alsegg-Hernals) und Alzingers Federspiel: beide sehr saftig und weinig (12,50 bzw. 13 Euro). In dieser Qualitätsklasse sind die wärmere Frucht und die moderatere Säure quasi ein Bonus für die Österreicher. Allenfalls Gunderloch mit seinem „Vom Roten Schiefer“ konnte da mithalten (15 Euro). Christmanns Stärke ist der Gutswein nicht (11,50 Euro), Nik Weis’ Stärke auch nicht unbedingt. Sein Schiefer Riesling (11,50 Euro) entspricht dem früheren Kabinett, aber der war (und ist) an der Mosel in der Regel feinherb. Die Restsüsse gibt ihm mehr Fülle. Die trockene Version bremst dagegen den Trinkfluss. Jurtschitsch Langenlois Riesling war gerade erst gefüllt und noch nicht in Form (14 Euro).
2017 Riesling aus der Einzellage
Einzellage heisst hier: oberer Teil der Qualitätspyramide, in der deutschen (und inzwischen auch österreichischen) Nomenklatur Erste Lage, teilweise sogar Grosse Lage. Preiskategorie 15 bis 20 Euro. Einzig Gunderloch liess seinen Ortswein servieren, den Nackenheim Riesling, der in Wirklichkeit aber auch aus einer Grossen Lage (Nackenheimer Rothenberg) kommt: ein kräftiger Wein mit reifer Säure und zarter Fruchtsüße (15 Euro). Für mich überraschend gut der in Deutschland wenig bekannte Riesling von der Riede Preussen aus dem Weingut Mayer am Pfarrplatz, ein geschliffener Wein aus einer Spitzenlage am Nussberg in Wien (22 Euro). Alzingers Smaragd vom Steinertal ist ein alter Bekannter: der kühlste, geradlinigste unter den Smaragden vom Loibenberg mit einer stark salzig-mineralischen Komponente – der Spitzenwein nicht nur des Weinguts, sondern auch einer der TOP 10 der Wachau (39 Euro). Christmann und Jurtschitsch schenkten Erste Lagen aus: Ried Loiserberg in einer warmen Lage auf Urgestein gewachsen und entsprechend feinstrahlig, aber noch etwas ungeordnet und ungelenk (15 Euro). Christmanns Riesling vom Gimmeldinger Kapellenberg solide, aber ohne grosse Austrahlung (24 Euro). Der Star in dieser Gruppe war Nik Weis’ GG vom Bockstein (34 Euro). Dieser Saar-Riesling besitzt Finesse, wie sie, pardon, kein Österreicher besitzt (aber auch die Pfalz und Rheinhessen nur ganz selten).
Riesling Besonderheit
In dieser Gruppe wurden ausschliesslich Spitzen-Rieslinge verkostet. Die Besonderheit bestand darin, dass sie schon zwei oder drei Jahre auf der Flasche nachgereift und insofern nicht mehr ganz jung waren. Hier gab es keine Verlierer. Alle sechs Weine spielen in der höchsten europäischen Weissweinliga. Am exotischsten der Riesling Nussberg „Weisser Marmor“ von Mayer am Pfarrplatz mit Bergamotte-Aroma und orientalischer Gewürznote (40 Euro). Alzinger war abermals mit seinem Steinertal vertreten, diesmal aber mit dem Jahrgang 2016. Ein Jahr mehr Reife steigert natürlich spürbar den Trinkgenuss. Ansonsten ist er etwas hedonistischer angelegt als der asketischere 2017er. Jurtschitsch präsentierte den 2015er seines Top-Rieslings von Alten Reben aus dem Zöbinger Heiligenstein – ein subtiler Wein, verhalten fruchtig, konzentriert und profund, immer noch sehr verschlossen, doch mit sicherem Reifepotenzial – im Kamptal ein Mythos, ausserhalb Österreichs noch viel zu wenig bekannt (ca. 21 Euro). Nik Weis hielt mit dem Laurentiuslay dagegen (Jahrgang 2016), seinem kostbarsten GG: Wenn Finesse das ausschlaggebende Kriterium ist, ist dieser Wein schwer zu toppen (45 Euro). Gunderloch hatte sein 2017er GG vom Pettenthal aufgeboten, das mit exotischen Mandarinen- und Grapefruit-Noten aufwartete, doch von einer donnernden Säure geädert ist. Deutschen Rieslingfans mag das Herz vor Freude hüpfen, österreichische Gaumen stellte, wie ich feststellen konnte, der Wein auf die Probe (32 Euro). Zum Schluss noch ein Paukenschlag. Christmanns 2016er GG vom Idig, eine Pfälzer Riesling-Ikone: ein Wein von kaleidoskopartiger Fülle, aber nicht in die Breite, sondern in die Tiefe gehend. Vertikal, sagen die Weinexperten. Ich sage: atemberaubend (50 Euro).
Riesling gereift
Die grossen, trockenen Rieslinge sind immer für ein langes Leben konzipiert – sowohl die österreichischen wie die deutschen. Nach etwa fünf Jahren dürften sie ihre erste Trinkreife erreichen. Die Top-Rieslinge beider Länder zeigten in diesem Flight, dass fünf Jahre eher zu früh als zu spät sind. Der 2013er Nussberg Riesling von Mayer am Pfarrplatz erwies sich als ungeheuer geschliffener, grossartiger Wein (der damals aus den Rieden Alsegg und Preussen kam, als diese noch nicht separat vinifiziert wurden). Jahrgangsbedingt ist er etwas schlanker als die jungen Lagenweine, was ihm meiner Meinung nach eher zum Vorteil gereicht. Dieser Wein gehört in die Keller bester Restaurants, nicht in den Heurigen. Dass 2013 ein von der Presse untergeschätzter Jahrgang ist, zeigte auch der Heiligenstein Alte Reben von Jurtschitsch: straff, sehnig, irre lang – und noch immer verschlossen. Ebenfalls stark unterschätzt der Jahrgang 2010. Die kleinen, schon im September gelesenen Rieslinge sind zwar enttäuschend, die spät gelesenen jedoch umso besser – zum Beispiel die deutschen GG. Christmann hatte sein 2010er GG vom Reiterpfad aus Ruppersberg mitgebracht: ein pikanter, vollmundiger Wein mit viel Granitstaub in der Nase, saftig, druckvoll, wenngleich nicht spektakulär. Gunderlochs 2008er Pettenthal toll mit riesigem Spannungsbogen, aber spektakulär auch er nicht. Theatralisch dagegen dagegen Nik Weis’ 2007er Spätlese von der Laurentiuslay, ein Wein, der wegen seiner leichten Restsüße eigentlich kein fairer Kombattant für die durchgegorenen Rieslinge ist. Aber der Blaue Schiefer scheint die Restsüße weggepustet zu haben. Jedenfalls wirkt diese Spätlese fast trocken.
Riesling Prädikatswein
Hier konkurrierten ausschliesslich edelsüße Kreszenzen um die Gunst der Gäste. Mir persönlich hat Jurtschitschs 2013er Spätlese vom Heiligenstein und Gunderlochs 2008er Auslese vom Rothenberg am besten gefallen. Aber das ist Ansichtssache. Auch Alzingers nur ganz leicht restsüsse 2017er Riesling Reserve war eine Offenbarung. Die 2006er Nussberg Auslese von Mayer am Pfarrplatz war leicht firnig. Gegen eine 2013er TBA aus dem Piesporter Goldtröpfen, wie Nik Weis sie präsentierte, hätten alle diese Weine keine Chance, wenn Riesling United ein echter Wettbewerb gewesen wäre. So aber fungierte diese TBA einfach als ein zweites, fulminantes Dessert.