Damit keine Missverständnisse auftreten: Gordon Mathew Thomas Sumner, alias Sting, gehört ein Weingut in der Toskana. Aber er macht weiterhin Musik. Sein Studio, in dem er übt, experimentiert, singt, komponiert, liegt direkt über dem Weinkeller. Was das Weingut angeht, zieht Trudie Styler die Fäden, seine Frau. Die Tochter eines englischen Farmers, die seit 1992 mit Sting verheiratet ist, kümmert sich um Haus, Hof, Garten, Gäste und den Wein. Ich habe Sting neulich gefragt, wer die Entscheidungen im Weingut trifft. Seine Antwort: „I’m a smart man, I leave all decisions to my wife.“ Replik Trudie: „And I’m a smart woman giving all the bills to my husband.“ Klare Rollenteilung also.
Cotarella hat die Weinproduktion völlig umgekrempelt
Letzten Dienstag haben wir über Zoom miteinander geredet: Sting, Trudie, Tony Sasa (Stings kommerzieller Berater), Riccardo Cotarella (Stings önologischer Berater) und ein paar Weinjournalisten aus Italien. Es ging um die neuen Jahrgänge und darum, ob die Weine der Tenuta Il Palagio – so heisst das Weingut – besser geworden sind. Die Weine waren vorher nicht schlecht, aber „unter den Möglichkeiten“, wie Trudie es diplomatisch ausdrückt. Sie schmeckten, aber um von ihnen begeistert zu sein, muß man den Rockmusiker schon sehr, sehr verehren.
Seit knapp zwei Jahren haben Sting und Trudie nun Riccardo Cotarella an seiner Seite, einen der erfolgreichsten Önologen Italiens (der gerade Schlagzeilen macht, weil er auch die Weine des Papstes betreut). Er hat das Weingut völlig umgekrempelt. Ich kenne Cotarella seit vielen Jahren: ein Mann mit klaren Ideen, wissenschaftlicher Orientierung und einem Gespür für die Feinheiten des Weins. Als erstes hat er die Rebflächen reduziert: von 32 auf 13 Hektar. Zweitens eine sehr viel strengere Selektion der Trauben im Herbst eingeführt als früher. Drittens hat er empfohlen, die alten Weine (die übrigens nach Stings größten Hits benannt sind, etwa Roxanne, When We Dance, Sister Moon) auslaufen zu lassen. Stattdessen hat Cotarella neue Weine geschaffen: nur noch vier an der Zahl, die aber jeder für sich das Optimum darstellen, was die Weinberge hergeben – und das ist weit mehr als früher.
Wir haben die vier Weine gemeinsam verkostet: Zwei sind einfache, aber gute und durchaus besondere Sommerweine. Die beiden Roten sind outstanding. „Wir möchten, dass die Freunde, die uns besuchen, glänzende Augen kriegen“, wünscht sich Trudie, die perfekt Italienisch spricht (während Sting auch nach 24 Jahren des Italienischen noch nicht wirklich mächtig ist). Natürlich wollen Trudie und Sting, dass ihr Wein auch die Weintrinker in England, Amerika und Deutschland begeistert. Die Chancen dafür stehen gut. So wie sie sich jetzt präsentieren, werden sie auch denen, die keine Toskana-Fans sind, das Herz öffnen. Meine Kommentare zu den vier Weinen stehen am Ende des Artikels. Vorher noch ein paar Worte zu dem Weingut.
Das Weingut: von Pinien, Zypressen, Olivenhainen umstanden
Die Tenuta Il Palagio liegt eine knappe Autostunde südöstlich von Florenz an den Hängen des Arnotals: ein 500 Jahre altes Gut, das mit seinen vielen Nebengebäuden, Remisen, verstreut in der Landschaft liegenden Natursteinhäusern schon fast ein eigenes Dorf darstellt. Es befand sich durch die Jahrhunderte hindurch in wechselnden Besitz adeliger Familien. Als Sting und Trudie es 1997 erwarben, war es ziemlich heruntergekommen und musste von Grund auf renoviert werden. Heute erstrahlt die herrschaftliche Villa wieder im alten Glanz, umgeben von Schirmpinien, Zypressen und silbrig glänzenden Olivenhainen. Zu Il Palagio gehören 350 Hektar Land, der größte Teil besteht aus Wald. Die Reben gehören weinbaumäßig zum Chianti. Allerdings wurde dort früher mehr Getreide als Wein angebaut. Das Arnotal galt bis ins 19. Jahrhundert als Kornkammer von Florenz.
Was den Rebbau angeht, wurde dieser Teil des Chianti immer als zweitrangiges Terroir angesehen, was nach Cotarellas Meinung falsch ist. Zumindest Teile des Gebiets weisen dieselben drei Bodenformationen auf wie das Chianti Classico, das nur wenige Kilometer entfernt beginnt: Galestro, Alberese, Macigno. In den Weinbergen von Il Palagio werden vor allem Sangiovese und die lokalen Sorten Canaiolo und Colorino angebaut, dazu ein wenig Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah. Von Anfang an hat Trudie („I’m a farmer’s girl“) Wert darauf gelegt, dass die Weinberge biodynamisch bewirtschaftet werden. Neben Wein sind Olivenöl und Honig (Sting besitzt 60 Bienenvölker) die wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte des Gutes. Sie können in einem nahe gelegenen Farm Shop erworben werden. Von der unten im Tal liegenden Ortschaft Figline Valdarno sind es gerade mal fünf Kilometer hinauf zum Weingut.
Tenuta Il Palagio: Ausgewählte Weine
2020 Vermentino „Baci sulla Boca“, Tenuta Il Palagio
Ausser im Chianti besitzt Sting in der Maremma nahe Scansano ein paar Hektar Weinberge, in denen unter anderem ein Vermentino wächst. Dieser typische maremmanische Weißwein ist deutlich gehaltvoller als andere Vermentino, dichter gewoben mit zarten Pfirsich- und Birnenduft, schmelziger Frucht mit salziger Würznote am Gaumen. Nach einer kurzen Maischestandzeit werden die Trauben im Edelstahltank vergoren und ausgebaut: ein Vermentino der besonderen Art.
Preis: 24,90 Euro (in Italien)
Der Song heißt Brand New Day und ist einer der erfolgreichsten des Rockmusikers. Nach ihm ist dieser Rosato benannt: hell lachsrot in der Farbe, blumig in der Nase mit dem Duft von Himbeeren und anderen roten Früchten, am Gaumen stoffig und mit viel Saft – also deutlich kräftiger als die zahllosen Operetten-Rosés aus den Supermarkt-Regalen. Er wird, je nach Jahrgang, aus Sangiovese- oder anderen roten Trauben des Gutes gekeltert. Dieser Wein ist bereits im Handel.
Preis: 15,90 Euro (in Italien)
2018 Chianti Riserva „La Duchessa“, Tenuta Il Palagio
Bemerkenswerter Rotwein aus einer „poor area“ (Cotarella) im riesigen Chianti-Gebiet, gewonnen aus Sangiovese mit ein paar Anteilen Canaiolo und Colorino, vinifiziert und ausgebaut mit viel Fingerspitzengefühl: homogen mit gut verschmolzenem Tannin, tiefgründig, samtig, feine Kirsch- und Brombeernoten, sich sanft an dem Gaumen schmiegend, dabei schon jetzt trinkbereit – ich kenne nur wenige Riserve aus dem Chianti, die so elegant sind wie diese. Kommt im November auf den Markt.
Preis: vermutlich über 20 Euro
Ein klassischer Super Tuscan und gleichzeitig ein qualitatives Update von Stings früherem Topwein Sister Moon: Cuvée aus 60 Prozent Merlot und 40 Prozent Sangiovese, teils in großen, teils in kleinen Holzfässern gereift, dunkel in der Farbe, straff, sehr kompakt und konzentriert mit süßer, reifer Beerenfrucht, subtilen Graphitnoten sowie leicht smokiger Tabakwürze: vielleicht nicht so opulent wie die Weine aus Bolgheri, dafür geschliffener, frischer mit deutlichem Fokus auf Textur – großes Kino mit Dolby-Sound. Wird voraussichtlich erst im Herbst freigegeben. Die Jahreszahl 1530 bezieht sich auf das Gründungsdatum von Il Palagio.
Preis: vermutlich über 40 Euro
In Deutschland sind die Weine der Tenuta Il Palagio erhältlich bei www.riegel.de, www.superiore.de