Vor der Lese 2005 hatte Peter Jakob Kühn aus Oestrich-Winkel im Rheingau zwei Tonamphoren aus Spanien gekauft, um erstmals einen Teil seines Rieslings in ihnen zu vergären, und zwar wie ein Rotwein samt der Schalen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, einen Wein zu erzeugen, wie ihn die Menschen in der Antike im Kaukasus, später in Griechenland und Rom erzeugten, als es noch keine Holzfässer gab. Einen Wein, der nicht, wie heute üblich, unter weitgehendem Sauerstoffabschluss vergoren und ausgebaut, sondern praktisch sich selbst überlassen wird.
Die Maische gärte einige Monate spontan (d. h. ohne Reinzuchthefen) in den Amphoren, bevor der Wein abgepresst und der Wein wieder zurück in die Tongefäße gegeben wurde. Dort gärte er weiter, um auch den letzten Zuckerrest in Alkohol umzuwandeln. Diese Vinifikationsweise lehnt an das georgische Vorbild an. Bekanntlich begann irgendwo im Kaukasus, mutmaßlich in der Region Kachetien, vor rund 6000 Jahren die Geschichte der Weinerzeugung. Die ersten Winzer vergoren ihren Wein in ähnlichen Tongefäßen, wie der Rheingauer Winzer sie jetzt wieder verwendet. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Tongefäße üblicherweise in der Erde vergraben wurden. Kühn hat sie in Stahlwannen im Keller stehen, bis knapp über die Hälfte mit Erde bedeckt. Übrigens: In Georgien endete diese Art der Weinerzeugung im Tongefäß (dem so genannten “Qvevri”) erst mit Beginn der Sowjetherrschaft. Jetzt wird sie gerade wieder belebt.
Dem georgischen Vorbild entsprechend blieb der Kühnsche Riesling fast vier Jahre im Tongefäß: Solange dauerte es, bis der Wein zur Ruhe gekommen war“, wie Kühn erzählt. Allein zwei Nachgärungen gab es, dann fällte plötzlich der Gerbstoff aus. Er legte sich wie ein schillernder Teefilm über den Wein und musste abgeschöpft werden. Erst im Sommer 2009 legte Kühn den Wein aus beiden Tongefäßen für ein Vierteljahr in ein Holzfass, bevor er den ungewöhnlichen, kaum als Riesling erkennbaren Wein unfiltriert füllte. Gut 400 Flaschen erhielt er, sie sind fast alle an Privatkunden gegangen. Obwohl er nur als „Amphore“ ohne Rebsortenangabe etikettiert und unterklassig als „ Tafelwein Rhein“ auf den Markt gebracht wurde, waren die gut 400 Flaschen sofort verkauft.
Beim Probieren des fast rotgold schimmernden Weins verhehlt Kühn nicht die Skrupel, die ihn bei der Abfüllung überkamen: Kann man so einen schrägen Wein mit Oxidationsnoten ernsthaft anbieten? Aber dann stellte er fest, wieviel Spaß es macht, den Amphorenwein zu trinken. Und so zieht Kühn heute ein vorbehaltlos positives Resümee: “Mich begeistert einfach dieser Trinkfluss. Der Wein ist an sein Ziel gekommen.” Seine Kunden sahen es ähnlich. Sie zahlten 45 Euro für das Experiment.
Inzwischen sind die beiden Amhoren wieder mit Riesling des Jahrgangs 2009 gefüllt. Der Wein wird voraussichtlich 2012 freigegeben werden.
Peter Kühn gehört in Deutschland zu denjengen Winzern, die sich nicht von ihrem einmal eingeschlagenen Kurs abbringen lassen. Über die Jahre hat sich bei ihm ein unverwechselbarer Betriebsstil herausgebildet. Zum Einen ist Kühn ein konsequenter Anwender biologisch-dynamischer Verfahren im Weinberg. Selbst die zahlreichen Pflanzenpräparate, die in der Biodynamik als Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen, bereitet er in Eigenregie.
Und auch im Keller geht er seinen eigenen Weg, nicht nur beim Amphorenwein: Im Gegensatz zu den meisten deutschen Rieslingen durchlaufen Kühns Kelterungen in der Regel die malolaktische Gärung (auch biologischer Säureabbau genannt). Dadurch wirken seine Rieslinge voller als andere Weine. Bisweilen sind sie fast von burgunderhafter Struktur.
Überdies experimentiert Kühn mit Maischestandzeiten und sogar mit Maischegärungen – sehr erfolgreich, was die Qualität der Weine angeht. Resultat: aromenstärkere, aber natürlich auch gerbstoffhaltigere Weine. Die Anerkennung als Qualitätswein ist dadurch mitunter schwierig. Auch die Anerkennung als Erstes Gewächs birgt bei Kühn Konfliktpotenzial (Kühn ist Mitglied im VDP).
So wurde beispielsweise seinem 2009 Riesling “Drei Trauben” aus der Lage Doosberg die Anerkennung als Erstes Gewächs versagt, obwohl dieser extraktreiche und tief mineralische Wein zweifellos von höchster Qualität ist. Ähnlich wie beim Henkenberg Grauburgunder von Konrad Salwey (siehe 2008 Grauburgunder Henkenberg von Salwey – Großem Gewächs droht Tafelwein-Status) war die Prüfungskommission von der relativ kräftigen Farbe irritiert – und vom Gerbstoff, den dieser Wein aufweist. Er verspricht dem Wein zwar einen besonders spannenden Reifevelauf zu geben. Doch gerbstoffhaltige Weißweine entsprechen in Deutschland nicht dem Qualitätsideal.