Mittwoch, Dezember 11, 2024
2 C
München
spot_img

Riesling und das Reifepotenzial: Je oller, desto doller?

Die hochkarätigste und spannendste Weinprobe auf dem Internationalen Riesling Symposium 2014, das Ende Mai auf Schloss Reinhartshausen im Rheingau stattfand, hieß „Riesling und Reifepotenzial“. Es ging darum zu prüfen, ob die überall im Raum stehende Behauptung, Rieslinge können alt, sehr alt werden und sich dabei immer weiter verfeinern, ins Reich der Wahrheit oder ins Reich der Legende gehört.

Die Voraussetzungen, die der VDP Rheingau geschaffen hatte, der als Organisator des Symposiums auftrat, waren gut: 22 Rieslinge, überwiegend aus Deutschland, aber auch aus Österreich und der Neuen Welt, standen zur Verkostung. Die jüngsten zehn Jahre alt, der älteste Riesling kam aus dem Jahr 1945. Eine nicht alltägliche, vielleicht sogar historische Weinprobe. Moderiert wurde sie von Caro Maurer, Master of Wine.

Je oller, desto doller?

Caro Maurer, Master of Wine
Caro Maurer, Master of Wine

Salopp formuliert, lautete die Frage, die im Raum stand: „Je oller, desto doller?“ Müsste man sich kurz fassen, hieß die Antwort: nicht automatisch doller. Ältere und alte Rieslinge zeigen ihre Qualitäten zwar nach zehn, 20 oder 30 Jahren viel deutlicher als in jungen Jahren – aber auch ihre Unzulänglichkeiten. Manchmal fehlte es den Weinen an der Frische, manchmal an der Spannung, manchmal an der Balance. Alt werden können sie zwar. Aber sie verfeinern sich nicht. Anders ausgedrückt: Es wäre besser gewesen, sie früher zu trinken.

Ohne Zweifel entwickeln Rieslinge, bei denen alles stimmt, im Laufe der Jahre Qualitäten, von denen man im jungen Stadium wenig ahnt. Das gilt sowohl für teure wie für preiswerte Weine. Bestes Beispiel für letztere war ein feinherber 1995er Riesling Kabinett von Reinhold Haart, der seinerzeit etwa sechs D-Mark gekostet hat und sich heute in sensationeller Frische präsentiert.

Säure allein kein Reifekriterium

Umgekehrt kann es sein, dass Große Gewächse oder hochkarätige Prädikatsweine hinter den Erwartungen zurückbleiben. Auch dafür bot die Probe mehrere Beispiele. Das heißt: Die Säure allein macht nicht, dass ein Wein alt werden kann und sich dabei verfeinert. Es kommt auf die Qualität der Säure an: ob sie weinig und reif ist oder roh und grün. Bei trockenen Weinen bestimmt die Qualität der Säure ganz entscheidend das Reifepotenzial.

Bei Weinen aus der Neuen Welt, die, um die Säure zu erhalten, teilweise unreif gelesen werden, wirkt sich dieses Manko negativ auf die Qualität aus. Beispiel: der Framington-Riesling aus Neuseeland. Nicht zufällig werden die meisten amerikanischen und kanadischen Rieslinge restsüß ausgebaut. Die Süße übertönt die grünen Aromen. Doch später kommen sie wieder zum Vorschein, wie der CSV Riesling von Cave Spring Cellars aus Kanada deutlich zeigt.

Henschke: „Unsere Kunden mögen kein Kerosin“

Stephen und Prue HenschkeWie groß das Reifepotenzial bei trockenen Rieslingen ist, lässt sich anhand der VDP-Probe schwer sagen. Die ältesten trockenen Weine stammten aus dem Jahrgang 2002. Auch wenn das Reifepotenzial bei vielen dieser Weine noch nicht annähernd ausgeschöpft war, sollte man es nicht krampfhaft ausreizen: Petrolnoten, so elegant sie sein können, ersetzen keine Frische. Oder wie es Stephen Henschke ausdrückte, der extra zu diesem Riesling Symposium aus Australien angereist war: „Unsere Kunden mögen kein Kerosin.“

Übrigens ist auch der Restzucker kein Element der Alterung. Dazu waren zu viele gezehrte edelsüße Rieslinge in der Probe. Aber der Restzucker gehört, wie die Säure und der Alkoholgehalt, sicherlich zu jenen Bestandteilen, die für die richtige Balance im Wein sorgen (wobei die höheren Extrakt- und Schwefelwerte, die edelsüße Weine zwangsläufig aufweisen, das Reifepotenzial natürlich erhöhen). Letztlich aber entscheidet allein die Balance darüber, ob ein Riesling doller wird, je oller er ist.

„Wir wissen wenig, aber er schmeckt“

Historische Riesling-WeinprobeLässt sich nun prognostizieren, ob ein Riesling gut reifen und sich dabei verfeinern kann? Wahrscheinlich wird der eine oder andere Experte nach dieser Probe glauben, er könne die Wahrheit im Wein erkennen. Auch schon frühzeitig.

Doch Weine gehorchen nicht immer den Regeln, auch wenn man sie zu kennen glaubt. Das hat die Probe deutlich gezeigt. Einer der Teilnehmer drückte diesen Sachverhalt ganz ehrlich so aus: „Wir wissen noch wenig über Riesling, aber er schmeckt gut.“

Die Weine

Batterie Riesling-Gläser


2004 Julius Eden Valley Riesling | Henschke (AUSTRALIEN)
Schlanker, sehr sauberer Wein von einer kühlen Hochebene nahe des warmen südaustralischen Barossa Valley, leicht aromatisch mit viel Zitrus und etwas dropsiger Säure, botrytisfrei, ohne Petrolnoten. Henschke: „Unsere Kunden mögen kein Kerosin“ (Preis: ca. 25 Euro).
Bewertung: 88/100 Punke


2004 Dry Riesling | Framington (NEUSEELAND)
Ausgesprochen mineralischer Riesling aus dem neuseeländischen Marlborough, hohe (nicht ganz reife) Säure bei gleichzeitig hohem Alkohol (14 Vol.%), etwas karg. Framington steht für Weine jenseits des Mainstreams. Der Dry Riesling wird erst 8 Jahre nach der Lese freigegeben. Kostenpunkt: 30 NZD (entspricht etwa 19 €).
Bewertung: 87/100 Punkte


2004 Castell Schlossberg Riesling Spätlese trocken | Fürst Castell’sches Domänenamt (FRANKEN)
Noch sehr frischer, moderat üppiger Riesling aus einer Großen Lage am Steigerwald in Franken: reife Frucht mit viel Schmelz, grüner Apfel und Aprikose, etwas rohe Säure, sicher noch mit Potenzial, aber nicht perfekt ausbalanciert.
Bewertung: 88/100 Punkte


2004 Hochheim Hölle Riesling Auslese trocken | Künstler (RHEINGAU)
Großartiger, vollmundiger Wein mit schmelziger Frucht, perfekt eingebundene Säure bei 9 Gramm Restzucker, im Inneren differenziert und fein ausbalanciert, schönes Spiel, kaum gealtert.
Bewertung: 93/100 Punkte


2003 Riesling Zöbinger Heiligenstein | Jurtschitsch (KAMPTAL)
Sehr trockener, schnörkelloser Riesling von großer Aromentiefe, steinig-buttriges Bouquet, druckvoller Gaumen, kaum Tertiäraromen: eindrucksvoller Riesling aus dem österreichischen Kamptal.
Bewertung: 93/100 Punkte


2002 Riesling CSV | Cave Spring Cellars (KANADA)
Stilistisch ein typisch nordamerikanischer Riesling mit 19 Gramm Restzucker bei 11 Vol.% Alkohol: sehr jung, aber auch sehr technisch und etwas seelenlos wirkend, Joghurtnoten in der Nase, grüner Apfel am Gaumen, unbalanciert. Top-Riesling aus dem renommierten kanadischen Weingut Cave Spring Cellars, gewachsen auf der Niagara Halbinsel. Preis: 29,9 CAD (ca. 20 Euro).
Bewertung: 85/100 Punkte


2002 Rüdesheim Berg Schloßberg Riesling | Georg Breuer (RHEINGAU)
Mitreißender, ja mächtiger Wein mit opulenter Frucht aus einer der besten Lagen des Rheingaus, herb-erdig schmeckend mit hoher, etwas grüner Säure und Granny-Smith-Aromen, wirkt jung und frisch, aber ohne die rechte Balance.
Bewertung: 90/100 Punkte


2002 Riesling trocken Niersteiner Ölberg | St. Antony (RHEINHESSEN)
Ausladender, in der Farbe bereits ins Goldgelbe tendierender Wein, deutliche Firne in der Nase, dabei nicht ganz sauber im Duft, suboptimal.
Bewertung: 82/100 Punkte


2002 Nieder-Flörsheim Frauenberg Riesling Großes Gewächs | Battenfeld-Spanier (RHEINHESSEN)
Hochmineralischer, zugleich minimalistischer Wein, der in keine Schublade passt und für sich selbst steht. Dennoch etwas ungelenk wirkend, Süße dominiert die Säure. Nicht ganz perfekt gereift.
Bewertung: 89/100 Punkte


2002 Kammener Gaisberg Riesling Alte Reben | Schloss Gobelsburg (KAMPTAL)
Schlanker, geschmeidiger Wein mit wenig Frucht, aber vielen vegetabil-mineralischen Noten, straff gewirkt mit großer Aromentiefe, fein ziselierter Säure, fast durchgegoren, noch kaum gereift. Gute Zukunft, aber schon jetzt ein großer Genuss.
Bewertung: 93/100 Punkte


2002 Forst Ungeheuer Riesling GC | Bürklin-Wolf (PFALZ)
Schon leicht goldgelb schimmernder Wein aus einem großen Jahr für Bürklin-Wolf, feinste Aromen von Mango, Banane und Quitte verströmend, schöner Spannungsbogen, tolle Frucht. Bei aller Opulenz: die Säure moderiert diesen durchaus üppigen Wein und macht ihn schlank. Chapeau!
Bewertung: 94/100 Punkte


2002 Ihringen Winklerberg Riesling Spätlese | Heger (BADEN)
Einer der seltenen fruchtig ausgebauten Rieslinge aus der Hegerschen Paradelage am Kaiserstuhl, 40 Gramm Restzucker, als Badener Riesling kaum identifizierbar. Toller Wein von hoher Eleganz, mit viel Charisma und noch großem Reifepotenzial.
Bewertung: 93/100 Punkte


1996 Piesport Goldtröpfchen Riesling Kabinett | Reinhold Haart (MOSEL)
Herrlich frisch, schiefrig-würzig mit feinen Pfirsich-/Grapefruit-Noten, dabei unverbogen und ohne jede Altersnote – ein klassischer Moselriesling der feinherben Geschmacksrichtung, der einst vermutlich nur etwa 6 D-Mark gekostet hat: dank 8 Vol.% Alkohol ist er, bei aller Finesse, ein süffiger Wein.
Bewertung: 89/100 Punkte


1990 Winkel Jesuitengarten Riesling Auslese | Fritz Allendorf (RHEINGAU)
In der Nase exotisch fruchtig mit Noten von Ingwer, Orangenzeste, Karamell, am Gaumen aber schon ziemlich gezehrt und ohne Länge, im Konzert großer edelsüßer Weine letztlich eine kleine Enttäuschung.
Bewertung: 86/100 Punkte


2002 Leiwen Laurentiuslay Riesling Spätlese | St. Urbanshof (MOSEL)
Grandiose Spätlese aus wurzelechten Reben mit sauberer, schiefriger Frucht und barocker Süße (80 Gramm), gleichzeitig von einer rassigen Säure geädert. Noch völlig jung wirkend mit großem Spannungsbogen. Mosel at ist best!
Bewertung: 93/100 Punkte


1993 Saarburg Rausch Riesling Spätlese | Geltz-Zilliken (SAAR)
Großer Wein aus kleinem Jahrgang, herrlich frisch und erfrischend zugleich, feinste Pfirsich- und Grapefruitaromen, zugleich viel Mineralik, dabei von einer kaum merklichen Botrytis unterlegt: perfekt ausgewogen und balanciert, facettenreich, jetzt (aber mit Sicherheit auch in Zukunft noch) schön zu trinken.
Bewertung: 93/100 Punkte


2002 Erbach Marcobrunn Auslese | Langwerth von Simmern (RHEINGAU)
Ein sich langsam entwickelnder, ins Goldgelbe tendierender, sehr spät gelesener, aber dennoch frischer Wein, der schon viel zeigt von dem, was in ihm steckt: Quitten, Pfirsich, Minze, Honig in der Nase, von einer zarten Botrytis durchzogen, am Gaumen cremig, dabei nicht übermäßig süß, mit 10,3 Vol.% für eine Auslese eher im oberen Alkohol-Bereich: eine hochkomplexe Auslese mit gewaltigem Spannungsbogen und großen Reifereserven, begeisternd.
Bewertung: 96/100 Punkte


1989 Scharzhofberger Riesling Auslese | Reichsgraf von Kesselstatt (SAAR)
Eine mythische Lage und ein mythischer Jahrgang, der große, fette, langlebige Weine hervorgebracht hat, vor allem im edelsüßen Bereich. Diese Auslese passt in das allgemeine Jahrgangsraster: ein in jeder Hinsicht opulenter Riesling, exotisch in der Nase mit viel Jasmin, Earl Grey, Butterkaramell und einem feinen Eisweinton, trotz deutlicher Botrytis noch relativ frisch am Gaumen, dank seiner bissigen Säure geschmeidiger wirkend, als er ist. Ein Erlebnis!
Bewertung: 96/100 Punkte


1945 Schloss Johannisberg Rosalack Auslese | Schloss Johannisberg
Wer diesen Wein probiert, kann verstehen, weshalb der Rheingau einst für seine edelsüßen, nahezu unverwüstlichen Auslesen Weltruhm genoss: kein fetter, sondern ein eher schlanker Wein, mit milder, abgeklärter Würze, die in Richtung Nüsse, kandierter Apfel, Sahnekaramell geht, dabei von einer lebendigen Säure geädert wird. Ein stiller, majestätischer Wein ohne eine Spur von Oxydation. Zumindest gilt das für die ausgeschenkten Flaschen (Marktpreis: ca. 750 Euro). Höchstgenuss.
Bewertung: 98/100 Punkte


1994 Winkel Hasensprung Beerenauslese | Prinz von Hessen (RHEINGAU)
Eine hochkarätige Beerenauslese, die den Mund tapeziert und dennoch nicht fett und sättigend daherkommt, schon gar nicht erschlagend ist: viel Orangenmarmelade und Karamell in der Nase, auf der Zunge kräuterwürzig mit frischen Minze- und Limettennoten, teefarben. Mit 150 Gramm Restzucker und gleichzeitig 11,2 Vol.% Alkohol fast schon ein Sauternes-Kaliber.
Bewertung: 95/100 Punkte


1971 Johannisberg Schwarzenstein Beerenauslese | G.H. von Mumm (RHEINGAU)
Auf dem Papier ein hochwertiger Prädikatswein, im Glas eine kleine Enttäuschung: Diese Beerenauslese ist nicht ausbalanciert, zeigt zu viel Botrytis, zu wenig Frischenoten, fällt durch zu viel flüchtige Säure und zu viele Mokkanoten auf, besitzt zu wenig Frucht und Mineralik. Schade. Denn das Schwestergut von Schloss Johannisberg, seit 2012 in den VDP aufgenommen, erzeugt heute großartige edelsüße Weine von berühmten Lagen.
Bewertung: 90/100 Punkte


1959 Steinberger Riesling Trockenbeerenauslese | Hessische Staatsweingüter (RHEINGAU)
Ein Jahrhundertwein, der heute für knapp 2.000 Euro pro Flasche gehandelt wird: überraschenderweise nicht dick und klebrig, sondern schlank und geradezu rassig  dank seiner Säure von knapp 15 Gramm, rotgold in der Farbe mit viel kandierter Orangenschale und Rosinen im Bouquet, dazu feine Kaffee- und Sahnenoten, Waldhonig, ein Hauch von Minze. Einer der größten edelsüßen Weine aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Bewertung: 98/100 Punkte

- Anzeige -spot_img

1 Kommentar

- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img