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Nachverkostet: 1991 Petaluma Chardonnay, Piccadilly (Australien)

Diesen Wein hatte ich Anfang der 90er Jahre im Gepäck aus Australien mitgebracht. Zu jener Zeit wurden nur wenige australische Weine nach Deutschland importiert. Wer sich für sie interessierte, musste sich ins Flugzeug setzen. 24 Stunden nach Perth, dort umsteigen und noch einmal vier Stunden nach Adelaide fliegen, Auto mieten und eine halbe Stunde über den Princess Highway hinauf in die Adelaide Hills fahren – wenn man nach Piccadilly will, wo die Petaluma Winery steht.

Brian Croser, der Gründer und damalige Besitzer, hatte mich auf dem Weingut empfangen. Ein hoch gewachsener, etwas blass wirkender Mann, der jeden Keller auf der Welt zu kennen schien. Kein Winzer nach europäischem Verständnis, sondern ein Weinunternehmer, der von der Finanzierung über den Bau bis hin zum Betrieb seiner Winery alles in eigener Regie plante, der aber vor allem Winemaker war und jeden seiner Weine minutiös konzipierte.

Wein aus den Adelaide Hills

Die Adelaide Hills sind ein bewaldeter Höhenzug, der auch im australischen Sommer grün ist und der vor allem für seine Äpfel, Kirschen, Aprikosen und Beeren bekannt ist. Es war Sonntag, Croser und ich hatten uns in Bridgewater Mill zum Lunch verabredet. Eine alte Wassermühle, die Croser zusammen mit den nahen Weinbergen gekauft hatte, um dort ein Restaurant zu eröffnen. Das war insofern klug, als die Einwohner der Millionenstadt Adelaide am Wochenende der Hitze der Stadt entfliehen und gerne in die kühlen Hills fahren. In diesem Restaurant standen fast ausschließlich Croser-Weine auf der Karte. Die Petaluma-Weine, die sich schon damals mit guten Burgunder Chardonnays messen wollten, waren teuer, und da die Australier nicht gewohnt waren, viel Geld für Wein auszugeben, hatte Croser vor allem seine Zweitweine auf die Karte gesetzt. Sie heißen – wie das Restaurant – Bridgewater Mill. Leicht zu merken für die Gäste, die an diesem Sonntagmittag zahlreich erschienen waren: Familien, Pärchen, Ausflugsgesellschaften. Mir setzte Croser natürlich seine Petaluma-Weine vor, also die Spitzenweine mit dem gelben Etikett: Riesling, Chardonnay und seinen roten Coonawarra.

Vielleicht liegt es an dem riesigen Kontinent, dass die Australier auch dort, wo sie gehäuft auftreten, genau hingucken, wen sie um sich haben. Wahrscheinlich haben sie diese Art des neugierigen Musterns draußen in den Outbacks kultiviert, wo nur alle paar Wochen einmal ein Fremder vorbeikommt. Jedenfalls schauten die Gäste an den Nachbartischen neugierig zu uns herüber, genau registrierend, dass unsere Weine andere Etiketten trugen als die ihren.

Wie erklärt man es den Australiern?

Glas PetalumaNoch mehr schien sie die Frage umzutreiben, wie zwei Menschen drei Flaschen Wein bestellen können, und dann noch vom teuersten. Da Australier direkte Menschen sind, dauerte es nicht lange, bis der Erste am Tisch auftauchte und unter tausend Entschuldigungen fragte, ob er mal das Etikett unserer Weine sehen dürfe. Croser gestattete es ihm. Der Mann schaute sich das Etikett lange an, aber nicht um zu fragen: Wie schmeckt er? Die Frage, die er stellte, lautete: „Is it worth the money?“

Croser konnte die Frage schlecht mit „ja“ beantworten, und mich wollte er nicht in Verlegenheit bringen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Mann ein Glas Chardonnay anzubieten. Der Mann probierte vorsichtig, und verzog dabei keine Miene. Ich glaube, der Wein schmeckte ihm nicht. Er war so anderes als der Bridgewater Mill Chardonnay, den er bestellt hatte. Statt nach frischer Grapefruit schmeckte er nach Karamell und Vanille, statt Fruchtsüße hatte er Hefe- und Brotaromen. Jedenfalls stellte der Mann das Glas artig wieder zurück auf unseren Tisch, bedankte sich und kehrte zu den Seinen zurück.

Damit war die Sache aber nicht zu Ende. Denn nun wollte der Tisch dahinter wissen, wie es dem Mann mit dem Wein ergangen sei. Und bald darauf mischte sich noch eine Dame in die Diskussion ein. Jedenfalls winkte Croser irgendwann die Bedienung herbei und wies sie an, alle Gästen auf der Terrasse zu fragen, ob sie einen Schluck Petaluma Chardonnay probieren möchten. Der Lunch endete eine Stunde später mit mehreren laut vorgetragenen Toasts.

Ich selbst konnte damals mit dem Petaluma Chardonnay wenig anfangen. Zu holzig, zu schwer, zu nussig im Geschmack kam er mir vor. Er war aus dem reifsten Lesegut in der kühlen Region Adelaide Hills erzeugt worden, war in neuer Vogesen-Eiche auf der Hefe vergoren und ausgebaut worden. 90 Prozent des Weins hatten einen biologischen Säureabbau gemacht.

Nachverkostung im kühlen Mitteleuropa

Aber ich dachte mir, dass so ein Chardonnay, wenn er denn dem burgundischen Vorbild nacheiferte, im kühlen Mitteleuropa vielleicht besser schmecken würde als unter der Sonne Australiens. Nach meiner Rückehr nach Deutschland legte ich die Flasche in den Keller – und vergaß sie. Erst jetzt entdeckte ich sie wieder, und sofort fiel mir die Geschichte vom Lunch in Bridgewater Mill wieder ein.

Optisch lud die Flasche nicht zum Trinken ein. Ein feiner Film aspergus niger, zu deutsch: Schwarzschimmel, hatte sich auf das leuchtend gelbe Etikett gelegt. Doch der Korken war perfekt und der Inhalt überraschte. Bernsteingelb in der Farbe, aber keine Spur von Oxydation, dafür ein feiner Duft von Kochbirne, Tee, petroliger Süße. Statt fett und behäbig präsentierte sich der Wein am Gaumen geschmeidig mit einer für Chardonnays fast strammen Säure. Ich trank ihn zu weißem Spargel mit Sauce Hollandaise. Sicher, es wäre vielleicht besser gewesen, den Wein schon vor fünf Jahren zu trinken. Dennoch muss man sagen: Er hat sich fabelhaft gehalten. Anything but Chardonnay? Mit mir nicht!

Übrigens: Petaluma gehört heute zu Champagne Bollinger. Die Petaluma-Weine sind in Deutschland allerdings schwer zu finden. Das Restaurant Bridgewater Mill gibt es aber nach wie vor. Wenn Sie, lieber Leser, in der Gegend sind, reservieren Sie sich einen Tisch. Die Speise- und Weinkarte können Sie schon vorher im Internet einsehen (www.petaluma.com.au). Brian Croser werden Sie dort allerdings kaum mehr treffen. Er ist kein Winemaker mehr, sondern pendelt zwischen Australien und Europa hin und her, um für den neuen Besitzer ein Portfolio an interessanten Weingütern zusammenzustellen.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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