Metal auf der Zunge: Wie Musik schmeckt

Wacken Open Air war dieses Jahr nicht, Dafür gab es eine Weinverkostung für Metalfans im Internet. Paul Kern hat teilgenommen.

Jimi Hen­drix soll sei­ne Songs nicht in Form von Noten oder Tabu­la­tu­ren, son­dern in Far­ben auf­ge­schrie­ben haben. E7#9 zum Bei­spiel, der als Jimi-Hendrix-Akkord bekannt gewor­de­ne Fünf­klang, habe für den E-Gitarren-Virtuosen Lila geklun­gen. Jimi Hen­drix war wie zahl­rei­che Kunst­schaf­fen­de sämt­li­cher Cou­leur (etwa auch der Pia­nist Franz Liszt, der Maler Was­si­ly Kan­din­sky, die Sän­ge­rin Bil­lie Eilish) Syn­äs­the­ti­ker – er konn­te Far­ben hören. Ande­re Syn­äs­the­ti­ker schme­cken Töne oder sehen Gerü­che. Syn­äs­the­sie ist etwa so weit erforscht, wie die pazi­fi­sche Tief­see­fau­na oder die zucker­che­mi­schen Hin­ter­grün­de von Tro­cken­bee­ren­aus­le­sen aus den 1940er Jah­ren. Klar ist aber auch: um einen wil­den Wein mit wil­der Musik in Ver­bin­dung zu brin­gen, muss man kein Syn­äs­the­ti­ker sein. Und des­we­gen ist die Fra­ge durch­aus berech­tigt: Wie klingt eigent­lich Wein von der Nahe? Und: Wie schmeckt Metal?

Die Nahewinzer Michael Schott: „Zu Doom Metal passt Rotwein“

Das fragt man am bes­ten Michel Schott, denn er macht bei­des – Metal und Wein. Metal als Sän­ger der Band Bleak Pro­phe­cy und Wein als Win­zer im elter­li­chen Wein­gut Schott in Wall­hau­sen an der Nahe. Er sagt: „Ein klas­si­scher Power Metal Galopp ist eher ein sprit­zi­ger Ries­ling. Bei Doom Metal bin ich eher bei einem kräf­ti­gen Rot­wein mit viel Gerb­stoff, der mich umhaut.“ Gemein­sam mit Mar­tin Tesch, sei­nem Winzer-Nachbarn aus Lan­gen­lons­heim und eben­falls Metal­head (wie sich die Fans der viel­fäl­ti­gen Metal-Stilrichtungen nen­nen), lud er Mit­te Dezem­ber zu einem musikalisch-vinophilen Internet-Meeting ein. Die Idee: mit Musi­kern der Metal-Bands In Extre­mo und Bey­ond the Black über Wein und Musik zu pala­vern. Oder bes­ser: über Syn­äs­the­tik. Da Wacken 2020 Corona-bedingt nicht statt­fin­den konn­te, wur­den näm­lich Bestand­tei­le des Fes­ti­vals ins Inter­net ver­legt, auch die­se Wein­pro­be. Wer sich vor­her die Wacken-Open-Air-Editionen von Schott und Tesch hat­te schi­cken las­sen, konn­te das Pala­ver am Bild­schirm verfolgen.

 

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Wacken trinkt „Büchsenbier“, doch Backstage wird Wein ausgeschenkt

Dass sich Metal­fans nicht nur mit Din­gen, die klin­gen, son­dern auch mit Din­gen, die schme­cken, aus­ein­an­der­set­zen, sogar mit dem ach so piek­fei­nen Wein, klingt zwar erst­mal ulkig, ist aber eigent­lich nichts Neu­es. Bei Wacken Open-Air, dem bekann­tes­ten Metal-Festival der Welt, wer­den schon seit eini­ger Zeit Koch­kur­se ange­bo­ten – unter ande­rem vom Vegan Black Metal Chef Bri­an Mano­witz. Und auch Mar­tin Tesch ist schon seit Jah­ren als vino­phi­ler Künst­ler­be­treu­er und Wacken-Winzer des Ver­trau­ens im Back­stage­be­reich des Fes­ti­vals zuge­gen. Es wird also nicht nur „Büch­sen­bier“ getrunken.

Die Frage nach dem Klang von Geschmack ist keine triviale

„Juhu, end­lich mal eine Online-Weinprobe!“, könn­te iro­nisch und zynisch jeder ansatz­wei­se an das Wein­trin­ker­mi­lieu ange­dock­te Mensch den­ken, in Anbe­tracht man­nig­fal­ti­ger Mög­lich­kei­ten der­zeit im Inter­net gemein­sam allei­ne Wein zu ver­kos­ten. Doch der Wacken-Weinabend ist anders und alles ande­re als red­un­dant. Ers­tens rich­tet sich das Event gar nicht an das Wein­trin­ker­mi­lieu – sprich: an nie­man­den, der in den ver­gan­ge­nen Mona­ten mit Zoom-Links zu digi­ta­len Wein­run­den über­schüt­tet wor­den ist. Und zwei­tens ist die Fra­ge nach dem Klang von Geschmack – oder dem Geschmack von Klang – kei­ne triviale.

Auf Weinliebhaber wirkt die Musik schroffer als die Weine

Ver­gleicht man die Wei­ne von Schott und Tesch, die bespro­chen wur­den, mit dem Sound von In Extre­mo und Bey­ond Black, wirkt die Musik irgend­wie schrof­fer als der Wein – zumin­dest aus der Per­spek­ti­ve des Wein­trin­ker­mi­lieus. Für Metal­fans lie­fern In Extre­mo oder Bey­ond Black viel­leicht auch eher Hits für den Sonn­tags­brunch, wer weiß? Der Wacken-Riesling von Mar­tin Tesch weist die Rebsorten-typischen kla­ren Apri­ko­sen­aro­men, eine ele­gan­te, stei­ni­ge Kom­po­nen­te, aber auch einen spür­ba­ren Zucker­schwanz auf. Der Rot­wein „Black Metal Hills 666“ von Metal-Winzer Michel Schott aus Caber­net Sau­vi­gnon ist ähn­lich zugäng­lich, hat eine sehr schö­ne dich­te Bee­ren­frucht und eine ele­gan­te ein­ge­bun­de­ne Eichen­holz­aro­ma­tik. Um Miss­ver­ständ­nis­se aus­zu­schlie­ßen: Dass die bei­den Wei­ne kei­ne kom­pli­zier­ten Lieb­ha­ber­stü­cke sind wie etwa ein Ries­ling von Klaus-Peter Kel­ler oder ein Spät­bur­gun­der von Juli­an Huber, ist über­haupt nicht schlimm.

Die Metalheads sind weder grollig noch ungehobelt

Denn es ist ein Irr­glau­be anzu­neh­men, dass grol­li­ge Metal­ler auto­ma­tisch schrof­fe Wei­ne trin­ken. Genau­so wie anders­her­um der­je­ni­ge, der den krei­digs­ten Brut Natu­re Cham­pa­gner trinkt, ja auch nicht auto­ma­tisch den här­tes­ten Death Metal hört. Und über­haupt, so grol­lig waren die fünf Musi­ker und Musi­ke­rin­nen der bei­den Bands über­haupt nicht. Und sie tun dem Wein­trin­ker­mi­lieu auch nicht den Gefal­len, jedes Metal-Klischee zu bedie­nen. „Bei uns gibt es eigent­lich immer auch Wein“, ant­wor­tet Chris­to­pher Hum­mels, Gitar­rist von Bey­ond the Black auf die gezielt pro­vo­kan­te Fra­ge von Mode­ra­tor und Metal-Journalist Chris­tof Leim, ob „hand­war­mes Büch­sen­bier“ nicht viel bes­ser in „schumm­ri­ge Back­stage­räu­me“ pas­se. Auch sit­zen hier kei­ne unge­ho­bel­ten Gestal­ten. Nein, die Manie­ren sind sogar bes­ser als in so man­cher Wein­run­de, von der Alt­her­ren­wut in den ein­schlä­gi­gen Wein­grup­pen bei Face­book ganz zu schweigen.

Tim Mälzer: „Da sitzen die Metaller und essen ihr Scampi-Pfännchen“

Dass Wacken in kuli­na­ri­scher Hin­sicht mehr ist als ein Mek­ka der kal­ten Dosen­ra­vio­li, muss­te auch Mar­tin Tesch erst ler­nen. „Da stand plötz­lich eine Dame von Samova-Tee neben mir, und ich dach­te: Wein und Metal ist ja schon komisch, aber Tee und Metal ist noch komi­scher“, erzählt er von einer sei­ner frü­he­ren Wacken-Erfahrungen. Tim Mäl­zer sag­te in einer NDR-Doku, nach­dem er den VIP-Bereich des Fes­ti­vals bekocht hat­te, ähn­lich erstaunt: „Da sit­zen dann die Damen und Her­ren, die vor­her auf der Büh­ne hal­be Rin­der geschlach­tet und sich mit Blut besu­delt haben, im Back­stage­be­reich und essen Scampi-Pfännchen mit Weiß­wein.“ So grol­lig ist Metal dann eben doch nicht – und Wein nicht so piekfein.

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