Allerdings dürfte der Weinkonsum schon am Mittwoch wieder stark zurückgegangen sein. Da war die Prowein zu Ende. Die Prowein ist eine der drei großen Weinmessen der Welt. 55.000 Menschen haben drei Tage lang Wein probiert. Klar, dass in den drei Tagen nirgendwo auf der Welt mehr geschluckt wurde als dort.
Abends fast wieder nüchtern
Ich war einer der 55.000. Mein Weinkonsum dürfte bei anderthalb bis zwei Flaschen pro Tag gelegen haben. Und wenn ich die Messe abends nicht torkelnd, sondern mit aufrechtem Gang verlassen habe, so nur deshalb, weil das Weinprobieren sich gemächlich über den ganzen Tag hinzog, der Morgenalkohol also abends schon abgebaut war.
Vielleicht auch, weil ich mich zwischendurch immer wieder nüchtern gesabbelt habe. Jawohl, gesabbelt. Mal mit, mal ohne Mikrofon, mal in Zweiergesprächen, mal in Debatten mit einem Dutzend Leuten um mich herum. Außerdem wächst die Leber mit ihren… Sie kennen den Spruch, liebe Leser.
Allein eine Viertelstunde brauchte ich, um einen kalifornischen Winzer zu beruhigen, der nicht glauben wollte, dass es so viel Wein auf der Welt gibt, wie in Düsseldorf ausgestellt war. Gut, seine Winery in Kalifornien liegt ziemlich einsam. Aber das Internet hat ihm offenbar den Eindruck vermittelt, dass in Europa weinmäßig nicht viel los ist.
Viel geredet, wenig gesagt
Prowein-Besucher | © ProweinMindestens zehn Minuten habe ich mich mit einem Menschen unterhalten, der mich kannte, ich ihn aber nicht. Dasselbe nochmals mit einer Frau, die sich bei mir überschwänglich für die vielen genialen Artikel bedankte, die ich im letzten Jahr in der FAZ veröffentlicht habe. Unter uns: Ich habe noch nie für die FAZ geschrieben.
Andere haben mir frech ihr iPhone hingehalten mit der Bitte, ein paar Worte zur Lage des Weins im Allgemeinen zu sagen, speziell ihres Weins. Frechheit. Wieder andere haben mich in Gespräche verwickelt, die ich eher zu den überflüssigen dieser Welt zähle. Sei’s drum: Wenn man über all die mittelmäßigen, belanglosen, banalen Weine, die gleichwohl mit goldenen Etiketten beklebt und in noble Holzkisten verpackt daherkommen wie Lord Koks auf der Königsallee, etwas sagen soll, dann eiert man schon mal mächtig herum. Verbal meine ich. Am Ende der Messe war jedenfalls von meiner Seite aus viel geredet und wenig gesagt worden.
Jetzt auch Persecco
Roy Harel, Weinproduzent aus IsraelEin paar Dinge möchte ich deshalb hier nachholen. Erstens war ich selber schockiert, wie viel Wein es auf der Welt gibt. Dass auch Bolivien, Palästina, Armenien, Türkei Wein erzeugen, war mir ja bekannt. Aber dass sie ihn jetzt auf der Prowein anbieten, überraschte mich dann doch etwas. Übrigens auch Engländer und Kanadier.
Probiert habe ich auch einen grauenhaften Weincocktail namens Persecco. Wie mir überhaupt auffiel, dass immer mehr Weinmischgetränke angeboten werden: Riesling mit Cranberries versüßt und ähnlich schräge Sachen. Ich könnte auch Schweinereien sagen. Es scheint, als hätte die Getränkeindustrie die Nutella-Generation fest im Fadenkreuz. Rotkäppchen-Mumm kämpft da an vorderster Front. Fruchtsecco heißt das Ding, mit dem man Deutschland beglücken will. Jetzt auch Mangogeschmack.
Wodka, Gin und andere Schnäpse
Zweitens schwappt die Wodka-Welle in den Weinbereich über. Was bei den Szene-Schickimickis in Berlin schon lange angesagt ist, nämlich Wodka mit irgendwas (z.B. mit Ingwer, genannt Moscow Mule), das pfeifen sich nun auch immer mehr Jungs und Mädels im Westen rein. Drittens Gin. Viertens Ginger Beer. Fünftens klare Schnäpse. Letztere zwar meist mit naturidentischen, sprich: künstlichen Aromen aufgepeppt, aber besser als die vielen käsig-lieblichen Grappa aus Italien. Begeistert hat mich Hans Reisetbauers neuer Orangenschnaps von Apfelsinnen aus dem portugiesischen Alentejo.
Alle reden von Bio…
California Wines auf der Prowein | © ProweinKommen wir zum reinen Wein. Das häufigste Argument, das Winzer oder Weinhändler benutzten, um ihre Weine anzupreisen, lautete Bio. Kein Winzer scheint mehr zu spritzen, keiner mehr mineralischen Dünger auszubringen, alle arbeiten plötzlich nachhaltig.
Die Weinberge zwischen Sizilien und Saale-Unstrut werden in ein paar Wochen wahrscheinlich im schönsten Grün erstrahlen. Überall wird es kreuchen und fleuchen. Warum einer der obersten Naturschutzfunktionäre in Frankreich neulich gesagt hat, dass die Artenvielfalt in der Sahara größer sei als in den Weinbergen Frankreichs, ist mir ein schieres Rätsel. Der Mann muss bösartig sein.
…und von Online
Was dem Winzer sein Bio, ist dem Handel sein Online. An jeder Ecke hört man: Ohne Website, ohne SEO-Optimierung, ohne Onlineshop ist Wachstum nur schwer möglich. Dem wäre nicht zu widersprechen, wenn die Erkenntnis neu wäre. Nur ist der Weinmarkt inzwischen schon ziemlich Website-gesättigt. Die Kosten für die Akquirierung von Neukunden sind inzwischen so hoch, dass mancher Onlineshop pleite gegangen ist. Die Ersten eröffnen schon wieder Weinläden.
Apropos Preise: Bei den guten Weinen steigen sie, bei den banalen, austauschbaren sinken sie. Die Moldavier sind froh, wenn sie 1,50 Euro für eine Flasche bekommen. Manch Süditaliener und Spanier ist mit zwei Euro hochzufrieden. Bei deutschen Winzern, die wieder mal in großer Zahl nach Düsseldorf gekommen waren, erntet, wer solche Preise aufruft, nur Schulterzucken. Deutscher Wein ist in, nicht nur bei den Deutschen selbst, sondern auch bei Skandinaviern, Niederländern, Engländern, Asiaten, die erstaunlich zahlreich auf der Messe waren.
Zweite Garnitur deutscher Winzer marschiert
Die zweite Garnitur deutscher Winzer hat zu den VDP-Kollegen aufgeschlossen – eine nicht mehr neue Erkenntnis. Aber die Prowein hat sie bestätigt. Vieler Weine sind vom VDP-Niveau nicht weit entfernt, einige sind auf Augenhöhe – qualitativ. Mit den Preisen liegen sie noch deutlich unter VDP-Niveau. Und die dritte Garnitur steht schon in den Startlöchern: die 25- bis 35-Jährigen, die aus No-Name-Betrieben kommen, aber voller Feuer und Leidenschaft sind, und denen kein Einsatz zu groß ist, um voranzukommen. Das war nicht immer so.
Hohe Leistungsdichte in Österreich
Weinstand auf der Prowein | © ProweinBesonders groß ist die Leistungsdichte in Österreich. Leute, die mehr verkostet haben als ich, haben es mir immer wieder bestätigt. Und was ich selbst bei Tement, Lackner-Tinnacher, Bründlmayer, Hirsch, Jurtschitsch und Kollegen verkostet habe, war in der Spitze Weltklasse.
Übrigens fällt mir noch etwas zum Thema Schweinerei ein. An einem der Prowein-Abende war ich mit Olivero Toscani essen. Sie erinnern sich, lieber Leser: der Benetton-Fotograf mit den schockierenden Bildern. Er besitzt wie viele seiner Kollegen ein Weingut in der Toskana und produziert Weine, zum Beispiel aus Teroldego-Trauben. Ungewöhnlich, aber warum nicht? Berühmter ist er, wie ich erfuhr, jedoch für seine Salami von selbst gezogenen Schweinen. „Die leben bei mir wie im Neun-Sterne-Hotel“, rief er begeistert aus. Bei dem möchte ich gerne mal Schwein sein.