Dienstag, September 17, 2024
8.8 C
München
spot_img

Nachverkostet: 1999 Pignolo, Le Vigne di Zamò

Pignolo ist ein Rotwein aus dem Friaul. Kenner sagen, er sei der beste – allerdings auch der sperrigste in seiner Jugend. Ulrich Sautter, unser Mann fürs Besondere, hat eine alte Flasche aufgemacht – und war angenehm überrascht.

1999 Pignolo, Le Vigne di ZamòIm Jahr 2002 befand ich mich auf einer Rundreise durch die nordostitalienische Region Friaul. Damals begann gerade der Trend hin zu den autochthonen Sorten. Statt Sauvignon und Chardonnay stellten die Winzer Tocai (heute offiziell Friulano geheißen) und Ribolla in den Vordergrund, statt Merlot und Cabernet die roten Lokalsorten Refosco, Tazzelenghe, Schioppettino. Und Pignolo: auffallend dunkelfarbene, seltsam gerbstoffreiche Weine aus einer völlig unbekannten Rebsorte gleichen Namens.

Unbekannt auch den meisten Friaulanern. Denn sie ist mit keiner anderen europäischen Sorte verwandt, und es gab damals gerade 29 Hektar, die mit ihr bestockt waren. Zwei Winzer stritten sich, wer diese mindestens 400 Jahre alte Traube (wieder-) entdeckt hatte: Girolamo Dorigo und Walter Filiputti. Letzterer nahm für sich in Anspruch, Pächter der Abbazia di Rosazzo zu sein, die als Entstehungsort der Pignolo gilt. Tatsächlich hatte er um die Abtei südlich von Udine zwei alte Stöcke Pignolo gefunden, die Reblaus und Weltkriege überlebt hatten. Er hatte sie vermehrt und konnte 1985 den ersten Rotwein aus dieser Sorte auf den Markt bringen.

Heimat des Pignolo: die Abtei von Rosazzo

Dorigo behauptete dagegen, die beiden alten Stöcke, die bei der Abtei von Rosazzo gestanden hätten, hätten das Erbgut zweier grundsätzlich verschiedener Spielarten in sich getragen, und nur „sein“ Pignolo sei der echte. Die Wahrheit wird sich nicht mehr feststellen lassen. Dorigo erzeugt bis heute in schöner Regelmäßigkeit einen exzellenten Pignolo, während Filiputti sich ganz aus dem Weingeschäft zurückgezogen hat. Die von ihm wiederhergestellten Weinberge haben inzwischen viele Pächter gesehen. Der Bischof von Udine, Besitzer der Abtei von Rosazzo und der Weinberge um sie herum, war nicht wählerisch, was die Pachtverträge anging. Wer mehr zahlte, bekam den Zuschlag.

Das Weingut Le Vigne di Zamò hatte sich durch Kauf und Pachtvertrag einen großen Teil der Weinberge gesichert und bereits 1996, direkt gegenüber der alten Abtei, neue Weinberge angelegt und eifrig Pignolo-Stöcke vermehrt. Als ich 2002 kam, existierte bereits eine prächtige Anlage dieser Sorte in den hübsch anzusehenden Querterrassen. Ich beschloss, den 1999er Pignolo, der damals gerade freigegeben worden war, für längere Zeit in den Keller zu legen. Dort vergaß ich ihn dann.

Noch ganz vitaler Wein…

Weingut Le Vigne di Zamo
Weingut Le Vigne di Zamo

Umso gespannter war ich, als ich die Flasche jetzt wieder fand. Nach zwei Tagen aufrechter Lagerung – ich hatte einiges Depot am Boden der Flasche ausgemacht – öffnete ich die Flasche. Schon die Farbe stimmte optimistisch: ein leuchtendes Kirschrot mit nur leicht gereiften Nuancen am Rand. Auch im Duft zeigte sich dieser Pignolo noch als ganz und gar vitaler Wein: mit Aromen von feuchtem Lehm, Schlehen und roten Johannisbeeren.

Und kein Anflug von Müdigkeit. Seine Flaschenreife deutete dieser 13 Jahre alte Wein ausschließlich durch die komplexe Wandlung seiner Aromen an: Je länger der Wein im Glas blieb, desto stärker verwandelte sich die lehmige Note in ein Kräuter-Aroma. Auch die Frucht changierte hin zu Noten von Wildpflaume und Bitterschokolade.

Milder Gerbstoff

War ich zu diesem Zeitpunkt bereits höchst angetan, so begann ich erst recht zu strahlen, als ich den Wein in den Mund genommen hatte. Der Gerbstoff war mild und mürbe geworden – nicht ohne mit einem leicht harzigen Nebenton an seine frühere Kraft zu erinnern. In der Gaumenmitte floss der Wein mild und rund über die Zunge, bevor ihn eine feingliedrige, reife Säure in den Abgang hinein trug. Dort stellte sich eine kräftige taktile, mineralische Wahrnehmung ein, und auch die Frucht hallte lange nach.

Abbazia di Rosazzo
Abbazia di Rosazzo

Ist der Pignolo mit irgend einer anderen Sorte vergleichbar? Eher nein. Im Zusammenspiel von Gerbstoff und Mineralität erinnert er vielleicht entfernt an einen Burgunder, in der feinnervig untermalten Milde seiner Gaumenmitte an einen hochwertigen Pomerol. Die Aromen hingegen scheinen auf eine schwer zu greifende Weise eher „italienisch“ als „französisch“ zu sein, auch wenn sie mit Nebbiolo fast gar nichts und mit Sangiovese nur wenig gemein haben.

Aber der Pignolo braucht gar nicht verglichen zu werden. Er hat seine eigene Geschichte, soll schon vor Jahrhunderten von den Benediktinern selektiert worden sein. In Vergessenheit geriet er seiner niedrigen Erträge wegen. Und seinen Namen erhielt er durch Form und Größe seiner Traube, die einem Pinienzapfen („pigna“) ähnelt.

Inzwischen hat der Pignolo eine kleine Renaissance erfahren. Ein gutes Dutzend von Weingütern hat die Rebsorte ausgepflanzt. Der größte Pignolo-Produzent ist heute Jermann.

Der Wein

1999 Pignolo, Colli Orientali del Friuli DOC
Weingut: Le Vigne di Zamò, Manzano
Weinkenner-Bewertung: 93/100 Punkte
Preis (Jahrgang 2004): 53,90 Euro
Bezug: www.profumo-del-vino.de

- Anzeige -spot_img
- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img