Im dichten Nebel pirschten wir uns hinauf zum Weingut Elvio Cogno. Über dessen Barolo hatten wir vor einem Jahr auf weinkenner.de bereits berichtet, dass sie derzeit zu den glanzvollsten Weinen im Piemont gehören. Zunächst versetzte meine Mitreisenden jedoch der Barbera d’Alba „Bricco del Merli“ in helle Begeisterung. In diesem 16-Euro-Wein zeigt das Piemont zumindest jenen, die sich mit Barolo schwertun, sein zweites, heiteres Gesicht: reich und aromenstark bei gleichzeitig packender Frische.
Elvio Cognos große 2010er Barolo
Danach wurde es ernst. Nadia Cogno schenkte uns drei Barolo aus der Lage Ravera ein: 2008, 2009 und 2010. Alle drei warm, weich, tiefgründig mit reifer, geleeartig-süßer Frucht, feinem Lebkuchenton und zarter Teernote. Und alle drei keine Tanninpeitschen, sondern geschliffene, elegante Weine, die klassisch im großen Holzfass ausgebaut wurden und weich über den Gaumen laufen. Der straffste, ja sehnigste ist sicher der 2010er, aber 2009 und vor allem 2008 sind jetzt mit größerem Genuss zu trinken.
Auch Pippa Middleton, der hübschen Schwester der englischen Prinzgemahlin, die ein paar Tage vor uns auf dem Weingut war, sollen sie geschmeckt haben. Wir wissen nicht, wie anspruchsvoll die junge Engländerin bei der Wahl ihres Weins ist. Aber wenn ein Anfänger, zumal eine Frau, die die 30 gerade erst überschritten hat, bereits auf Barolo fliegt, spricht das sowohl für sie als auch für den Barolo, den sie getrunken hat.
Paolo Scavino: „Not a bad deal“
Leider komme ich ein Jahr zu spät, um die 2010er Barolo zu probieren. Sie sind schon ausgetrunken. Die beiden Amerikaner probieren bereits die 2011er (die ab Januar 2015 in den Verkauf gehen). Ich schließe mich an. 2011 gilt als gutes, eher warmes Jahr. Mein Eindruck: präzise, schnörkellose Weine, wesentlich frischer als die sogenannten „traditionellen“ Barolo und mindestens genauso gut strukturiert, allerdings mit wesentlich feinerem Tannin als diese. Die Lagen Bric del Fiasc und Cannubi liegen gleichauf vorn, der Lagen-Verschnitt Carobric ist kaum weniger gut, Monvigliero etwas schwächer. Wenn ich, um meinen Weinkonsum zu finanzieren, einen Privatkredit aufnehmen müsste, würde ich allerdings zu Scavinos einfachem Barolo greifen, der besser ist als viele Lagen-Barolo anderer Produzenten, aber nur die Hälfte von Scavinos Top-Weinen kostet: rund 45 Euro.
In Deutschland fast vergessen
Enrico ScavinoAllerdings sind die jüngsten Jahrgänge Scavino-Weine in Deutschland kaum noch zu finden. In den 1990er Jahren standen sie bei den hiesigen Barolo-Liebhabern hoch im Kurs. Doch aus irgendeinem Grunde ist die deutsche Gemeinde geschrumpft. Oder sind nur die Händler von ihm abgerückt? An der Qualität kann es nicht liegen, am Preis eigentlich auch nicht. Die Barolo anderer Spitzen-Erzeuger kosten genauso viel. Jedenfalls delektieren sich an ihnen jetzt vermehrt Menschen außerhalb Europas. „Wir erleben gerade eine gute Zeit für den Barolo“, sagt Enrico Scavino, als wir uns begrüssen. Wer mal probieren möchte: In Schramberg im Schwarzwald habe ich einen Händler gefunden, der zumindest Scvavinos 2010er Lagen-Barolo auf Lager hat: Weinemotione
Trattoria della Posta in Monforte
Tajarin mit TrüffelAbendessen in der Trattoria della Posta in Monforte d’Alba, ein Traditionslokal in der nebelumwaberten Langa, der Hügelwelt um Alba. Gianfranco Massolino, der Chef, hat Cotechino mit Linsen auf der Speisekarte: gepökelter Schweinsfuß – ein klassisches Weihnachts- und Silvesteressen im Piemont. Dazu einen 2010er Barolo von Pio Cesare getrunken, hochrespektabel. Anschließend zum Fassone-Kalb den 2009er Barolo Le Rocche del Falletto von Bruno Giacosa, nach meiner Meinung etwas zu locker gewoben. Dazwischen noch den 2010er Barolo Costa di Monforte von Parusso: gut, aber schwierig. Marco Parusso vergärt mit Stielen und baut seinen Wein 24 Monate in neuen Barriques aus bei häufigem Aufrühren der Hefe. Dadurch ist er zwar sehr frisch, zeigt aber einen starken Hefeton. Gewöhnungsbedürftig. Und nicht der ideale Wein zu Trüffeln, die in dieser Trattoria üppig über die Tajarin, die fadendünnen Butternudeln, gehobelt werden.
Im eisernen Griff des Tannins: der Wein von Giuseppe Cortese
Salami bei CorteseAm nächsten Tag geht es nach Barbaresco. Nebelverhangen die Hügel auch dort. Und viel zu warm für die Jahreszeit. „Wir wollten schon mit dem Winterschnitt beginnen, haben aber abgebrochen“, erzählt Piercarlo Cortese, Inhaber des 8-Hektar-Weingut Giuseppe Cortese. „In den Reben fließt noch der Saft.“ Droht etwa wieder ein milder Winter? 2011er und 2010er Barbaresco Rabaja präsentieren sich gleichermaßen verschlossen und befinden sich noch im eisernen Griff des Tannins. Kein Trinkspaß, auch nicht mit einer Scheibe hausgemachter Salami, die Piercarlos alte Mutter hereinbringt. Aber solche Weine sind es, die zwei oder drei Jahre später regelrecht explodieren. Kein Zufall, dass Antonio Galloni, der Ex-Parker-Mann für Italien und wohl bester Piemontkenner unter den Weinkritikern, dem 2011er Barbaresco von Cortese satte 93 Punkte zubilligt. Deutsche Weinhändler haben sich noch nicht an den Cortese-Barbaresco getraut. Privatkunden aus Deutschland hat Piercarlo dagegen genug. Sie übernachten in einem seiner Gästeappartments und laden sich hinterher den Kofferraum voll.
Wein und Kutteln bei Ca’del Baio
Auch das Weingut Ca’del Baio, mit 25 Hektar wesentlich größer, produziert nach dem Urteil internationaler Tester Weine im 91-94-Punkte-Bereich – allerdings in ganz anderer Stilistik als Cortese: weicher, süßer, aromenstärker mit fein verschmolzenem Tannin. Während Giulio Grasso, der Besitzer, seine drei Lagen-Barbaresco aus dem Jahrgang 2011 einschenkt, serviert seine Frau Kutteln mit weißen Bohnen. Ich bin ein dankbarer Esser. Grassos 2011er Barbaresco erinnern mich an den Jahrgang 2007: ebenfalls ein warmer, frühreifer Jahrgang, der wuchtige und reife Weine hervorgebracht hat, denen es aber an der letzten aromatischen Feinheit fehlte. Wenn ich punkten müsste, würde ich die 2011er am unteren Ende der oben angegebenen Punktespanne einordnen. Übrigens: Alle Barbaresco von Ca’del Baio werden seit Kurzem wieder in großen Holzfässern, nicht mehr in Barriques ausgebaut (nur die Riserva Pora reift in Tonneaux). Sie sind preiswert und in Deutschland gut vertreten: Di Gennaro, Vinoteck, Gerardo, Vinothek Boller-Weine, Weinhandel Hiergeist u.a.
Versunken im Nebelmeer: Fratelli Seghesio
Es dämmert schon, als ich ein letztes Mal in die Barolo-Zone zurückkehre. Der Nebel wird dichter, je höher ich komme. Hinter Monforte ist er so dicht, dass ich gerade die Kühlerspitze meines Autos sehen kann. Die Fahrbahn ist schmal, Markierungen gibt es nicht, Straßenlaternen sowieso nicht. Beste Voraussetzungen für einen Blindflug. Mein Ziel: das Weingut von Fratelli Seghesio. Es ist das verlassenste Weingut, das ich in der Barolo-Zone kenne – eine Art Aussiedlerhof am Ende der Welt. Fratelli heißt übrigens „Brüder“, aber es gibt nur noch einen Bruder. Er heißt Riccardo. Der andere ist 2009 gestorben.
Ich probiere Dolcetto, dann die beiden Barbera, dann den 2010er Barolo La Villa: letzterer relativ hell in der Farbe, duftig mit Noten von Portweinkirsche, Rosen, Teer, zweifellos sehr sauber, aber ein wenig leicht und eine Idee zu verspielt für einen großen Jahrgang. Dennoch: ein sehr guter Wein. Wenn ich in Berlin lebte, würde ich ihn im Ristorante Muret La Barba in der Rosenthaler Straße trinken. Doch die eigentliche Entdeckung, für die sich der Blindflug durch die Nebelhölle gelohnt hat, war ein anderer Wein: der 2012er Langhe Nebbiolo. So einen herrlichen, üppigen Wein mit so einer großen Aromatiefe habe ich seit Langem nicht mehr getrunken. Bei E.L.L.E. in Biberach gibt es ihn für 12,50 Euro.
Lustvolle Nachwehen
Am nächsten Tag war der Nebel weg und der Himmel blau – das Ende einer langen, lichtlosen Phase. Auf dem Weg von Monforte nach Alba sehe ich zwei Autos, die auf dem Dach im Weinberg liegen – Ende eines Blindflugs. Zurück in Deutschland habe ich dann den Trüffel, den ich bei Ezio Costa erstanden hatte, über die Tajarin gehobelt, die mir Gianfranco Massolino mitgegeben hatte – lustvolle Nachwehen einer spätherbstlichen Reise in die Nebelhölle Piemont. Die Weine, die ich aus dem Keller holte, hatte ich von früheren Ausflügen mitgebracht. Ihre Namen erinnere ich nicht mehr. Einfach zu gut waren sie, um sie bei klarem Verstand zu trinken. Aber die leeren Flaschen habe ich noch (siehe Foto).