Dass Champagner ein schäumender Wein ist, wissen selbst Antialkoholiker. Aber wie viele Bläschen sind in einer Flasche Champagner enthalten? Christian Göldenboog hat versucht es herauszufinden. Erfolglos. Die Flasche war schneller leer, als er zählen konnte. Trotzdem bleibt er dem Leser die Antwort am Ende nicht schuldig: 14 Millionen. Und er erklärt auch, wie er zu dieser Zahl gekommen ist.
Eine wichtige Nachricht für Champagnertrinker? Nein. Aber ein kleiner, informativer Sidekick für alle, die es ernst meinen mit dem Lustgetränk Champagner.
Keiner kennt die Champagne so gut wie Göldenboog
Das Buch, das Göldenboog geschrieben hat, heißt „Die Champagnermacher“. Es wiegt schwer. Gefühlte anderthalb Kilo. Aber auch inhaltlich ist es kein Leichtgewicht. Der Autor hat so ziemlich alles zwischen die Buchdeckel gepresst, was er über Champagner weiß. Und das ist eine Menge. Kein anderer deutscher Journalist kennt die Champagne so gut wie er, kein anderer genießt ein so hohes Ansehen bei den Champagnerhäusern von Reims und Epernay.
Dies vorweg: Göldenboog vergibt keine Punkte. Er ergeht sich auch nicht in blumigen Beschreibungen des Champagnergeschmacks. Das Herzstück seines 320-Seiten-Werkes machen Interviews mit den Kellermeistern von 13 wichtigen Champagnerhäusern aus. Es geht dabei um Themen wie Säure, Kreide, Assemblage, Terroir und so weiter. Nichts Neues, könnte man denken. Doch was diese „Champagnermacher“ zu sagen haben, hat so in noch keinem Buch über Champagner gestanden.
Champagner aus Sicht der Kellermeister
Mehr noch: Man erfährt in diesen Kapiteln nicht nur etwas über das jeweilige Thema, sondern auch über den jeweiligen Kellermeister. Mathieu Kauffmann beschreibt, wie sich sein Champagner-Geschmack geändert hat, seit er Kellermeister bei Bollinger ist. Der studierte Arzt und Önologe Richard Geoffroy erzählt, was sein Dom Pérignon mit dem Gehirn Albert Einsteins und dem Gesicht Greta Garbos gemeinsam hat. Anselme Selosse, der den wohl elitärsten Winzer-Champagner überhaupt erzeugt, bekennt offen, dass er seine Weine bis April überhaupt nicht in den Mund nimmt. Und Charles Philipponat vom gleichnamigen Champagnerhaus lässt sich in Hinblick auf die ausufernde Clos-Diskussion mit dem Satz zitieren: „Würde eine Mauer um eine Portion Hundekot gezogen werden, wäre das Ganze dadurch auch nicht besser.“
Den Leser an die Hand genommen
Die Interviews werden nicht in Frage-und-Antwort-Form wiedergegeben. Göldenboog fasst zusammen, kommentiert, erklärt. Das ist gut fürs Verständnis und gut gegen Langeweile. Überhaupt zeigt sich, dass hier ein Journalist am Werke ist, der den Leser an die Hand nimmt und durch den Dschungel der Önologie führt. Großartig ist zum Beispiel das Kapitel über die Gärung des Weins („Flasche auf für Louis Pasteur und Eduard Buchner“), das Göldenboog selbst geschrieben hat. Was da steht, findet man weder in Jancis Robinsons Großem Oxford Weinlexikon noch im Großen Johnson.
Sicher, für den gemeinen Champagnertrinker ist nebensächlich, was während der Gärung passiert und wer die Gärungsformel erfunden hat. Um ein Auto zu fahren, braucht man ja auch nicht wissen, wie ein Otto-Motor funktioniert. Aber wer im Biologieunterricht in der Schule geschlafen hat, der wird das Kapitel jetzt umso gieriger verschlingen, zumal wenn er gerne Wein oder Champagner trinkt. Auch Önologie-Studenten können sich durch die Lektüre des Göldenboog-Textes viel Bibliotheksstudium sparen.
Wozu Sex, wenn es Champagner gibt?
Blick in den Bildband
Dabei ist Göldenboog weder studierter Chemiker noch Biologe. Er hat die Höhere Handelsschule besucht und sich in all die Themen, die er später als freiberuflicher Journalist und Buchautor bearbeitet hat, mühsam hineingekniet. In seinem Buch „Das Loch im Walfisch“ hat er sich 2003 mit den Formeln auseinandergesetzt, nach denen sich Organismen, Menschen, Populationen entwickeln. 2006 erschien „Wozu Sex?“, in dem er sich mit den Evolutionstheorien der beiden Geschlechter beschäftigt. Alles hochwissenschaftlich, aber auch für Nicht-Wissenschaftler nachvollziehbar.
Und jetzt Champagner. Göldenboog weiß, dass ein großer Teil des schäumenden Weins achtlos in den Schlünden von Vorstadt-Casanovas, Partygängern, einsamen Hausfrauen, Wichtigtuern, Halbweltdamen oder von Menschen verschwindet, die sich aus irgendeinem Anlass in Abendkleid oder Smoking zwängen müssen. Das mag schade sein, ist aber unvermeidlich. Zu prestigeträchtig ist das Produkt, um nur feinen Zungen vorbehalten zu sein.
Cris aus der Magnum und Bolli im Schreibtisch
Wenn die Werbeagenturbosse in San Francisco einen Abschluss zu feiern haben, begießen sie den Erfolg mit einer Magnumflasche Cris (Roederer Cristal). Zu einem erfolgreichen Businessman in Hongkong gehört neben dem Bugatti Veyron in der Garage und der Montecristo „Platinium“ im Humidor auch eine Flasche Bolli im Kühlfach seines Schreibtisches (Bollinger Grande Année).
Dennoch ist Champagner mehr als eine teure Brause. Er ist Teil der Geschichte der Zivilisation. Um ihn ranken sich unzählige Geschichten und Anekdoten: ermüdende wie die vom Verführungsbeschleuniger auf dem Weg von der Couch- zur Bettkante, muntermachende wie die von Napoleon, der fand, bei Siegen hätte man ihn verdient, bei Niederlagen brauche man ihn.
Nietzsche und die Wollust
Ein literarischer und optischer Schmaus
Kein anderer Wein wurde und wird so geliebt wie er, aber auch so grotesk überhöht. Übrigens auch von intelligenten Menschen wie dem Philosophen Friedrich Nietzsche, der 1880 schrieb: „Wer nach zwei Tagen strengen Fastens einen Schluck Champagner trinkt, der empfindet etwas, das der Wollust ganz nahe kommt.“
Wie gesagt: Man muss Champagner nicht verstehen, um ihn zu genießen. Wer an ihm nur nippt oder sich mit ihm zudröhnt, braucht kein Buch. Für die anderen aber, die ihn gerne, vielleicht auch regelmäßig trinken und ein paar Dinge mehr wissen wollen als Preis und Namen des Erzeugers, ist Göldenboogs Buch (das übrigens nicht mehr kostet als eine Flasche Marken-Jahrgangschampagner) ein literarischer Schmaus – und ein optischer auch. „Die Champagnermacher“ ist schließlich ein Bildband. Die Fotos hat Oliver Rüther beigesteuert.
Auch name dropper kommen auf ihre Kosten
Apropos Erzeuger: Im Anhang des Buches werden die 84 wichtigsten Champagnerhäuser, die 17 wichtigsten Genossenschaften sowie 101 kleine Champagner-Winzer teils recht ausführlich und mit Adressen beschrieben. Service kommt also nicht zu kurz. Die name dropper kommen so ebenfalls auf ihre Kosten.
Es ist nicht leicht, heute einen Verlag zu finden, der sich traut, ein Werk dieses Umfangs zu einem Nischenthema in dieser Qualität zu verlegen. Der Umschau Verlag, in dem das Buch erschienen ist, hat sich getraut. Er gehört zur Unternehmensgruppe Achim Niederberger. Unter dessen Dach befinden sich unter anderem auch die Weingüter von Winning, Bassermann-Jordan, Dr. Deinhard und Reichsrat von Buhl.
Christian Göldenboog und Oliver Rüther
Die Champagnermacher
320 Seiten, 48 Euro
Umschau Verlag
ISBN 978-3-86528-716-8