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Renaissance des Lambrusco: wie früher, nur ganz anders

Lambrusco – das erinnert an Schüler- und Studentenzeiten, als der Wein in Strömen floss, billig, aber nicht unbedingt trocken sein musste und gerne schäumen durfte. Und daran, dass es am nächsten Tag meist ein böses Erwachen gab. Lang ist’s her. Den Kopfschmerz-Lambrusco gibt es noch immer. Aber es gibt auch – und das ist der Unterschied zu früher – eine Reihe engagierter Produzenten, die aus diesem roten, schäumenden Trunk einen seriösen Wein gemacht haben.

Einen Wein, der bestens zur heutigen Pizza- und BBQ-Kultur passt, in seinen besten Qualitäten auch Eingang in die gehobene, vereinzelt sogar in die Sterne-Gastronomie gefunden hat, und der  – in Maßen genossen – so wenig Kopfschmerz verursacht wie jeder andere Weiss- oder Rotwein, obwohl er immer noch schäumt beziehungsweise prickelt.

Nie ein grosser, aber ein anspruchsvoller, unprätentiöser Wein

Die Pointe ist, dass dieser seriöse Lambrusco in der Zeit vor der industriellen Massenproduktion, die in den 60er Jahren begann, bereits existierte. Allerdings war er da ein Bauernwein. Besser: ein flüssiges Lebensmittel, das den Menschen in der mittelitalienischen Region Emilia Romagna in den mageren Kriegsjahren half nicht zu verhungern.

Es lohnt also, sich wieder mit dem Lambrusco zu beschäftigen und eine Lanze für diesen einzigartigen italienischen Wein zu brechen. Er ist nie ein grosser Wein ist, passt aber als  ebenso unprätentiöser  wie anspruchsvoller Prickler gut in die heutige Zeit.

Die Zeiten, in denen man sagen konnte, Lambrusco sei der schlimmste Wein unter Gottes Sonne, sind vorbei.

Lange Tradition der Flaschengärung

Beginnen wir von vorne. Lambrusco ist entgegen aller Annahmen nicht eine Rebsorte, sondern ein Konglomerat unterschiedlicher Rebsorten, die nicht zwingend genetisch miteinander verwandt sind.

Der Name bedeutet etymologisch zunächst ‚Wildrebe‘, die sich dadurch bemerkbar machte, dass sie unglaublich hohe Erträge lieferte.

Man sagt, die Römer hätten sie entdeckt, als sie am Wegesrand eines ihrer unzähligen Siegeszüge herumwucherte und schier unglaubliche Traubenmengen produzierte. Lambrusco wurde über die Jahrhunderte zum bäuerlichen Trunk der Emilia mit Epizentrum Modena.

Dort, wo Milch und Sahne fliessen und Parmaschinken und Mortadella vom Himmel hängen, war er der perfekte Begleiter zur üppigen Küche der Region.

Er wurde geerntet, wenn die Sau geschlachtet, das Obst eingeweckt und das Korn gemahlen war. Dann ging man zur Lese, vergor die Trauben in großen Fässern und jeder füllte sich seine Flaschen ab. Kleine Flaschen, große Flaschen, was gerade zur Hand war. In den Flaschen gärte er weiter. Manchmal zu Ende, manchmal blieb die Gärung stehen, ohne dass der gesamte Zucker vergoren war. Dann blieb eine mehr oder minder kleine Restsüße zurück.

Jedenfalls gibt es beim Lambrusco eine lange Tradition der Flaschengärung. Diese Form der Gärung nennt man Methode ancestrale oder Petillant Naturelle. Abgekürzt heute PetNat.

Die Geburt des industriellen Lambrusco

Lambrusco ist also ein Perlwein, kein Schaumwein. Er kam in den 60er Jahren mit den Gastarbeitern nach Deutschland und wurde schnell zum Erfolgswein. Auch die Amerikaner kamen damals auf den Geschmack dieses prickelnden Roten.

Die Nachfrage stieg und statt ihn in Flaschen zu vergären, begann clevere Italiener, den Lambrusco in riesigen, geschlossenen Drucktanks herzustellen, in denen das bei der Gärung entstehende Kohlendioxyd nicht entweichen konnte und mit auf die Flasche kam. Der industrielle Lambrusco war geboren.

Die Regale der Supermärkte geflutet

Dieser Lambrusco flutete zunehmend die unteren Regale der Supermärkte, auch in Deutschland. Die industrielle Herstellungsweise erlaubte nicht nur die Produktion immenser Mengen, sondern ermöglichte es auch, auf die unterschiedlichen Märkte einzugehen:

Einige Konsumenten mochten ihren Lambrusco lieber dunkler, andere süßer und manche sogar in Dosen. Doch spätestens, wenn etwas in Dosen über den Ladentisch geht, ist es vorbei mit Qualität und Authentizität.

13 verschiedene Lambrusco-Varietäten

Die Familie der unter dem Namen Lambrusco zusammengefassten Rebsorten ist groß, Für die heutigen Lambrusco-Weine sind gut 13 Varietäten von Relevanz.

Rot sind sie alle, manche kleinbeerig, manche hellfarbig, andere dickschalig, manche mit wenig, die anderen dafür mit umso mehr Gerbstoffen.

Die hochwertigsten Varietäten führen ihre Herkunft im Namen: Lambrusco di Sorbara, Lambrusco di Salamino, Lambrusco Grasparossa di Castelvetro. Darüber hinaus gibt es in der Region Modena noch den Lambrusco di Modena und in Reggio Emilia den Lambrusco Reggiano sowie den Lambrusco di Scandiano e Canossa.

Dazu der Lambrusco Mantovano, der in der Nachbarregion Lombardei wächst und zu Unrecht totgeschwiegen wird. Aus allen diesen Lambrusco-Varietäten wird Rotwein gewonnen, natürlich prickelnd fast alle, süß nurmehr wenige.

Unterschiedlicher, wie es unterschiedlicher nicht geht

Konzentrieren wir uns auf trockenen Lambrusco. Wenn man die drei Herkunfts-Lambrusco trinkt, merkt man schnell, dass man drei völlig unterschiedliche Weine im Glas hat.

Der hellfarbige Lambrusco di Sorbara entstammt dem gleichnamigen Ort im sandigen Flachland nördlich von Modena. Früher wurde er im Mischsatz ausgebaut. Inzwischen hat man erkannt, dass reinsortige Weine aus der Sorbara-Rebe dank ihrer hohen Säure und niedrigen Alkoholausbeute perfekte Eigenschaften für die Méthode Champenoise besitzen, also für die Flaschengärung.

Doch auch als PetNat macht sie bella figura und macht mit jedem Schluck den Gaumen wieder clean nach einer fetten Salami oder einer Mortadella, den beiden Wurst-Spezialitäten der Emilia.

Die Salamino aus Carpi, unweit von Sorbara, bringt fruchtbetonte, quietschig kirschige Weine hervor und wird gerne mit der Sorbara verschnitten. Die Grasparossa hingegen stammt aus Castelvetro, aus den Ausläufern des Apennin südlich von Modena. Dort gedeiht sie auf üppigen, schweren Böden und ergibt tiefdunkle Weine mit niedriger Säure und reichlich Gerbstoff.

Allein diese drei Varietäten ergeben völlig unterschiedliche Weine, die wahlweise im Drucktank, als PetNat oder als Flaschengärung hergestellt werden. Dazu kommen Cuvées, Lagenweine, unterschiedlich hoher Restsüße, neuerdings sogar Jahrgangs-Lambrusco mit Jahrgangsangabe, was insofern ungewöhnlich ist, als Lambrusco traditionell immer jung getrunken wird und ein Jahrgang daher überflüssig ist.

 

Ich habe Ihnen, liebe Weinkenner-Leser, hier 5 Lambrusco der neuen Generation ausgewählt, die in Deutschland erhältlich sind und die These vom anspruchsvollen aber unprätentiösen Wein eindrucksvoll belegen.

 

Fior di Lambrusco Rosé, Corte Manzini

Fior di Lambrusco Rosé, Corte Manzini

Dieser Rosé-Lambrusco von Corte Manzini aus 100% Grasparossa wurde im Drucktank produziert. Enrico Manzini kühlt seine Moste auf Null Grad und vergärt mit der eigenen Süße (ohne Zugabe von Süßmosten) charmante, fruchtbetonte und duftige Lambrusco mit aparter Restsüße von 10 Gramm. 8,90 Euro bei www.weinhalle.de

2017 Lambrusco di Sorbara „Rimosso“, Cantina della Volta

2017 Lambrusco di Sorbara „Rimosso“, Cantina della Volta

Die Renaissance des Lambrusco geht auf den „Rimosso“ der Cantina della Volta von Christian Bellei zurück: Der erste Lambrusco, der wie Champagner mittels zweiter Gärung auf der Flasche hergestellt wurde. Deshalb ist die Flasche auch mit Pilzkorken und Agraffe verschlossen. Er bekam als erster Lambrusco 3 Gläser im Gambero Rosso, dem massgeblichen italienischen Weinführer – Höchstnote. Ein krachtrockenes Schaumwein-Vergnügen. 14,90 Euro bei www.weinhalle.de

Lambrusco di Sorbara „Radice“, Alberto Paltrinieri

Lambrusco di Sorbara „Radice“, Alberto Paltrinieri

Dieser reinsortige Sorbara von Alberto Paltrinieri wurde nach der Methode ancestrale/PetNat in der Flasche zu Ende vergoren. Staubtrocken mit zarter Himbeer- und Rhabarber-Nase, feiner Phenolik und rasanter Säure. Er stammt aus der gleichnamigen Einzellag, die biologisch bewirtschaftet wird. Da der „Radice“ nicht degorgiert wird, ist er stets trüb – der Hefesatz wird traditionell aufgeschüttelt. Kronkork-Verschluss. 13,90 Euro bei www.viniculture.de

 

Lambrusco di Grasparossa, Cavaliera

Lambrusco di Grasparossa, Cavaliera

Dieser reinsortige Grasparossa ist dunkelrot mit pinkem Schaum und würziger Nase nach schwarzen Kirschen, Pfeffer und Tabak. Cavaliera arbeitet seit seiner Gründung 1992 biologisch. Dieser Bio-Lambrusco wurde nicht degorgiert, ist also ein PetNat. Er wurde ungeschwefelt abgefüllt und ist völlig durchgegoren: die Geheimwaffe für BBQs und Pizza. Die Flasche ist mit einem simplen Kronkork verschlossen. 10,90 Euro bei www.meinelese.de

 

Lambrusco di Sorbara „Rosé de Cristo“ Methodo Classico, Cavicchioli & Figlio

Lambrusco di Sorbara „Rosé de Cristo“ Methodo Classico, Cavicchioli & Figlio

Der Top-Spumante dieses renommierten Weinguts ist ein 100%iger Sorbara. Er wurde auf der Flasche zweitvergoren und die Flasche mit einem Champagnerkorken verschlossen. Autolysenoten, Himbeeren und Hagebutten in der Nase, am Gaumen staubtrocken mit kleinperligem Mousseux. 22,90 Euro bei www.superiore.de

 

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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