Der größte Teil dieses Weins ist wahrscheinlich längst ausgetrunken. Leider. Denn jetzt zeigt sich, in welche Höhen sich ein roter Wein aufschwingen kann, wenn er aus der teuersten Spätburgunderlage Deutschlands kommt und man ihm Zeit gibt. Dieser 1990er Assmannshäuser Höllenberg, der inzwischen fast 25 Jahre alt ist, ist kein bisschen müde. Die Farbe ist relativ dunkel, das Bouquet beherrscht von schwarzer Johannisbeere, Pfläumchen und Roter Bete, aber auch von Koriander, Klee und einer feinen Graphitnote. Der Höllenberg ist eine hundertprozentige Schieferlage.
Der Wein hat noch immer Biss

Am Gaumen zeigt sich dann, wie präzise dieser Wein gearbeitet ist. Kein Anflug von Unfrische schmälert den Genuss. Er ist weder alkoholisch noch entwickelt er flüchtige Säure. Die Pinot-Süße ist da, aber es ist keine Todessüße. Sicher, die Primäraromen sind nicht mehr so ausgeprägt wie vor 25 Jahren. Aber die Frucht ist noch sehr präsent, die Säure auch. Man reibt sich die Augen: In einem gewissen Sinne hat dieser Wein immer noch Biss. Und von dem Neuholzton, den die Kritiker dem Wein und dem Winzer damals so heftig vorwarfen, ist nichts mehr geblieben.
Überraschend frisch
Vor zwei Jahren habe ich den 1990er Chambertin von Armand Rousseau getrunken, einer der ganz großen Weinikonen des Burgund. Ich sage nicht, dass Kesselers Spätburgunder auf Augenhöhe ist. Dieser ist mit seiner ausgeprägten Kräuterwürze ein ganz anderer Typus von Pinot Noir. Aber er ist frischer als das französische Pendant, das schon sehr reif ist und seinen Höhepunkt leicht überschritten hat. Davon ist der Höllenberg weit entfernt. Er ist nicht dabei auszutrocknen oder zur Neige zu gehen. Er steht auf ganz festen Füßen.
Niedrig im Alkohol

1990 war ein großes Burgunderjahr im Rheingau. Kesseler sagt, dass die Trauben total gesund waren und trotz guter Reife eine ungewöhnlich hohe Säure aufwiesen (6,7 g/l). Dadurch erklärt sich der große Spannungsbogen, den der Wein hat. Während es heute ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass hochwertige Spätburgunder-Moste mindestens 100 Oechsle haben sollen, lag das Mostgewicht von Kesselers Spätburgunder damit darunter. Entsprechend niedrig ist der Alkoholgehalt. Auf dem Analyseblatt stehen magere 11,65 Vol.%. Wie ein derart leichter Wein so gut alt werden kann? Aus den Analysewerten ist die Erklärung jedenfalls nicht herauszulesen.
Der Höllenberg macht den Unterschied
Der Höllenberg über AssmannshausenKesseler ist überzeugt, dass es die Lage ist, die für das große Alterungsvermögen des Weins zuständig ist: „Die Höllenbergweine besitzen eine unglaubliche Langlebigkeit.“ Zumindest gilt das für seine Weine und die der Hessischen Staatsdomäne Assmannshausen. Als unlängst ein 1959er Assmannshäuser Spätburgunder Cabinet der Staatsdomäne geöffnet wurden, erwies sich dieser nach dem Urteil der Verkoster als ungemein saftiger, ganz und gar nicht schwächelnder Wein – eine Eigenschaft, die bei Spätburgundern aus Baden, der Pfalz und von der Ahr in dieser Form noch nicht beobachtet worden ist. Dabei wurde (und wird) in der Staatsdomäne ganz anders gearbeitet als bei Kesseler, der der Gärung eine bis zu 14-tägige Maischestandzeit vorschaltet, extrem langsam vergärt, in Barriques ausbaut und später als alle anderen füllt. Es scheint, als führe das unterschiedliche Handling zwar zu einer anderen Stilistik, habe aber für das Alterungsvermögen des Weins nur eine nachrangige Bedeutung gegenüber dem Einfluss, den der „Berg“ ausübt.
Die Zeit der Sternchen ist vorbei
Jedenfalls erwies sich der 1990er Spätburgunder** von August Kesseler als sehr stabiler, eleganter Wein mit hervorragendem Trinkfluss. Dabei ist der **Höllenberg noch nicht einmal der beste Spätburgunder, den Kesseler in 1990 auf die Flasche gebracht hat. Es gibt sogar noch einen ***Spätburgunder. Inzwischen hat Kesseler das Sternchen-System abgeschafft. Es gibt nur einen Wein, der den Namen Höllenberg auf dem Etikett trägt, und den auch nur in guten Jahren. Mit rund 100 Euro ist er nicht eben preiswert. Er kommt auch nur aus den besten Parzellen des Höllenbergs mit 100-jährigen Stöcken. Entsprechend rar ist er.
Bezug: Der Wein ist über das Weingut August Kesseler in Assmanshausen erhältlich.