Alle zehn Jahre wird die Klassifikation der Weine von St. Emilion überprüft und gegebenenfalls verändert. Die letzte Klassifikation war 2006. Doch die Kriterien der Klassifizierung und die Zusammensetzung der Prüfungskommission waren umstritten. Eine Gruppe von Châteaux klagte vor einem ordentlichen Gericht – und erhielt 2008 Recht. Die 2006er-Klassifikation wurde für ungültig erklärt und eine neue, „objektivere“ angemahnt.
Nun ist sie da, die neue Klassifikation. Und sie fällt ganz anders aus als die vor vier Jahren suspendierte. Erst einmal ist sie um 21 Châteaux angeschwollen, sodass sich ab der diesjährigen Ernte 82 Châteaux Premier Grand Cru Classé oder Grand Cru Classé nennen dürfen. Strahlende Gesichter allenthalben. Stephan Graf Neipperg drängte es bereits Stunden vor der offiziellen Verkündigung per Pressemitteilung zu verkünden, dass er mit Canon-La-Gaffelière und La Mondotte in den Rang eines Premier Grand Cru Classé „B“ aufgestiegen sei.
„Es ist phantastisch, ganz oben zu stehen“
Am meisten aber strahlten Gérard Perse, Besitzer von Château Pavie, und Hubert de Boüard, Mitbesitzer von Château Angélus. Sie dürfen ab dem Jahrgang 2012 die Bezeichnung Premier Grand Classé „A“ auf das Etikett ihrer Weine schreiben. Damit sind sie von der Klassifikation her auf Augenhöhe mit Cheval Blanc und Ausone. „Auf die höchste Stufe des Podiums gehoben zu werden, ist phantastisch“, drückte Gérard Perse seine Freude gegenüber der französischen Tageszeitung Libération aus.
Stéphanie de Boüard, Tochter von Hubert und Direktorin von Angélus, kommentierte die Aufwertung ihres Château wesentlich kühler: „Man freut sich, aber schlussendlich ist nur das passiert, was der Markt schon vorweggenommen hatte, indem er uns ganz dicht an die zwei historischen Premiers Grands Crus Classés A platziert hatte…“
Nicht alle Châteaux sind glücklich
Diese scheinen nicht erbaut über die neue Klassifikation zu sein. Cheval Blanc hätte die Unterscheidung zwischen „A“ und „B“ gerne abgeschafft und nur die Marktpreise sprechen lassen, die die Weine am Handelsplatz Bordeaux erzielen. Dort kostet Cheval Blanc derzeit viermal soviel wie Angélus (400 Euro im en primeur-Handel gegen 95 Euro für den Jahrgang 2011).
Ausone ist nicht glücklich, weil bei der alphabetischen Listung der Premiers Grands Crus Classés „A“ nun Angélus vor ihm steht.
Regelrecht verbittert sind die Eigner des altehrwürdigen Château Figeac, des ewigen Rivalen von Cheval Blanc. Nachdem in den 80er-Jahren bereits ein Versuch, in den Rang „A“ zu kommen, gescheitert war, ist der Verbleib in der Kategorie „B“ nun ein Tiefschlag für die Eigentümerfamilie.
Verbitterter Verlierer: Château Figeac
Schlimmer noch: Figeac wurde überholt von zwei Châteaux, die einen eher schillernden Ruf in St. Emilion genießen, weil sie für ultrakonzentrierte, hochreife und alkoholreiche Weine stehen, wie sie von den amerikanischen Weinkritikern geliebt und von dem Önologen Michel Rolland produziert werden.
Figeac dagegen steht für alten Adel: ein eleganter, geschliffener Wein mit moderatem Alkoholgehalt, ungemein langlebig, dabei von außerordentlicher Verfeinerungsfähigkeit und nie im Verdacht, seine Typizität dem Kommerz oder dem Bewertungshype der Medien zu opfern.
Auch persönliche Dinge mögen eine Rolle spielen. Der Supermarktmillionär Gérard Perse ist ein bordeauxfremder Späteinsteiger, der das verschlafene Château Pavie 1998 für über 30 Millionen Dollar gekauft und mit Hilfe von Michel Rolland und guten Kontakten zu wichtigen Weinkritikern zum Darling des Bordelaiser Weinhandels gemacht hatte. Robert Parker, der amerikanische Weinkritiker, ist beispielsweise der Patenonkel eines seiner Kinder.
Hubert de Boüard – nicht überall wohlgelitten
Hubert de Boüard ist zwar ein studierter Önologe und stammt aus St. Emilion – aber auch er ist umstritten. Ein politischer Stratege und Multifunktionär, Präsident des Conseil des Vins de Saint Emilion und regionaler Vertreter der INAO – jener Organisation, die für die Neuklassifikation federführend ist. Die Verantwortung für Angélus hatte er erst 1985 übernommen – und es im Gegensatz zu Figeac in nun weniger als drei Jahrzehnten geschafft, das Château ganz nach oben zu bringen. „Er hat sich selbst seinen Traum erfüllt“, zitiert die renommierte französische Weinfachzeitschrift Revue du Vin de France einen ungenannten Châteaubesitzer.
Schon 2006 war Hubert de Boüard ins Zwielicht geraten, weil er die Prüfungskommission, die über die Neuklassifikation entscheiden sollte, mit lokalen Personen besetzt hatte, die eigene Interessen vertreten, etwa einen Bordelaiser Courtier und einen Notar, die beide für mehrere Châteaux in St. Emilion arbeiteten. Diese Fehlbesetzung war einer der Gründe, weshalb das Gericht die Neuklassifikation später annullierte.
Kritische Stimmen
So kommt derzeit viel Dampf aus der Gerüchteküche des 2000-Einwohner-Dorfes St. Emilion, und nicht alles, was da entweicht, hat einen guten Geruch. Auch der Aufstieg von Valandraut in den Rang „B“ passt nicht allen, die sich berufen fühlen, über die Qualität der St. Emilions zu urteilen. Der Aufstieg des Neipperg-Château Canon-La-Gaffelière ist dagegen unumstritten. Gegen La Mondotte sind Stimmen zu hören, die einer Klassifizierung sogenannter Garagenweine generell kritisch gegenüber stehen (inzwischen besitzt La Mondotte 4,5 Hektar Weinberge und ist von einer Garagen-Winery weit entfernt).
Die neue Klassifikation von 2012*
Premier Grand Cru Classé A
Château AUSONE
Château CHEVAL BLANC
Château PAVIE
Château ANGÉLUS
Premier Grand Cru Classé B
Château VALANDRAUD
Château TROPLONG-MONDOT
Château CANON
Château PAVIE-MACQUIN
Château LA GAFFELIÈRE
Château BEAU-SÉJOUR BÉCOT
Clos FOURTET
Château CANON-LA-GAFFELIÈRE
Château LARCIS-DUCASSE
Château LA MONDOTTE
Château BEAUSÉJOUR (DUFFAU-LAGARROSSE)
Château FIGEAC
Grand cru classé
Château LA DOMINIQUE
Château JEAN FAURE
Château FLEUR-CARDINALE
Château MONBOUSQUET
Château PAVIE-DECESSE
Château LES GRANDES MURAILLES
Clos SAINT-MARTIN
Château BERLIQUET
Château CÔTE DE BALEAU
Château ROCHEBELLE
Château QUINAULT L’ENCLOS
Château LANIOTE
Château LA CLOTTE
Château CORBIN
Château GRAND-MAYNE
Château LE PRIEURÉ
Château DE FERRAND
Château de PRESSAC
Château FAUGÈRES
Château PEBY-FAUGÈRES
Château CADET-PIOLA
Château HAUT-SARPE
Château LARMANDE
Château SOUTARD
Château DESTIEUX
Château FOMBRAUGE
Château LAROQUE
Château BALESTARD-LA-TONNELLE
Château CAP DE MOURLIN
Château BELLEFONT-BELCIER
Château FAURIE DE SOUCHARD
Château GRAND-PONTET
Clos de L’ORATOIRE
Château CHAUVIN
Château DASSAULT
Château FONPLÉGADE
Château CLOS DES JACOBINS
Château PETIT-FAURIE-DE-SOUTARD
Château GRAND CORBIN-DESPAGNE
Château FONROQUE
Château MOULIN DU CADET
Château VILLEMAURINE
Château LA TOUR-FIGEAC
Château FRANC-MAYNE
Château GRAND CORBIN
Château HAUT SARPE
Château L’ARROSEE
Château LA COUSPAUDE
Château La SERRE
Château LAROZE
Château RIPEAU
Château SAINT-GEORGES-CÔTE-PAVIE
Château COUVENT DES JACOBINS
Château BARDE-HAUT
Château BELLEVUE
Château CADET-BON
Château LE CHÂTELET
Château LA COMMANDERIE
Château FAURIE DE SOUCHARD
Clos LA MADELEINE
Château GUADET
Château LA MARZELLE
Château ROCHEBELLE
Château YON-FIGEAC
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