Peter GagoPeter Gago ist das Gegenteil von Crocodile Dundee: ein smarter, ausnehmend höflicher Mensch, eher schmächtig als hünenhaft und immer glatt rasiert. Also ganz anders als sein strubbeliger Landsmann, der es als Reptilienfänger im australischen Busch zu weltweitem Leinwandruhm gebracht hat. Und noch etwas: Gago ist genau. Schrecklich genau. Er liebt die Präzision, hasst alles Unbestimmte. In der Sprache zum Beispiel. Seine Sätze sind ausgefeilt, seine Aussprache ähnelt der eines Sprachtrainers für Schauspieler (sieht man mal von dem fürchterlichen australischen Akzent ab). Nie Larifari.
Weinlegenden auf der Charity-Party
Aber auch bei der Arbeit überlässt er nichts dem Zufall. Vor ein paar Jahren war er bei einem reichen kalifornischen Unternehmer zu einer Charity-Party eingeladen gewesen. Den Gästen wurden Lafite, Pichon Comtesse, Yquem und andere Weinlegenden vorgesetzt, teilweise ältere Jahrgänge. Auch der BIN 95, der Spitzenwein der australischen Penfolds-Kellerei, besser bekannt als Grange. Gago ist der oberste Weinmacher bei Penfolds.
Penfolds WineryDa sich der berühmte amerikanische Weinkritiker Robert Parker damals ebenfalls zu der Party angesagt hatte, waren viele der französischen Château-Besitzer persönlich angereist. Doch keiner von ihnen sah sich veranlasst, die eigenen Weine zu probieren, bevor sie ausgeschenkt wurden. Gago war der Einzige, der jede seiner Flaschen auf Korken und andere Fehler überprüfte, bevor er sie den Kellnern überließ: „Ich musste sicher sein, dass meine Weine okay sind.“
Derlei Nachlässigkeit der Europäer habe ihn irritiert, bekennt er offen. Im fernen Australien, wo Wein noch keine so lange und glorreiche Geschichte hat wie in Bordeaux, werde sehr viel sorgfältiger mit wertvollen Flaschen umgegangen, zumal mit alten. Jeder „Unfall“ muss ausgeschlossen werden.
Teuerster australischer Wein
Etikett Penfolds GrangeDer Grange ist Australiens teuerster Wein und ebenfalls eine Weinlegende. Ein nahezu reinsortiger Shiraz (nur zwei Prozent Cabernet Sauvignon sind im 2008er enthalten), der aus verschiedenen Anbaugebieten Südaustraliens kommt und praktisch nie unter 400 Euro pro Flasche angeboten wird. Der 2008er Grange, den Gago mit nach München gebracht hatte, ist der jüngste auf dem Markt befindliche Jahrgang und, nach seiner Meinung, einer der besten Granges der letzten 20 Jahre. Eine Flasche des 2008er kostet über 600 Euro. Nachdem Lisa Perotti-Brown, die für Australien zuständige Mitarbeiterin Robert Parkers, ihm 100 Punkte gegeben hatte, war sein Preis noch einmal um 25 Prozent nach oben geschossen. „Wir glauben, dass 2008 noch ein Quäntchen besser ist als 1998, 1999 und 2004, bestätigt Gago. Die Lebensdauer gibt Gago mit „einem halben Jahrhundert“ an.
Begegnung im Hotel am Hauptbahnhof
Gago wartete auf mich in einem Hotel am Münchener Hauptbahnhof. Er ist auf Europatrip, kommt gerade aus Kopenhagen. Wir haben uns schon drei-, viermal getroffen und kennen uns. Ein langes Vorgeplänkel ist nicht nötig. Die Flasche, um die es ging, war bereits geöffnet, der 40 Millimeter lange Korken lag zur Prüfung auf dem Tisch: optisch makellos, geruchsmäßig einwandfrei.
Barossa ValleyMit ruhiger Hand schenkte Gago den Wein ein. Die Farbe: tiefdunkel wie Ochsenblut. Das Bouquet noch stark von den Primär- und Sekundäraromen geprägt: Pflaumen, Blaubeeren, Brombeeren, dazu Gewürze wie Nelken und Eukalyptus. Normal für einen Wein in jungem Stadium, auch wenn der 2008er schon fünf Jahre alt ist (wovon er drei in Barriques verbracht hat).
Aber einen Grange kauft man nicht, um ihn jung zu trinken. Dafür gibt es preiswertere Weine. Ein Grange sollte mindestens acht Jahre auf der Flasche nachreifen, einer vom Kaliber des 2008ers am besten noch länger. Dann kommen langsam die Tertiäraromen durch. Gago spricht von Schokolade, Praline, Leder – Nuancen, wie sie auch gereifte Bordeaux oder Kalifornier zeigen.
„Nur“ 14,5 Vol.% Alkohol
Nimmt man diesen Grange in den Mund, merkt man, dass er extrem dicht gewoben ist und trotzdem glatt, fast seidig, über den Gaumen läuft. Gago sagt: „Wer einen wuchtigen, alkoholreichen Shiraz mit viel Holz erwartet, wird vom Grange enttäuscht sein.“ Stimmt. Wobei das mit dem Alkohol nur aus australischer Sicht richtig ist: Der Grange hat „nur“ 14,5 Vol.%. Gago denkt wahrscheinlich: Er könnte auch 15 Vol.% haben, wie die meisten anderen, großen Shiraz. Die Besonderheit des Granges sei „the balance“, sagt Gago: die Balance zwischen Fülle und Feinheit. „Obwohl er irre komplex ist, kann man ihn leicht trinken.“
Der erfahrenste und angesehenste australische Weinkritiker, James Halliday, hat dem 2008er Grange 98 Punkte gegeben. Gago zuckt mit den Schultern und sagt: „Er war unartig.“ Aber einer wie Halliday, der fünfmal, sechsmal im Jahr, vielleicht auch häufiger, eine Flasche Grange aufmacht, der weiß, dass man Legenden nicht trinken kann. Wo Europäer und Amerikaner vor Ehrfurcht erstarren oder schon beim Anblick des Etiketts innerlich salutieren, schmeckt einer wie er nur das, was wirklich im Glas ist.
Der 600-Euro-Geschmack
Logo PenfoldsGago möchte wissen, wie ich den Wein finde. „Sehr gut“, antworte ich. Gago merkt natürlich, dass das nur die halbe Wahrheit ist. „Aber…?“
Der Wein ist zweifellos beeindruckend, auch jetzt schon. Er ist konzentriert. Herrlich fruchtig. Und er schmeckt. Aber das alles ist völlig unerheblich. Dieser Wein kann altern und soll in 20, 30 oder mehr Jahren gut schmecken. Das ist seine Bestimmung. Dann aber wird er ganz andere Aromen entwickelt haben. Folglich zeigt sich auch erst dann, ob der Geschmack die 600 Euro wert ist, die die Flasche heute kostet.
Ein Prognose über das Potenzial eines Weins zu stellen, ist immer schwierig. Aber man darf sich vom aktuell guten Geschmack nicht einlullen lassen. Man muss auf Details achten. Und tatsächlich ist da etwas, das mich an diesem Grange stört. Etwas, das mich hindert, von schierer Perfektion zu sprechen. Nicht die Fülle. Die ist äußerst diszipliniert. Nicht der Alkohol. Der ist gut eingebunden. Es ist etwas anderes: Im Bouquet spüre ich einen Hauch von flüchtiger Säure.
Das Problem mit der flüchtigen Säure
Flüchtige Säure ist nichts Schlimmes. Jeder Wein besitzt sie (meist Essigsäure). In der Regel liegt sie im nicht-wahrnehmbaren Bereich. Aber um sicher zu gehen, hat der Gesetzgeber eine Höchstgrenze für flüchtige Säure festgesetzt. Bei Rotweinen liegt sie bei 1,2 Gramm pro Liter. Beim 2008er Grange dürfte sie deutlich darunter liegen. Gago, der Genauigkeitsfanatiker, braucht also nicht in seinen Unterlagen zu kramen, um die Analysewerte zu finden. Ich meine ja nicht, dass der Wein fehlerhaft sei. Aber bei besonders vollen, alkoholreichen Weinen kann man die flüchtige Säure manchmal auch dann wahrnehmen, wenn sie deutlich unter dem Höchstwert liegt. Sie macht sich als feiner Nagellack-Ton bemerkbar.
Etikett BIN 28Viele Weintrinker stören sich nicht an diesem Ton. Manche finden sogar, dass er zu einem großen Wein dazugehört. Aber einige mögen ihn nicht. Zu denen gehöre ich. Manchmal verschwindet der Nagellack-Ton mit den Jahren. Doch manchmal verstärkt er sich. So balanced wie dieser Grange auf der Zunge ist, unterstelle ich, dass er verschwindet. Aber genau weiß ich es natürlich nicht.
Peter Gago hat Humor
„Wieviel Punkte würdest du also dem Wein geben?“, drängt Gago mich festzulegen. „Bestimmt nicht nur 98…“ „Nein“, sage ich. „98+.“ Jetzt grinst Gago. Europäer sind komische Menschen, denkt er wahrscheinlich. Oder sind nur die Deutschen so komisch? Besonders jener Deutsche, der ihm gerade gegenüber sitzt.
Täglich Grange trinken – das sage ich dann auch noch – möchte ich nicht, selbst wenn es dazu immer ein zartes Wagyo Beef gäbe (die offizielle Speiseempfehlung zum Grange). Aber dieser Fall ist sowieso rein hypothetisch. Mir fehlt die nötige Liquidität für beides. „Mir übrigens auch“, wirft Gago ein. Humor hat er.
Drei Rotweine für arme Leute
Bleibt die Frage: Welchen Rotwein sollen so arme Menschen wie er und ich dann im Alltag trinken? Gago schlägt drei Weine vor. Dass sie alle von Penfolds kommen, überrascht mich nicht wirklich.
Da käme zum Beispiel der BIN 28 Kalimna Shiraz in Frage: ein verschwenderisch voller, aber ebenfalls perfekt balancierter Wein, nicht ganz so konzentriert und seidig wie der Grange, dafür frischer und ohne jeden Anflug von flüchtiger Säure. Mit rund 27 Euro ist er nicht gänzlich out of reach für Leute wie uns beide. Für Weihnachten könnte man sich so einen Tropfen durchaus im Glas vorstellen, vorausgesetzt es sitzen nicht zu viele Leute am Tisch, die Wein trinken, weil es sich zu Weihnachten so gehört.
Oder den BIN 2 Shiraz Mourvedre für etwa 20 Euro, ein Multi-District Blend, bei dem die Trauben aus mehreren Anbaugebieten Australiens kommen: explosiv fruchtig mit Pflaumen- und Mulberry-Noten (Mulberry ist die australische Wild-Brombeere), in kleinen Fässern aus amerikanischer Eiche ausgebaut und vom Genusswert her mindestens auf dem Niveau preisgleicher spanischer, italienischer und französischer Weine.
Oder, letzte Option, diesen herrlich fruchtigen dritten Wein, den Gago neben dem Grange noch im Gepäck hat. Der Name ist mir im Moment entfallen. Aber ich werde ihn noch vor Weihnachten bei weinkenner.de in der Rubrik „Unter zehn Euro“ vorstellen.
Zum Schluss noch schnell ein Foto mit dem iPhone – und dann ist Gago schon wieder weg. Am Abend muss er in London sein.