Bei der diesjährigen „Vorpremiere“ der Großen Gewächse in Wiesbaden markierte die Mosel die Spitze, was die Anzahl der eingestellten Weine betraf: Ganze 60 Große Gewächse von insgesamt 19 Gütern boten einen detaillierten Blick auf das Jahr 2018. Wieder einmal wurde deutlich, dass die Saar der Gewinner der Klimaveränderung ist. Von den einstellenden Betrieben stammten sechs von der Saar und zwei von der Ruwer, der Rest entfiel auf die Mittel- und Terrassenmosel. Ernst Loosen ging mit sage und schreibe neun GG ins Rennen.
Die Terrassenmosel: Knebel und Heymann-Löwenstein
Eröffnet wurde die Mosel-Phalanx mit einem Kracher: Mit seinem 2018er Röttgen legte Matthias Knebel die Latte hoch – und nicht allein für die Terrassenmosel. Schieferwürzig vereinte sein Riesling Stoffigkeit mit ausladender Frucht bei schlankem Körper, das Ganze glockenklar mit langem Nachhall. Ein perfekter Wein zur Kalibrierung, der zeigte, wie man mit dem Jahrgang 2018 umgehen konnte (94). Knebel und Heymann-Löwenstein teilen sich den ersten Flight, wobei bei Löwenstein die Wärme des Jahrgangs deutlicher hervorstach, was sich insbesondere beim für gewöhnlich sehr kargen Blaufüsser Lay in Richtung Pfirsich verschob und für aparten Fruchtspeck auf den Rippen sorgte. Auch der subtil rauchige Röttgen Heymann-Löwensteins sowie sein Laubach und sein Kirchberg zeigten sich von ihrer fruchtbetonten Seite, wobei der Laubach am fokussiertesten wirkte und sich in der Nase bereits ziemlich diszipliniert zeigte (92). Die fast saline Schiefermineralik verlieh ihm ordentlich Druck und hohe innere Spannung, während der Kirchberg sich offenherziger präsentierte mit üppiger Frucht: eine in sich geschlossene, charmante und expressive Kollektion.
Clemens Busch: Aromenregler auf maximalem Anschlag
Im zweiten Flight trafen Heymann-Löwenstein, Clemens Busch und Dr. Loosen aufeinander: ein Clash der Stilistiken, wie er größer nicht sein könnte. Heymann-Löwensteins Stolzenberg reihte sich stilistisch in die vorangegangenen Weine ein, der Marienburg und Marienburg „Rothenpfad“ von Clemens Busch bestachen durch ihre Präzision und Reintönigkeit. Der Marienburg zeigte sich glasklar mit warmer Frucht nach weißen Pfirsichen und fülligem Naturell, wohingegen der „Rothenpfad“ aromatisch mehr ins Dunkle tendierte. Beide Weine schienen unterlegt von großen Mengen an Gestein, das sich förmlich ins Glas ergoss. Mit deutlicher Phenolik und etwas Bitterschokolade oder Tabak zeigte sich der „Rothenpfad“ fest mit dichter Statur und solidem salinen Fundament und sprach zu diesem Zeitpunkt mehr von der Zukunft als von baldiger Trinkreife (93): kompromisslose Weine, die ihre Aromenregler auf maximalen Anschlag gedreht haben.
Kontrapunkt: die GG von Dr. Loosen
Das Trio von Erdener Treppchen, Ürziger Würzgarten und Lösnicher Försterlay setzte im Anschluss einen Kontrapunkt zur vorangegangen Stilistik. Der im Vergleich deutlich höhere Schwefeleinsatz erschwerte den Zugang zu den Weinen, die sich nach etwas Belüftung aber trennscharf präsentierten. Das Treppchen zeigte sich in der Nase schweigsam, die Frucht erblühte am Gaumen und zierte den federleichten Wein mit kristallinem Fluss und fein gearbeitetem Säurenerv (89). Der Würzgarten zeigte sich gewohnt reichhaltiger mit deutlicher Gelbfrucht und würzig-pfeffrigem, schiefer-schmelzigem Gaumen mit anständigem Druck, während der Försterlay in der Nase leicht dropsig wirkte und auch am Gaumen mit Restzucker kokettierte.
Domprobst und Sonnenuhr aus Wehlen: verschiedener geht es nicht
Im dritten Flight traten vier Sonnenuhren gegeneinander an, gefolgt von zwei Dompröbsten. Geheimrat J. Wegeler, Dr. Loosen, S.A. Prüm und Schloss Lieser zeigten dabei unterschiedliche Interpretationen der berühmten der Wehlener Lagen. Wegeler zeigte sich in der Nase und am Gaumen sehr üppig (88), Dr. Loosen schien im Vergleich schlank, stahlig und glockenklar (89), während S.A. Prüm mit dem Holz spielte, was dem Wein einen gewissen Charme verlieh (88). Schloss Lieser setzte dagegen auf die derzeit populäre Reduktionsnote und zeigte mit seiner Sonnenuhr, wie man ein Maximum an Spannung auch aus warmen Jahren wie 2018 herausholt: ein weit gespannter Säurebogen, umhüllt von hohem Extrakt und unterlegt von vibrierender Mineralik, die einen durstig werden lässt (94). Die zarteren Weine vom Graacher Domprobst zeigten sich danach erwartungsgemäß leicht, wobei Dr. Loosen noch sehr jugendlich wirkte, das GG von S.A. Prüm hingegen durch seinen Holzeinsatzes und seine feine Säurestruktur bestach.
Licht und Schatten in Graach und Bernkastel
Im vierten Flight betrat Nik Weis vom St. Urbans-Hof mit seinem Mehringer Layet die Arena. Gelbfruchtig zeigte sich sein GG von der jovialen Seite, am Gaumen saftig mit pikanter Säure und einem fest geschnürten phenolischen Korsett, das ihn apart konturierte (90). Von den drei GG Dr. Loosens überzeugte allein das Bernkasteler Johannisbrünnchen, wohin gegen das Graacher Himmelreich und die Bernkasteler Lay karg und spannungsarm wirkten. Auch der Bernkasteler Doctor von Geheimrat J. Wegeler blieb mit seinem mollig-sahnigen Naturell (88) eindeutig hinter den Möglichkeiten dieser historisch-großen Lage zurück und liess die nötige Zündung am Gaumen vermissen.
Ein Feuerwerk der Haag-Brüder
Ein Riesling-Feuerwerk hingegen zündeten Schloss Lieser, Fritz Haag und Haart. Eröffnet wurde es mit Thomas Haags Niederberger Helden (Schloss Lieser). Mit jugendlich verhaltener Frucht unter feiner Reduktion zeigt er sich am Gaumen spannungsreich mit perfekter Balance von Extrakt, animierender Säure und Mineralik (94). Der Brauneberger Juffer seines Bruders Oliver (Fritz Haag) zeigte sich filigran und pulsierend mit feiner Würze und prägnant zitrischen Komponenten in der Kopfnote, unterlegt mit markanter Schieferwürze. Der tief wummernde Brauneberger Bass fand sich sowohl in Schloss Liesers als auch Haags Juffer Sonnenuhr wieder, wobei Thomas Haags Interpretation experimenteller ausfiel. Geschliffen und klar trotz des warmen Typs hatte er dank griffiger Säure und salziger Mineralik eine unglaubliche Spannung. Fritz Haags Version ist im Vergleich dazu keinesfalls schlechter, nur etwas mehrheitsfähiger mit der ihm eigenen zitrischen Note im Obertonbereich (beide 92).
Maximin Grünhaus und Karthäuserhof: vibrierend und mit sonorem Bass
Maximin Grünhaus und der Karthäuserhof eröffneten danach den Ruwer-Reigen, wobei von Schuberts Abtsberg einen Tick vor dem Bruderberg und dem Herrenberg rangierte. Geschliffen und klar präsentierte sich dieses GG, kräuterwürzig und kühl, mit pikanten Noten von weißem Pfeffer und generell wenig Frucht. Am Gaumen mineralisch-filigran und voller Vibration mit sehr guter Länge, dabei straff und sehnig mit kühlem Finish und leicht minziger Kopfnote (93). Der Herrenberg bestach durch seine tiefe, dunkle und würzige Frucht, die an Brombeeren und Cassis, Minze und Johannisbeerlaub erinnerte (91). Der Eitelsbacher Karthäuserhofberg brillierte dagegen durch seine floralen Kopfnoten, die an Stockrosen, Muskatblüte und Rosen erinnerten. Am Gaumen mit sattem Extrakt und fülligem Körper, sonorem Bass und athletischer Figur sowie einem Hauch Puderzucker im Nachhall (91).
Zwei Stars von der Saar: Van Volxem und von Othegraven
Kommen wir zur Saar. Van Volxem eröffnete mit seinem Wawerner Goldberg den Reigen von insgesamt sechs Großen Gewächsen. Kellermeister Dominik Völk gelingt es Jahr für Jahr besser, das sehnig-straffe Naturell der Weine präzis herauszuarbeiten. Die Frucht dient dabei nur als Vehikel für die Struktur, die Mineralik wird gestützt von zarter Phenolik. Alle GG sind durch hohe Reife und ein langes Hefelager geprägt, das sie frisch hält. Sie besitzen in 2018 einen rasanten Trinkzug, wobei der Schwefel etwas locker zu hängen scheint. Der Altenberg steuert mit vollem Wumms voraus, gefolgt vom Volz mit apartem Bittermandelton in der Kopfnote. Der Scharzhofberg zeigt sich offenherziger und zugänglicher (93) als der Scharzhofberg „Pergentsknopp“, der in der Nase wie vernagelt war und seine Anlagen nur am Gaumen preisgab: ein Rennwagen am Start, der die Power, die unter der Kühlerhaube steckt, nur ahnen lässt (94). Der Altenberg von Othegraven verbindet Reife mit dunkler Frucht – ein freudvoller Wein, dicht gewoben mit einer ordentlichen Ladung Schiefer, satt und gleichzeitig filigran: in 2018 ein Aspirant auf die Top Five an Mosel/Saar (94).
Auch Lauer und Zilliken lassen die Saar hell strahlen
Florian Lauers drei GG zeigen sich allesamt tänzerisch filigran, wobei der Ayler Schonfels von über 100jährigen Reben am opulentesten wirkte und mit seinem dunkelfruchtigen Naturell an Brombeeren und Cassis erinnerte (92). Ein rarer Nektar, von dem jedes Jahr nur wenige Flaschen verfügbar sind. Die Ayler Kupp beweist eindrucksvoll, dass trotz der enormen Hitze des Jahrgangs feine, vibrierende Weine möglich sind, die Reife, Frucht und Säure zu einem gleichschenkligen Dreieck zusammenfügen. Der von seinen Kiesböden geprägte Feils aus Biebelhausen ist eine der wärmsten Lagen Lauers, der mit üppiger Frucht und ätherisch kühler Kopfnote von Bachminze und Wiesenkräutern entsprechend punktet (93). Sein GG von dieser Lage ist Teil des Puzzles, das die Saar zusammen mit der Mosel bildet und diese besonders hell strahlen liess. Zilliken wirkt 2018 etwas sahniger am Gaumen als im Vorjahr und hebt sich stilistisch deutlich ab von Lauer, was sich besonders im direkten Vergleich beider GG von der Ayler Kupp zeigt. Die füllig-warme Frucht umhüllt die reife Säure. Noten von Äpfeln und Tee sowie Aprikosen zeichnen dabei ein höchst erfreuliches Bild. Dieser federleichte Wein besitzt einen immensen Trinkfluss und bietet hohen Genuss mit cremiger Textur (91). Auch die Paradelage Rausch zeigte sich dieses Jahr etwas reifer, ohne jedoch Zillikens Handschrift zu verleugnen oder den Charme der Lage zu verkennen.
Ockfener Bockstein: teils agil wie Nurejew, teils herb wie Marlon Brando
Der letzte Mosel-Flight bei der Wiesbadener „Vorpremiere“ galt dem Ockfener Bockstein. Die Lage war mit fünf GG eindrucksvoll vertreten. Zilliken zeigte sich mit seinem GG von dieser Lage in bereits beschriebener Manier (91). Van Volxems GG ist filigran und feingliedrig (92). Von Othegraven präsentierte sich in festem phenolischen Gewand, dabei füllig mit durchtrainiertem Körper, muskulös und dennoch höchst agil, ein wenig wie der Balettstar Nurejew (93). Nik Weis hat in 2018 gleich zwei GG vom Bockstein im Sortiment. Beide brillieren mit satter Frucht und disziplinierter Fülle. Der Bockstein – Z – legt noch eine Schippe drauf – eine Art Über-Bockstein mit fast kindlichem, doch stets freundlichem Naturell trotz herb-phenolischer Rahmenbedingungen (92). Er erinnert an Marlon Brando in The Wild One, den maskulinen Auftritt eines einfühlsamen Darstellers.
Die Mosel GG in der Gesamtschau: gut mit kleinen Kratzern
Insgesamt hat es die Mosel in 2018 gut getroffen. Der Bestand alter Reben ermöglichte es, auch längere Trockenperioden schadlos zu überstehen, wenn auch hier und dort Trockenstress nicht vermieden werden konnte. Dennoch wirken einige GG dank hoher Reife relativ füllig, was verbunden mit niedrigen Säurewerten zu sehr cremigen Weinen führte. Der Eindruck von Restsüße verstärkt sich dadurch ebenso wie der beherzte Griff zum Schwefel, der dank niedriger Säurewerte deutlicher schmeckbarer ist als in anderen Jahren. In manchen Fällen wurde aus Angst vor Überreife etwas zu früh gelesen. Und dort, wo früh entblättert wurde, entstanden Weine mit stark phenolischem Charakter, deren Genuss durch bitteren Gerbstoff geschmälert wird.