Poggio di Sotto: der Brunello, der mehr als nur gut sein will

2007 Brunello di Montalcino von Poggio di Sotto
Letzte Woche in der Toskana: Rund hundert Journalisten aus aller Welt treffen sich, um die neuen Jahrgänge des Brunello di Montalcino zu verkosten. Eine Hundsarbeit! Den ersten 100-Punkte-Wein hat ein Amerikaner inzwischen gekürt. Jens Priewe kennt einen besseren. Allerdings würde er ihm nur 99 Punkte geben.

Das Wein­gut heißt Pog­gio di Sot­to. Es liegt im hei­ßen Süd­wes­ten des Anbau­ge­biets an einem steil abfal­len­den Hang: ein chi­ces Rus­ti­ko mit dicken Natur­stein­mau­ern, oran­ge­ro­ten Dach­zie­geln, umge­ben von einem park­ar­tig ange­leg­ten Gelän­de, das abends effekt­voll illu­mi­niert wird. Dass aus dem Kel­ler die­ses Anwe­sens einer der bes­ten Bru­nel­lo di Mon­tal­ci­no kommt, ist die­sem stil­vol­len Domi­zil nicht anzu­se­hen. Mit sei­ner vor­neh­men, von Zypres­sen gesäum­ten und mit wei­ßem Kalk­sand­stein­schot­ter auf­ge­schüt­te­ten Auf­fahrt, in dem mein klei­ner Peu­geot 105 mehr­mals ste­cken­bleibt, wirkt es eher wie die Flucht­burg eines wohl­ha­ben­den Men­schen, der sich von den Stra­pa­zen des All­tags erho­len will.

Der Ein­druck täuscht. Auf Pog­gio di Sot­to wird hart gear­bei­tet. Wer Mon­tal­ci­no kennt, weiß, dass der Bru­nel­lo, der in den Kel­lern unter dem Anwe­sen in gro­ßen Holz­fäs­sern lagert, einer der teu­ers­ten des Anbau­ge­biets ist. Eine Fla­sche kos­tet rund 90 Euro. Pro­ble­me, ihn zu ver­kau­fen, hat Pog­gio di Sot­to nie gehabt. Das liegt dar­an, dass die­ser Wein nicht ein­fach nur gut ist. Er fällt auf.

Der Marcello Mastroianni unter den Brunellos

Wenn der Bru­nel­lo di Mon­tal­ci­no ein Schau­spie­ler wäre, so könn­te man die­sen als den Mar­cel­lo Mastroi­an­ni unter lau­ter James Bonds bezeich­nen: einer der letz­ten, viel­leicht der letz­te auf­rich­ti­ge Bru­nel­lo in einem Meer von Wei­nen, die mal ver­steckt, mal offen dem heu­te übli­chen guten Geschmack hul­di­gen. Nicht, dass an den geschnie­gel­ten James-Bond-Brunellos etwas zu kri­ti­sie­ren wäre, so sie gut sind. Aber der Bru­nel­lo von Pog­gio di Sot­to will mehr als ein­fach nur gut sein.

Schon sei­ne Far­be leuch­tet in hel­lem Gra­nat­rot. Viel fehlt nicht, um ihn für einen Rosé zu hal­ten. Ein solch hel­ler Wein erregt schon optisch Miss­trau­en unter Wein­trin­kern. Bei ande­ren Wei­nen mag die dunk­le Far­be ein Indiz für Klas­se sein, nicht aber bei Bur­gun­dern, Baro­los, Bru­nel­los. Und die­ser 2007er Bru­nel­lo hat Klas­se. In der Nase ein Korb von Brom­bee­ren und süßen Wald­erd­bee­ren, im Hin­ter­grund medi­zi­na­le Noten und ein fei­ner Teer­stich. Im Inne­ren flei­schig und voll mit schö­ner kir­schi­ger Süße und spür­ba­rem, aber stets fein­kör­ni­gen Tan­nin. Sich die­sem Wein zu ent­zie­hen, ist schwer, obwohl er noch jung und ein wenig bis­sig ist. Aber das macht ja auch den Charme eines Mar­cel­lo Mastroi­an­ni aus, dass er nicht nur lieb und smart ist, son­dern auch hin­ter­grün­dig und kan­tig sein kann.

2006 Riserva: grandioser Wein

Der 2007er ist bei­lei­be nicht der bes­te Bru­nel­lo di Mon­tal­ci­no, den Pog­gio di Sot­to erzeugt hat. Trotz­dem über­trifft er fast alles, was in die­sem Jahr­gang unter dem Namen Bru­nel­lo auf den Markt gekom­men ist. Pog­gio di Sot­tos 2004er Bru­nel­lo ist weni­ger opu­lent, dafür fei­ner. Der 2006er ist opu­lent und ele­gant zugleich. Die 2006er Riser­va dürf­te der bes­te bis­her erzeug­te Wein die­ses Gutes sein. Sie ist schlicht gran­di­os: reich auf der einen Sei­te, fein­glied­rig und facet­ten­reich auf der ande­ren, dabei straff und den­noch fast spie­le­risch am Gaumen.

Sicher, vie­le der 2006er Riser­ve sind ein­drucks­voll. Sie stel­len eine Stei­ge­rung der im letz­ten Jahr frei­ge­ge­be­nen Bru­nel­los die­ses Jahr­gangs dar. Der ame­ri­ka­ni­sche Wein­kri­ti­ker James Suck­ling, frü­her für den Wine Spec­ta­tor schrei­bend, jetzt mit eige­ner Web­site, hat der 2006 Riser­va Madon­na del Pia­no aus dem Wein­gut Val­di­ca­va mit 100 Punk­ten die Kro­ne auf­ge­setzt. Also ein per­fek­ter Brunello.

Suckling gibt 100 Punkte für Valdicava

Suck­ling liebt die Wei­ne die­ses Gutes schon seit vie­len Jah­ren und bewer­tet sie durch­gän­gig hoch. „Tol­le Frucht und ult­ra­rei­fes Tan­nin – ein atem­be­rau­ben­der Wein“ schwärmt er auch dies­mal wie­der. Stimmt. In punk­to Dich­te und Kon­zen­tra­ti­on, auch was die dunk­le Far­be angeht, ist die Valdicava-Riserva unschlag­bar. Sie ent­spricht dem, was Wein­lieb­ha­ber in aller Welt vor Augen steht, wenn sie von gro­ßen Wei­nen spre­chen, egal ob die­se aus Kali­for­ni­en, Spa­ni­en, St. Emi­li­on oder eben Ita­li­en kom­men: dunk­le Far­be, hoch­rei­fe, süße Frucht, wei­che ver­schmol­ze­ne Tan­ni­ne, Röst­no­ten mit Edel­holz­tö­nen. Der ein­zi­ge Nach­teil, den all die­se Wei­ne haben: Sie ähneln sich trotz unter­schied­li­cher Her­kunft und ande­rer Reb­sor­ten stilistisch.

Der Bru­nel­lo von Pog­gio di Sot­to hat eine ande­re Ziel­set­zung. „Ich will kei­nen gro­ßen Wein machen, son­dern den best­mög­li­chen Sangiovese-Wein von Mon­tal­ci­no“, betont Pie­ro Palmuc­ci, der bis Sep­tem­ber 2011 Besit­zer von Pog­gio di Sot­to war. Palmuc­ci woll­te kei­ne Röst­no­ten im Wein und kei­ne ver­schmol­ze­nen Tan­ni­ne. Er fand, dass ein Bru­nel­lo Säu­re braucht, um die Fri­sche zu bewah­ren. Er möch­te rei­fe, aber kei­ne hoch­rei­fen Trau­ben. Er mag kei­ne Scho­ko­la­den­tö­ne. Und er wuss­te, dass die Sor­te San­gio­ve­se, aus der ein Bru­nel­lo gekel­tert wird, raf­fi­nier­te salzig-mineralische Noten anneh­men kann, wenn man ent­spre­chen­de Böden hat und nicht zu spät liest.

Authentizität, Unverbogenheit, Urwüchsigkeit

So hat Palmuc­ci am Ende einen Wein geschaf­fen, der eine unver­wech­sel­ba­re Per­sön­lich­keit besitzt, aber gleich­zei­tig alle qua­li­ta­ti­ven Merk­ma­le eines gro­ßen Weins auf­weist. Wenn Authen­ti­zi­tät, Unver­bo­gen­heit und Urwüch­sig­keit mit ins Kal­kül gezo­gen wer­den, ist die 2006er Riser­va von Pog­gio di Sot­to der Riser­va von Val­di­ca­va über­le­gen. Ich wür­de ihr den­noch nur 99 Punk­te geben. War­um? Weil mit dem 2010er ein Wein im Kel­ler von Pog­gio di Sot­to ruht, der noch ein Pünkt­chen mehr wert sein könnte.

Palmuc­ci ist weder gelern­ter Öno­lo­ge noch Win­zer. Er war Ver­si­che­rungs­mak­ler. Den größ­ten Teil sei­nes Lebens hat er in Schwe­den ver­bracht. Als er den Job an den Nagel hing, war er 50 und kauf­te das Wein­gut. Das war vor 30 Jah­ren. Er hat­te Spaß dar­an, auf dem Land zu leben, die Jah­res­zei­ten haut­nah zu erle­ben, mit der Rau­pe die stei­len Wein­ber­ge hoch und run­ter zu pflügen.

Önologe Giulio Gambelli

Poggio di SottoAls Bera­ter hat er sich bewusst einen älte­ren Herrn aus­ge­sucht, der jene Zeit reprä­sen­tiert, da in der Tos­ka­na noch kein Mer­lot und kei­ne Bar­ri­ques exis­tier­ten, sich weder Deut­sche noch Ame­ri­ka­ner für die Wei­ne inter­es­sier­ten und die Win­zer auf Gedeih und Ver­derb der Sor­te San­gio­ve­se aus­ge­lie­fert waren: Giu­lio Gam­bel­li. „Bes­ter Inter­pret der San­gio­ve­se“ sagen sie in der Tos­ka­na über den Mann mit den schloh­wei­ßen Haa­ren, der mit 14 als Hilfs­ar­bei­ter im Kel­ler einer Genos­sen­schaft begon­nen hat­te, von Tancre­di Bion­di San­ti, dem Vater des heu­ti­gen Besit­zers des Brunello-Guts Il Grep­po, ent­deckt wor­den war und der sich sein gan­zes Arbeits­le­ben lang nur mit den Son­der­hei­ten der San­gio­ve­se beschäf­tigt hat.

Die Wei­ne von Mon­te­ver­ti­ne und der Bru­nel­lo von Case Bas­se tra­gen bei­spiels­wei­se sei­ne Hand­schrift. Er macht die Wei­ne „mit Nase und Zun­ge“, sagen sie in der Tos­ka­na über ihn ob sei­ner über­ra­gen­den Ver­kos­tungs­fä­hig­kei­ten. Als ich Pie­ro Palmuc­ci vor einem Jahr das letz­te Mal auf Pog­gio di Sot­to traf, sag­te er über die­sen Gam­bel­li: „Er riecht am Wein und weiß, ob der Wein­berg Hagel abbe­kom­men hat oder nicht.“

Neuer Besitzer

Palmuc­ci hat sein Wein­gut im Sep­tem­ber 2011 schwe­ren Her­zens ver­kauft. Er ist 81 und hat über 20 Jahr­gän­ge vini­fi­ziert. Der neue Besit­zer heißt Clau­dio Tipa, ein römi­scher Phar­ma­in­dus­tri­el­ler, der den Wein liebt und bereits zwei ande­re Wein­gü­ter in der Tos­ka­na besitzt: Col­le Mas­sa­ri und Grat­ta­m­ac­co. Er will den Palmucci-Stil bei­be­hal­ten. Doch Giu­lio Gam­bel­li kann ihm nicht mehr hel­fen. Anfang Janu­ar ist der Maes­tro 86jährig gestorben.

Pog­gio di Sot­to liegt in der Gemein­de Cas­tel­nuo­vo dell’Abate. Die Wein­ber­ge umfas­sen 13 Hekt­ar. Sie lie­gen an der Süd­west­flan­ke des Anbau­ge­biets von Mon­tal­ci­no. Die Trau­ben wer­den in gro­ßen Holz­stän­dern spon­tan ver­go­ren und in Holz­fäs­sern von 25 bis 35 Hek­to­li­ter Inhalt aus­ge­baut. Beson­der­hei­ten gibt es nicht, sieht man von der stren­gen Ertrags­be­gren­zung im Wein­berg und der skru­pu­lö­sen Selek­ti­on der Trau­ben wäh­rend der Lese ab. Übri­gens: Der Rosso di Mon­tal­ci­no von Pog­gio di Sot­to kos­tet halb soviel wie der Bru­nel­lo, was frei­lich immer noch sehr teu­er ist. Aber in die­sem Fall ist der Rosso nicht nur ein klei­ner, son­dern ein aus­ge­wach­se­ner Bru­nel­lo, der sich nur nicht so nen­nen darf, weil er ledig­lich andert­halb Jah­re statt der vor­ge­schrie­be­nen zwei Jah­re im Holz­fass gele­gen hat. Der 2010er, der jetzt frei­ge­ge­ben wur­de, gibt einen klei­nen Vor­ge­schmack auf den heiß erwar­te­ten Jahrgang.

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