Reimitz ist jetzt 69. Das Haupthaar hat sich gelichtet, der Blick ist ernster geworden, die Falten im Gesicht sind etwas tiefer als früher. Sonst hat sich jedoch wenig geändert. Immer noch ist er picobello gekleidet, immer noch so eloquent wie damals, als die Toskana boomte und er vom Bodengestein bis zu den Besonderheiten der Sangiovese alles detailreich erklären konnte. Das Selbstbewusstsein hat ebenfalls nicht gelitten, auch wenn die Toskana heute nicht mehr ganz so boomt wie in den 1990er Jahren. Zumindest gilt das für die Weine, für die er jetzt verantwortlich ist: „Wer meine Weine probiert, der kauft sie meistens auch“, sagt er im Interview weiter unten.
Klassische Toskana-Karriere: Über Philosophie und Kunstgeschichte zum Wein
Zum besseren Verständnis vorher noch dies: Reimitz, Vorname Klaus Johann, stammt aus Düsseldorf, hat aber den längsten Teil seines Lebens in der Toskana verbracht. Auf einem Hügel zwischen Florenz und Siena. Der Name des Hügels: Montevertine. Er hatte in Köln Philosophie studiert, „um sich selbst zu therapieren“, wie er offen zugibt. Später war er nach Italien gegangen, ein Studium der Kunstgeschichte sollte sich anschließen. Der Professor machte ihn eines Tages mit seinem Bruder bekannt, einem gut aussehenden, großgewachsenen Grandsignore, der Reimitz fragte, ob er ihn nicht einmal auf Montevertine besuchen wolle. Er sei allein, brauche Unterstützung.
Montevertine – wo alles begann
Montevertine ist nicht nur ein Hügel, sondern auch ein Weingut. Ein berühmtes. Seine Weine sind in ganz Italien bekannt und erzielen hohe Preise. Der Spitzenwein, Le Pergole Torte, ist einer der besten Rotweine der Toskana. Kein Sterne-Restaurant in Nord- und Mittelitalien kann es sich leisten, ihn nicht auf der Karte zu haben. Dutzende Male wurde er bei Staatsempfängen in Rom serviert. Doch damals war Montevertine eines von hundertfünfzig Weingütern in der Toskana und so berühmt wie ein Verkehrsschild zwischen Florenz und Siena.
Kellermeister, Koch und Schwiegersohn
Reimitz blieb auf dem Hügel, 25 Jahre lang. Fast jeden Tag stand er im Keller, zog den Wein um, hantierte mit der Pipette, stellte die Assemblage zusammen, füllte ab, wenn es soweit war. Wenn Besucher kamen, führte er sie durch das Weingut und erläuterte ihnen die Philosophie von Montevertine. Später, als Montevertine berühmt war, kommentierte er die Weine auf Degustationen in Berlin und New York, in London und Zürich. Einmal hat er, als er die Weine im renommierten Hamburger Restaurants Louis C. Jacob an der Elbchaussee vorstellen sollte, sogar die anwesenden Journalisten bekocht. Darüber schmunzelt er noch heute: „Der Mensch aus der Altbier- und Blutwurstregion Düsseldorf serviert jetzt Spaghetti aus der Toskana…“
Doch dann kam der Generationswechsel…
Eine gute, eine schöne Zeit war das. Sergio Manetti, der Grandseigneur, behandelte ihn nicht wie einen Schwiegersohn (der Reimitz inzwischen auch geworden war), sondern wie einen Sohn. Doch irgendwann starb Manetti, 79-jährig. Das Weingut ging an Manettis Sohn über. Für Reimitz war kein Platz mehr. Er hatte seine Existenz verloren.
Er träumte vom eigenen Weingut, das er nicht besaß
Danach wurde es erstmal still um Reimitz. Er wohnte zwar weiter auf Montevertine, hatte aber mit dem Wein von Montevertine nichts mehr zu tun. Mal sah er sich wieder als Kunsthistoriker, gebeugt über irgendwelche Alten Meister, die er restaurierte. Dann wieder träumte er von einem eigenen Weingut, das nicht existierte. Manchmal wurde er von Investoren kontaktiert, die ihn, das Montevertine-Urgestein, als Berater für sich und ihre Weingüter engagieren wollten. Doch „das ist nicht mein Ding“, überlegte er sich.
Wer Reimitz kannte, wusste, was dieser unter einem Rotwein versteht
Sein Ding, das war ein eigener Wein: kräftig strukturiert, doch elegant, fein, langlebig. Ähnlich wie ein Burgunder, aber aus Sangiovese-Trauben. Im seinem Kopf existierte dieser Wein schon lange. Dass er dem Le Pergole Torte von Montevertine ähnelte, überrascht nicht. Allein es fehlten ihm die Trauben. Doch irgendwann fand er auch die. Seitdem existierte der Wein auch physisch, allerdings in geringer Menge. „Reimitz“ heißt er schlicht und ergreifend. Wer Montevertine kannte, und das waren mittlerweile viele, kannte auch seinen Namen. Und wer Reimitz kannte, wusste, was dieser unter einem Rotwein versteht.
2011 war der erste Jahrgang, den Reimitz füllte. Großes Jahr, perfekter Wein, schnell ausverkauft. 2012 war etwas kühler in der Toskana, aber warm genug, um die Sangiovese ausreifen zu lassen. So entstand ein nuancenreicher, transparenter Wein, der auch im jungen Stadium schon Frucht und Würze durchscheinen lässt. Der 2013er ähnelt wieder dem 2011er mit seinem kräftigen Tannin, der feinen Säureader, dem großem Spannungsbogen. 2014 dann der „Reimitz“, der einem Burgunder am nächsten kommt. Eigentlich ein kühler, verregneter Jahrgang, dessen Tannin etwas moderater, aber so gut verschmolzen ist, dass der Wein wie Samt über den Gaumen läuft. Jahrgangsbedingt eine andere Stilistik, für Filigrantrinker aber der beste „Reimitz“ bisher und derjenige, der Reimitz’ Idealbild eines großen Sangiovese-Weins am nächsten kommt.
Wo kamen die Trauben her?
weinkenner: Wie sind Sie zu Trauben gekommen?
Klaus Johann Reimitz: Ich habe einen Weingutsbesitzer, mit dem ich befreundet bin, gefragt, ob er mir ein paar Rebzeilen verpachtet. Das hat er getan.
weinkenner: Ein paar Rebzeilen?
Klaus Johann Reimitz: Einen Hektar, gelegen in einem der stillsten Winkel des Chianti Classico, nahe der Abtei von Passignano. Großes Terroir. Antinori ist nicht weit weg. Ich bearbeitete den Weinberg selbst. Ich entscheide, wann gelesen wird. Und ich lese selbst.
weinkenner: Wo vinifizieren Sie die Trauben?
Klaus Johann Reimitz: Giovanni Davaz, der Besitzer des Weinguts Poggio al Sole, hat mir nicht nur die Reben verpachtet, sondern auch einen Stahltank im Keller überlassen. Das Holzfass, in dem ich den Wein ausbaue, habe ich selbst angeschafft. Darin reift der Wein etwa zwei Jahre lang. Er wird nicht geschönt, nicht filtriert. Und ich allein entscheide, wie lange er auf der Hefe bleibt.
weinkenner: Was machen Sie anders als die anderen?
Klaus Johann Reimitz: Eigentlich nichts. Ich lese sehr spät, vergäre die Maische spontan, pumpe den Wein zweimal täglich um. Das ist alles. Das Geheimnis des Weins, wenn es eines gibt, sind die Trauben. Klein, dickschalig, gesund, vollreif. Der Vorteil ist, dass ich meine Rebzeilen in vier Stunden ernten kann, wenn es nötig ist. Also eine punktgenaue Lese.
weinkenner: Temperaturkontrolle?
Klaus Johann Reimitz: Brauche ich nicht. Als die Gärtemperatur mal kurzfristig auf 34°C stieg, habe ich Paul Fürst in Deutschland angerufen und gefragt, was ich tun soll. Er hat gesagt, der Wein halte das aus. So war es auch.
weinkenner: Wie vermarkten Sie Ihren Chianti classico?
Klaus Johann Reimitz: Es ist kein Chianti Classico. Es ist ein Wein mit geografischer Herkunftsbezeichnung. Also ein Landwein. Ich habe ihn einfach „Reimitz“ genannt. Von früher her habe ich noch zu vielen Händlern Kontakt, mit denen wir auf Montevertine zusammengearbeitet hatten. Sie verstehen meinen Wein und helfen mir, ihn zu verkaufen.
weinkenner: Der Wein kostet zwischen 85 und 95 Euro pro Flasche. Eine Ansage?
Klaus Johann Reimitz: Der Preis ist nicht niedrig, das stimmt. Aber für einen guten Burgunder zahlt man auch so viel. Oder mehr. Ob mein Wein so viel wert ist, weiß ich nicht. Kant und Hegel kann man auch nicht mit einander vergleichen. Letztlich ist ein Wein immer so viel wert, wie Menschen bereit sind, dafür zu zahlen. In der Schweiz, in England, in Belgien, in Österreich und natürlich auch in Deutschland gibt es mehr anspruchsvolle Weintrinker als man glauben möchte. Und wer meine Weine einmal probiert hat, kauft sie auch.
weinkenner: Wie viele Flaschen gibt es vom „Reimitz“?
Klaus Johann Reimitz: In das Fass, das ich gekauft habe, passen 1.500 Liter. Das entspricht etwa 2.000 Flaschen. Dazu kommen rund 800 Flaschen Weißwein, die ich seit 2016 produziere.
weinkenner: Weißwein in der Toskana?
Klaus Johann Reimitz: Der Weißwein ist ebenfalls ein reinsortiger Sangiovese, nur eben in weiß gekeltert. Er gärt in einem alten 600 Liter-Halbstückfaß, in dem vorher der Riesling des Weinguts Franz Keller am Kaiserstuhl gelegen hat. Unterschätzen Sie nicht das Potenzial, das Weißweine in der Toskana haben.
Die „Reimitz“-Weine sind erhältlich bei www.bacchus-vinothek.de