Angesichts der Grösse des Weinanbaugebiets hat der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) relativ wenige Mitglieder in Rheinhessen, nämlich 17. Davon haben 14 ihre Weine bei der „Vorpremiere“, die Ende August im Kurhaus in Wiesbaden stattfand, zur Probe angestellt. Der Gesamteindruck: beeindruckend, und das trotz rekordverdächtig-früher Lese. Vielleicht hat den Winzern geholfen, dass es zwischen der von Juni bis Oktober herrschenden Dauerhitze einige Gewitterschauer gegeben hat, die für Abkühlung sorgten. Jedenfalls haben die rheinhessischen Winzer die Herausforderungen des Jahrgangs durchweg mit sicherer Hand gemeistert. Nirgendwo überreife, aber nirgendwo auch unreife Weine. Kein Vergleich zu de 2003, dem anderen Hitzejahr, in dem viele Rieslinge schmeckten, als kämen sie aus Süditalien oder Südfrankreich. Insgesamt habe ich die Weine etwas höher bepunktet als in 2017 – nicht weil sie unbedingt besser sind als im Vorjahr, sondern weil ich finde, dass das Niveau dieser ebenso raren wie einzigartigen Weine deutlich angehoben werden sollte.
Gutzler überrascht mit brillanten Weinen
Ich fange mal mit dem Weingut an, dessen Weine mich am meisten überrascht haben: Gutzler in Gundheim. Intime Kenner Rheinhessens haben dieses Weingut längst auf ihrer Liste. Aber eine überregionale Bekanntheit ist Michael Gutzler bis jetzt noch nicht beschieden gewesen. Am bekanntesten ist er für seine Spätburgunder. Ich habe in Wiesbaden seine beiden GG vom Riesling probiert, die er angestellt hatte. Beide sind zur Zeit völlig verschlossen, fast ungeniessbar. Aber was für ein Stoff, der sich hinter dieser abweisenden Fassade verbirgt! Das GG vom Kirchenstück um das Wormser Liebfrauenstift herum ist ein tougher, sehniger Wein, der dank kräftiger Gerbstoffstruktur (Maischestandzeit) noch sehr zurückhaltend ist und nur wenig von seinen Terroirnoten (nasser Kiesel, Kräuterlimonade) preisgibt: ein schüchterner Wein mit allerbester Prognose für die Zukunft (93). Das wertigere der beiden GG kommt vom Westhofener Morstein, wo purer Kalkfels den Untergrund bildet: hochkomplex, aber straff gewoben mit auffälligen Schwarzbrot- und Minzenoten, ebenfalls sehr phenolisch und gut gerüstet für eine lange Verfeinerung auf er Flasche (95). Nebenbei gesagt: Gutzlers GG gehören zu den preiswertesten Rheinhessens. Das Kirchenstück kostet 24 Euro, der Morstein 29,50 Euro.
Kai Schätzel: Man liebt sie, oder man lehnt sie ab
Die schwierigsten Weine kommen – nicht zum ersten Mal – von Kai Schätzel aus Nierstein. Er ist mit besten Lagen am Roten Hang gesegnet. Aber was er daraus macht, ist im jungen Stadium eher verstörend als begeisternd. Als Repräsentant des „entfetteten“ Weins sind seine Rieslinge extrem karg, extrem niedrig im Alkohol (11,5 %Vol.), extrem hefestinkig, ohne jeglichen Charme. Namhafte Weinkritiker zollen ihm dafür höchsten Respekt, betrachten ihn als Avantgardisten und machen ihn zur „aufregendsten, spannendsten Erscheinung unter deutschen Winzern“ (Stephan Reinhardt, The Wine Advocate). Schätzel selbst sagt, dass seine Weine zwar (gewollt) leichter sind als andere, aber dafür extrem haltbar. Und da die GG für ein langes Leben konzipiert sind, nicht für schnellen Konsum, zählt nicht das frühe, sondern das späte Urteil. Mir fehlt die Erfahrung mit seinen Weinen. Ich würde sagen: Man liebt sie, oder man lehnt sie ab. Auf jeden Fall sind es, aus heutiger Sicht, verrückte Weine. Über sein Pettenthal GG steht auf meinem Probenzettel: „Schiesspulver, Schmauch und andere Feuerwerksartikel“. Sein GG vom Ölberg fand ich „grenzwertig“. Über sein GG vom Hipping schrieb ich: „Nichts als Reduktion und scharfe, rohe Säure“. Klingt nicht sehr schmeichelhaft. Aber auch wenn mir die Weine derzeit nicht schmecken – ich glaube an sie. Wenn sie halten, was erfahrenere Experten als ich versprechen, würde ich ihnen bedenkenlos 96 Punkte zugestehen, seinem Pettenthal auch mehr. Zwei Gründe: So penibel und qualitätsbesessen, wie er im Weinberg arbeitet, kann eigentlich nichts schief gehen. Ausserdem habe ich seinen 2018er Pettenthal Riesling Kabinett Erste Lage getrunken, der noch leichter ist als seine GG, weil er von einer zarten Restsüsse durchzogen ist. Dieser Wein ist überirdisch, ein Kultwein mittlerweile. 240 Flaschen von ihm werden am 22. September 2019 bei der grossen VDP Herbstauktion in Bad Kreuznach versteigert. Im letzten Jahr wurde die Magnum bei 240 Euro zugeschlagen – nicht schlecht für einen Kabinett. Wenn Schätzels trockene GG nur ein wenig von diesem Kabinett haben, wären sie alle Vorschusslorbeeren wert. Mit 49 Euro beziehungsweise 136 Euro für die 0,75 l-Flasche vom Pettenthal sind sie allerdings auch gut bezahlt (Subskription bei Gute Weine Lobenberg).
Kühling-Gillot: exzellente Kollektion
In diese Preisdimensionen stoßen die anderen Weine vom Roten Hang noch nicht vor – ausser der Nackenheimer Rothenberg „wurzelecht“ von Kühling-Gillot. Dessen Preis wird in 2018 von 100 auf 120 Euro angehoben. Zuviel? Er ist immer ziemlich schnell ausverkauft: goldgelb in der Farbe dank Maischestandzeit, entsprechend phenolisch, viele Reduktionsnoten aufgrund Spontanvergärung, cremig durch langes Hefelager, reich an Facetten, ohne ausladend zu sein. Erfahrungsgemäss eine sichere Bank (95). Nicht viel schlechter ist allerdings Kühling-Gillots GG von der wärmsten Lage am Roten Hang, dem Pettenthal, das in den letzten Jahren ein wenig abgespeckt hat, aber deswegen kein Magermodel wie bei Schätzel geworden ist. Im Gegenteil: viel Würze, aber auch viel Hintergrund-Mineralität sowie eine zarte rauchige Note, die sich wie ein roter Faden durch den Wein zieht (94). Ebenfalls exzellent: Hipping (94) und Ölberg (92).
Gunderloch: packend und begeisternd
Vom Nachbarweingut Gunderloch habe ich schon in den letzten Jahren exzellente GG im Glas gehabt. Der junge Johannes Hasselbach, der von der Ausbildung her ein Quereinsteiger ist, aber durch Praktika im In- und Ausland nicht nur das Winzer-Handwerk gelernt, sondern auch viel Fingerspitzengefühl entwickelt hat, hat in 2018 zwei sehr gute und ein begeisterndes GG auf die Flasche gebracht: sehr gut sind der Hipping (93), der mit seiner rohen, anfangs etwas rustikal wirkenden Säure einerseits und den tropischen Fruchtaromen andererseits einen weiten Bogen spannt, und der packende Rothenberg (93). Noch mehr Potenzial sehe ich im Pettenthal: derzeit ein eher zurückhaltender Riesling, der beim ersten Schluck etwas indifferent wirkt, aber im Glas schnell zeigt, von welch innerer Fülle und Intensität er ist. Limette, Mandarinschale, Ingwer habe ich notiert. Momentan dominieren noch die Spontinoten (94).
Klaus-Peter Keller: Power und Finesse
Den ultimativen Pettenthal (wenn es sowas gibt) liefern in 2018 allerdings die Kellers. Sie besitzen nur eine kleine Parzelle in der steil zum Rhein abfallenden, 31 Hektar grossen Lage. Aber was Klaus-Peter Keller daraus macht, ist spektakulär: ein Wein mit Power und Finesse, der alles hat, was einen grossen Weisswein ausmacht. Grüne und gelbe Frucht, schmauchige Feuerstein-Mineralität, seidige Textur und einen zarten, fast marzipanartigen Schmelz – 99 Punkte für diesen kühl-intellektuellen Wein. Damit hänge ich mich weit aus dem Fenster. Aber gibt es viele bessere Weissweine auf der Welt? Kaum. Keller spielt mit Coche-Dury, Leflaive, Roulot, Dauvissat in einer Liga, und die werden ähnlich hoch bepunktet. Kellers Pettenthal GG kommt übrigens nicht regulär in den Verkauf. Der grösste Teil – 360 Flaschen – kommt ebenfalls am 22. September 2019 in Bad Kreuznach unter den Hammer. Ausrufpreis: 100 Euro. Im letzten Jahr erfolgte der Zuschlag bei 760 Euro, dazu kommen Mehrwertsteuer und Kommission. In 2018 werden die Gebote weiter steigen. Sollte ein Händler ein paar Flaschen ersteigern und seinen Kunden anbieten, müssen diese mit deutlich über 1000 Euro pro Flasche rechnen. Ich hoffe nur, dass die texanischen Ölmilliardäre, Londoner Hedgefonds-Manager und Moskauer Oligarchen den Wein zu schätzen wissen.
St. Anthony: könnte mehr als es tut
Dass speziell die Lage Pettenthal so beeindruckende Weine liefert, ist kein Zufall. Nirgendwo am Roten Hang treten der rote Tonschiefer und der rote Sandstein (genannt „das Rotliegende“) so sichtbar an die Oberfläche wie dort. Das heisst aber nicht, dass die anderen, weiter südlichen Lagen weniger wertig sind. Sie bringen nur andere Stilistiken hervor. Orbel ist die am weitesten vom Rhein entfernte Lage, die aber in Zeiten der Klimaerwärmung einen unschätzbaren Vorteil hat: kühle Nachttemperaturen. Das GG von St. Antony GG aus dieser Lage hat deshalb nicht die Fülle und Kraft von Pettenthal & Co., besticht aber durch Schlankheit und Eleganz (89). Ich gebe zu: von einem GG erwarte ich etwas mehr, Dirk Würtz, der Weinverantwortliche bei St. Antony, wahrscheinlich auch. Sonst würde er das Orbel GG preislich nicht auf besseres Ortsweinniveau setzen (19 Euro). Das Weingut verfügt über den grössten Grosse Lagen-Besitz am Roten Hang, einschliesslich Schlüsselparzellen in Pettenthal, Hipping, Zehntmorgen und der grossartigen, aber seit Jahren nicht mehr als GG abgefüllten Monopollage Brudersberg. Warum St. Antony ausgerechnet sein kleinstes GG zur Vorpremiere anstellt und nicht die anderen, erschliesst sich mir nicht.
Brüder Dr. Becker und Winter
Die weiter südlich an der Rheinfront liegende Staatliche Weinbaudomäne Oppenheim und der Rappenhof hatten ihre GG nicht zur Probe eingereicht. Das Weingut Brüder Dr. Becker aus Ludwigshöhe war mit zwei GG aus Dienheim vertreten: der Tafelstein etwas brav mit sehr reifer Frucht, stilistisch eher konventionell (90), der Falkenberg ebenfalls von moderater Fülle, aber kühler Frucht und packender Säure (91). Das Kalksteinriff um Westhofen ist ein zweites wichtiges Weinbauzentrum Rheinhessens. Neben Gutzler, von dem am Anfang schon die Rede war, hat auch Stefan Winter dort drei Lagen, die hochwertige Terroirs darstellen. Genau: in Dittelheim. Winters GG vom Geierberg (Tonmergel) ist der sehnigste, salzigste, kühlste von allen: ein Riesling aufs Wesentliche reduziert (93). Der Kloppberg (Tonmergel mit Kalkstein) hat mehr Fleisch auf den Rippen, ist hochmineralisch ohne vordergründige Frucht: nicht ganz so fordernd wie die anderen beiden (93). Der Leckerberg (Kalkverwitterungsgestein) ist der filigranste, rassigste und packenste der drei, die übrigens alle unter 30 Euro kosten (93). Sie alle sind spontan vergoren, mit langer Maischestandzeit vinifiziert, im Stahltank ausgebaut und für Liebhaber gedacht, die von einem GG mehr als Mainstream erwarten.
K. F. Groebe und Wittmann
Ganz anders die beiden GG von K. F. Groebe aus Westhofen: klassische Rieslinge, mehr von reifer Frucht als von der Mineralität geprägt, schon antrinkbar. Das Kirchspiel ist der kraftvollere Wein, der mehr Gerbstoffrückgrat besitzt, kompakter ist (90), während das Aulerde GG den Jahrgang als reich und üppig interpretiert und demzufolge mehr in die Breite geht (89). Beide werden, da bin ich mir sicher, ihre Liebhaber finden. Von einem GG aber erwarte ich, bei allem Respekt, ein bisschen mehr. Philipp Wittmann auf der gegenüber liegenden Strassenseite hat zum Beispiel eine ganz andere Sichtweise vom Jahrgang 2018. Er widersteht der Versuchung, opulente Weine in diesem warmen Jahr zu machen. Er sucht die schnörkellosen, knappen Weine, die eher in sich gekehrt sind und ihre Fülle und Feinheit erst langsam offenbaren. Sein einfachstes GG Aulerde ist sicher nicht spektakulär, aber präzis und – obwohl von der wärmsten Lage kommend – eher kühl und clean: Apfel, Pfirsich, Salzalgen (93). Spannender ist das GG vom Kirchspiel: kaleidoskopartige Fülle, aber streng gebündelt, kein Gramm Fett, leicht adstringierend, saftig-mineralisch, dabei auch mit „grünen“ Würznoten versehen (95). Der Morstein ist von allen GG das relativ üppigste. Es ist wärmer, gelbfruchtiger, saftiger, gleichzeitig aber straff und ungeheuer pur: könnte ein ganz Grosser werden (95). Ich persönlich habe einen Faible für das Brunnenhäuschen, das dichteste, tiefste, am wenigstens ausladende GG von Wittmann. Nach meiner Meinung ist es in 2018 besonders gut gelungen: „tough, ohne Arabesken, just punch“ hab ich in meinen Notizblock geschrieben. Will sagen: exakt auf den Punkt gebracht (96).
Battenfeld-Spanier: Flüssiger Fels
Auch Battenfeld-Spanier wartet mit exzellenten Weinen auf. Wer nicht warten und sofort geniessen möchte, sollte zum GG vom Nieder-Flörsheimer Frauenberg greifen: Der Wein springt förmlich aus dem Glas, ist spielerisch leicht, bringt viel Mineralik und würzige Steinobstaromen an den Gaumen, ist sehr elegant, aber nicht übermässig komplex. Trotzdem: Toll, was Hans Otto Spanier aus dem Jahrgang heraus geholt hat (93). Auch das Kirchenstück aus Hohen-Sülzen ist beeindruckend: ein superfeiner Wein, der, wenn er Literatur wäre, nicht in die Kategorie Prosa, sondern Poesie gehörte. Allerdings muss ich hinzufügen: Fast an der Grenze zum Gefälligen (93). Hintergründiger und packender, weil karger, ist das GG vom Zellerweg „Am Schwarzen Herrgott“: für mich der beste Wein des Sortiments – flüssiger Fels, wie der Winzer gerne sagt, dazu ein Hauch von schwarzer Johannisbeere (94).
Klaus-Peter Keller: streng und dicht gewoben
Bleiben die Kellers. Sie waren diesmal nur mit einem GG auf der Vorpremiere vertreten. Ihr Abts E, aus eine Parzelle in der Grossen Lage Brunnenhäuschen kommend, war beim ersten Schluck eine Enttäuschung: extrem phenolisch mit vielen grünen Noten, viel Apfelsäure, wenig Saft, völlig unzugänglich. Ein Wein, der nichts von sich preisgibt, nur abweisend wirkt. Mir fiel es richtig schwer, etwas Positives in ihm zu erkennen. Aber wie so häufig bei jungen, frisch gefüllten Weinen: je verschlossener sie sich geben, desto mehr steckt ihnen. Nach einer halben Stunde öffnete er vorsichtig seine Aromenkiste: Apfeltarte, gemahlener Granit, Limette strömten plötzlich aus dem Glas. Aber immer noch blieb er der strenge, dicht gewobene Wein, der er auch am Anfang war, zudem von einer Wahnsinnsäure durchzogen. Dass dieses GG aus dem wärmsten Jahrgang seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen kommt, darauf kommt man im Traum nicht (96+).
Wagner-Stempel: anfangs Abba, später Rolling Stones
Auch Daniel Wagner vom Weingut Wagner-Stempel aus Siefersheim, das südöstlich von Bad Kreuznach an der Grenze zum Anbaugebiet Nahe liegt, ist nicht berühmt für Weine vom Typ everybody’s darling. Auf sein mitreissendes GG von der Lage Heerkretz trifft ebenfalls zu, dass es noch nicht zum Trinken geeignet ist. Nur soviel lässt sich sagen: ein dramatischer Wein, gewachsen in einer ungeschützten, nachtkühlen Lage, die in einem warmen Jahr wie 2018 einen extrem spannungsreichen Wein hervorgebracht hat. Der Heerkretz besitzt unglaublich viel Substanz, wenig Frucht, reichlich salzige Geschmackskomponenten sowie eine markante, aber weinige Apfelsäure (95). Nichts für einen gemütlichen Abend mit Muttis Brotzeitteller, sondern ein Wein, den eigentlich nur trinken sollte, wer die spektakuläre Lage, die auf einem Brandungskliff des Urmeeres liegt, persönlich in Augenschein genommen hat. Warum nicht einmal nach Siefersheim fahren? Das Dorf ist ein Wanderpradies, und bei Wagner-Stempel gibt es schöne Gästezimmer. Das zweite Siefersheimer GG vom Höllberg ist ganz anders: ebenfalls reich und anspruchsvoll, aber weniger ungestüm mit mehr warmer, gelber Frucht (94). Das dritte GG kommt von Scharlachberg in Bingen, also von ein paar Kilometer weiter nördlich. Der Wein ist ebenfalls ein Monolith, aber säurebetonter als die beiden anderen beiden GG. Er charmiert mit viel Frucht und Würze (93). „Vorne Abba, hinten Rolling Stones“ fiel mir dazu ein.
Schloss Westerhaus, Kruger-Rumpf, Bischel
Ebenfalls im Scharlachberg begütert ist Schloß Westerhaus. Das prächtige Weingut der Familie von Opel hat das beste GG seiner Geschichte produziert: spontan vergoren, cremig, hochmineralisch – ein kleiner Coup der jungen Gräfin von Schönau-Glauchau, die das Weingut in der vierten Generation führt. Für mich ist es das GG mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis in Rheinhessen (92). Das Scharlachberg GG von Kruger-Rumpf ist ebenfalls sehr anspruchsvoll, aber etwas opulenter mit einem breiteren Fruchtspektrum, das von grünem Apfel bis Maracuja reicht (92). Es ist dazu angetan, die Grossen Gewächse auch Konsumenten schmackhaft zu machen, die wegen zuviel Freakiness normalerweise lieber bei den Ortsweinen bleiben. Schliesslich Bischel. Für Christian und Matthias Runkel, die beiden jungen Winzer aus Appenheim, ist der Jahrgang 2018 eine GG-Premiere, sind sie doch erst seit Januar VDP-Mitglied. Ihr Scharlachberg GG ist ein guter Auftakt (92), der allerdings von ihrer Stammlage, dem Appenheimer Hundertgulden, an Intensität und Tiefe überflügelt wird: ein toller Wein, der zwar noch von der Hefe überlagert ist, aber schon einiges von seiner geballten Frucht (Limette, Grapefrucht) und Mineralität (Kalkstaub) herzeigt (94). Bischels drittes GG vom Heerkretz ist schnörkellos, aber bestens fundiert, mineralisch-pur. Auch dieser Wein wird Jahre brauchen, bis er sein ganzes Potenzial entfaltet (93).
Prinz Salm präsentiert seine 2017er
Damit der Kauf eines GG nicht zum Blindflug ins Ungewisse wird, präsentieren immer mehr Weingüter ihre Weine erst ein Jahr später – zumindest einige ihrer Weine. So auch Prinz Salm, der sowohl an der Nahe als auch in Rheinhessen über Weinberge verfügt. Die säurebetonte und kompromisslos trockene Ausbauweise seiner GG macht es schwierig, sie im frühen Stadium richtig wertzuschätzen. Deshalb stellte Felix Prinz Salm-Salm in Wiesbaden nicht seine 2018er, sondern die 2017er GG vor. Und siehe da, sie offenbart sich, die Klasse der Weine. Feinstrahlig, zartfruchtig, verhalten mineralisch und mit grossem Spannungsbogen versehen der Scharlachberg (92), deutlich athletischer der Kirchberg: leicht adstringierend, ins Goldgelbe tendierend mit starkem inneren Kern, donnernder Säure, aber immer noch ein wenig in sich gekehrt (93).