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Österreich im Blaufränkischfieber

Am letzten Tag der Vievinum, der größten Weinmesse Österreichs, die alle zwei Jahre in der Wiener Hofburg veranstaltet wird, hatten sich 20 österreichische Top-Produzenten getroffen, um unter dem Motto „Blaufränkisch – Bekenntnis zu einer großen Rebsorte“ ihre besten Weine zu präsentieren. Gerufen hatte Roland Velich, dessen Moric-Weine zu den kontroversesten Österreichs gehören. Bis auf Ernst Triebaumer, Andi Kollwentz und Reinhold Krutzler waren alle gefolgt. Präsentiert wurden die Weine des Jahrgangs 2007.

Die Verkostung der Weine zeigte, dass es wohl Unterschiede, aber keine Gräben zwischen den verschiedenen Blaufränkisch-Weinen gibt. Auf der einen Seite stehen die dichten, kraftvollen Strukturweine, die durch üppige Fruchtaromen und viel Holz glänzen.  Ihnen gegenüber stehen hellfarbene, manchmal fast filigrane Weine von hoher Mineralität mit spürbarer Säure, die gegen die kräftigen Fruchtmonster geradezu puristisch wirken. Dirk van der Niepoort, der zusammen mit Dorli Muhr am Spitzerberg in Carnuntum einen eher schlanken Wein erzeugt,  hatte diesen Blaufränkisch vor zwei Jahren etwas forsch als „Pinot Noir-Typ“ bezeichnet.

Von beiden Stilistiken gibt es überzeugende, aber auch enttäuschende Weine. Die meisten Blaufränkisch liegen irgendwo zwischen diesen Polen, wobei die Tendenz zweifellos dahin geht, Überreife und Überextraktion zu vermeiden zu Gunsten zarter Aromen und einer feinen Gaumenstruktur. Auf jeden Fall weg vom internationalen Rotweintypus, der einseitig auf konzentrierte Frucht, niedrige Säure und viel Holz setzte, um so die feinen Terroirunterschiede zu nivellieren.

Weinberg im Leithagebirge

Indiz für diese Entwicklung war zunächst die Tendenz, Spitzen-Blaufränkisch reinsortig zu keltern, also ohne Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon oder auch Zweigelt als Cuvéepartner. Dieser Trend hält an. Dazu kommt die Fokussierung auf Spitzenlagen mit alten Reben. Wenn der Wein allein auf Blaufränkisch gestellt sein soll, braucht es Lesegut, das rundum perfekt ist. Aber die Lage und das Alter der Reben allein machen auch noch keinen Spitzenwein. Die Trauben müssen so vinifiziert werden, dass die Eigenarten der Sorte Blaufränkisch zur Geltung kommen: ihr Duft, ihre Frucht, die Terroirprägung.

Neu ist diese Diskussion nicht. Peter Moser, Chefredakteur des österreichischen Falstaff-Magazins, hatte bereits in der 2006/2007er Ausgabe des Falstaff-Weinguides geschrieben: „Voluminöse Kraftweine liegen nicht mehr im Trend, eine gezielte Hinwendung zu sehr aussagekräftigen Weinen mit klarem Herkunftsprofil ist spürbar.“

Die große öffentliche Debatte setzte allerdings erst vor einem Jahr ein, als David Schildknecht, Robert Parkers Österreich-Tester, sein Ranking der besten Rotweine des Landes vorlegte. Dabei platzierte er den im Rotweinsektor noch debütierenden Roland Velich mit seinen Moric-Weinen überraschenderweise vor die bekannten Blaufränkisch-Koryphäen Ernst Triebaumer, Prieler, Krutzler, Umathum, Gernot Heinrich. Weine, die durch relativ helle Farbe, florealen Duft, erhöhte Säure und Verzicht auf Barriques das Gegenstück zu den vielen „voluminösen Kraftweinen“  darstellten, die bis dahin Mode waren und hohe und höchste Bewertungen bei den Kritikern erzielt hatten. Sollte das der neue Blaufränkisch-Stil sein?

Mehr noch: In seiner Begeisterung griff Schildknecht tief in die Punktekiste und verlieh Roland Velichs 2006 Blaufränkisch Alte Reben Neckenmarkt sagenhafte 95 von maximal 100 Punkten. Damit hievte er den Wein auf ein Niveau, das bisher Spitzengewächsen wie dem Musigny Vielles Vignes von Comte de Vogue oder dem Chambertin von Armand Rousseau vorbehalten war.

Muschelfossil in der Lage Windener Alter Berg

Sei’s drum: Österreich hatte mit seinem Blaufränkisch die Weltbühne betreten. In Amerika, in der Schweiz, in Deutschland – überall wurde Roland Velichs Moric-Stil plötzlich als Benchmark gesehen. Blaufränkisch-Ikonen wie der Mariental von Ernst Triebaumer, der Goldberg von Prieler, der Point von Kollwentz, der Hochberc von Gesellmann oder der Dürrau von Weninger  – all diese Weine rückten, weil zu voluminös, aus dem Fokus in die zweite Reihe. Ein typischer Fall von Medienhype, von dem sich die Sommeliers des Landes ebenso erfassen ließen wie Teile des Weinhandels.

Die hohen Bewertungen, insbesondere für die Moric-Weine, brachten auch Bewegung an der Preisfront. Viele Weingüter glaubten, mit dem Hinweis auf alte Reben, geringe Erträge und den Pinot-Faktor preislich noch einmal draufsatteln zu können. So erreichten die eh schon hohen Preise für österreichische Spitzen-Blaufränkisch endgültig die Schmerzgrenze. Manche Erzeuger gingen und gehen sogar darüber hinaus. Dass sich aber österreichischer Blaufränkisch-Weine dauerhaft zu Burgunderpreisen verkaufen lassen, ist anzuzweifeln.

Inzwischen hat sich die Debatte über Blaufränkisch-Stilistik wieder beruhigt. Die Protagonisten halten sich zurück. Die Schnellbegeisterten haben gemerkt, dass die alten Blaufränkisch-Koryphäen sich nicht im Wald verirrt hatten und ihre Weine weder ein Fehltritt noch ein Missverständnis sind. Zudem haben die Frühjubler begriffen, dass längst nicht alles, was dem neuen Stil nacheifert, sein Geld und die Worte wert ist, die darüber verloren werden.

Vielleicht begreifen jene, die so gerne Punkte verteilen oder sich nach ihnen richten, dass Blaufränkisch nicht nur Spitzenwein bedeutet. Gerade im mittelpreisigen Bereich ist „der Blaue“, wie ihn die Österreicher salopp nennen, ein äußerst populärer, ebenso anspruchsvoller wie trinkiger Rotwein, wie es ihn in dieser Art nur sehr selten in Europa gibt. Einige der einfacheren Weine, die in Wien präsentiert wurden, machten deutlich, dass Charakter nicht unbedingt eine Frage von extremen Ertragsreduzierungen ist, wie sie bei den Spitzengewächsen praktiziert werden. Es reichen der richtige Standort und die sichere Hand des Winzers.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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