In Bordeaux sagen die Négioçiants: In kleinen Jahren bei den grossen Châteaux kaufen, in grossen Jahren bei den kleinen. Diese Erkenntnis gilt auch für andere Länder, Deutschland eingeschlossen. 2018 war an Rhein, Main, Neckar und Mosel ein grosses Jahr. Es gab keine Reifeprobleme, keine Mengenprobleme. Auch in Ortslagen konnten vielerorts Weine geerntet werden, wie man sie sonst nur in Ersten Lagen findet, und viele Erste Lagen sind in 2018 auf dem Niveau einer Grossen Lage. Leute, die gerne Riesling oder Silvaner, Grau- oder Weissburgunder trinken, befinden sich mithin in einer komfortablen Situation.
Nicht reflexhaft zu den berühmten Namen greifen
Man kann sogar noch weitergehen: Manch kleiner, wenig bekannter Winzer hat in diesem Jahr grosse Weine im Sortiment. Wer auf hohem Niveau trinken möchte, muss also nicht reflexhaft zu den Weinen berühmter Weingüter greifen, deren Topweine mittlerweile so gefragt sind, dass sie vorreserviert und zugeteilt werden müsen. Vom Preis ganz zu schweigen. Die besten unter den GG haben die 40 Euro-Marke geknackt. Der Angriff auf die 50 Euro-Grenze hat begonnen. Und auch der untere Teil der Qualitätspyramide ist in Bewegung. Die Orts-/Terroirweine haben – marketingmässig gesprochen – die 20 Euro-Marke ins Visier genommen. Es geht dem Weintrinker jetzt also ans Portemonnaie.
Oft den Weinen von VDP-Betrieben ebenbürtig
Die tröstliche Nachricht ist, dass die Weine der A-Promis unter den deutschen Winzern durchweg ihr Geld wert sind. Das heißt: Die anspruchsvollen Weintrinker bekommen einen entsprechenden Gegenwert für ihren Einsatz. Die bessere Nachricht aber ist, dass diese Weintrinker bei manch kleinem Winzer einen ähnlichen Gegenwert bekommen, nur zum halben Preis, ohne Reservierungsdruck, ohne Zuteilung. Das gilt für alle deutschen Weinanbaugebiete, nicht nur für die Südpfalz, wo ich mich regelmässig herumtreibe – aber eben auch für dort. Vor zwei Jahren hatten wir auf weinkenner.de bereits auf Weingüter wie Gies-Düppel und Siener in Birkweiler, Jülg in Schweigen und Klaus Meyer in Rhodt hingewiesen. Kürzlich habe ich einen erneuten Reality Check unternommen und vier weitere Südpfälzer Winzer unter die Lupe genommen. Auch bei kritischer Betrachtung muss ich sagen, dass ihre Weine im Mittelsegment und in der Spitze oft den entsprechenden Weinen von VDP-Betrieben ebenbürtig sind – nicht aller, aber vieler. Mal haben sie ihre Reben in denselben Grossen Lagen stehen wie diese, mal in Lagen, die eine Erste oder Grosse Lage darstellen würden, wenn sie klassifiziert würden.
Die noch bessere Nachricht: 2017, 2016, 2015 waren ebenfalls sehr gute bis grosse Jahrgänge. Sie sind bei diesen Winzern noch auf der Liste. Man kann also prüfen, wie sie sich entwickelt haben.
Zwei dieser Winzer stelle ich hier vor, zwei weitere nächste Woche.
Mathias Wolf in Birkweiler
Erster Stopp in Birkweiler bei Mathias Wolf. Der 30-Jährige hat in den letzten Jahren viel Schwung in den kleinen Familienbetrieb gebracht, der sich bis dahin mit 5-Euro-Weinen mühsam über Wasser hielt. Sichtbares Zeichen ist ein neuer Degustationstresen, an dem Besucher das Sortiment durchprobieren können. Und Besucher gibt es reichlich, seit sich herumgesprochen hat, dass die Wolfschen Kreszenzen auch hohen Ansprüchen genügen können: im Gault Millau zwei Trauben (nachdem das Weingut dort vorher gar nicht gelistet war), im Vinum-Weinführer sogar drei Sterne verbunden mit der Aussage: „Mathias Wolf hat einen der steilsten Aufstiege eines jungen Winzers in der Pfalz in den letzten Jahren hingelegt…“
Rebbesitz in einigen der besten Parzellen des Kastanienbusch
Wolf, der beim Südpfälzer Jungwinzer-Wettbewerb mehrfach Preise eingeheimst und so auf sich aufmerksam gemacht hatte, gibt zu, dass „etwas ins Rollen gekommen ist“. Seine Weine sind präziser und trockener als früher und werden nicht mehr nur in der Region, sondern auch in Berlin („ganz stark“) und in München („jetzt endlich auch“) getrunken. Zufall ist das nicht. Die Familie ist in einer der allerbesten Lagen der Südpfalz begütert, dem Kastanienbusch – Rebholz und Wehrheim lassen grüssen. Wolfs Weine, also Riesling und Weissburgunder, kommen überwiegend von dort. Ein erstes Hightlight ist der Riesling „Aus dem Rotliegenden“, der ein markantes, bodengeprägtes Profil aufweist und locker als Erste Lage durchgehen könnte, wenn der Betrieb dem VDP angehörte (€ 9,80). Noch einen Gang höher schaltet der Riesling „Roter Schiefer“ aus einer besonders steinigen Parzelle des Kastanienbusch mit über 40 Jahre alten Reben: stramme Säure einerseits, hohe Reife andererseits und ein entsprechend grosser Spannungsbogen. Dieser Wein ist eine Herausforderung – nicht für die Konsumenten, sondern für die berühmtere Konkurrenz (€ 13,80). Fast noch höher schätze ich Wolfs Weissen Burgunder aus der Buntsandstein-Terrassenlage „Am Köppel“ ein, die ebenfalls zum Kastanienbusch zählt. Im Gegensatz zum Riesling, der nur im Stahltank ausgebaut wird, reift dieser Wein teilweise in Tonneaux (€ 13,80). Alle Weine des Youngsters haben ein eigenes Profil und sind mit einer fast ingenieurhaften Präzision gemacht. Wollte man etwas kritisieren an ihnen, dann das: Sie sind sehr technisch. Es fehlt ihnen manchmal die freche Facette, der Regelbruch, die Grenzüberschreitung – also das, was einen guten Wein von einem spektakulären unterscheidet.
www.weingut-wolf-birkweiler.de
Georg Meier, Weyher
Das spektakuläre Moment findet man zehn Kilometer weiter nördlich bei Georg Meier in Weyher. Auch er hat als Jungwinzer schon viele Preise gewonnen. Seitdem hat der inzwischen 35-Jährige an den vielen Rädchen gedreht, die man als Winzer im Weinberg und als Kellermeister zur Verfügung hat. Resultat: vielschichtigere Weine, die mit den Eigenarten und Besonderheiten der Lagen spielen, die er bewirtschaftet. Die Lagen, das sind der Burrweilerer Altenforst, der Hainfelder Letten und der Weyherer Michelsberg – letzterer offiziell eine Grosse Lage nach der VDP-Klassifikation. Die anderen beiden wären es vermutlich auch, wenn es VDP-Betriebe gäbe, die dort begütert sind. Meier, der nie eine Hochschule besucht hat, ist bei Bernhard Koch, Siegrist und Christmann in die Lehre gegangen. Seine Universität ist der Weinberg gewesen. „Seit dem fünften Schuljahr hen i de Stee entfernt aus de Laach“, erklärt er im für Hochdeutsche völlig unverständlichen Pfälzerdeutsch („…habe ich die Steine aus der Lage entfernt“). Mittlerweile kann er sich mit 3 Trauben/Sternen im Gault Millau bzw. im Vinum-Weinguide schmücken.
An vielen Rädchen gedreht
Die hohe Wertschätzung ist berechtigt. Meier hat begonnen, seine Weinberge biologisch zu bewirtschaften und seine Weine spontan zu vergären. Die Rieslinge baut er nicht mehr nur im Stahltank, sondern in Doppelstückfässern aus, die er neu angeschafft hat – „wie Bürklin-Wolf“ fügt er vielsagend hinzu. Für einen kleinen Teil seines Weissburgunders benutzt er auch Barriques – aber mit Fingerspitzengefühl. Außerdem gibt er seine Weine vom Orts-/Terroirwein an aufwärts erst nach drei Jahren frei. Kleinigkeiten vielleicht, aber sie machen am Ende den Unterschied aus.
Wer Apfel und Pfirsich im Riesling sucht, sollte von Meiers Weinen Abstand nehmen
Am meisten beeindruckt haben mich beim Riesling die drei Terroirweine „Schiefer“, „Rotliegendes“, „Granit“. Die Namensgebung mag nicht sehr originell sein, erlaubt es dem Weintrinker aber, die Bodenunterschiede besser herauszuschmecken. Spannend ist dann, was sich in der Flasche befindet: schlanke, toughe Weine mit wenig Primärfrucht und viel Mineralität, hohen Säuregehalten bei gleichzeitig hohen Extraktwerten. Wer Apfel und Pfirsich im Riesling sucht, sollte von diesen drei Terroirweinen Abstand nehmen und auf Meiers Literweine gehen. Seine drei Terroirweine gehören zum besten, was ich in der Südpfalz gefunden habe, zumal zum Preis von 13 Euro. Welchen der drei Weine man präferiert, hängt vom eigenen Geschmack und vom Jahrgang ab. In 2017 war mir der „Granit“ am liebsten, in 2018 der „Rotliegende“.
Warum taucht der Name Georg Meier nicht in der gehobenen Gastronomie auf?
Aber die Terroirweine sind erst der Anfang. Meiers Top-Rieslinge kommt vom Weyher Michelsberg und vom Burrweiler Altenforst: beide kraftvoll, aber nicht ausladend, sehr kompakt, engmaschig und ebenfalls mit strammer Säure, im Unterschied zu den Terroirweinen jedoch mit höherer Reife und grösserer Länge (€ 17 bzw. 23). Falstaff hat den Altenforst mit 92 Punkten bewertet. Spasstrinker werden an diesem Wein jedoch wenig Spass haben. Er wird ihnen schroff und spröde vorkommen. Er ist für Weintrinker gedacht, die auf Trinkgenuss statt auf Trinkfluss Wert legen. Solche Weintrinker wachsen in der Pfalz nicht an den Bäumen. Sie leben meist ausserhalb der Weinanbaugebiete, etwa in urbanen Zonen. Angesichts der immer gleichen Erzeugernamen auf den Weinkarten der gehobenen Gastronomie ebendort frage ich mich allerdings, weshalb nicht irgendwo mal der Name Georg Meier auftaucht. Wozu sind Sommeliers da, wenn sie Weine, wie er sie macht, übersehen oder übergehen?
Auf Granit beissen: Meiers „Steinwerk“
Meiers spektakulärster Wein aber ist für mich der Riesling „Steinwerk“. Der Name nimmt nicht nur Bezug auf den Boden, auf dem die Reben wachsen (Weyher Michelsberg), sondern auch auf das Granitfass, in dem der Wein (in 2017 hälftig, in 2018 vollständig) vinifiziert und ausgebaut wurde: sehr reifes Lesegut, das fast eine Woche lang maischevergoren vergoren wurde und den Wein dadurch leicht phenolisch schmecken lässt (€ 18,90). Aussergewöhnlich, dieser Wein. „Best Wine of Show“ bei Mundus Vini dieses Jahr. Auf dem Etikett heisst er seit 2018 nur noch 2 G. Ausgeschrieben: Granit Granit.
www.wein-meier.de