Die Trüffelsaison beginnt und mit ihr die Hohe Zeit des Barolo und Barbaresco. Diesmal haben wir die Weine von Pio Cesare unter die Lupe genommen.
Gegründet 1881, ist Pio Cesare eine der alten Barolo-Kellereien, die es geschafft haben, den Anschluss an die Jetzt-Zeit herzustellen. Ihre Weine sind nicht trendy, aber sie haben sich auch nicht mühsam und unter Verbiegen aller hehren Grundsätze in die Gegenwart gerettet (wie so manch anderer altehrwürdiger Barolo-Erzeuger). Im Unterschied zu einigen Old School-Barolos, die von Krikitern teilweise exaltierte Bewertungen erhalten und entsprechend zu märchenhaften Preisen gehandelt werden, hat Pio Cesare sich ohne Hype in die Spitzengruppe der Barolo-/Barbaresco-Produzenten vorgearbeitet. Seine Weine sind geschliffen, ausbalanciert, präzise, nie überextrahiert, teilweise packend. Und sie besitzen auch nach jahrelanger Fassreife noch ein hohes Maß an Frische.
Ein „historisches Weingut“
Pio Cesare besitzt 80 Hektar Reben um die Stadt Alba. Produziert werden 20 Weine, vom schäumenden Moscato d’Asti über Barbera bis zum Premium-Chardonnay „Piodilei“. An der Spitze der Betriebshierarchie aber stehen Barbaresco und Barolo. Sie sind das Aushängeschild dieses Weinguts. Rund 60 000 Flaschen werden von beiden Weinen produziert. „Nebbiolo ist die wichtigste Sorte, die wir anbauen“, sagte Federica Boffa, die junge Inhaberin des Weinguts bei einer Stippvisite in München. Sie repräsentiert die fünfte Generation und nennt Pio Cesare ein „historisches Weingut“, das sich unterscheidet von den zahllosen Neugründungen in den letzten 30 Jahren. Nicht dass diese nicht erfolgreich wären und ebenfalls hervorragende Weine erzeugen. Aber das traditionelle Element ist bei historischen Weingütern naturgemäß stärker ausgeprägt. Bei Pio Cesare ist es sogar greifbar. Es liegt im Keller in Gestalt von Hunderten von Flaschen alter Jahrgänge.
Die Messlatte liegt heute deutlich höher als früher
„Barolo und Barbaresco sind körperreiche, komplexe Weine mit kräftiger Tanninstruktur, die sehr langlebig sind,“ beschreibt Federica das historische Erbe. Aber sie fügt hinzu, dass das nur die halbe Wahrheit sei: „Man muss heute nicht jahrelang auf die Trinkreife warten. Barolo und Barbaresco können, wenn sie gut sind, auch schon früh mit Genuss getrunken werden.“ Ihr Vater hatte frühzeitig erkannt, dass sich die Zeiten geändert haben und die Messlatte inzwischen höher liegt als früher. So sind Barolo und Barbaresco heute weltweit verbreitet (Pio Cesare ist beispielsweise in 50 Ländern der Welt präsent). Das heisst: Sie müssen sich gegen andere bedeutende Rotweine behaupten. Das war nur möglich, indem die Erträge deutlich heruntergefahren wurden. Dazu das Klima: Es ist wärmer und unvorhersehbarer geworden. Die Vinifizierung und der Ausbau der Weine vollziehen sich heute planvoller. Die Herausforderung für die Weingüter besteht darin, die Möglichkeiten der modernen Önologie zu nutzen, ohne den Charakter der Weine zu verändern.
Das Ziel: Das Tannin besser zu verschmelzen
Pio Cesare hat diese Herausforderungen angenommen. Die Nebbiolo-Trauben werden heute zwar einen Monat früher als vor 30 Jahren gelesen, aber mit höherer physiologischer Reife. Die Vinifizierung ist schonender, die Maischegärung kürzer. Für den Ausbau werden im ersten Jahr Barriques bzw. Tonneaux verwendet, im zweiten und dritten Jahr große Holzfässer. Das Ziel: das Tannin besser mit dem Wein zu verschmelzen. Hört sich einfach an, gelingt aber nicht jedem Weingut.
Erst vier Jahre „im Amt“: Federica Boffa
Die zweite Besonderheit ist der Keller. Pio Cesare ist das einzige Weingut der Gegend, dessen Keller sich im historischen Zentrum von Alba befindet: unterirdische Gewölbe mit alten Lehm- und Backsteinwänden, in denen der Wein bei gleichbleibender Temperatur reifen kann. Die dritte Besonderheit ist Federica selbst. Sie ist erst vier Jahre im Amt. 2021 starb Ihr Vater Pio Boffa unerwartet am Corona-Virus. Sie war da erst 23 und musste von einem Tag auf den anderen das Weingut übernehmen. Das Interesse an Wein war bei ihr schon da. Aber sie musste, um die Weine in der Öffentlichkeit repräsentieren zu können, all die Details, Besonderheiten, historischen Fakten erst lernen. Als der amerikanische Weinkritiker James Suckling während eines Interviews meinte, der neue Jahrgang ihres Barolo erinnere ihn an den 1998er, da musste sie passen. Sie hatte (und hat bis heute) die ganzen alten Jahrgänge im Keller noch gar nicht probiert. Auch ihr Cousin Cesare, mit dem zusammen sie das Weingut leitet, ist zu jung, um die flüssige Historie im Keller bereits durchgearbeitet zu haben.
Neben Lagenweinen werden auch Lagenverschnitte erzeugt
Die vierte Besonderheit: die verschiedenen Versionen von Barolo und Barbaresco, die produziert werden. Die Spitze der Qualitätspyramide bilden die Lagenweine. Vom Barolo gibt es zwei („Ornato“, „Mosconi“), vom Barbaresco einen („Il Bricco“). Sie werden nur in geringen Stückzahlen erzeugt. Unterhalb der Lagenweine gibt es den Barolo Pio und den Barbaresco Pio, die jeweils von mehreren Lagen stammen, beide in größeren Stückzahlen gefüllt werden und nur halb so viel kosten wie die Lagenweine. Sie werden nach traditioneller Art cuvetiert, also so, dass die Eigenschaften der einzelnen Lagen (besser: der verschiedenen Gemeinden, in denen sich die Lagen befinden) sich ergänzen und am Ende einen balancierten, für den Stil des Hauses typischen und für das Anbaugebiet repräsentativen Wein ergeben – ähnlich einem Markenchampagner.
Lagenweine sind der Goldstandard im Piemont
Dieser traditionelle Stil ist heute obsolet geworden, weil die Weingüter lieber den Charakter der einzelnen Lagen zeigen wollen. Aber auch, weil die kleinen Erzeuger selten Weinberge in mehreren der 11 Gemeinden des Barolo-Gebiets (und in den 4 Gemeinden des Barbaresco-Gebiets) besitzen. Sie sind vielleicht zwei oder drei Lagen begütert und vinfizieren deren Trauben separat, um so den Terroir-Charakter herauszuarbeiten. Solche Lagenweine gelten als der Goldstandard im Piemont. Nur wenige große Weingüter bieten noch Lagenverschnitte an, meistens große. Und von denen, die sie anbieten, produzieren nur wenige gute oder sehr gute Qualitäten (um ein paar Beispiele zu nennen: Bartolo Mascarello, Prunotto, Fontanafredda, Gaja).
Die Weine: manchmal packend, immer balanciert
Soviel vorweg. Federica Boffa brachte fünf Weine mit nach München, die derzeit im Handel sind. 2021 sei ein „klassischer“ Jahrgang, erklärte sie. Sie meinte damit die relativ kühlen Temperaturen in der Reifephase der Trauben. Tatsächlich gilt 2021 heute als ein großer Jahrgang im Piemont, weil die Weine ihre Frische bewahrt haben und mit kühler Frucht beeindrucken.
2021 Barolo Pio
Dieser Wein ist eine Cuvée von 9 Lagen aus fünf Gemeinden der Barolo-Zone. Auf ihn trifft am meisten zu, was oben gesagt wurde: Er ist rund und relativ weich, besitzt kühle Frucht und die unnachahmliche Nebbiolo-Würze mit ihren herb-süßen Aromen, die an Waldboden, Rosen und Süßlakritz erinnern, aber auch ein bisschen an den intensiven Duft weißer Trüffel. Sicher, er besitzt nicht die Dichte der Lagenweine und auch nicht deren Struktur (obgleich ein großer Teil der Trauben aus Serralunga und Monforte stammt), besitzt dafür aber die Blumigkeit und Eleganz, wie sie man sie von den Weinen aus La Morra und Novello kennt. Dadurch zeigt er sich jetzt schon sehr offen und antrinkbar und bietet das ganze Spektrum, dass die Nebbiolo bereit hält.
94/100
2021 Barbaresco Pio
Der Barbaresco könnte auf den ersten Schluck etwas unterkomplex wirken, wie ein Leichtwein. Doch der Eindruck täuscht. Er ist intensiv duftig, zartfruchtig und aromentief, trotz der hell-transparenten Farbe. Im Vergleich zum Barolo ist er etwas fruchtbetonter und schlanker. Die Trauben kommen aus vier verschiedenen Lagen in den Gemeinden Treiso und Alba. Letztere Lage hat weiches Tannin und delikate Frucht beigesteuert, erstere Struktur und und Kraft. Er sei kein „Standard-Barbaresco“, betont Federica, sondern ein präzis cuvetierter Wein, um eine gute Balance zu erreichen.
93/100
2021 Barolo Ornato
Die Lage Ornato in Serralunga wurde von Pio Cesare 1985 zum ersten Mal separat vinifiziert. Sie ist ein echter Cru, der schon vor hundert Jahren dafür bekannt war, große, langlebige Weine hervorzubringen. Sie besitzen Power, Struktur, Konzentration, Komplexität. Der 2021er Ornato ist geprägt von dunkler, süßer Beerenfrucht, hellem Tabak, einem Touch von Nelke und Vanille, dazu Teer und kandierter Granatapfel. Ein reicher, muskulöser Barolo, der teils in großen Holzfässern, teils in Barriques ausgebaut wurde und trotz seiner Fülle schon vorsichtig antrinkbar ist.
95/100
2021 Barolo Mosconi
Vor zehn Jahren hat Pio Cesare zehn Hektar in der Lage Mosconi in Monforte erworben. Aus den ältesten Reben in dieser steilen, kühlen Lage entsteht seitdem ein zweiter Lagen-Barolo, der trotz der geografischen Nähe zum Ornato-Weinberg ein ganz anderes Aromenprofil aufweist. Er ist nicht so reich, aber würziger und wilder mit einem Mix aus Beerenkompott und orientalischen Gewürzen. Weil er etwas weniger streng und insgesamt charmanter wirkt, ziehen ihn einige Verkoster dem Ornato vor. Letztlich ist es aber eine Frage der persönlichen Präferenzen, welcher Barolo besser gefällt.
95/100
2015 Barbaresco Il Bricco
Der Lagen-Barbaresco von Pio Cesare (aus dem Archiv des Weinguts stammend) kommt aus einem hoch gelegenen Weinberg bei Treiso, dem höchsten in der ganzen Barbaresco-Zone. Der Wein besitzt eine taffe Tanninstruktur, aber auch eine außerordentliche Frische – selbst nach zehn Jahren noch. Dabei war 2015 ein warmer Jahrgang, der teilweise untypisch weiche, säurearme Weine hervorgebracht hat. Der Il Bricco hingegen ist herzhaft fruchtig, weich mit einer rauchig-erdigen Grundnote, jetzt perfekt zum Trinken: ein packender Barbaresco.
94/100
Preise: Barolo Pio und Barbaresco Pio kosten zwischen 55 und 65 Euro, Lagenweine kosten zwischen 105 und 125 Euro (jüngster Jahrgang)
Die Weine von Pio Cesare sind u. a. erhältlich bei www.biancamora.de, www.bremerwein.de, www.weinfreunde.de, www.tesdorpf.de, www.gute-weine.de, www.superiore.de, www.vipino.de, www.weindiele.de, www.geisels-weingalerie.de, www.vineshop24.de, www.lamamma.de, www.casamolina.de, www.vinizia.de, www.schubiweine.ch, www.barolista.at
