Dienstag, Januar 14, 2025
-5.5 C
München
spot_img

Paterico von Mazzella: ein Taurasi der etwas anderen Art

Kompromisslos und radikal: Ein mutiger Quereinsteiger hat einen Wein geschaffen, der weit über Süditalien, ja über ganz Italien hinaus strahlt.

Gian Luca Mazzella, so heißt der Winzer, hat sich die Messlatte selbst hoch gelegt. Er hat in einem bekannten, aber nicht unbedingt berühmten Anbaugebiet einen Wein geschaffen, der so hell strahlt, dass man ihn nicht nur in Italien, sondern inzwischen auch über Italien hin aus wahrnimmt. Sein Paterico, eine Taurasi Riserva, ist reinsortig aus der Aglianico-Traube gekeltert – wie alle Weine des Anbaugebiets. Aber es gibt keinen anderen Taurasi, der ihm auch nur annähernd gleich kommt. Trotz des gewaltigen Tannins, das er mitbringt, ist er weich und konzentriert, ausgewogen und nicht überladen, beerig-süß auf der einen, minzig-kühl auf der anderen Seite mit einer spürbaren Säure, die ihm Frische gibt und einen Kontrapunkt zu seiner Fülle setzt.

Großartig, und sehr eigen

Es gibt bisher nur zwei Jahrgänge vom Paterico: den 2019er und seit kurzem den 2020er. Gefüllt werden von jedem Jahrgang etwas mehr als 3000 Flaschen. Viele haben ihn noch nie getrunken. Kein Wunder: Die Flasche kostet rund 350 Euro. Aber die meisten, die ihn getrunken haben, sind beeindruckt. In den Niederlanden und in Luxemburg wird der Paterico von den jeweiligen Repräsentanten der Domaine de la Romanée-Conti vertrieben, in der Schweiz vom

Gaja-Importeur Caspar Weibel, in Deutschland von WeinArt in Rüdesheim. Deren Chef Nedjelko Mrcela hatte bei der Premiere im Hamburger Edelbistro Chez l’Ami im Sommer prominente Herausforderer wie Solaia und Ornellaia, Pingus aus Spanien und Clos de la Roche von Felettig aufgeboten, um den Paterico zu fordern, zum Schluss noch einen Cheval Blanc. „Der Paterico war großartig“, resümierte Mrcela hinterher. „Und er ist ganz eigen.“ In der offiziellen Sortimentsliste von WeinArt taucht die Taurasi Riserva gar nicht auf, nur in der Raritätenliste, die Hidden Gems für Jäger und Sammler enthält.

Wie ein Bauer mit samtener Weste

Ich trank den Paterico wenig später mit ein paar Sommeliers bei Guido am Dom in München. In den Verkostungsparcour hatte Willi Klinger, Ex-ÖWM Chef und früherer Geschäftsführer von Wein & Co., den eine lange Freundschaft mit Mazzella verbindet, diesmal den 2019er Blaufränkisch Alte Reben von Moric, die 2018er Taurasi Riserva „Radici“ von Mastroberadino und den ultrafeinen 2016er Pichon Longueville Comtesse eingebaut. Der Paterico hielt mit nobler Rustikalität dagegen. Ich habe auf meinen Probenzettel geschrieben: Wie ein Bauer mit samtener Weste – alter Kritiker-Sprech.

Kompromisslos und radikal

Die restliche Runde war sich einig: Einen solchen Wein hat es in Süditalien noch nie gegeben. Er schmeckt nicht einfach nur gut. Es ist, als habe der Winzer alle Möglichkeiten ausreizen wollen, die Klima, Boden und Rebsorte ihm bieten, ohne Rücksicht auf Kosten, Markingzwänge oder andere Limitierungen, die Skepsis von Freunden und Kollegen eingeschlossen: kompromisslos und radikal eben. Von der Stilistik und von der Philosophie her gibt es nur zwei Weine in Italien, die vergleichbar sind: der Brunello di Montalcino von Case Basse und die Barolo Riserva Monfortino von Giovanni Conterno.

Weinberge mit gespartem Geld gekauft

Was ist das für ein Mensch, dieser Gian Luca Mazzella? Der heute knapp 50-Jährige ist in einer Winzerfamilie in der Region Kampanien aufgewachsen. Nach der Schule studierte er Theologie und Philosophie, spielte lange mit dem Gedanken, in einen Orden einzutreten. Doch für eine Karriere im Vatikan war er zu freigeistig. Er arbeitete als Journalist, zuletzt als Berater für Medienhäuser und für große landwirtschaftliche Betriebe, bevor er mit erspartem Geld ein paar alte Weinberge im Anbaugebiet Taurasi kaufte beziehungsweise pachtete: insgesamt 6,5 Hektar. Die ältesten Reben stammen noch aus der Zeit vor der Reblauskatastrophe um 1910.

Kein Luxuswein, sondern ein grande vino contadino

Mit Unterstützung einiger Händler konnte Mazzella ein paar Jahre später im Dörfchen Paternopoli, 80 Kilometer von Neapel entfernt, einen kleinen Keller bauen, in dem er keltert und vinifiziert. Kein Showkeller, sondern ein einfaches, unterirdisches Gewerk, darin wenig Technik, nicht einmal Temperaturkontrolle. Ihm schwebte (und schwebt) kein Luxuswein vor, sondern ein grande vino contadino, wie er sagt: ein großer Bauernwein. „„Ich vertraue auf die Aglianico. Sie ist eine der ältesten Rotweinsorten, die es in Italien gibt. Ihre Wurzeln reichen nachweisbar bis zu den Griechen zurück. Sie ist im irpinischen Hochland heimisch geworden und züchterisch wenig bearbeitet worden.“

Erst im November gelesen

Das irpinische Hochland liegt um die Stadt Avellino herum. Im Winter ist es dort bitterkalt, im Sommer afrikanisch heiß, aber mit großen Temperatursprüngen zwischen Tag und Nacht. Mazzellas Reben stehen in sechs Parzellen, einige 530 Meter hoch. Sie werden nicht gedüngt und nicht begrünt. Dennoch wuchern Bodendecker zwischen den Rebzeilen. Die Gräser haben sich spontan ausgesät. Gespritzt werden nur pflanzliche Brühen zur Stärkung des Immunsystems

Extreme Ertragsbegrenzung: nur 11 bis 12 Hektoliter pro Hektar

der Reben und, wenn nötig, Schwefel und Kupfer. Die Aglianico ist eine spätreifende Sorte. 2019 hat Mazzella erst Mitte November gelesen. Er wartet, bis die Schalen der Beeren ganz dünn und die Stiele verholzt sind. Überreife vermeidet er. Die Mengen, die er in den ersten vier Jahren geerntet hat, sind minimal: zwischen 11 und 12 Hektoliter pro Hektar. Was mehr an den Reben hängt, wird vorher auf den Boden geschnitten oder spätestens auf dem Lesebrett aussortiert.

Ein Wein, wie Gott ihn befahl

Die Trauben werden abgebeert und ohne Quetschen vergoren, teils in Edelstahltanks, teils in Holzfässern, teils in Porzellanamphoren. Eine Temperaturkontrolle gibt es nicht. Der Wein steht lange, zwischen 70 und 120 Tage auf der Maische, auch nach Ende der Gärung noch. Ausgebaut wird er anschließend in großen Holzfässern, ohne Schönung und Klärung, um dann ungefiltert abgefüllt zu werden. „Ein Wein, wie Gott ihn befahl“, habe ich neulich im FEINSCHMECKER über ihn geschrieben.

- Anzeige -spot_img
- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img