Die Geschichte beginnt in good old Rioja. 1969 kommt Rafael als Jüngstes von neun Geschwistern zur Welt. Er wächst im Weingut seines Vaters José Palacios Remondo auf, interessiert sich anfangs jedoch kaum für Wein. Von 1987 bis 1990 ist er professioneller Motorradrennfahrer und gewinnt eine spanische Vizemeisterschaft. Dann, mit 21 Jahren, unternimmt Rafael mit seinem älteren Bruder Alvaro einen Trip ins Bordeaux. Alvaro startet gerade im katalanischen Priorat durch und wird wenige Jahre später mit Rotweinen wie L’Ermita und Finca Dofi weltbekannt.
Während dieser Reise fängt Rafael Feuer. Fortan widmet er sich dem Wein, studiert Önologie in Saint-Émilion, macht eine Ausbildung bei Château Pétrus und geht darauf nach Australien. 1994 kehrt er heim in die Rioja und bringt eigene Ideen mit. Etwa keltert er neu den Weißwein Placet: „Ich war der Jüngste in der Familie und fand mit diesem Weißwein meinen Platz und Freiraum im Weingut“, resümiert er.
Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2000 übernimmt Alvaro die Leitung des elterlichen Weinguts. Die beiden arbeiten vier Jahre eng zusammen, doch Rafael steht stets im Schatten des älteren Bruders, der bereits ein gefeierter Starwinzer ist. „Ich bekam das Gefühl nur in einem persönlichen Projekt voranzukommen und mich voll entfalten zu können“, erinnert er sich. 2004 verlässt er die Rioja und beginnt neu. Dem Weißwein bleibt er treu.
Valdeorras: Irgendwo im Nirgendwo
Für sein eigenes Weingut hätte sich Rafael Palacios wohl kaum eine entlegenere und unbekanntere Region als Valdeorras aussuchen können. Das galicische Anbaugebiet und dessen Weißweine aus der Godello-Traube sind damals nur Insidern geläufig. „Als ich erstmals nach Valdeorras kam, war es im Sommer viel heißer als ich erwartet hatte“, erzählt Rafael. „Mit Galizien verbindet man ja eigentlich Regen und Feuchtigkeit.“
Tatsächlich ist Galizien in weiten Teilen ein grünes Land. An der Atlantikküste beträgt der jährliche Niederschlag bis zu 1600 mm. Valdeorras befindet sich dagegen landeinwärts, an der Grenze zu Kastilien-León. Hier ist der atlantische Einfluss am geringsten. Um die 800 mm Regen im Jahr sind zwar nicht zu verachten, jedoch fallen die Sommermonate mit Hitzespitzen bis zu 40°C insgesamt heiß und trocken aus.
Da Rafael Palacios geradezu besessen von Frische ist, sucht er für sein Projekt die höchstmöglichen Lagen. „Unten im Flusstal auf 350 Metern sind die Weinberge zwar einfacher zu bewirtschaften. Aber es ist auch wärmer. Die Godello ergibt dort zu üppige und buttrige Weine“, weiß er zu berichten.
Vor 50 Jahren fast ausgestorben, heute 100 Parker-Punkte
Rafael zieht es stattdessen in die umliegenden Berge. In den kühlen Hochlagen können die Trauben beispielsweise Säure besser konservieren. Zum einen legt er in aufwändiger Arbeit neue Weinberg-Terrassen an. Zum anderen kauft er bestehende ältere Rebgärten. Alle liegen sie auf 620 bis 740 Metern Höhe, und alle sind sie mit Godello bestockt. Vor 50 Jahren war die weiße Sorte in Valdeorras nahezu ausgestorben. Im Rahmen des sogenannten REVIVAL Programms wurde die Traube in den 1970ern rekultiviert.
Eine der damals gepflanzten Lagen heißt O Soro. Der 20er-Jahrgang des gleichnamigen Parzellenweins erhielt jüngst 100 Parker-Punkte und zeigt exemplarisch, wofür Rafael Palacios steht: Erstens Cool Climate, im konkreten Fall eine Hochlage von 710 Metern in nördlicher Ausrichtung. Zweitens praktiziert der Winzer biodynamische Landwirtschaft. „Meine Weine werden stetig besser, weil die Böden immer besser werden“, sagt er dazu. Das dritte Terroir-Puzzlestück lautet 2G: Granitsandböden und Godello.
„Spanien ist nah dran an den besten Weißweinen der Welt”
Jene Godello ist durchaus eine Diva im Anbau. Sie treibt früh aus und ist deshalb frostgefährdet, insbesondere in Höhenlagen. Außerdem reagiert die Traube empfindlich auf Sonnenstrahlung. „Man muss wahnsinnig aufpassen, dass sie sich nicht verbrennt“, erklärt Rafael. Unbestritten ist dagegen das Potenzial der Rebe. Die Godello antwortet etwa gut auf Holzausbau, weshalb sie manchmal als der spanische Chardonnay bezeichnet wird. Rafael ist ein Meister im Umgang mit der Sorte. Was hält die Zukunft bereit? „Spanien ist nah dran an den besten Weißweinen der Welt und es geht jetzt darum, diesen letzten Schritt zu gehen“, gibt er zu verstehen. „Vor allem brauchen wir mehr Prestige, um auf die großen Tische zu gelangen.“
Als ich Rafael Palacios zuletzt Online traf, kam mir erneut seine Vergangenheit als Rennfahrer in den Sinn. Gibt es Dinge, die für Weinmacher und Racer gleichermaßen gelten? „Auf der Rennstrecke und beim Wein solltest du keine Fehler machen“, entgegnet er zwinkernd. „Und bei beidem muss man ein bisschen verrückt sein.“
Rafael Palacios – Ausgewählte Weine
Louro do Bolo 2020
Der Einstiegswein von Rafael Palacios, wobei sich das Wort Einstieg bei dieser Qualität eigentlich verbietet. Vollmundiger, frischer und aromatisch komplexer Ortswein. Trauben aus ca. 20 Lagen in der Gemeinde O Bolo. 95% Godello, 5% Treixadura. Spontangärung und 4-monatiger Ausbau auf der Feinhefe im 3500-l-Fuder. Um 17 Euro.
As Sortes 2019
Spitzenwein von burgundischer Dimension. Beeindruckende Mineralität, Tiefe und Balance. Aus sechs biodynamisch kultivierten Parzellen. Alles Nordlagen auf 680 Metern oder höher gelegen. Granitsandboden. 100% Godello, alte Reben. Spontangärung und 8-monatiger Ausbau auf der Feinhefe im 500-l-Tonneau. Um 45 Euro.
O Soro 2016
Einzigartig. Vielleicht der beste Weißwein Spaniens moderner Prägung. Subtil, vielschichtig und von großer Klarheit. Die Aufzählung positiver Attribute ließe sich spielend verlängern. 100% Godello. 0,5 Hektar Parzelle auf 710 m Höhe. Nordlage mit stetiger Windbrise. Granitsand und Quarzschiefer. Spontangärung und 7-monatiger Ausbau auf der Feinhefe im 500-l-Tonneau. Um 160 Euro.
Bezugsquellen, u.a.: www.vinopolis.de, www.gute-weine.de