Das Weingut heißt Poggio di Sotto. Es liegt im heißen Südwesten des Anbaugebiets an einem steil abfallenden Hang: ein chices Rustiko mit dicken Natursteinmauern, orangeroten Dachziegeln, umgeben von einem parkartig angelegten Gelände, das abends effektvoll illuminiert wird. Dass aus dem Keller dieses Anwesens einer der besten Brunello di Montalcino kommt, ist diesem stilvollen Domizil nicht anzusehen. Mit seiner vornehmen, von Zypressen gesäumten und mit weißem Kalksandsteinschotter aufgeschütteten Auffahrt, in dem mein kleiner Peugeot 105 mehrmals steckenbleibt, wirkt es eher wie die Fluchtburg eines wohlhabenden Menschen, der sich von den Strapazen des Alltags erholen will.
Der Eindruck täuscht. Auf Poggio di Sotto wird hart gearbeitet. Wer Montalcino kennt, weiß, dass der Brunello, der in den Kellern unter dem Anwesen in großen Holzfässern lagert, einer der teuersten des Anbaugebiets ist. Eine Flasche kostet rund 90 Euro. Probleme, ihn zu verkaufen, hat Poggio di Sotto nie gehabt. Das liegt daran, dass dieser Wein nicht einfach nur gut ist. Er fällt auf.
Der Marcello Mastroianni unter den Brunellos
Wenn der Brunello di Montalcino ein Schauspieler wäre, so könnte man diesen als den Marcello Mastroianni unter lauter James Bonds bezeichnen: einer der letzten, vielleicht der letzte aufrichtige Brunello in einem Meer von Weinen, die mal versteckt, mal offen dem heute üblichen guten Geschmack huldigen. Nicht, dass an den geschniegelten James-Bond-Brunellos etwas zu kritisieren wäre, so sie gut sind. Aber der Brunello von Poggio di Sotto will mehr als einfach nur gut sein.
Schon seine Farbe leuchtet in hellem Granatrot. Viel fehlt nicht, um ihn für einen Rosé zu halten. Ein solch heller Wein erregt schon optisch Misstrauen unter Weintrinkern. Bei anderen Weinen mag die dunkle Farbe ein Indiz für Klasse sein, nicht aber bei Burgundern, Barolos, Brunellos. Und dieser 2007er Brunello hat Klasse. In der Nase ein Korb von Brombeeren und süßen Walderdbeeren, im Hintergrund medizinale Noten und ein feiner Teerstich. Im Inneren fleischig und voll mit schöner kirschiger Süße und spürbarem, aber stets feinkörnigen Tannin. Sich diesem Wein zu entziehen, ist schwer, obwohl er noch jung und ein wenig bissig ist. Aber das macht ja auch den Charme eines Marcello Mastroianni aus, dass er nicht nur lieb und smart ist, sondern auch hintergründig und kantig sein kann.
2006 Riserva: grandioser Wein
Der 2007er ist beileibe nicht der beste Brunello di Montalcino, den Poggio di Sotto erzeugt hat. Trotzdem übertrifft er fast alles, was in diesem Jahrgang unter dem Namen Brunello auf den Markt gekommen ist. Poggio di Sottos 2004er Brunello ist weniger opulent, dafür feiner. Der 2006er ist opulent und elegant zugleich. Die 2006er Riserva dürfte der beste bisher erzeugte Wein dieses Gutes sein. Sie ist schlicht grandios: reich auf der einen Seite, feingliedrig und facettenreich auf der anderen, dabei straff und dennoch fast spielerisch am Gaumen.
Sicher, viele der 2006er Riserve sind eindrucksvoll. Sie stellen eine Steigerung der im letzten Jahr freigegebenen Brunellos dieses Jahrgangs dar. Der amerikanische Weinkritiker James Suckling, früher für den Wine Spectator schreibend, jetzt mit eigener Website, hat der 2006 Riserva Madonna del Piano aus dem Weingut Valdicava mit 100 Punkten die Krone aufgesetzt. Also ein perfekter Brunello.
Suckling gibt 100 Punkte für Valdicava
Suckling liebt die Weine dieses Gutes schon seit vielen Jahren und bewertet sie durchgängig hoch. „Tolle Frucht und ultrareifes Tannin – ein atemberaubender Wein“ schwärmt er auch diesmal wieder. Stimmt. In punkto Dichte und Konzentration, auch was die dunkle Farbe angeht, ist die Valdicava-Riserva unschlagbar. Sie entspricht dem, was Weinliebhaber in aller Welt vor Augen steht, wenn sie von großen Weinen sprechen, egal ob diese aus Kalifornien, Spanien, St. Emilion oder eben Italien kommen: dunkle Farbe, hochreife, süße Frucht, weiche verschmolzene Tannine, Röstnoten mit Edelholztönen. Der einzige Nachteil, den all diese Weine haben: Sie ähneln sich trotz unterschiedlicher Herkunft und anderer Rebsorten stilistisch.
Der Brunello von Poggio di Sotto hat eine andere Zielsetzung. „Ich will keinen großen Wein machen, sondern den bestmöglichen Sangiovese-Wein von Montalcino“, betont Piero Palmucci, der bis September 2011 Besitzer von Poggio di Sotto war. Palmucci wollte keine Röstnoten im Wein und keine verschmolzenen Tannine. Er fand, dass ein Brunello Säure braucht, um die Frische zu bewahren. Er möchte reife, aber keine hochreifen Trauben. Er mag keine Schokoladentöne. Und er wusste, dass die Sorte Sangiovese, aus der ein Brunello gekeltert wird, raffinierte salzig-mineralische Noten annehmen kann, wenn man entsprechende Böden hat und nicht zu spät liest.
Authentizität, Unverbogenheit, Urwüchsigkeit
So hat Palmucci am Ende einen Wein geschaffen, der eine unverwechselbare Persönlichkeit besitzt, aber gleichzeitig alle qualitativen Merkmale eines großen Weins aufweist. Wenn Authentizität, Unverbogenheit und Urwüchsigkeit mit ins Kalkül gezogen werden, ist die 2006er Riserva von Poggio di Sotto der Riserva von Valdicava überlegen. Ich würde ihr dennoch nur 99 Punkte geben. Warum? Weil mit dem 2010er ein Wein im Keller von Poggio di Sotto ruht, der noch ein Pünktchen mehr wert sein könnte.
Palmucci ist weder gelernter Önologe noch Winzer. Er war Versicherungsmakler. Den größten Teil seines Lebens hat er in Schweden verbracht. Als er den Job an den Nagel hing, war er 50 und kaufte das Weingut. Das war vor 30 Jahren. Er hatte Spaß daran, auf dem Land zu leben, die Jahreszeiten hautnah zu erleben, mit der Raupe die steilen Weinberge hoch und runter zu pflügen.
Önologe Giulio Gambelli
Als Berater hat er sich bewusst einen älteren Herrn ausgesucht, der jene Zeit repräsentiert, da in der Toskana noch kein Merlot und keine Barriques existierten, sich weder Deutsche noch Amerikaner für die Weine interessierten und die Winzer auf Gedeih und Verderb der Sorte Sangiovese ausgeliefert waren: Giulio Gambelli. „Bester Interpret der Sangiovese“ sagen sie in der Toskana über den Mann mit den schlohweißen Haaren, der mit 14 als Hilfsarbeiter im Keller einer Genossenschaft begonnen hatte, von Tancredi Biondi Santi, dem Vater des heutigen Besitzers des Brunello-Guts Il Greppo, entdeckt worden war und der sich sein ganzes Arbeitsleben lang nur mit den Sonderheiten der Sangiovese beschäftigt hat.
Die Weine von Montevertine und der Brunello von Case Basse tragen beispielsweise seine Handschrift. Er macht die Weine „mit Nase und Zunge“, sagen sie in der Toskana über ihn ob seiner überragenden Verkostungsfähigkeiten. Als ich Piero Palmucci vor einem Jahr das letzte Mal auf Poggio di Sotto traf, sagte er über diesen Gambelli: „Er riecht am Wein und weiß, ob der Weinberg Hagel abbekommen hat oder nicht.“
Neuer Besitzer
Palmucci hat sein Weingut im September 2011 schweren Herzens verkauft. Er ist 81 und hat über 20 Jahrgänge vinifiziert. Der neue Besitzer heißt Claudio Tipa, ein römischer Pharmaindustrieller, der den Wein liebt und bereits zwei andere Weingüter in der Toskana besitzt: Colle Massari und Grattamacco. Er will den Palmucci-Stil beibehalten. Doch Giulio Gambelli kann ihm nicht mehr helfen. Anfang Januar ist der Maestro 86jährig gestorben.
Poggio di Sotto liegt in der Gemeinde Castelnuovo dell’Abate. Die Weinberge umfassen 13 Hektar. Sie liegen an der Südwestflanke des Anbaugebiets von Montalcino. Die Trauben werden in großen Holzständern spontan vergoren und in Holzfässern von 25 bis 35 Hektoliter Inhalt ausgebaut. Besonderheiten gibt es nicht, sieht man von der strengen Ertragsbegrenzung im Weinberg und der skrupulösen Selektion der Trauben während der Lese ab. Übrigens: Der Rosso di Montalcino von Poggio di Sotto kostet halb soviel wie der Brunello, was freilich immer noch sehr teuer ist. Aber in diesem Fall ist der Rosso nicht nur ein kleiner, sondern ein ausgewachsener Brunello, der sich nur nicht so nennen darf, weil er lediglich anderthalb Jahre statt der vorgeschriebenen zwei Jahre im Holzfass gelegen hat. Der 2010er, der jetzt freigegeben wurde, gibt einen kleinen Vorgeschmack auf den heiß erwarteten Jahrgang.