Im Vorjahr mietete Château d’Yquem zum ersten Mal die Oper von Bordeaux, um seinen neuen Jahrgang der Öffentlichkeit vorzustellen. 2011 wählt das Château nun zum zweiten Mal diese ungewöhnliche Form der Präsentation. Die Botschaft ist klar: Dieser ruhmreiche Wein verdient eine große Bühne.
Entsprechend durchdacht ist die Regie. Die Türen öffnen sich um 17 Uhr, und der Einlass dauert bis 21 Uhr. Für viele gestresste Bordeaux-Verkoster ist dies der letzte Termin des Tages, vor allem nach 19 Uhr füllt sich das Gebäude. Schon am Empfang geleiten einen Hostessen zur Garderobe, damit man sich – wie bei einer normalen Aufführung – seiner Straßenkleidung entledigen kann. Danach wird man um die Einladungskarte gebeten und bekommt Zugang zum Gebäude. Im ersten Stock des Opernhauses erwarten einen schließlich die livrierten Bediensteten des Château, allerdings nicht im großen Aufführungssaal. Ort des Spektakels ist vielmehr die Pausenlobby.
An mehreren Ausschank-Stationen bekommen die Eingeladenen nun die Fassprobe des neuen Jahrgangs zu verkosten. Servicekräfte eilen mit kleinen Schnittchen herbei, um den noblen Sauternes mit kleinen, pikant gewürzten Portionen Gänsestopfleber ins beste Licht zu rücken. Neben dem jüngsten Jahrgang steht auch ein zweiter, reiferer Wein zur Verfügung – letztes Jahr wurde neben dem 2009er der 1989er ausgeschenkt.
Zu dieser späten Stunde kommt die Gelegenheit recht, um nach dem disziplinierten Ausspucken der 50 bis 80 Rotweine, die man während des Tages probiert, nun endlich mal ein Glas zu trinken: ein Château d’Yquem wird nicht gespuckt. Derweil eilt Pierre Lurton, Direktor auf d’Yquem, von Gast zu Gast, schüttelt Hände und spricht verbindliche Worte.
Dass über dem Spektakel der Wein selbst ein wenig in den Hintergrund tritt, ist wahrscheinlich Teil der Regie. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Luxusgüterkonzern LVMH, in dessen Besitz sich Château d’Yquem befindet, mit der Preisentwicklung dieses Weins unzufrieden ist. Während die Tarife für roten Bordeaux in den letzten Jahren explodiert sind, treten die Preise für Sauternes auf der Stelle (Jahrgang 2006: gut 600 Euro pro Flasche). In dieser Situation möchte man mit noch mehr Glamour und ein wenig Theaterdonner die Märkte für sich gewinnen – nicht zuletzt die neuen Bordeaux-Märkte in Asien.
Ob diese Marketing-Strategie aufgeht, wird sich zeigen. Üblicherweise sieht auch die Kritik umso schärfer hin, je größer die Bühne ist. Mir selbst sind die Primeurproben bei Yquems bedeutendstem Rivalen Climens weitaus lieber. Bérénice Lurton, die delikater Weise zur selben Großfamilie gehört wie der Direktor von Château d’Yquem, hält es für unseriös, bereits im April nach der Lese eine Assemblage vorzustellen. Stattdessen lädt sie in den Keller, um alle Kelterungen einzeln vom Fass zu probieren – weniger gelungene Partien inklusive. Es gibt keine Häppchen und keine Glacéehandschuhe, dafür aber genaue Schilderungen darüber, wann die Trauben in welchem Zustand gelesen wurden, und in welchen Fässern der Wein welcher Kelterung lagert.
Zum Glück gibt es auch noch das authentische Bordeaux – und dieses kommt ganz ohne Schauspiel aus.