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Parker über Riesling 2010: „Ein erschreckend guter Jahrgang“

Weinverkostung

Insgesamt 102 Weingüter hat David Schildknecht im letzten Jahr besucht, dabei über tauend Weine des Jahrgangs 2010 probiert – „keinen vor dem Spätsommer“, wie er betont: after having settled down. Sein Urteil fasst er in der am 23. Dezember 2011 erschienenen Ausgabe des Parker-Newsletters The Wine Advocate so zusammen: „Ich bin dankbar, eine beträchtliche Anzahl von Rieslingen probiert zu haben, die wahnsinnig komplex, packend, vibrierend sind.“ Fazit des Amerikaners: „ein teilweise erschreckend guter Jahrgang“.

Das Urteil des Amerikaners steht im Gegensatz zu den Resümees vieler deutscher Journalisten, die den Jahrgang 2010 schon ziemlich früh heruntergeschrieben hatten. Allerdings gibt auch Schildknecht zu, dass nicht alles, was diese Jahreszahl auf dem Etikett trägt, zu Lobgesängen Anlass gibt. Seine Formulierung „teilweise erschreckend gut“ deutet an, dass Rieslingliebhaber selektiv vorgehen müssten, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Klaus-Peter Keller produziert „Stoff für Legenden“

Seine bislang veröffentlichten Reports über die Anbaugebiete Rheinhessen und Nahe zeigen, dass der Jahrgang zumindest in der Spitze Weine hervorgebracht hat, die den „Stoff für Legenden“ bieten könnten – und zwar nicht nur bei den edelsüßen Weinen. In Rheinhessen erreicht Klaus-Peter Kellers trockenes Großes Gewächs Brunnenhäuschen-Abtserde mit 96/100 Punkten die höchste Bewertung: „cremige Textur bei größtmöglicher Kraft und Leichtigkeit“.

Mit deutlichem Abstand, aber immer noch hoch in den Punkterängen, folgen die GG’s von Gunderloch (Niersteiner Pettenthal) und Wittmann (Westhofener Brunnenhäuschen) mit 92/100 Punkten. Dahinter rangieren Battenfeld-Spanier mit seinen GG’s (Hohen Sulzer Kirchstück und Florsheimer Frauenberg) sowie – überraschend – der Nicht-VDP-Betrieb und Message-in-the Bottle-Winzer Stefan Winter mit seinem Lagen-Riesling Dittelsheimer Geyersberg zu 17,90 Euro – alle jeweils mit 91/100 Punkten.

Traumnoten für Emrich-Schönleber

An der Nahe hebt Schildknecht in 2010 abermals Emrich-Schönleber in den Weinhimmel. Dessen GG Frühlingsplätzchen erhält bei ihm ebenfalls 96/100 Punkte, der Halenberg immerhin noch 95/100 Punkte – Traumnoten, wie Schildknecht sie im wesentlich höher eingestuften Jahrgang 2009 schon einmal vergeben hat (nur umgekehrt). Es folgen im trockenen Bereich Schäfer-Fröhlich (Felseneck) und Dönnhoff (Hermannshöhle) mit 93/100 Punkten sowie Emrich-Schönleber (mit Halenberg Spätlese trocken) und Diel mit einem seiner GG’s (Burgberg) mit jeweils 92/100 Punkten.

Viele der Schildknecht-Bewertungen decken sich übrigens mit den Noten, die Weinkenner.de im letzten Jahr für die GG’s des Jahrgangs 2010 vergeben hat. Nur bei den ganz hohen Bewertungen sind wir zurückhaltender gewesen. Die Keller-Weine konnten, weil nicht zur Verfügung gestellt, von uns nicht beurteilt werden.

Auch einfache Weine hoch in den Punkterängen

Überraschenderweise hat Schildknecht, dessen „laserhafte Präzision“ beim Weinverkosten Parker schätzt, aber auch unter den einfachen Rieslingen, die in der Regel früher gelesen werden, deshalb nicht die hohe Aromareife der GG’s aufweisen und in 2010 somit weniger von dem erst im Oktober einsetzenden Altweibersommer profitieren konnten, ausgezeichnete Exemplare ausgemacht. Harald Hexamers trockener Schlossböckelheimer Riesling In den Felsen (8,50 Euro) erreicht mit 90/100 Punkten eine Bewertung, die höher als die vieler GG’s ist. Auch die trockenen Rieslinge Niersteiner Orbel Steillage aus dem Niersteiner Weingut Strub (8,50 Euro) und der Gutsriesling von Wagner-Stempel (8 Euro) erhalten mit 88/100 Punkten sensationell hohe Noten.

Tiefschürfende Jahrgangsanalyse

Bemerkenswert ist aber nicht nur das hohe Niveau, das Schildknecht den Weinen des Jahrgangs 2010 attestiert. Ungewöhnlich tiefschürfend ist auch die Recherche dessen, was diesen Jahrgang für die Winzer so schwierig gemacht hat – vor allem das Problem der Entsäuerung. Noch nie hat ein deutschsprachiger Journalist sich so intensiv mit den verschiedenen Methoden der Entsäuerung befasst und diese so differenziert evaluiert.

The Wine Avocate ist der von Robert Parker in den Vereinigten Staaten herausgegebene, zweimonatlich auf Englisch erscheinende Newsletter. Ein Teil der Berichte und Bewertungen erscheint auch in der (kostenpflichtigen) elektronischen Ausgabe www.erobertparker.com, zum Beispiel auch Schildknechts 2010er-Analyse.

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