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Nahe GG 2018: „sonorer Bass“ und „ordentlicher Wumms“

Bei der ersten Vorstellung der GG des Jahrgangs 2018 Ende August in den Wiesbadener Kurhaus-Kolonnaden („Vorpremiere“) erwies sich die Nahe als ein stabiler Qualitätsgarant unter den deutschen Top-Rieslingen. Wenige Regionen haben ein derart hohes Einstiegsniveau bei oftmals 90 und mehr Punkten, und Jahr für Jahr sind mehr Nahe-Weine unter den Spitzenrieslingen vertreten. Auch wenn 2018 dank der teils hochreifen Frucht und dem mitunter deutlichem Restzucker an der Nahe nicht zu den absoluten Top-Jahrgängen zählt, bietet die Nahe stets profilscharfe Weine in verlässlicher Spitzenqualität – und 2018 ausnahmsweisen auch in erfreulichen Mengen.

Kruger-Rumpf, Diel, Johann Baptist Schäfer

Fangen wir an der unteren Nahe an. Der Dautenpflänzer von Kruger-Rumpf legte als erster GG dieser Unterregion die Latte bereits recht hoch: leicht süßer Antrunk, kräuterwürzige Note, saubere Struktur – mit 91 Punkten ein solider Einstand. Der Im Pitterberg hingegen wirkte dank restlicher Gärkohlensäure etwas sprudelig und maskierte den Wein etwas, ohne dabei großartig nach oben oder unten auszureißen. Sehr gelungen auch die GG vom Schlossgut Diel. Das Pittermänchen zeigte sich in der Nase mit feiner Würze und reifer, distinguierter Frucht mit herbem Antrunk und druckvoller Mineralik. Der seriöse, kühle Nachhall skizzierte einen aufgeräumten, strukturell gradlinigen Wein ohne große Frucht-Eskapaden (92). Diels Goldloch ist derzeit noch etwas schweigsamer, ohne jedoch an Intensität einzubüßen. Mineralisch kühl mit Schale von weißem Pfirsich erinnert es an die filigrane Nonchalance einer Cate Blanchett. Trotz spürbarer Reife am Gaumen zeigte sich dieses GG fest, geschlossen und vertikal mit langem Finish und konturierendem phenolischen Korsett (94). Pittermännchen und Goldloch von Johann Baptist Schäfer zeigten sich im Vergleich dazu mit würziger Aromatik und rauchig herbem Finish (90).

Dönnhoffs Hermannshöhle ist wieder mal das Benchmark-GG

An der mittleren Nahe gingen Dönnhoff und Schäfer-Fröhlich mit insgesamt sechs GG ins Rennen, wobei Dönnhoffs Höllenpfad den Auftakt machte: straff mit kühler Mineralik, flankiert von herber Phenolik und unterfüttert mit koketter Gelbfrucht und zitrischen Noten, die von einem Tick zu viel Restzucker unterlegt werden (92). Der Krötenpfuhl hatte noch etwas Gärkohlensäure und zeigte sich saftiger, deutlich fruchtbetont und mit cremigem Schmelz am Gaumen (91). Das Dellchen war dagegen sehr aufgeräumt mit duftig-jovialer Nase, offenherzig und redselig und dabei leicht und tänzelnd. Am Gaumen wird die anfangs leicht verwirrende Süße schnell von Kraft und Extrakt verdrängt, die die Faust im Samthandschuh auspacken und enormen Druck am Gaumen aufbauen (94). Über der Oberhauser Brücke schwebte noch ein leichter SO₂-Schleier, der die Aromatik Richtung Bittermandel verschiebt, die sich am Gaumen aber dankenswerterweise nicht zeigt. Filigran mit zartem, vibrierenden Säurenerv ist die Brücke derweil noch arg verschlossen, dabei kristallin und klar mit guter Länge (92). Dönnhoffs Hermannshöhle zeigte eindrucksvoll, wozu 2018 in der Lage ist. Mit karger Frucht und leichter Kräuterwürze präsentiert sie sich am Gaumen steinig mit zitrisch-salinem Charakter. Zitrus und Kräuter erinnern an Kumquats und Grapefruit, Austernschalen steuern salzige Noten bei, die zarte Bitternote der phenolischen Komponenten schnürt das gustatorische Mieder zu einem straffen, höchst vergnüglichen Gesamtgenuss (94+).

Dr. Crusius: höhere Reife, mehr Süße

Dr. Crusius fünf GG wirken im direkten Vergleicht reifer als die anderen Nahe-GG. Auch am Gaumen ist deutlich mehr Restzucker schmeckbar, der sich zwar in das Gesamtkonzept integriert, die Weine aber mitunter etwas mollig wirken lässt. Der Mühlberg im Rotenfels ist extraktsüß und fruchtbetont mit fülligem Naturell: fast trinkfertig (90). Der Steinberg zeigte sich ähnlich fruchtbetont, reif und mit überbordender Süße im Antrunk (90). Die Bastei hingegen fiel deutlich strukturierter aus mit würzig herben Noten und flankierender Phenolik, die der warmen und reifen Frucht gustatorisch Leitplanken setzt (91+). Ähnlich verhielt es sich bei der Kupfergrube, die dank ihres typischen und oft stählernen, messerscharfen Säurenervs die füllige Frucht in Zaum hält (92).

Gut Hermannsberg: „mit ordentlichem Wumms“

Gut Hermannsberg bringt 2018 nur seine GG vom Rotenberg, Steinberg und Felsenberg auf den Markt, da die Top-Gewächse von den Lagen Bastei, Hermannsberg und Kupfergrube künftig erst nach zwei Jahren freigegeben werden. Der Rotenberg zeigt sich mit deutlichen Reduktionsnoten und würzig-warmem, leicht rauchigem Nachhall. Am Gaumen zeigt er sich im Gegensatz zur Nase fast jovial mit freudvoller, extraktreicher Frucht und gutem Punch (92). Der Steinberg: der leicht süße Antrunk im Auftakt und die etwas mollige Frucht werden vom lang gespannten Säurebogen wieder eingefangen und mit einem steinig-mineralischen Bass unterlegt (92). Der Felsenberg eröffnet ebenfalls mit der derzeit populären Reduktion sowie mit präsenter, süßlicher Frucht. Ansonstenn kommt er mit ordentlichem Wumms daher. Dicht und engmaschig ummantelt die Phenolik den seidigen Säurenerv zu einem festen Konglomerat mit langem Finish (93).

Schäfer-Fröhlich: etwas weniger Sponti-Noten als sonst

Schäfer Fröhlich markiert in 2018 zusammen mit Dönnhoff mit sechs GG quantitativ die Spitze der Nahe. Die Weine zeigen sich in der Nase gemessen an früheren Jahrgängen vergleichsweise diszipliniert, was die Intensität der Sponti-Noten angeht. Der Felsenberg führt das Ranking an mit initialer Reduktion und hedonistischer Frucht nach Äpfeln und Zitrus sowie Grapefruit und grünen Mandarinen. Am Gaumen saftig, packend mit feiner Phenolik und ordentlichem Trinkfluss (94). Das Felseneck ist etwas zurückgenommener, fast ätherisch mit filigranem Auftritt und zart zitrischer Frucht, packend, mit grandioser Länge und salzigem Nachhall (93). Die Kupfergrube zeigte sich ebenfalls gut aufgelegt mit einem Korb gelber Früchte, etwa Mirabellen, gelbe Äpfel und Orangenöl. Das ganze saftig unterlegt mit etwas Zuckerwatte, linearem Trinkzug und guter Länge (93).

Vergleich mit Emrich-Schönleber

Im letzten Flight folgte ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schäfer-Fröhlich und Emrich-Schönleber mit ihren Paradelagen Frühlingsplätzchen und Halenberg. Schäfer-Fröhlichs Frühlingsgplätzchen zeigte sich als fröhlicher Nasenbär mit viel Fruchtaromen: Zitrus, grüner Mandarine, Orangenblütenöl und Limette. Diese setzen sich auch am Gaumen fort. Insgesamt ein spannungsreiches, druckvolles GG, mineralisch schlank mit vibrierender Frische sowie erstaunlicher Zugänglichkeit in diesem jugendlichen Stadium (93+). Emrich-Schönlebers Frühlingsplätzchen zeigte sich in der Nase vergleichsweise zurückhaltend, ätherisch mit glockenklarer Ansprache am Gaumen, vertikal strukturiert mit viel Grip. Das geradezu orchestrale Säurespiel ist getragen von zarter Phenolik und mineralisch langem Nachhall (94). Die Halenberg-Weine boten ein ähnliches Szenario und bestiegen für mich zusammen mit Dönnhoffs Hemannshöhle das Siegertreppchen der Naheweine. Schäferi-Fröhlich legt mit einem moderaten Sponti-Böckser vor, gefolgt von Kernobst wie rote Äpfel, reife Birne und jede Menge Zitrus, dazu ein paar rauchige Komponenten. Die vielschichtige Nase avisiert bereits kraftvolle Spannung am Gaumen – und der Wein liefert: pulsierend kraftvoll mit sonorem Bass (94+). Emrich-Schönleber ist in der Nase abermals zaghafter, läuft dafür am Gaumen zur Höchstform auf. Mit seiner dunklen Aromatik ist er enorm druckvoll, hochkomplex, packend. Mit mehr Luft baut er zunehmend aus, entpuppt sich als würzig, reif mit straffem Säurezug (95).

Handschrift der Winzer und Profil der Lage gut herausgearbeitet

Fazit: Die Nahe präsentiert sich in 2018 homogen auf hohem Niveau. Ihre GG vom Riesling gehören zur Spitze des Jahrgangs in Deutschland. Viele Weine sind überraschenderweise bereits jetzt zugänglich. Die verschiedenen Lagen erlauben nachvollziehbar den Vergleich der Winzer und ihrer Handschriften und singen dabei stets das Hohe Lied der Lage.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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