Campino liebt Rotwein. Aber die fünf anderen Toten Hosen trinken nach dem Konzert (und auch sonst) Bier oder Riesling – wenn dieser von Tesch kommt. Martin Tesch ist Winzer an der Nahe, aber einer, der einen eigenen Weg geht. Er verweigert sich den mainstreamigen Weinen und dem etablierten Weinbetrieb ebenso wie den rockigen Schnulzen eines James Blunt oder Steve Garrett. Seine Weine wollen nicht um jeden Preis gefallen. Sie sind ungeschminkt, pur. Manchmal gibt es Disharmonien. Tesch sagt, sie besäßen „Ecken und Kanten und Gräten“.
Vor einigen Wochen hat Tesch einen neuen Riesling herausgebracht, der für die Toten Hosen und ihre Fans gemacht ist und nach einem ihrer Songs benannt ist: Weißes Rauschen. Ein dröhnendes Gitarren-Gewitter, dramatisch und unmelodiös. Punkrock eben. Aber nicht nur die Musik, auch der Text hat Tesch gefallen:
„Ich laufe auf zwei Beinen rum, die nicht zu mir gehören.
Sie reichen ganz knapp bis zum Boden, doch ich kann sie nicht spüren.
Sie tragen mich durch die Gegend, keine Ahnung wohin.
Sie gehen nicht so wie ich es will, bleiben auch nicht stehen.
Weißes Rauschen – es ist so ein langer Weg
zurück zu dir.
Die Zeit rast wie ein Schnellzug an mir vorbei.
Ich stehe auf dem Bahnsteig, denk mir nichts dabei.
Über mir brennt der Himmel und unter mir tobt das Meer,
ich fliege in meinem Kopf alten Träumen hinterher.
Weißes Rauschen – es ist so ein langer Weg
zurück zu dir,
zurück zu mir,
zurück zu uns.“
Die letzten vier Zeilen stehen auf dem Rücketikett des Weins. „Zurück zum Glück“, fügt Tesch hinzu.
Eigentlich ist der Wein ganz anders als der Song. Eher still, leichtfüssig und fein strukturiert. Er wurde nicht chaptalisiert, nicht entsäuert. Obwohl er bis zum bitteren Ende durchgärte und somit gnadenlos trocken ist, hat er nicht mehr als 12 Vol.% Alkohol. Und ein Holzfaß hat er auch nicht gesehen. Dennoch ist dieser Riesling kein Desaster. „Bladerunner-sharp“ hat der in Berlin lebende Riesling-Experte Stuart Pigott über Weißes Rauschen geschrieben. Frei übersetzt: ein Wein auf des Messers Schneide.
Tesch ist in Langenloinsheim bei Bingen aufgewachsen. Mit 15 lief er in langem, schwarzen Ledermantel rum, klaute Schallplatten und begeisterte sich für die Musik von The Clash, Dead Kennedys, Sex Pistols. Er war ein Punk. Heute ist er 39, heißt korrekt Dr. Martin Tesch und leitet das 300 Jahre alte Familienweingut an der Nahe. Der Wein ist ihm inzwischen sehr wichtig, nicht nur, weil er seinen Lebensunterhalt mit ihm verdient: „Das, was lebt, hat mich schon mein ganzes Leben interessiert. Tiere, Pflanzen – das ist schon sehr nah an mir dran.“
Aber auch die Musik ist ihm wichtig: “Man verliert da natürlich nie so diese Prägung aus den Jahren damals, und ich bin heute noch an neuen Hardrock-Bands interessiert. Airbourne finde ich im Moment großartig. Oder die Beatsteaks oder Smoke Blow, Bands, wo du merkst: Okay, das läuft wirklich mit einer großen Tiefe.“
Was den Wein angeht, ist Tesch ein Riesling-Purist geworden: keine Mostkonzentration, keine Säurekorrektur, keine künstliche Erhöhungen des Alkoholgehaltes, kein Holzfassausbau, vor allem keine Restsüße. Selbst seine fünf Lagen-Spätlesen sind vollkommen durchgegoren. „Es ist Zeit für trockene Weine“, findet er.
Am besten kommt Teschs Philosophie bei seinem einfachsten Wein rüber, dem Riesling Unplugged. 2001 hat er ihn zum ersten Mal gefüllt. Heute ist er sein erfolgreichster Wein. Fast 40 000 Flaschen produziert Tesch von ihm jährlich und verkauft ihn in alle Welt.
Unplugged heißt in der Musikersprache unverstärkt: ein schnörkelloser, mineralischer Wein, sauber, einfach, klar im Geschmack und mit 7,50 Euro nicht unerschwinglich teuer. Rieslingtrinkern, deren Gaumen auf Große Gewächse oder teure Spätlesen geeicht ist, ist er möglicherweise zu spröde, zu spannungslos. Zum Veggie Burger oder zum Chicken Wrap ist er dagegen der ideale Wein. Und von der Botschaft her sind Ähnlichkeiten mit der Musikauffassung der Toten Hosen da.
1983 hatte Tesch die Toten Hosen erstmals live erlebt, als diese nach Bingen kamen und in der halbvollen Turnhalle ein Konzert gaben. Die vier Musiker in den schwarzen Lederjacken und mit der Stachelfrisur waren damals noch ziemlich unbekannt. Tesch gefiel das Unangepasste ihrer Musik. Aber er verfolgte die Karriere der Band nicht.
1998 – Tesch hat inzwischen im Fach Mikrobiologie promoviert – hört er die Musik der Toten Hosen im Radio wieder. Sie gefällt ihm. Als die Band 2005 ein neues Album herausbringt und es Unplugged nennt, nimmt Tesch Kontakt zu ihr auf und erzählt von seinem Unplugged-Wein. Drei Jahre später kommt es zum ersten Zusammentreffen mit den Musikern im Rahmen des Rock am Ring-Festival am Nürburgring. Dabei taucht die Idee auf, einen eigenen Wein zu kreieren. „Mach mal“ lautet der Auftrag an Tesch. So entstand der „Machmalriesling“, der erste Band-eigene Wein: unplugged selbstverständlich mit nur 11,5 Vol.% Alkohol. Er war nach kurzer Zeit ausverkauft.
Weißes Rauschen ist nun der Nachfolge-Riesling: etwas kräftiger, etwas druckvoller, leicht schmelzig: „Irgendwo zwischen meinem Unplugged und meinen Spätlesen einzuordnen“, sagt Tesch. Er passt nicht nur zu Veggie Burger und Chicken Wraps. Er macht sich beispielsweise auch gut zu feineren Speisen: einem auf der Haut kross gebratenen Zander oder einem Thunfisch mit Sesamkruste. Leider kommen diese Gerichte im Leben eines Punkrockers selten vor. Aber die Toten Hosen finden, dass er notfalls auch solo schmeckt, am besten nach dem Konzert.
Den 2009 Riesling Weißes Rauschen gibt es nur im Sixpack für 66 Euro beim Weingut, Versand inklusive.