Nebelhölle Piemont: Blindflug zu den besten Barolo und Barbaresco

Das Piemont im Nebel
Das Piemont im Nebel
Was haben das Piemont und London gemeinsam? Den Nebel. Jens Priewe hat sich durch ihn durchgekämpft, um zu den Barolo und Barbaresco von Elvio Cogno, Paolo Scavino, Giuseppe Cortese, Ca’ del Baio und Fratelli Seghesio zu kommen.

Im dich­ten Nebel pirsch­ten wir uns hin­auf zum Wein­gut Elvio Cog­no. Über des­sen Baro­lo hat­ten wir vor einem Jahr auf weinkenner.de bereits berich­tet, dass sie der­zeit zu den glanz­volls­ten Wei­nen im Pie­mont gehö­ren. Zunächst ver­setz­te mei­ne Mit­rei­sen­den jedoch der Bar­be­ra d’Alba „Bric­co del Mer­li“ in hel­le Begeis­te­rung. In die­sem 16-Euro-Wein zeigt das Pie­mont zumin­dest jenen, die sich mit Baro­lo schwer­tun, sein zwei­tes, hei­te­res Gesicht: reich und aro­men­stark bei gleich­zei­tig packen­der Frische.

Elvio Cognos große 2010er Barolo

Nach der Weinprobe bei Elvio Cogno
Nach der Weinprobe

Danach wur­de es ernst. Nadia Cog­no schenk­te uns drei Baro­lo aus der Lage Rave­ra ein: 2008, 2009 und 2010.  Alle drei warm, weich, tief­grün­dig mit rei­fer, geleeartig-süßer Frucht, fei­nem Leb­ku­chen­ton und zar­ter Teer­no­te. Und alle drei kei­ne Tan­nin­peit­schen, son­dern geschlif­fe­ne, ele­gan­te Wei­ne, die klas­sisch im gro­ßen Holz­fass aus­ge­baut wur­den und weich über den Gau­men lau­fen. Der straffs­te, ja seh­nigs­te ist sicher der 2010er, aber 2009 und vor allem 2008 sind jetzt mit grö­ße­rem Genuss zu trinken.

Auch Pip­pa Midd­le­ton, der hüb­schen Schwes­ter der eng­li­schen Prinz­ge­mah­lin, die ein paar Tage vor uns auf dem Wein­gut war, sol­len sie geschmeckt haben. Wir wis­sen nicht, wie anspruchs­voll die jun­ge Eng­län­de­rin bei der Wahl ihres Weins ist. Aber wenn ein Anfän­ger, zumal eine Frau, die die 30 gera­de erst über­schrit­ten hat, bereits auf Baro­lo fliegt, spricht das sowohl für sie als auch für den Baro­lo, den sie getrun­ken hat.

Paolo Scavino: „Not a bad deal“

Scavino Barolo CannubiNächs­te Sta­ti­on: Pao­lo Sca­vi­no. Dort tref­fe ich ein jun­ges Pär­chen an, das eben­falls Eng­lisch spricht: sie Yoga­leh­re­rin in Nashville/Tennessee, er ehe­ma­li­ger Steakhouse-Sommelier aus New York. Und bei­de glü­hen­de Barolo-Fans. Gor­ge­ous sagt sie zu den Baro­lo, was man frei mit „Wahn­sinn“ über­set­zen könn­te. Er berich­tet stolz, Sca­vi­nos Baro­lo in sei­nem Steak­house erfolg­reich für 30 Dol­lar pro Glas ver­kauft zu haben: „Not a bad deal for down­town Manhattan.“

Lei­der kom­me ich ein Jahr zu spät, um die 2010er Baro­lo zu pro­bie­ren. Sie sind schon aus­ge­trun­ken. Die bei­den Ame­ri­ka­ner pro­bie­ren bereits die 2011er (die ab Janu­ar 2015 in den Ver­kauf gehen). Ich schlie­ße mich an. 2011 gilt als gutes, eher war­mes Jahr. Mein Ein­druck: prä­zi­se, schnör­kel­lo­se Wei­ne, wesent­lich fri­scher als die soge­nann­ten „tra­di­tio­nel­len“ Baro­lo und min­des­tens genau­so gut struk­tu­riert, aller­dings mit wesent­lich fei­ne­rem Tan­nin als die­se. Die Lagen Bric del Fiasc und Can­nu­bi lie­gen gleich­auf vorn, der Lagen-Verschnitt Caro­bric ist kaum weni­ger gut, Mon­vi­glie­ro etwas schwä­cher. Wenn ich, um mei­nen Wein­kon­sum zu finan­zie­ren, einen Pri­vat­kre­dit auf­neh­men müss­te, wür­de ich aller­dings zu Sca­vi­nos ein­fa­chem Baro­lo grei­fen, der bes­ser ist als vie­le Lagen-Barolo ande­rer Pro­du­zen­ten, aber nur die Hälf­te von Sca­vi­nos Top-Weinen kos­tet: rund 45 Euro.

In Deutschland fast vergessen

Enri­co Sca­vi­no­Al­ler­dings sind die jüngs­ten Jahr­gän­ge Scavino-Weine in Deutsch­land kaum noch zu fin­den. In den 1990er Jah­ren stan­den sie bei den hie­si­gen Barolo-Liebhabern hoch im Kurs. Doch aus irgend­ei­nem Grun­de ist die deut­sche Gemein­de geschrumpft. Oder sind nur die Händ­ler von ihm abge­rückt? An der Qua­li­tät kann es nicht lie­gen, am Preis eigent­lich auch nicht. Die Baro­lo ande­rer Spitzen-Erzeuger kos­ten genau­so viel. Jeden­falls delek­tie­ren sich an ihnen jetzt ver­mehrt Men­schen außer­halb Euro­pas. „Wir erle­ben gera­de eine gute Zeit für den Baro­lo“, sagt Enri­co Sca­vi­no, als wir uns begrüs­sen. Wer mal pro­bie­ren möch­te: In Schram­berg im Schwarz­wald habe ich einen Händ­ler gefun­den, der zumin­dest Scva­vi­nos 2010er Lagen-Barolo auf Lager hat: Wei­n­emo­tio­ne

Trattoria della Posta in Monforte

Taja­rin mit Trüf­fel­Abend­essen in der Trat­to­ria del­la Pos­ta in Mon­for­te d’Alba, ein Tra­di­ti­ons­lo­kal in der nebel­um­wa­ber­ten Lan­ga, der Hügel­welt um Alba. Gian­fran­co Masso­li­no, der Chef, hat Cote­chi­no mit Lin­sen auf der Spei­se­kar­te: gepö­kel­ter Schweins­fuß – ein klas­si­sches Weihnachts- und Sil­ves­ter­es­sen im Pie­mont. Dazu einen 2010er Baro­lo von Pio Cesa­re getrun­ken, hoch­respek­ta­bel. Anschlie­ßend zum Fassone-Kalb den 2009er Baro­lo Le Roc­che del Fal­let­to von Bru­no Gia­co­sa, nach mei­ner Mei­nung etwas zu locker gewo­ben. Dazwi­schen noch den 2010er Baro­lo Cos­ta di Mon­for­te von Parus­so: gut, aber schwie­rig. Mar­co Parus­so ver­gärt mit Stie­len und baut sei­nen Wein 24 Mona­te in neu­en Bar­ri­ques aus bei häu­fi­gem Auf­rüh­ren der Hefe. Dadurch ist er zwar sehr frisch, zeigt aber einen star­ken Hefe­ton. Gewöh­nungs­be­dürf­tig. Und nicht der idea­le Wein zu Trüf­feln, die in die­ser Trat­to­ria üppig über die Taja­rin, die faden­dün­nen But­ter­nu­deln, geho­belt werden.

Im eisernen Griff des Tannins: der Wein von Giuseppe Cortese

Sala­mi bei Cor­te­seAm nächs­ten Tag geht es nach Bar­ba­res­co. Nebel­ver­han­gen die Hügel auch dort. Und viel zu warm für die Jah­res­zeit. „Wir woll­ten schon mit dem Win­ter­schnitt begin­nen, haben aber abge­bro­chen“, erzählt Pier­car­lo Cor­te­se, Inha­ber des 8-Hektar-Weingut Giu­sep­pe Cor­te­se. „In den Reben fließt noch der Saft.“ Droht etwa wie­der ein mil­der Win­ter? 2011er und 2010er Bar­ba­res­co Raba­ja prä­sen­tie­ren sich glei­cher­ma­ßen ver­schlos­sen und befin­den sich noch im eiser­nen Griff des Tannins. Kein Trink­spaß, auch nicht mit einer Schei­be haus­ge­mach­ter Sala­mi, die Pier­car­los alte Mut­ter her­ein­bringt. Aber sol­che Wei­ne sind es, die zwei oder drei Jah­re spä­ter regel­recht explo­die­ren. Kein Zufall, dass Anto­nio Gal­lo­ni, der Ex-Parker-Mann für Ita­li­en und wohl bes­ter Pie­mont­ken­ner unter den Wein­kri­ti­kern, dem 2011er Bar­ba­res­co von Cor­te­se sat­te 93 Punk­te zubil­ligt. Deut­sche Wein­händ­ler haben sich noch nicht an den Cortese-Barbaresco getraut. Pri­vat­kun­den aus Deutsch­land hat Pier­car­lo dage­gen genug. Sie über­nach­ten in einem sei­ner Gäs­te­ap­part­ments und laden sich hin­ter­her den Kof­fer­raum voll.

Wein und Kutteln bei Ca’del Baio

Giulio Grasso
Giu­lio Grasso

Auch das Wein­gut Ca’del Baio, mit 25 Hekt­ar wesent­lich grö­ßer, pro­du­ziert nach dem Urteil inter­na­tio­na­ler Tes­ter Wei­ne im 91-94-Punkte-Bereich – aller­dings in ganz ande­rer Sti­lis­tik als Cor­te­se: wei­cher, süßer, aro­men­stär­ker mit fein ver­schmol­ze­nem Tan­nin. Wäh­rend Giu­lio Gras­so, der Besit­zer, sei­ne drei Lagen-Barbaresco aus dem Jahr­gang 2011 ein­schenkt, ser­viert sei­ne Frau Kut­teln mit wei­ßen Boh­nen. Ich bin ein dank­ba­rer Esser. Gras­sos 2011er Bar­ba­res­co erin­nern mich an den Jahr­gang 2007: eben­falls ein war­mer, früh­rei­fer Jahr­gang, der wuch­ti­ge und rei­fe Wei­ne her­vor­ge­bracht hat, denen es aber an der letz­ten aro­ma­ti­schen Fein­heit fehl­te. Wenn ich punk­ten müss­te, wür­de ich die 2011er am unte­ren Ende der oben ange­ge­be­nen Punk­te­span­ne ein­ord­nen. Übri­gens: Alle Bar­ba­res­co von Ca’del Baio wer­den seit Kur­zem wie­der in gro­ßen Holz­fäs­sern, nicht mehr in Bar­ri­ques aus­ge­baut (nur die Riser­va Pora reift in Ton­neaux). Sie sind preis­wert und in Deutsch­land gut ver­tre­ten: Di Gen­na­ro, Vino­teck, Gerar­do, Vino­thek Boller-Weine, Wein­han­del Hier­geist u.a.

Versunken im Nebelmeer: Fratelli Seghesio

Es däm­mert schon, als ich ein letz­tes Mal in die Barolo-Zone zurück­keh­re. Der Nebel wird dich­ter, je höher ich kom­me. Hin­ter Mon­for­te ist er so dicht, dass ich gera­de die Küh­ler­spit­ze mei­nes Autos sehen kann. Die Fahr­bahn ist schmal, Mar­kie­run­gen gibt es nicht, Stra­ßen­la­ter­nen sowie­so nicht. Bes­te Vor­aus­set­zun­gen für einen Blind­flug. Mein Ziel: das Wein­gut von Fratel­li Seg­he­sio. Es ist das ver­las­sens­te Wein­gut, das ich in der Barolo-Zone ken­ne – eine Art Aus­sied­ler­hof am Ende der Welt. Fratel­li heißt übri­gens „Brü­der“, aber es gibt nur noch einen Bru­der. Er heißt Ric­car­do. Der ande­re ist 2009 gestorben.

Ich pro­bie­re Dol­cet­to, dann die bei­den Bar­be­ra, dann den 2010er Baro­lo La Vil­la: letz­te­rer rela­tiv hell in der Far­be, duf­tig mit Noten von Port­wein­kir­sche, Rosen, Teer, zwei­fel­los sehr sau­ber, aber ein wenig leicht und eine Idee zu ver­spielt für einen gro­ßen Jahr­gang. Den­noch: ein sehr guter Wein. Wenn ich in Ber­lin leb­te, wür­de ich ihn im Ris­tor­an­te Muret La Bar­ba in der Rosen­tha­ler Stra­ße trin­ken. Doch die eigent­li­che Ent­de­ckung, für die sich der Blind­flug durch die Nebel­höl­le gelohnt hat, war ein ande­rer Wein: der 2012er Lang­he Neb­bio­lo. So einen herr­li­chen, üppi­gen Wein mit so einer gro­ßen Aro­ma­tie­fe habe ich seit Lan­gem nicht mehr getrun­ken. Bei E.L.L.E. in Biber­ach gibt es ihn für 12,50 Euro.

Lustvolle Nachwehen

Am nächs­ten Tag war der Nebel weg und der Him­mel blau – das Ende einer lan­gen, licht­lo­sen Pha­se. Auf dem Weg von Mon­for­te nach Alba sehe ich zwei Autos, die auf dem Dach im Wein­berg lie­gen – Ende eines Blind­flugs. Zurück in Deutsch­land habe ich dann den Trüf­fel, den ich bei Ezio Cos­ta erstan­den hat­te, über die Taja­rin geho­belt, die mir Gian­fran­co Masso­li­no mit­ge­ge­ben hat­te – lust­vol­le Nach­we­hen einer spät­herbst­li­chen Rei­se in die Nebel­höl­le Pie­mont. Die Wei­ne, die ich aus dem Kel­ler hol­te, hat­te ich von frü­he­ren Aus­flü­gen mit­ge­bracht. Ihre Namen erin­ne­re ich nicht mehr. Ein­fach zu gut waren sie, um sie bei kla­rem Ver­stand zu trin­ken. Aber die lee­ren Fla­schen habe ich noch (sie­he Foto).

Die leeren Flaschen sind noch da...
Die lee­ren Fla­schen sind noch da…

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