Deutschland wurde 1986 von der RAF in Atem gehalten. Die Wiedervereinigung lag noch in weiter Ferne. In Frankreich regierte François Mitterand. In Russland, das damals noch UdSSR hieß, flog das Atomkraftwerk von Tschernobyl in die Luft: Die Erinnerungen an das Jahr 1986 sind noch lebendig.
Doch für einen Weißwein sind jene 25 Jahre, die seitdem vergangen sind, fast so viel wie drei Leben. Oder fünf. Oder zehn – je nach dem, um was für einen Weißen es sich handelt.
25 Jahre überlebt ohne Altersspuren
Der 1986er Tokay-Pinot Gris der Domaine Weinbach im elsässichen Kayserberg hat die 25 Jahre gut überlebt. Er präsentiert sich heute in einer honiggelben Robe und mit einem Bouquet, das von Quitte über Teeblätter, Bratapfel, weißer Schokolade bis hin zu Minze und Zitronenmelisse reicht. Keine Spur von Unfrische, gar von Oxydation. Natürlich besitzt der Wein nicht mehr die limonadige Frische junger Rieslinge oder anderer Weißweine. Gott sei Dank. Er läuft cremig über den Gaumen, ist druckvoll und klingt mit seinen zahlreichen Facetten lange, sehr lange nach.
So kann nur ein Wein schmecken, bei dem alles stimmt. Der am richtigen Ort gewachsen und durch die Hände der richtigen Menschen gegangen ist. Der richtige Ort, das ist in diesem Fall der Clos du Capucins, ein von einem niedrigen Mäuerchen eingefasster Weinberg von fünf Hektar Größe, im Vorbeifahren nicht sonderlich spektakulär, aber aus alluvionalen Sänden mit Granitschotter und Kiesel bestehend. Dieser Boden erwärmt sich leicht. Und der Pinot Gris, zu deutsch: Grauburgunder, braucht Wärme. Sonst fehlt ihm die Reife und die Opulenz. Die richtige Rebsorte ist eben auch wichtig.
La Blonde et la Brune
Die richtigen Hände, das sind in diesem Fall die Hände der Familie Faller. Sie hat die Domaine Weinbach 1898 erworben. Auf dem Etikett steht noch Théo Faller. Er ist 1979 gestorben. Seine Frau Colette führte damals den Betrieb mit Hilfe von Jean Merky, einem Freund ihres Mannes, weiter. Sie ist keine Önologin. Aber sie kann gut kochen liebt große Gesellschaften – auch eine Schlüsselqualifikation für Winzer. Inzwischen führen ihre beiden Töchter Cathérine und Laurence das Weingut. Letztere brünett und eine studierte Önologin, erstere blond und eine gute Verkäuferin. „La blonde et la brune“ seien unzertrennlich, hat die französische Tageszeitung Le Monde geschrieben.
Tatsächlich stimmt die Chemie zwischen den Schwestern. Sie sind wie Zwillinge, obwohl sie altersmäßig elf Jahre auseinander liegen. Cathérine, inzwischen 55, erzählt immer wieder gerne, wie sehr sie sich als Kind eine Schwester gewünscht habe. Zeitweise habe sie jede Nacht ein Stück Zucker auf den Fenstersims gelegt, damit der Storch ihr ein Geschwisterchen bringe. Es hat etwas genützt.
Neben Zind-Humbrecht bekanntester Erzeuger im Elsass
Übrigens boomt, seit Mutter Colette nur noch Grande Dame ist und ihre Töchter die Verantwortung tragen, der Weinverkauf nach Amerika. Für die Hollywood-geprägten Amerikaner sind “la blonde et la brune “Stars.
Die Domaine Weinberg ist neben Zind-Humbrecht das international bekannteste elsässische Weingut. Sie erzeugt Sylvaner, Pinot Blanc, Pinot Noir und Muscat. Ihre berühmtesten Weine sind jedoch Riesling, Tokay-Pinot Gris und der Gewürztraminer. Der Riesling vom Grand Cru Schlossberg ist fleischig, reich und elegant. Die Gewürztraminer sind unbeschreiblich, insbesondere der Grand Cru Furstentum. Und der Pinot Gris? Könnte, wenn gereift, durchaus einen Gewürztraminer ersetzen, glaubt Madame Colette: So üppig, so komplex, so wuchtig ist dieser Wein.
Die Bezeichnung Tokay, die auf dem Etikett auftaucht, hat übrigens nichts mit den edelsüßen ungarischen Tokajer zu tun. Pinot Gris heißt im Elsass traditionell Tokay. Erst 2006 wurde dieser Name verboten, um Verwechslungen zu vermeiden.
Biodynamisch bewirtschaftet, spontan vergoren
Der heutige Pinot Gris der Domaine Weinbach kommt noch immer vom Clos des Capucins, heißt aber einfach Cuvée Sainte Cathérine. Er besitzt buttrig-mineralische Aromen, lässt im Hintergrund Limettenduft durchscheinen, hat immer 14,5 Vol.% Alkohol, nicht selten auch 15 Vol.%. Kein Leichtwein also. Die gesamten 27 Hektar der Domaine werden biodynamisch bewirtschaftet. Und weil die Weine ohne Hefezusatz spontan vergären, weisen sie oft ein paar Gramm unvergorenen Zucker auf.
Auch der Pinot Gris, obwohl er trocken schmeckt. Madame Colette empfiehlt ihn zu Kalbfleisch in Velouté und zu Geflügel. Also zu Gerichten, zu denen auch gern Rotwein serviert wird. Kein Zufall: Die Pinot Gris ist nicht eindeutig eine Weißweintraube. Ihre kupferrote Färbung zeigt, dass sie noch Gene der Pinot Noir in sich trägt und mutationsmäßig auf halbem Weg zur Pinot Blanc stehen geblieben ist.
Altmodischer Pinot Gris-Stil
Das Elsass trägt als letztes Anbaugebiet der Welt diesem Umstand Rechnung und erzeugt aus der zwittrigen Sorte Weine, die zwar weiß sind, aber den Körper und das Gewicht eines Rotweins besitzen. Sie werden, wie Rotweine, mit biologischem Säureabbau vinifiziert und hinterher wie Rotweine im (großen) Holzfass ausgebaut.
Diesen altmodischen Pinot Gris mögen nur wenige Leute. Junge Wein-Piraten, Freaks und die meisten Nachwuchs-Sommeliers sind ausschließlich auf frische Weißweine abonniert. Viele kennen diesen Stil gar nicht. Sie suchen im Weißwein Frucht, Leichtigkeit, Säure, aber nicht Struktur.
So kommt es, dass Weine wie die der Domaine Weinbach immer seltener in Weinhandlungen und Restaurants in Deutschland gesichtet werden. Sie passen nicht in das hierzulande vorherrschende Leichtwein-Schema, kosten über 30 Euro und bieten, wenn reif, eine Aromenpalette, die auf die modernen Weintrinker eher fremd wirkt.
Auch Vendange Tardive vom Pinot Gris
La blonde et la brune können es verschmerzen. Ihre Produktion wäre viel zu klein, dürstete es allen nach ihrem Pinot Gris. Laurence, die Kellermeisterin, hat sogar noch einen draufgesetzt und eine Vendange Tardive vom Pinot Gris gemacht: überreife Trauben aus ihrer besten Lage Altenbourg. Cuvée Laurence heißt sie, ist deutlich restsüß und hat – darauf ist sie stolz – 15 Vol.% Alkohol. Also nichts für Weindiabetiker! Madame Colette hat auch schon das passende Gericht dazu: Entenbrust mit Honigkruste. Oder – man ahnt es bereits – Foie Gras.