Prowein 2015: Wein, Schwein und viel (Über)-Flüssiges

Prowein 2015 in Düsseldorf | Foto:© R. Tillmann
Prowein 2015 in Düsseldorf | Foto:© R. Tillmann
Nirgendwo wurde in der letzten Woche mehr Wein getrunken als in Düsseldorf. Dort fand die Weinmesse Prowein statt, zu der sich die Großen und Kleinen der Weinwelt ein Stelldichein gaben. Jens Priewe war auch dabei.

Aller­dings dürf­te der Wein­kon­sum schon am Mitt­woch wie­der stark zurück­ge­gan­gen sein. Da war die Pro­wein zu Ende. Die Pro­wein ist eine der drei gro­ßen Wein­mes­sen der Welt. 55.000 Men­schen haben drei Tage lang Wein pro­biert. Klar, dass in den drei Tagen nir­gend­wo auf der Welt mehr geschluckt wur­de als dort.

Abends fast wieder nüchtern

Ich war einer der 55.000. Mein Wein­kon­sum dürf­te bei andert­halb bis zwei Fla­schen pro Tag gele­gen haben. Und wenn ich die Mes­se abends nicht tor­kelnd, son­dern mit auf­rech­tem Gang ver­las­sen habe, so nur des­halb, weil das Wein­pro­bie­ren sich gemäch­lich über den gan­zen Tag hin­zog, der Mor­gen­al­ko­hol also abends schon abge­baut war.

Viel­leicht auch, weil ich mich zwi­schen­durch immer wie­der nüch­tern gesab­belt habe. Jawohl, gesab­belt. Mal mit, mal ohne Mikro­fon, mal in Zwei­er­ge­sprä­chen, mal in Debat­ten mit einem Dut­zend Leu­ten um mich her­um. Außer­dem wächst die Leber mit ihren… Sie ken­nen den Spruch, lie­be Leser.

Allein eine Vier­tel­stun­de brauch­te ich, um einen kali­for­ni­schen Win­zer zu beru­hi­gen, der nicht glau­ben woll­te, dass es so viel Wein auf der Welt gibt, wie in Düs­sel­dorf aus­ge­stellt war. Gut, sei­ne Winery in Kali­for­ni­en liegt ziem­lich ein­sam. Aber das Inter­net hat ihm offen­bar den Ein­druck ver­mit­telt, dass in Euro­pa wein­mä­ßig nicht viel los ist.

Viel geredet, wenig gesagt

Prowein-Besucher | © Pro­w­ein­Min­des­tens zehn Minu­ten habe ich mich mit einem Men­schen unter­hal­ten, der mich kann­te, ich ihn aber nicht. Das­sel­be noch­mals mit einer Frau, die sich bei mir über­schwäng­lich für die vie­len genia­len Arti­kel bedank­te, die ich im letz­ten Jahr in der FAZ ver­öf­fent­licht habe. Unter uns: Ich habe noch nie für die FAZ geschrieben.

Ande­re haben mir frech ihr iPho­ne hin­ge­hal­ten mit der Bit­te, ein paar Wor­te zur Lage des Weins im All­ge­mei­nen zu sagen, spe­zi­ell ihres Weins. Frech­heit. Wie­der ande­re haben mich in Gesprä­che ver­wi­ckelt, die ich eher zu den über­flüs­si­gen die­ser Welt zäh­le. Sei’s drum: Wenn man über all die mit­tel­mä­ßi­gen, belang­lo­sen, bana­len Wei­ne, die gleich­wohl mit gol­de­nen Eti­ket­ten beklebt und in noble Holz­kis­ten ver­packt daher­kom­men wie Lord Koks auf der Königs­al­lee, etwas sagen soll, dann eiert man schon mal mäch­tig her­um. Ver­bal mei­ne ich. Am Ende der Mes­se war jeden­falls von mei­ner Sei­te aus viel gere­det und wenig gesagt worden.

Jetzt auch Persecco

Roy Harel, Wein­pro­du­zent aus Israe­lEin paar Din­ge möch­te ich des­halb hier nach­ho­len. Ers­tens war ich sel­ber scho­ckiert, wie viel Wein es auf der Welt gibt. Dass auch Boli­vi­en, Paläs­ti­na, Arme­ni­en, Tür­kei Wein erzeu­gen, war mir ja bekannt. Aber dass sie ihn jetzt auf der Pro­wein anbie­ten, über­rasch­te mich dann doch etwas. Übri­gens auch Eng­län­der und Kanadier.

Pro­biert habe ich auch einen grau­en­haf­ten Wein­cock­tail namens Per­sec­co. Wie mir über­haupt auf­fiel, dass immer mehr Wein­misch­ge­trän­ke ange­bo­ten wer­den: Ries­ling mit Cran­ber­ries ver­süßt und ähn­lich schrä­ge Sachen. Ich könn­te auch Schwei­ne­rei­en sagen. Es scheint, als hät­te die Geträn­ke­indus­trie die Nutella-Generation fest im Faden­kreuz. Rotkäppchen-Mumm kämpft da an vor­ders­ter Front. Frucht­sec­co heißt das Ding, mit dem man Deutsch­land beglü­cken will. Jetzt auch Mangogeschmack.

Wodka, Gin und andere Schnäpse

Zwei­tens schwappt die Wodka-Welle in den Wein­be­reich über. Was bei den Szene-Schickimickis in Ber­lin schon lan­ge ange­sagt ist, näm­lich Wod­ka mit irgend­was (z.B. mit Ing­wer, genannt Moscow Mule), das pfei­fen sich nun auch immer mehr Jungs und Mädels im Wes­ten rein. Drit­tens Gin. Vier­tens Gin­ger Beer. Fünf­tens kla­re Schnäp­se. Letz­te­re zwar meist mit natur­iden­ti­schen, sprich: künst­li­chen Aro­men auf­ge­peppt, aber bes­ser als die vie­len käsig-lieblichen Grap­pa aus Ita­li­en. Begeis­tert hat mich Hans Rei­set­bau­ers neu­er Oran­gen­schnaps von Apfel­sin­nen aus dem por­tu­gie­si­schen Alentejo.

Alle reden von Bio…

Cali­for­nia Wines auf der Pro­wein | © Pro­wein­Kom­men wir zum rei­nen Wein. Das häu­figs­te Argu­ment, das Win­zer oder Wein­händ­ler benutz­ten, um ihre Wei­ne anzu­prei­sen, lau­te­te Bio. Kein Win­zer scheint mehr zu sprit­zen, kei­ner mehr mine­ra­li­schen Dün­ger aus­zu­brin­gen, alle arbei­ten plötz­lich nachhaltig.

Die Wein­ber­ge zwi­schen Sizi­li­en und Saale-Unstrut wer­den in ein paar Wochen wahr­schein­lich im schöns­ten Grün erstrah­len. Über­all wird es kreu­chen und fleu­chen. War­um einer der obers­ten Natur­schutz­funk­tio­nä­re in Frank­reich neu­lich gesagt hat, dass die Arten­viel­falt in der Saha­ra grö­ßer sei als in den Wein­ber­gen Frank­reichs, ist mir ein schie­res Rät­sel. Der Mann muss bös­ar­tig sein.

…und von Online

Was dem Win­zer sein Bio, ist dem Han­del sein Online. An jeder Ecke hört man: Ohne Web­site, ohne SEO-Optimierung, ohne Online­shop ist Wachs­tum nur schwer mög­lich. Dem wäre nicht zu wider­spre­chen, wenn die Erkennt­nis neu wäre. Nur ist der Wein­markt inzwi­schen schon ziem­lich Website-gesättigt. Die Kos­ten für die Akqui­rie­rung von Neu­kun­den sind inzwi­schen so hoch, dass man­cher Online­shop plei­te gegan­gen ist. Die Ers­ten eröff­nen schon wie­der Weinläden.

Apro­pos Prei­se: Bei den guten Wei­nen stei­gen sie, bei den bana­len, aus­tausch­ba­ren sin­ken sie. Die Mol­da­vier sind froh, wenn sie 1,50 Euro für eine Fla­sche bekom­men. Manch Süd­ita­lie­ner und Spa­ni­er ist mit zwei Euro hoch­zu­frie­den. Bei deut­schen Win­zern, die wie­der mal in gro­ßer Zahl nach Düs­sel­dorf gekom­men waren, ern­tet, wer sol­che Prei­se auf­ruft, nur Schul­ter­zu­cken. Deut­scher Wein ist in, nicht nur bei den Deut­schen selbst, son­dern auch bei Skan­di­na­vi­ern, Nie­der­län­dern, Eng­län­dern, Asia­ten, die erstaun­lich zahl­reich auf der Mes­se waren.

Zweite Garnitur deutscher Winzer marschiert

Die zwei­te Gar­ni­tur deut­scher Win­zer hat zu den VDP-Kollegen auf­ge­schlos­sen – eine nicht mehr neue Erkennt­nis. Aber die Pro­wein hat sie bestä­tigt. Vie­ler Wei­ne sind vom VDP-Niveau nicht weit ent­fernt, eini­ge sind auf Augen­hö­he – qua­li­ta­tiv. Mit den Prei­sen lie­gen sie noch deut­lich unter VDP-Niveau. Und die drit­te Gar­ni­tur steht schon in den Start­lö­chern: die 25- bis 35-Jährigen, die aus No-Name-Betrieben kom­men, aber vol­ler Feu­er und Lei­den­schaft sind, und denen kein Ein­satz zu groß ist, um vor­an­zu­kom­men. Das war nicht immer so.

Hohe Leistungsdichte in Österreich

Wein­stand auf der Pro­wein | © Pro­wein­Be­son­ders groß ist die Leis­tungs­dich­te in Öster­reich. Leu­te, die mehr ver­kos­tet haben als ich, haben es mir immer wie­der bestä­tigt. Und was ich selbst bei Tement, Lackner-Tinnacher, Bründl­may­er, Hirsch, Jurtschitsch und Kol­le­gen ver­kos­tet habe, war in der Spit­ze Weltklasse.

Übri­gens fällt mir noch etwas zum The­ma Schwei­ne­rei ein. An einem der Prowein-Abende war ich mit Oli­vero Tos­ca­ni essen. Sie erin­nern sich, lie­ber Leser: der Benetton-Fotograf mit den scho­ckie­ren­den Bil­dern. Er besitzt wie vie­le sei­ner Kol­le­gen ein Wein­gut in der Tos­ka­na und pro­du­ziert Wei­ne, zum Bei­spiel aus Teroldego-Trauben. Unge­wöhn­lich, aber war­um nicht? Berühm­ter ist er, wie ich erfuhr, jedoch für sei­ne Sala­mi von selbst gezo­ge­nen Schwei­nen. „Die leben bei mir wie im Neun-Sterne-Hotel“, rief er begeis­tert aus. Bei dem möch­te ich ger­ne mal Schwein sein.

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