Österreich im Blaufränkischfieber

Blaufränkisch ist Österreichs wichtigster Rotwein. Doch seit einiger Zeit ist ein Disput über den Stil des Weins entstanden. Soll er ein Kraftwein sein oder ist er der neue österreichische Pinot Noir? Anfang Juni haben 20 Top-Produzenten in Wien ihre Blaufränkisch-Weine präsentiert. Jens Priewe war da und fand: Sie taugen weder zum Einen noch zum Anderen. Aber im Zweifelsfall sind sie verdammt gut.

Am letz­ten Tag der Vie­vinum, der größ­ten Wein­mes­se Öster­reichs, die alle zwei Jah­re in der Wie­ner Hof­burg ver­an­stal­tet wird, hat­ten sich 20 öster­rei­chi­sche Top-Produzenten getrof­fen, um unter dem Mot­to „Blau­frän­kisch – Bekennt­nis zu einer gro­ßen Reb­sor­te“ ihre bes­ten Wei­ne zu prä­sen­tie­ren. Geru­fen hat­te Roland Velich, des­sen Moric-Weine zu den kon­tro­ver­ses­ten Öster­reichs gehö­ren. Bis auf Ernst Trie­bau­mer, Andi Koll­w­entz und Rein­hold Krutz­ler waren alle gefolgt. Prä­sen­tiert wur­den die Wei­ne des Jahr­gangs 2007.

Die Ver­kos­tung der Wei­ne zeig­te, dass es wohl Unter­schie­de, aber kei­ne Grä­ben zwi­schen den ver­schie­de­nen Blaufränkisch-Weinen gibt. Auf der einen Sei­te ste­hen die dich­ten, kraft­vol­len Struk­tur­wei­ne, die durch üppi­ge Frucht­aro­men und viel Holz glän­zen.  Ihnen gegen­über ste­hen hell­far­be­ne, manch­mal fast fili­gra­ne Wei­ne von hoher Mine­ra­li­tät mit spür­ba­rer Säu­re, die gegen die kräf­ti­gen Frucht­mons­ter gera­de­zu puris­tisch wir­ken. Dirk van der Nie­po­ort, der zusam­men mit Dor­li Muhr am Spit­zer­berg in Car­nun­tum einen eher schlan­ken Wein erzeugt,  hat­te die­sen Blau­frän­kisch vor zwei Jah­ren etwas forsch als „Pinot Noir-Typ“ bezeichnet.

Von bei­den Sti­lis­ti­ken gibt es über­zeu­gen­de, aber auch ent­täu­schen­de Wei­ne. Die meis­ten Blau­frän­kisch lie­gen irgend­wo zwi­schen die­sen Polen, wobei die Ten­denz zwei­fel­los dahin geht, Über­rei­fe und Über­ex­trak­ti­on zu ver­mei­den zu Guns­ten zar­ter Aro­men und einer fei­nen Gau­men­struk­tur. Auf jeden Fall weg vom inter­na­tio­na­len Rot­wein­ty­pus, der ein­sei­tig auf kon­zen­trier­te Frucht, nied­ri­ge Säu­re und viel Holz setz­te, um so die fei­nen Ter­ro­ir­un­ter­schie­de zu nivellieren.

Weinberg im Leithagebirge

Indiz für die­se Ent­wick­lung war zunächst die Ten­denz, Spitzen-Blaufränkisch rein­sor­tig zu kel­tern, also ohne Mer­lot, Syrah, Caber­net Sau­vi­gnon oder auch Zwei­gelt als Cuvé­e­part­ner. Die­ser Trend hält an. Dazu kommt die Fokus­sie­rung auf Spit­zen­la­gen mit alten Reben. Wenn der Wein allein auf Blau­frän­kisch gestellt sein soll, braucht es Lese­gut, das rund­um per­fekt ist. Aber die Lage und das Alter der Reben allein machen auch noch kei­nen Spit­zen­wein. Die Trau­ben müs­sen so vini­fi­ziert wer­den, dass die Eigen­ar­ten der Sor­te Blau­frän­kisch zur Gel­tung kom­men: ihr Duft, ihre Frucht, die Terroirprägung.

Neu ist die­se Dis­kus­si­on nicht. Peter Moser, Chef­re­dak­teur des öster­rei­chi­schen Falstaff-Magazins, hat­te bereits in der 2006/2007er Aus­ga­be des Falstaff-Weinguides geschrie­ben: „Volu­mi­nö­se Kraft­wei­ne lie­gen nicht mehr im Trend, eine geziel­te Hin­wen­dung zu sehr aus­sa­ge­kräf­ti­gen Wei­nen mit kla­rem Her­kunfts­pro­fil ist spürbar.“

Die gro­ße öffent­li­che Debat­te setz­te aller­dings erst vor einem Jahr ein, als David Schild­knecht, Robert Par­kers Österreich-Tester, sein Ran­king der bes­ten Rot­wei­ne des Lan­des vor­leg­te. Dabei plat­zier­te er den im Rot­wein­sek­tor noch debü­tie­ren­den Roland Velich mit sei­nen Moric-Weinen über­ra­schen­der­wei­se vor die bekann­ten Blaufränkisch-Koryphäen Ernst Trie­bau­mer, Prie­ler, Krutz­ler, Uma­t­hum, Ger­not Hein­rich. Wei­ne, die durch rela­tiv hel­le Far­be, flo­rea­len Duft, erhöh­te Säu­re und Ver­zicht auf Bar­ri­ques das Gegen­stück zu den vie­len „volu­mi­nö­sen Kraft­wei­nen“  dar­stell­ten, die bis dahin Mode waren und hohe und höchs­te Bewer­tun­gen bei den Kri­ti­kern erzielt hat­ten. Soll­te das der neue Blaufränkisch-Stil sein?

Mehr noch: In sei­ner Begeis­te­rung griff Schild­knecht tief in die Punk­te­kis­te und ver­lieh Roland Velichs 2006 Blau­frän­kisch Alte Reben Necken­markt sagen­haf­te 95 von maxi­mal 100 Punk­ten. Damit hiev­te er den Wein auf ein Niveau, das bis­her Spit­zen­ge­wäch­sen wie dem Musi­gny Viel­les Vignes von Comte de Vogue oder dem Cham­ber­tin von Armand Rous­se­au vor­be­hal­ten war.

Muschelfossil in der Lage Windener Alter Berg

Sei’s drum: Öster­reich hat­te mit sei­nem Blau­frän­kisch die Welt­büh­ne betre­ten. In Ame­ri­ka, in der Schweiz, in Deutsch­land – über­all wur­de Roland Velichs Moric-Stil plötz­lich als Bench­mark gese­hen. Blaufränkisch-Ikonen wie der Mari­en­tal von Ernst Trie­bau­mer, der Gold­berg von Prie­ler, der Point von Koll­w­entz, der Hoch­berc von Gesell­mann oder der Dürrau von Wenin­ger  – all die­se Wei­ne rück­ten, weil zu volu­mi­nös, aus dem Fokus in die zwei­te Rei­he. Ein typi­scher Fall von Medi­en­hype, von dem sich die Som­me­liers des Lan­des eben­so erfas­sen lie­ßen wie Tei­le des Weinhandels.

Die hohen Bewer­tun­gen, ins­be­son­de­re für die Moric-Weine, brach­ten auch Bewe­gung an der Preis­front. Vie­le Wein­gü­ter glaub­ten, mit dem Hin­weis auf alte Reben, gerin­ge Erträ­ge und den Pinot-Faktor preis­lich noch ein­mal drauf­sat­teln zu kön­nen. So erreich­ten die eh schon hohen Prei­se für öster­rei­chi­sche Spitzen-Blaufränkisch end­gül­tig die Schmerz­gren­ze. Man­che Erzeu­ger gin­gen und gehen sogar dar­über hin­aus. Dass sich aber öster­rei­chi­scher Blaufränkisch-Weine dau­er­haft zu Bur­gun­der­prei­sen ver­kau­fen las­sen, ist anzuzweifeln.

Inzwi­schen hat sich die Debat­te über Blaufränkisch-Stilistik wie­der beru­higt. Die Prot­ago­nis­ten hal­ten sich zurück. Die Schnell­be­geis­ter­ten haben gemerkt, dass die alten Blaufränkisch-Koryphäen sich nicht im Wald ver­irrt hat­ten und ihre Wei­ne weder ein Fehl­tritt noch ein Miss­ver­ständ­nis sind. Zudem haben die Früh­jub­ler begrif­fen, dass längst nicht alles, was dem neu­en Stil nach­ei­fert, sein Geld und die Wor­te wert ist, die dar­über ver­lo­ren werden.

Viel­leicht begrei­fen jene, die so ger­ne Punk­te ver­tei­len oder sich nach ihnen rich­ten, dass Blau­frän­kisch nicht nur Spit­zen­wein bedeu­tet. Gera­de im mit­tel­prei­si­gen Bereich ist „der Blaue“, wie ihn die Öster­rei­cher salopp nen­nen, ein äußerst popu­lä­rer, eben­so anspruchs­vol­ler wie trin­ki­ger Rot­wein, wie es ihn in die­ser Art nur sehr sel­ten in Euro­pa gibt. Eini­ge der ein­fa­che­ren Wei­ne, die in Wien prä­sen­tiert wur­den, mach­ten deut­lich, dass Cha­rak­ter nicht unbe­dingt eine Fra­ge von extre­men Ertrags­re­du­zie­run­gen ist, wie sie bei den Spit­zen­ge­wäch­sen prak­ti­ziert wer­den. Es rei­chen der rich­ti­ge Stand­ort und die siche­re Hand des Winzers.

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