Nahe GG 2018: „sonorer Bass“ und „ordentlicher Wumms“

Sebastian Bordthäuser ist beeindruckt. In der ihm eigenen Sommelier-Sprache beschreibt und bewertet er die 2018er Grossen Gewächse (GG) der Nahe.

Bei der ers­ten Vor­stel­lung der GG des Jahr­gangs 2018 Ende August in den Wies­ba­de­ner Kurhaus-Kolonnaden („Vor­pre­mie­re“) erwies sich die Nahe als ein sta­bi­ler Qua­li­täts­ga­rant unter den deut­schen Top-Rieslingen. Weni­ge Regio­nen haben ein der­art hohes Ein­stiegs­ni­veau bei oft­mals 90 und mehr Punk­ten, und Jahr für Jahr sind mehr Nahe-Weine unter den Spit­zen­ries­lin­gen ver­tre­ten. Auch wenn 2018 dank der teils hoch­rei­fen Frucht und dem mit­un­ter deut­li­chem Rest­zu­cker an der Nahe nicht zu den abso­lu­ten Top-Jahrgängen zählt, bie­tet die Nahe stets pro­fil­schar­fe Wei­ne in ver­läss­li­cher Spit­zen­qua­li­tät – und 2018 aus­nahms­wei­sen auch in erfreu­li­chen Mengen.

Kruger-Rumpf, Diel, Johann Baptist Schäfer

Fan­gen wir an der unte­ren Nahe an. Der Dau­ten­pflän­zer von Kruger-Rumpf leg­te als ers­ter GG die­ser Unter­re­gi­on die Lat­te bereits recht hoch: leicht süßer Antrunk, kräu­ter­wür­zi­ge Note, sau­be­re Struk­tur – mit 91 Punk­ten ein soli­der Ein­stand. Der Im Pit­ter­berg hin­ge­gen wirk­te dank rest­li­cher Gär­koh­len­säu­re etwas spru­del­ig und mas­kier­te den Wein etwas, ohne dabei groß­ar­tig nach oben oder unten aus­zu­rei­ßen. Sehr gelun­gen auch die GG vom Schloss­gut Diel. Das Pit­ter­män­chen zeig­te sich in der Nase mit fei­ner Wür­ze und rei­fer, distin­gu­ier­ter Frucht mit her­bem Antrunk und druck­vol­ler Mine­ra­lik. Der seriö­se, küh­le Nach­hall skiz­zier­te einen auf­ge­räum­ten, struk­tu­rell grad­li­ni­gen Wein ohne gro­ße Frucht-Eskapaden (92). Diels Gold­loch ist der­zeit noch etwas schweig­sa­mer, ohne jedoch an Inten­si­tät ein­zu­bü­ßen. Mine­ra­lisch kühl mit Scha­le von wei­ßem Pfir­sich erin­nert es an die fili­gra­ne Non­cha­lance einer Cate Blan­chett. Trotz spür­ba­rer Rei­fe am Gau­men zeig­te sich die­ses GG fest, geschlos­sen und ver­ti­kal mit lan­gem Finish und kon­tu­rie­ren­dem phe­n­o­li­schen Kor­sett (94). Pit­ter­männ­chen und Gold­loch von Johann Bap­tist Schä­fer zeig­ten sich im Ver­gleich dazu mit wür­zi­ger Aro­ma­tik und rau­chig her­bem Finish (90).

Dönnhoffs Hermannshöhle ist wieder mal das Benchmark-GG

An der mitt­le­ren Nahe gin­gen Dönn­hoff und Schäfer-Fröhlich mit ins­ge­samt sechs GG ins Ren­nen, wobei Dönn­hoffs Höl­len­pfad den Auf­takt mach­te: straff mit küh­ler Mine­ra­lik, flan­kiert von her­ber Phe­n­o­lik und unter­füt­tert mit koket­ter Gelb­frucht und zit­ri­schen Noten, die von einem Tick zu viel Rest­zu­cker unter­legt wer­den (92). Der Krö­ten­pfuhl hat­te noch etwas Gär­koh­len­säu­re und zeig­te sich saf­ti­ger, deut­lich frucht­be­tont und mit cre­mi­gem Schmelz am Gau­men (91). Das Dell­chen war dage­gen sehr auf­ge­räumt mit duftig-jovialer Nase, offen­her­zig und red­se­lig und dabei leicht und tän­zelnd. Am Gau­men wird die anfangs leicht ver­wir­ren­de Süße schnell von Kraft und Extrakt ver­drängt, die die Faust im Samt­hand­schuh aus­pa­cken und enor­men Druck am Gau­men auf­bau­en (94). Über der Ober­hau­ser Brü­cke schweb­te noch ein leich­ter SO₂-Schleier, der die Aro­ma­tik Rich­tung Bit­ter­man­del ver­schiebt, die sich am Gau­men aber dan­kens­wer­ter­wei­se nicht zeigt. Fili­gran mit zar­tem, vibrie­ren­den Säur­enerv ist die Brü­cke der­weil noch arg ver­schlos­sen, dabei kris­tal­lin und klar mit guter Län­ge (92). Dönn­hoffs Her­manns­höh­le zeig­te ein­drucks­voll, wozu 2018 in der Lage ist. Mit kar­ger Frucht und leich­ter Kräu­ter­wür­ze prä­sen­tiert sie sich am Gau­men stei­nig mit zitrisch-salinem Cha­rak­ter. Zitrus und Kräu­ter erin­nern an Kum­quats und Grape­fruit, Aus­tern­scha­len steu­ern sal­zi­ge Noten bei, die zar­te Bit­ter­no­te der phe­n­o­li­schen Kom­po­nen­ten schnürt das gust­a­to­ri­sche Mie­der zu einem straf­fen, höchst ver­gnüg­li­chen Gesamt­ge­nuss (94+).

Dr. Crusius: höhere Reife, mehr Süße

Dr. Cru­si­us fünf GG wir­ken im direk­ten Ver­gleicht rei­fer als die ande­ren Nahe-GG. Auch am Gau­men ist deut­lich mehr Rest­zu­cker schmeck­bar, der sich zwar in das Gesamt­kon­zept inte­griert, die Wei­ne aber mit­un­ter etwas mol­lig wir­ken lässt. Der Mühl­berg im Roten­fels ist extrakt­süß und frucht­be­tont mit fül­li­gem Natu­rell: fast trink­fer­tig (90). Der Stein­berg zeig­te sich ähn­lich frucht­be­tont, reif und mit über­bor­den­der Süße im Antrunk (90). Die Bas­tei hin­ge­gen fiel deut­lich struk­tu­rier­ter aus mit wür­zig her­ben Noten und flan­kie­ren­der Phe­n­o­lik, die der war­men und rei­fen Frucht gust­a­to­risch Leit­plan­ken setzt (91+). Ähn­lich ver­hielt es sich bei der Kup­fer­gru­be, die dank ihres typi­schen und oft stäh­ler­nen, mes­ser­schar­fen Säur­enervs die fül­li­ge Frucht in Zaum hält (92).

Gut Hermannsberg: „mit ordentlichem Wumms“

Gut Her­manns­berg bringt 2018 nur sei­ne GG vom Roten­berg, Stein­berg und Fel­sen­berg auf den Markt, da die Top-Gewächse von den Lagen Bas­tei, Her­manns­berg und Kup­fer­gru­be künf­tig erst nach zwei Jah­ren frei­ge­ge­ben wer­den. Der Roten­berg zeigt sich mit deut­li­chen Reduk­ti­ons­no­ten und würzig-warmem, leicht rau­chi­gem Nach­hall. Am Gau­men zeigt er sich im Gegen­satz zur Nase fast jovi­al mit freud­vol­ler, extrakt­rei­cher Frucht und gutem Punch (92). Der Stein­berg: der leicht süße Antrunk im Auf­takt und die etwas mol­li­ge Frucht wer­den vom lang gespann­ten Säu­re­bo­gen wie­der ein­ge­fan­gen und mit einem steinig-mineralischen Bass unter­legt (92). Der Fel­sen­berg eröff­net eben­falls mit der der­zeit popu­lä­ren Reduk­ti­on sowie mit prä­sen­ter, süß­li­cher Frucht. Ansons­tenn kommt er mit ordent­li­chem Wumms daher. Dicht und eng­ma­schig umman­telt die Phe­n­o­lik den sei­di­gen Säur­enerv zu einem fes­ten Kon­glo­me­rat mit lan­gem Finish (93).

Schäfer-Fröhlich: etwas weniger Sponti-Noten als sonst

Schä­fer Fröh­lich mar­kiert in 2018 zusam­men mit Dönn­hoff mit sechs GG quan­ti­ta­tiv die Spit­ze der Nahe. Die Wei­ne zei­gen sich in der Nase gemes­sen an frü­he­ren Jahr­gän­gen ver­gleichs­wei­se dis­zi­pli­niert, was die Inten­si­tät der Sponti-Noten angeht. Der Fel­sen­berg führt das Ran­king an mit initia­ler Reduk­ti­on und hedo­nis­ti­scher Frucht nach Äpfeln und Zitrus sowie Grape­fruit und grü­nen Man­da­ri­nen. Am Gau­men saf­tig, packend mit fei­ner Phe­n­o­lik und ordent­li­chem Trink­fluss (94). Das Fel­sen­eck ist etwas zurück­ge­nom­me­ner, fast äthe­risch mit fili­gra­nem Auf­tritt und zart zit­ri­scher Frucht, packend, mit gran­dio­ser Län­ge und sal­zi­gem Nach­hall (93). Die Kup­fer­gru­be zeig­te sich eben­falls gut auf­ge­legt mit einem Korb gel­ber Früch­te, etwa Mira­bel­len, gel­be Äpfel und Oran­gen­öl. Das gan­ze saf­tig unter­legt mit etwas Zucker­wat­te, linea­rem Trink­zug und guter Län­ge (93).

Vergleich mit Emrich-Schönleber

Im letz­ten Flight folg­te ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwi­schen Schäfer-Fröhlich und Emrich-Schönleber mit ihren Para­de­la­gen Früh­lings­plätz­chen und Halen­berg. Schäfer-Fröhlichs Früh­lings­gplätz­chen zeig­te sich als fröh­li­cher Nasen­bär mit viel Frucht­aro­men: Zitrus, grü­ner Man­da­ri­ne, Oran­gen­blü­ten­öl und Limet­te. Die­se set­zen sich auch am Gau­men fort. Ins­ge­samt ein span­nungs­rei­ches, druck­vol­les GG, mine­ra­lisch schlank mit vibrie­ren­der Fri­sche sowie erstaun­li­cher Zugäng­lich­keit in die­sem jugend­li­chen Sta­di­um (93+). Emrich-Schönlebers Früh­lings­plätz­chen zeig­te sich in der Nase ver­gleichs­wei­se zurück­hal­tend, äthe­risch mit glo­cken­kla­rer Anspra­che am Gau­men, ver­ti­kal struk­tu­riert mit viel Grip. Das gera­de­zu orches­tra­le Säu­re­spiel ist getra­gen von zar­ter Phe­n­o­lik und mine­ra­lisch lan­gem Nach­hall (94). Die Halenberg-Weine boten ein ähn­li­ches Sze­na­rio und bestie­gen für mich zusam­men mit Dönn­hoffs Hemanns­höh­le das Sie­ger­trepp­chen der Nahe­wei­ne. Schäferi-Fröhlich legt mit einem mode­ra­ten Sponti-Böckser vor, gefolgt von Kern­obst wie rote Äpfel, rei­fe Bir­ne und jede Men­ge Zitrus, dazu ein paar rau­chi­ge Kom­po­nen­ten. Die viel­schich­ti­ge Nase avi­siert bereits kraft­vol­le Span­nung am Gau­men – und der Wein lie­fert: pul­sie­rend kraft­voll mit sono­rem Bass (94+). Emrich-Schönleber ist in der Nase aber­mals zag­haf­ter, läuft dafür am Gau­men zur Höchst­form auf. Mit sei­ner dunk­len Aro­ma­tik ist er enorm druck­voll, hoch­kom­plex, packend. Mit mehr Luft baut er zuneh­mend aus, ent­puppt sich als wür­zig, reif mit straf­fem Säu­re­zug (95).

Handschrift der Winzer und Profil der Lage gut herausgearbeitet

Fazit: Die Nahe prä­sen­tiert sich in 2018 homo­gen auf hohem Niveau. Ihre GG vom Ries­ling gehö­ren zur Spit­ze des Jahr­gangs in Deutsch­land. Vie­le Wei­ne sind über­ra­schen­der­wei­se bereits jetzt zugäng­lich. Die ver­schie­de­nen Lagen erlau­ben nach­voll­zieh­bar den Ver­gleich der Win­zer und ihrer Hand­schrif­ten und sin­gen dabei stets das Hohe Lied der Lage.

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