Offener Brief an Heiner Lobenberg: Konstant irreführend

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Der Bremer Weinhändler Heiner Lobenberg hat sich zu einem heiklen Thema geäußert: der Qualität von Weinbewertern. Jens Priewe antwortet ihm in einem Offenen Brief.

Lie­ber Heiner,

Du hast in dem Blog auf Dei­ner Web­site neu­lich ein heik­les The­ma ange­schnit­ten: „Wein­be­wer­ter: Qua­li­tät und Kon­stanz“. Viel von dem, was Du da schreibst, ist rich­tig, eini­ges unge­recht und in einem Punkt irrst Du. Das wich­tigs­te The­ma in die­sem Zusam­men­hang aber schnei­dest Du gar nicht an: dass näm­lich Wein­be­wer­tun­gen häu­fig irre­füh­rend und oft auch schwach­sin­nig sind, selbst wenn sie von kom­pe­ten­ten Leu­ten kommen.

Irre­füh­rend, weil sie dem Leser wenig hel­fen, in dem Oze­an der Wei­ne, der sich vor ihm auf­tut, die rich­ti­ge Wahl zu tref­fen. Und schwach­sin­nig, weil sie meist mehr über den Bewer­ter als über den Wein aus­sa­gen. Du wirst ver­mut­lich ande­rer Mei­nung sein. Aber da Du gemein­hin das Herz auf der Zun­ge trägst, will ich es hier auch mal tun.

Weinkritik ist so wichtig wie Theater- oder Kunstkritik

Zunächst muss ich prä­zi­sie­ren: Wein­be­wer­tun­gen sind natür­lich weder Schwach­sinn noch Irre­füh­rung. Sie sind wich­tig. So wich­tig wie Thea­ter­kri­ti­ken, Buch­re­zen­sio­nen, Kunst­kri­ti­ken. Schwach­sin­nig und irre­füh­rend sind die Punkt­be­wer­tun­gen – zumin­dest dann, wenn man sie ernst nimmt. Aber das tun ja die meis­ten Wein­trin­ker, sonst wür­den Par­ker und sei­ne Sub-Tester nicht einen so gro­ßen Ein­fluss haben. Und die Wein­händ­ler erst recht. Sie las­sen kei­ne Gele­gen­heit ver­strei­chen, die Bewer­tun­gen der Kri­ti­ker auf­zu­füh­ren und mit ihnen auf Kun­den­fang zu gehen.

Ja, eini­ge Wein­händ­ler ver­bie­gen sich gera­de­zu, um die pas­sen­den Punkt­wer­tun­gen in ihre Kata­lo­ge und Web­sites ein­zu­bau­en. Wenn die Parker-Punkte nicht pas­sen, dru­cken sie die Wer­tun­gen irgend­wel­cher Wald- und Wie­sen­kri­ti­ker ab. Man­che Wein­händ­ler hal­ten sich sogar eige­ne Wein­kri­ti­ker. Sie zah­len ihnen ein monat­li­ches Salär dafür, dass die­se die Wei­ne ihres Sor­ti­ments hoch­punk­ten oder schön­re­den. Vie­le die­ser Lohn­schrei­ber schmü­cken sich übri­gens mit Titeln wie “Wein­aka­de­mi­ker” oder “diplo­mier­ter Sommelier”.

Du weißt ver­mut­lich, von wem ich rede. Eigent­lich taugt der Aus­druck „Schwach­sinn“ gar nicht für das, was da pas­siert. Es ist kühl kal­ku­lier­ter Betrug am Kun­den. Oder genau­er: Es wäre Betrug, wenn nicht jeder frei wäre, sich eine eige­ne Mei­nung zu einem Wein zu bil­den und die­se unters Volk zu brin­gen, auch wenn sie mit Geld (oder flüs­si­gen Natu­ra­li­en) erkauft wur­de. Ich fin­de, das hät­test Du ruhig ein­mal erwäh­nen können.

Nun unter­nimmst Du in Dei­nem Blog-Beitrag ja gera­de den Ver­such, die Spreu vom Wei­zen zu tren­nen. Zur Spreu gehö­ren neben den gekauf­ten sicher auch die ehr­li­chen, aber dilet­tan­ti­schen Kri­ti­ker, die Wei­ne beur­tei­len ohne Hin­ter­grund­wis­sen, ohne Ver­gleichs­mög­lich­kei­ten, ohne die Bench­mark­wei­ne zu ken­nen. Ich will Dei­ne Mei­nung über die Kritiker/Publikationen, die Du vor­ge­nom­men hast, nicht kom­men­tie­ren, auch nicht die (schmei­chel­haf­te) Ein­schät­zung mei­nes Wein­ver­stands. Nur so viel: Auch ich bepunk­te gele­gent­lich Wei­ne und habe schon Urtei­le gefällt, für die ich mich im Nach­he­r­ein schä­me. Oder über die ich schmun­zeln muss.

Vorsicht vor hohen Punktzahlen

Mich beschäf­tigt viel­mehr die Fra­ge, was mei­ne Urtei­le für Fol­gen haben, wenn sie rich­tig sind (oder waren). Häu­fig bin ich schon von Besu­chern die­ser Web­site ange­mailt wor­den, die mir mit­tei­len, dass sie einen von mir hoch bewer­te­ten Wein gekauft hät­ten und tief ent­täuscht waren. Ich muss ihnen dann wort­reich erklä­ren, dass eine hohe Bewer­tung kei­ne Auf­for­de­rung zum Kauf ist. Jeder hat sei­nen eige­nen Geschmack, sei­ne eige­nen Vor­lie­ben, und Wein ist unend­lich (in sei­ner Viel­falt). Der Ver­kos­ter kann, wenn er den Über­blick hat, nur beur­tei­len, was gut und was weni­ger gut ist. Aber er weiß nicht, ob das Gute dem Leser schmeckt.

Nur ein Bei­spiel: Ich hat­te neu­lich Chi­an­ti Clas­si­co Anna­ta zu bewer­ten, also die jun­gen, mehr frucht- als tan­nin­be­ton­ten Wei­ne aus der Tos­ka­na. Sie sind trink­freund­lich, rela­tiv unkom­pli­ziert, preis­wert und machen rund 70 Pro­zent der Pro­duk­ti­on aus. Den bes­se­ren Ver­tre­tern die­ser Kate­go­rie habe ich 87, 88 oder 89 Punk­te zuge­stan­den. Es gibt aber auch Annata-Weine, die fast schon eine klei­ne Riser­va sind. Haben mehr Struk­tur, mehr Kom­ple­xi­tät, sind lang­le­bi­ger: alles Punk­te, die zäh­len. Streng genom­men, sind sie wer­ti­ger. Also habe ich ihnen  90 und 91 Punk­te gege­ben. Wür­den sich Leser, die eine gute Anna­ta suchen, an mei­nen Punk­ten ori­en­tie­ren, hät­te ich sie auf eine fal­sche Fähr­te gelockt. Also habe ich sie vor mei­nen hohen Bewer­tun­gen gewarnt, damit sie kei­nen Wein kau­fen, den sie viel­leicht gar nicht mögen. Logisch im Sys­tem, absurd im Resultat.

Die Kunden wollen nicht Dich kaufen, sondern Deinen Wein

Soviel zum The­ma Irre­füh­rung. Jetzt kom­me ich, lie­ber Hei­ner, zu einem Punkt, bei dem Du nach mei­ner Mei­nung irrst. Die Auf­ga­be des Ver­kos­ters ist es, einen Wein mög­lichst objek­tiv zu beschrei­ben. Dazu braucht man sei­nen Kopf, nicht den Bauch. Klingt intel­lek­tu­ell. Aber jeder, der tes­tet (egal ob Käse oder Kühl­schrän­ke) hat ein Koor­di­na­ten­sys­tem im Kopf, in das er die Wei­ne ein­ord­net. Die­ses Koor­di­na­ten­sys­tem hat nichts mit guter Nase oder guter Zun­ge zu tun. Wir müs­sen es uns erar­bei­ten. Wer nicht weiß, was der Unter­schied zwi­schen lin­kem und rech­tem Ufer ist in Bor­deaux und wie sich die Wei­ne unter­schei­den, wird zwar ein Urteil fäl­len kön­nen, aber ein sinn­lo­ses. Es hat kei­ne Aus­sa­ge­kraft und inter­es­siert nie­man­den. Du sagst, Du wür­dest mit Herz und Bauch urtei­len. Ich behaup­te: Das tust Du nicht. Wür­dest Du es tun, sag­ten die Punk­te, die Du ver­gibst, nur etwas über Dich aus, über Dei­nen Geschmack, Dei­ne Begeisterungsfähigkeit.

Dei­ne Kun­den wol­len aber nicht Dich kau­fen, son­dern einen Wein aus Dei­nem Sor­ti­ment. Und die sind ja nicht so doof zu mei­nen, dass, was Loben­berg schmeckt, auch ihnen schmeckt. Sicher, Du hast Dei­ne Fan­ge­mein­de. Die weiß genau, dass Du Dich durch alles durch­trinkst, wo Wein drauf­steht. Und das seit Jah­ren. Dass Du Dei­ne Win­zer regel­mä­ßig besuchst, immer ein biss­chen zu hoch punk­test und Dich gern in blu­mi­gen Wein­be­schrei­bun­gen ergehst, die nichts­sa­gend, aber lus­tig zu lesen sind. Die Fan­ge­mein­de weiß aber auch, dass Du in Wirk­lich­keit ein Koor­di­na­ten­sys­tem im Kopf hast, mit dem Du an die Wei­ne her­an­gehst und sie ein­ord­nest. Es ist Dir wahr­schein­lich schon so weit in Fleisch und Blut über­ge­gan­gen, dass Du meinst, es sei Bauchgefühl.

Worauf will ich hinaus mit dieser Aussage?

Dass kein ernst zu neh­men­der Wein­kri­ti­ker mit dem Bauch urteilt. Alle benut­zen ihren Ver­stand (selbst Par­ker und Du).

Zwei­tens: Dass Punkt­be­wer­tun­gen sel­ten dazu füh­ren, dass einer “sei­nen” Wein findet.

Drit­tens: dass Punkt­be­wer­tun­gen durch­aus einen gewis­sen Unter­hal­tungs­wert haben kön­nen. Das ist ja schon mal was in der ansons­ten bier­erns­ten Welt des Weins.

12 Kommentare

  • Lie­ber Herr Reinisch,
    aus Ihren Zei­len liest man her­aus, dass Sie sich furcht­bar ärgern über all die (angeb­lich oder tat­säch­lich) unqua­li­fi­zier­ten Wein­kri­ti­ker. Und über Leu­te, die deren Bewer­tun­gen wider bes­se­res Wis­sen den­noch ver­öf­fent­li­chen. Also Leu­te wie mich. Wenn Wein so häu­fig Quel­le des Ärger­nis­ses ist wie für Sie, hät­te ich längst auf­ge­hört Wein zu trin­ken. Viel­leicht fra­gen Sie sich mal, ob Sie nicht selbst an Ihrem Dau­er­frust Schuld sind. Jeder Mensch, der halb­wegs nor­mal im Kopf ist, weiss doch, dass man Punk­te nicht trin­ken kann, egal ob auf der 20- oder 100 Punkte-Skala. Ver­brau­cher müs­sen vor Auto­her­stel­lern geschützt wer­den, die lügen, aber nicht vor Wein­tes­tern. Eine “Judi­ka­tur” ins Spiel zu brin­gen, die gute von schlech­ten Bewer­tern unter­schei­det oder die selbst ein ein­heit­li­ches Bewer­tungs­sys­tem ein­führt – das kann nicht Ihr Ernst sein. Soll ein Amts­rich­ter oder ein Wein­be­auf­trag­ter der Regie­rung ent­schei­den, was für die Wein­trin­ker gut oder schlecht ist? Wel­cher Wein 90 und wel­cher nur 89 Punk­te ver­dient? Nein, die Wein­trin­ker müs­sen schon selbst ent­schei­den, was sie trin­ken und was nicht. Bezie­hungs­wei­se wem sie glau­ben und wem nicht. Bei Ihrer Ver­an­la­gung, sich über Wein­be­ur­tei­lun­gen zu ärgern, kann Ihnen nur raten: kau­fen Sie auf kei­nen Fall Wei­ne blind. Pro­bie­ren Sie sie selbst vor dem Kauf. Nie gab es so vie­le Mög­lich­kei­ten, Wei­ne gra­tis zu ver­kos­ten wie heu­te. Ver­zich­ten Sie auf Sub­skrip­ti­on. Kau­fen Sie Ihre Bor­deaux, wenn die Wei­ne phy­sisch auf dem Markt sind. Wenn Sie kei­ne Gele­gen­heit haben soll­ten, einen Mar­gaux gegen einen Haut-Brion zu ver­kos­ten, um zu her­aus­zu­fin­den, wel­cher von bei­den bes­ser ist, dann wür­feln Sie. Was immer dabei raus­kommt, Sie wer­den einen gross­ar­ti­gen Wein im Kel­ler haben. Zuge­ge­ben: Es soll Men­schen geben, die unglück­lich sind, wenn sie einen 99 Punkte-Wein im Kel­ler haben, weil es sie quält, dass es ihnen nicht gelun­gen ist, einen 100 Punkte-Wein zu erwer­ben. Ich hof­fe, Sie gehö­ren nicht zu die­ser Kate­go­rie von Wein­trin­kern. Für sol­che Men­schen emp­fin­de ich nur Mit­leid. Ich wer­de jeden­falls wei­ter auf weinkenner.de über Par­ker, Suck­ling, Gal­lo­ni & Co. berich­ten, auch wenn ich von Punkt-Bewertungen wenig hal­te und weiss, wie unse­ri­ös eini­ge Leu­te ver­kos­ten. War­um ich das tue? Um mei­nen Lesern eine gro­be Ori­en­tie­rung zu geben – und um sie zu unter­hal­ten. Ja, ich fin­de es teil­wei­se lus­tig, wie sich die Her­ren und Damen in die­sem Busi­ness gegen­sei­tig unter­bie­ten bzw. über­bie­ten, und wie ernst die Märk­te auf der­lei pseu­do­wis­sen­schaft­li­che Beur­tei­lun­gen reagie­ren. Zynis­mus? Ja. Aber dazu ste­he ich und las­se es mei­ne Leser auch mer­ken. Ich jeden­falls neh­me nur die Punk­te ernst, die ich selbst ver­ge­ben habe. Wenn ande­re Wein­trin­ker Ver­trau­en in mein Urteil haben, freue ich mich. Wenn nicht, freue ich mich noch mehr. Dann weiss ich­näm­lich, dass ich schlaue Leser habe, die wis­sen: Der Prie­we kann, wenn er tes­tet, sowie­so nur sagen, ob Wein gut oder schlecht ist gemes­sen an des­sen Anspruch, an des­sen Preis, an den ande­ren Wei­nen der Appel­la­ti­on oder am Jahr­gang. Stimmt. Ob ein Wein, den ich gut fin­de, auch mei­nen Lesern schmeckt, weiss ich nicht. Ich weiss aber, dass man­cher Wein, den ich schlecht beno­tet habe, vie­len Wein­trin­kern her­vor­ra­gend schmeckt. Ich sage mir dann: Sie sind noch nicht reif für gros­se Wei­ne. Oder: Sie ken­nen nichts ande­res. Trotz­dem stellt sich ange­sichts des­sen die Fra­ge: Sind sie die Dum­men oder bin ich es? Kei­ne Ahnung.

    Schö­nen Gruss,
    Jens Priewe

  • Ich als nor­ma­ler Wein­kun­de bin sehr wohl der Mei­nung das ein Wein­kri­ti­ker die ver­damm­te Pflicht hat, und sich auch sei­ner Ver­ant­wor­tung bewust sein soll­te, mich bei der Aus­wahl mei­ner Wei­ne zu Unter­stüt­zen. Wie soll zum Bei­spiel ein nicht im Bor­deaux ansäs­si­ger Wein­käu­fer ( also ein ganz nor­ma­ler Wein­freund ) sich bei einem etwa­igen Ein­kauf (z.B. der Sub­scrip­tio­nen) ver­hal­ten. Auf wel­cher Grund­la­ge ent­schei­det er sich, auf was soll er sich stüt­zen. Was kann er als Ent­schei­dungs­grund­la­ge neh­men. Wenn er sich nicht auf die Beur­tei­lun­gen der Bewer­ter ver­las­sen kann, dann betrügt ihn der Bewer­ter, so ein­fach ist das. Muss der Kun­de selbst ein Mas­ter of Wein Stu­di­um machen und sei­ne Arbeit teil­wei­se auf­ge­ben um z.B. Wei­ne aus dem Bor­deaux Bewer­ten zu kön­nen und sein eige­ner Wein­kri­ti­ker sein um ewio­ne Wein­aus­wahl tref­fen zu kon­nen. Oder ist es nur Pri­vi­le­gier­ten vor­be­hal­ten sich einen schö­nen, sprich Preis-Leistungsmäßig, guten Wein­kel­ler auf­zu­bau­en. Die meis­ten Bewer­ter las­sen sich das Lesen Ihrer Beur­tei­lun­gen ja bezah­len. Also sind Sie auch ver­pflich­tet kor­rek­te Ergeb­nis­se zun lie­fern. Auch Sie, Herr Jens Prie­we unter­lie­gen Ihren eige­nen Argumentations-WirrWarr. Auf der einen Sei­te erklä­ren Sie, es feh­le vie­len Kri­ti­kern die Kom­pe­tenz, auf der ande­ren Sei­te erklä­ren Sie alle wie­der als kom­pe­tent, sie­he: (Aber jeder, der tes­tet (egal ob Käse oder Kühl­schränke) hat ein Koor­di­na­ten­system im Kopf, in das er die Wei­ne ein­ord­net.) Des wei­te­ren sind die zu ihrer Belus­ti­gung in Umlauf gebrach­ten Bewer­tun­gen viel­eicht Grund­la­ge für man­chen Wein­käu­fer für sei­ne Ent­schei­dung. Ob der das auch so lus­tig fin­det, ist fraglich.
    Es wäre Erstre­bens­wert wenn die Judi­ka­tur ein­mal nicht zu Guns­ten der Tes­ter oder Bewer­ter ent­schei­den wür­de, son­dern zu Guns­ten der Ver­brau­cher. Sehr schnell wür­de sich die Spreu vom Wei­zen trennen.
    Sehr zum Woh­le der Kun­den sowie auch zum Schutz der kor­rek­ten Bewer­ter. Auch wür­de der Unfug von Unter­schie­den zwi­schen 17 Punk­ten ( 20er Sys­tem) der-des einen, und 100 Punk­ten (100 Sys­tem) der-des ande­ren Bewer­ters bzw. Bewer­te­ri­nen, sich wahr­schein­lich auf ein kor­rek­tes Maß ein­ben­deln. Genau auf die­ses kor­rek­te Maß hat mei­ner Mei­nung nach der Nut­zer die­ser Bewer­tungs­er­geb­nis­se, und auf Grund des­sen Käu­fer von Wei­nen, ein Anrecht. Vie­le Bewer­ter und Kri­ti­ker sind Unter­neh­mer, die wie alle ande­ren Hand­wer­ker und Erzeu­ger von Din­gen, für Ihr Pro­dukt in Haf­tung genom­men wer­den müssen.
    Der gan­ze Sprach­kitsch bei Wein­be­wer­tun­gen soll­te Auf­hö­ren und von einem vor­ge­ge­be­nen, objek­ti­ven und nach­voll­zieh­ba­ren, für alle gül­ti­gen und zu ver­wen­den­ten Ras­ter abge­löst wer­den. Objek­tiv und nach­voll­zieh­bar für den Kun­den als Grund­la­ge für sei­ne eige­nen Ent­schei­dun­gen im Wein­kauf. Nicht als Kugel im Wein­be­schrei­bungs­rou­lette, wo die Kugel nie gewin­nen kann, aber Spie­ler reich macht.
    Ich bin ein seit etwas über 20-zig Jah­ren von Wein­be­wer­tun­gen teil­wei­se sehr frus­tier­ter Wein Fan.
    Franz Rei­nisch, A 6600

    • Mei­ner beschei­de­nen Mei­nung nach mag eine Punk­te­zahl einem Wein einen “Wert” geben, sowohl preis­lich, wie auch bewertend.
      Dies mag zum “Auf­bau eines Wein­kel­lers” wich­tig sein, beraubt Wein jedoch sei­ner eigent­li­chen Bestimmung.
      Sinn und Zweck des Wei­nes, Moti­va­ti­on für jede Stun­de Arbeit, die in Rebe, Berg und Kel­ler steckt, ist doch der Genuss des Weines.
      Und wer den Genuss nur anhand von Punk­ten oder gar dem Preis fest macht, soll­te lie­ber zum Was­ser greifen.
      Es gibt nicht den einen guten Wein. Nicht weil es so vie­le Wei­ne gibt, son­dern weil ein guter Wein die Trink­ge­le­gen­heit zum Genuss macht. Manch­mal ist ein ein­fa­cher Ter­ras­sen­wein, des­sen ein­zi­ger Punkt der Grü­ne Punkt ist, in der Situa­ti­on genau das Rich­ti­ge, manch­mal darf es ein fet­ter Wein sein, der sich in das Gespräch drängt.
      Par­ker und Kon­sor­ten kön­nen mit ihren Punk­ten hel­fen, aber eben manch­mal auch stören.

  • Hin­zu­wei­sen blie­be noch auf PAR – ein Rating Sys­tem das ver­sucht nach­voll­zieh­ba­rer zu bewer­ten – um kla­rer kom­mu­ni­zie­ren zu kön­nen, war­um wein x 89 und Wein y 90 Punk­te bekom­men hat.

  • Mir ist bei die­sem The­ma zuviel Red­un­danz unter­wegs. Die sozia­len Aspek­te ästhe­ti­scher Urtei­le sind bereits seit Kant unein­deu­tig. Wie ein Wein bewer­tet wird, wer die­se Bewer­tung liest, wer sie als Kri­te­ri­um wählt, all das lässt sich nicht nach objek­ti­ven Kri­te­ri­en ana­ly­sie­ren. Was ist bit­te ein guter Wein? Schmeckt die­ser gut, ist die­ser gut gemacht, schmeckt er gut und ist gut gemacht? Fin­det jemand, der von sich behaup­tet sich aus­zu­ken­nen und gibt das zum bes­ten, dass die­ser Wein gut gemacht ist? Ver­fügt die­se Per­son über Cha­ris­ma, kann sie die­ses Cha­ris­ma in ein Urteil umset­zen, dass ande­re über­zeugt? Ist es dann ein Mar­ken­zei­chen, dass ein Wein mit einer Par­ker­be­wer­tung auch ein guter Wein ist? Trin­ke sel­ber seit vie­len Jahr­zehn­ten Wein. Mehr will ich über mich gar nicht preis­ge­ben. In den letz­ten Mona­ten habe ich viel im Netz ange­schaut, blogs, Ver­kos­tun­gen auf you­tube usw usw. Ich habe mehr oder weni­ger insze­nier­te For­ma­te über mich erge­hen las­sen, die mir eher die Lust am Wein genom­men haben, als die­se zu beflü­geln. Das gehört zur Idio­syn­kra­sie mei­nes ästhe­ti­schen Urteils. Ich ver­las­se mich lie­ber auf mich sel­ber. Viel zu oft muss­te ich erle­ben, dass es DEN Geschmack des einen Wei­nes gar nicht gibt. Dass der Genuss eine Inter­ak­ti­on der unter­schied­lichs­ten Ein­fluss­fak­to­ren ist. Mei­ne Tages­form, mei­ne see­li­sche Ver­fas­sung, das Wet­ter, mit­un­ter vege­ta­ti­ve Eib­flüs­se, die als sol­che kaum zu benen­nen sind. Dann habe ich mich gefragt, was bit­te sind denn Wei­ne, die eine Punkt­zahl von 90 Punk­ten errei­chen? Rich­tig gute Wei­ne? Aha. Was ist denn das? Was sind bit­te Wei­ne die womög­lich 50-60 Punk­te errei­chen? Rich­tig mit­tel­mä­ßi­ge Wei­ne? Trinkt das über­haupt irgend­je­mand? Über­haupt: Was pas­siert zwi­schen 1-80? Kommt gar nicht vor?! Will nie­mand haben?! Ist der Rede nicht wert? Ver­kauft sich auch nicht gut ein sol­ches Urteil? Fra­gen über Fra­gen? Ja! Genau das! Mir bleibt das Gefühl über, Wein­be­wer­tun­gen sind ein Spiel­zeug mit­tei­lungs­freu­di­ger Wein­spe­zia­lis­ten. Die es sich gegen­sei­tig zei­gen müs­sen, wol­len und so. Mir scheint das oft­mals auf­ge­bla­sen, sub­stanz­los. Ich erin­ne­re mich noch leb­haft an eine TV Ver­kos­tung, in der man Jes Prie­we 3 mal den­sel­ben Wein zur Begut­ach­tung vor­gab und die­ser sich aus­schwei­fend über die unter­schied­li­che Qua­li­tät die­ser Wei­ne äußer­te um sich spä­ter bit­ter dar­über zu beschwe­ren, man habe ihn absicht­lich rein­ge­legt. Ich will Wein­trin­kern gar nicht abspre­chen, dass sie über eine Men­ge know how ver­fü­gen. Dass sie gleich­sam Meis­ter ihres Fachs sind. Ein biss­chen mehr Demut, Zurück­hal­tung, weni­ger Ram­pen­licht und Face­book und co täte aler­dings insb­son­de­re der Mate­rie gut, dem Genuss am Wein, der mir bit­te ein per­sön­li­ches Erleb­nis bleibt, dass ich so gar nicht im Netz mit irgend­je­mand tei­len mag. Ich für mich nicht. Ger­ne kann und mag das jeder für sich anders entscheiden.

    • Wer­ter Herr Meyhöfer,
      bes­ten Dank für Ihre höchst anre­gen­den Aus­füh­run­gen. Erlau­ben Sie mir bit­te eine Fra­ge: Was war das für eine TV-Verkostung, an die Sie sich noch so leb­haft erin­nern? Haben Sie den Titel der Sen­dung, viel­leicht sogar noch den Namen des Mode­ra­tors parat?
      Bes­ten Dank!
      Olaf Mertens

  • […] das The­ma nicht aus dem Kopf. Als Hei­ner Loben­berg vor kur­zem das The­ma auf­griff und anschlie­ßend Jens Prie­we ihm ant­wor­te­te, dach­te ich wie­der über einen Bei­trag nach. Und wenn es einem nicht aus dem Kopf geht, dann muss […]

  • O, welch heik­les, wun­der­schö­nes Thema.

    Wein­be­wer­tung bezie­hungs­wei­se Wein­kri­tik mit­hil­fe eines Punk­te­sys­tems hat weder mit einem per­sön­li­chen »Koor­di­na­ten­sys­tem im Kopf«, noch mit wis­sen­schaft­li­chen oder senso-physiologischen Grund­la­gen zu tun. Es ist schlicht­weg die fal­sche Methode.

    Das Pro­blem der­ar­ti­ger Wein­be­wer­tun­gen liegt in der gerin­gen Aus­sa­ge­kraft der Beur­tei­lung: Die Viel­schich­tig­keit des­sen, was Wein an Aro­men­stof­fen zu bie­ten ver­mag, wird stu­pid in ein num­me­ri­sches Kor­sett über­führt und als pri­mi­ti­ve Zahl aus­ge­drückt. Ein ein­fa­cher ita­lie­ni­scher Land­wein kann, wenn er gut und ehr­lich gemacht ist, 94 Punk­te erzie­len, das heißt, eine Gold­me­dail­le wert sein, ein schwä­cheln­der Baro­lo hin­ge­gen gera­de noch mit 84 Punk­ten und Sil­ber nach Hau­se gehen. Wor­an soll ich mich als Wein­käu­fer da ori­en­tie­ren? Das War­um kann ich jeden­falls an den Medail­len, schon gar nicht an Punk­ten auf der Fla­sche able­sen. Punk­te schme­cken nicht. 

    Jan­cis Robin­son sag­te ein­mal: »Das Nega­ti­ve an Wein­be­wer­tun­gen ist, dass sie Objek­ti­vi­tät sug­ge­rie­ren. Man kann nicht oft genug wie­der­ho­len, dass Wein­be­wer­tun­gen eine sub­jek­ti­ve Ange­le­gen­heit sind: eine per­sön­lich Meinung.«

    Gegen die sub­jek­ti­ve Mei­nung eines Wein­kri­ti­kers ist im Grun­de nichts ein­zu­wen­den, wenn das dem Wein­freund bekannt ist und sei­ne Beur­tei­lung nach­voll­zieh­bar, sprich: (be)greifbar dar­ge­stellt wird. Die »Bewer­tung« soll­te jedoch in einer Form erfol­gen, wel­che dem Wein­freund sei­nen Spiel­raum zur indi­vi­du­el­len geschmack­li­chen Emp­fin­dung eröff­net, und zwar weder num­me­risch, noch ver­bal, son­dern visu­ell! Eine sol­che Lösung exis­tiert bereits, ist jedoch noch nicht im Markt rea­li­siert: vinxSystem.

    • Natür­lich sind Wein­be­wer­tun­gen zunächst alle­samt sub­jek­ti­ve Ein­schät­zun­gen. Aller­dings lässt sich sehr wohl die Qua­li­tät eines Wei­nes mit eini­ger Übung objek­tiv beschrei­ben. Und ich bin sicher, dass vie­le Wein­kri­ti­ker dies kön­nen oder könn­ten. Lei­der ver­schwin­det die Objek­ti­vi­tät oder ver­steckt sich sehr gut in deren Rezen­sio­nen, da sich Objek­ti­vi­tät nicht so schön liest.
      Vor­sicht ist in jedem Fall vor Medail­len gebo­ten, da die Hür­den in aller Regel viel zu nied­rig ange­setzt sind. Außer­dem besteht das Pro­blem der Ver­gleich­bar­keit: Ist der Wein mit der Gold­me­dail­le aus Bor­deaux genau­so gut wie der Dorn­fel­der mit der Gol­de­nen Kammerpreismünze?
      Daher fin­de ich es gar nicht so schlecht, sich an einen Kri­ti­ker zu hän­gen, von dem man weiß, dass er einen ähn­li­chen Geschmack hat wie man selbst, auch wenn die­ser ab und zu dane­ben liegt. Dazu gibt es ja berühm­te Bei­spie­le. Otto Nor­mal­ver­brau­cher hat ja auch gar nicht die Zeit, das Geld und die Gele­gen­heit, sich durch hun­der­te von Wei­nen zu trin­ken. Da ist ein Anhalts­punkt doch praktisch.
      Letzt­lich zählt selbst­ver­ständ­lich der eige­ne Geschmack aber 100 Punk­te schme­cken eben doch meis­tens sehr gut.

      • Hal­lo Herr Mehr,

        bes­ser hät­te ich es nicht beschrei­ben kön­nen. Mei­nen Geschmack haben frü­her die – lei­der nicht mehr in der “Wein­kri­tik” täti­gen – Joel Pay­ne und Armin Diel in der Zeit­schrift “Alles über Wein” getrof­fen. Nach deren Kri­ti­ken konn­te ich “blind” kau­fen. Heu­te schus­te­re ich vor dem Kauf die Punk­te mehe­rer Kri­ti­ker zusam­men. Und da stimmt es aller­dings: Ein Wein mit einer – gewich­tet – höhe­ren Punkt­zahl mei­ner Lieb­lin­g­an­bau­ge­bie­te­schmeckt auch besser.

  • Sehr geehr­ter Herr Priewe,

    Sie spre­chen mir aus der See­le. Die Wer­tig­keit von Punk­ten & Co. für den Kon­su­men­ten schät­ze ich genau­so ein. 

    Die Stra­fe für die inten­si­ve Nut­zung von Bewer­tun­gen Drit­ter hat die Fach­händ­ler eingeholt.
    LEH und die Dis­coun­ter kön­nen mit ihrem gro­ßen Wer­be­bud­get das Kla­vier bes­ser spie­len als wir ….
    Hoch­be­wer­te­te Wei­ne ein­zu­kau­fen ist kei­ne Kunst. Das kann jeder …

    Die inter­es­san­tes­ten Wei­ne habe ich als Ita­li­en­fan vor über 20 Jah­ren bei den YY Wei­nen im Gam­be­ro Rosso gefun­den … meist zufäl­lig. Seit 15 Jah­ren sind Bewer­tun­gen Drit­ter für mich Schall und Rauch.
    Ich muss alle Wei­ne ver­kos­ten, ehr­lich gesagt trin­ken… nach mei­nem Sys­tem “für mich” bewer­ten … Mei­ne Bewer­tun­gen brin­gen den Kun­den nicht wei­ter. Ihren Geschmack, ihren Wunsch muss ich ein­schät­zen und dann den rich­ti­gen Wein zuord­nen. Oder sie zu ande­ren guten Wei­nen hin­füh­ren … aber ohne Punk­te und unend­li­che Sto­rys. Klingt alt­ba­cken … aber auch das ist mir egal.

    Aber gut, der Erfolg gibt letzt­end­lich den ande­ren, erfolg­rei­chen Händ­lern recht.
    Ich gön­ne es ihnen.
    Aber die Art des Han­delns und Schön­re­dens wer­de ich nicht mehr lernen.
    Dar­um mache ich es ganz anders … aber klein, klein ..

    Vie­le Grü­ße nach München
    Rolf Cordes

    PS. Wie Sie wis­sen küm­me­re ich mich als Idea­list viel um Verschlüsse … 😉

    • Was hilft es mir als Kon­su­ment, abs­trak­te Dis­kus­si­on über Punk­te zu haben.
      Ich habe soeben einen­Pe­ti­te Serè­ne Bor­deaux , von Loben­berg mit 91 Punk­ten bewer­tet, getrun­ken. Ver­gli­chen mit einem süd­afri­ka­ni­schen Del­heim Shiraz/ Caber­net Sau­vi­gnon war der Bor­deaux eine Kata­stro­phe. Die Eichung der Lobenberg-Skala, die 91 Punk­te (v. 100) für den Bor­deaux ergab ist jämmerlich.
      Also: Vor­sicht, Vor­sicht, Vor­sicht! mit den Lobenberg-Punkten.
      Ich wer­de ger­ne fort­an auch wo anders shoppen

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