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Metagitnion von Sclavos: Griechenlands Antwort auf die “natural wines”

Vor einiger Zeit schickte mir der griechische Weinhändler Stelios Paltatzidis ein paar Probeflaschen aus seinem Sortiment. Zuerst fielen mir die schrecklich banalen Etiketten auf. Dann entdeckte ich, die Bezeichnungen einiger Weine aus Buchstaben aus dem altgriechischen Alphabet bestand: eine Schrift, die für Menschen, die das Gymnasium ohne Graecum abgeschlossen haben, nicht entzifferbar ist. Schließlich der Name Sclavos, untypisch kurz für griechische Verhältnisse, und zu Assoziationen Anlass gebend, die falsch sind. Es ist der Winzer, der so heißt. Vorname: Evriviadis.

Er stinkt und fasziniert zugleich

Ich habe die Sclavos-Weine dann probiert und gleich gemerkt, dass man mit ihnen moderne Weintrinker nicht fangen kann. Den Weißweinen fehlt es an knackiger Frische, über den Rotweinen liegt ein Hauch von Oxidation. Ein Wein blieb bei mir jedoch hängen. Ein weißer: stinkiges Hefe-Bouquet, Duft von reifen Aprikosen und Gelee-Mandarinen, leicht pelzig am Gaumen, in der Farbe bernsteingelb. Ein komischer, aber ein faszinierender Wein. Nichts für Riesling-Gutsweintrinker, schon gar nichts für die Prosecco-Generation, aber auch nichts für Liebhaber anspruchsvoller Weißweine im Burgunder-Stil.

Metagitnion von Sclavos
Metagitnion von Sclavos

Ich stellte die halbleere Flasche wieder zurück in den Flaschenkühlschrank, um sie am nächsten Tag wieder zu probieren. Der Wein schmeckte noch faszinierender, am dritten Tag sogar sensationell gut. Ich versuchte, mir den Namen zu merken: Metagitnion.  Das Wort steht angeblich für den zweiten Monat nach dem alten attischen Kalender: so ungefähr August. Vielleicht werden die Trauben in diesem Monat geerntet? Eher nicht. Die Insel Kefalonia, wo der Wein herkommt, liegt im Jonischen Meer vor Patras. Da ist es heiß, und um die Säure zu erhalten, könnte der Winzer schon früh gelesen haben. Aber der Wein hat gar keine hohe Säure. Es dominieren die Reifearomen. Eigentlich ist der Metagitnion ein weißer Rotwein.

Von 100-jährigen Rebstöcken

Der Metagitnion ist ein Wein aus einer weißen Traube. Sie heißt Vostilidi und kommt von 100-jährigen Rebstöcken, die nur noch wenig tragen. Umgerechnet auf einen Hektar Rebfläche springen höchstens 20 Hektoliter Wein heraus. Das ist so wenig wie bei alten Reben beim Montrachet Grand Cru im Burgund. Der Vergleich ist schief, ich weiß. Das Einzige, was die beiden Weine gemeinsam haben, ist, dass nur wenige Trauben an ihren Stöcken hängen und dass sie demzufolge rar sind. Vom Metagitnion werden nur ein paar tausend Flaschen gefüllt.

Kefalonia – eigentlich nicht für seinen Wein berühmt

Die Insel Kefalonia
Die Insel Kefalonia

Überhaupt ist Kefalonia nicht für seinen Wein bekannt. Die Insel steht eher für Fischerei und Fischzucht. Ein paar Engländer haben entdeckt, dass sie auch schöne weiße Strände hat und dass es von Patras mit dem Schiff nicht weit ist zur Insel. Der Tourismus ist noch unterwickelt, aber für die Wirtschaft der Insel wichtiger als der wenige Wein, der dort wächst. Der weiße ist normalerweise aus Robola-Trauben gekeltert. Aus ihm werden einfache, fruchtige Tropfen gewonnen. Die Vostilidi ist selten. Ob sie eine noble Sorte ist, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlicher ist, dass die Art, wie und wo Sclavos sie anbaut, die Ursache für die Besonderheit des Metagitnion ist. Erstens sind es alte, wurzelechte Buschreben, die noch unveredelt sind. Zweitens werden sie biodynamisch bearbeitet. Drittens stehen sie in 600 bis 800 Metern Höhe auf Kalkstein an den Hängen des Aenos, des höchsten Bergs der Insel. Und weil sie schon so alt sind, müssen sie – viertens – nicht bewässert werden. Sie wurzeln tief genug, um auch in den langen Trockenperioden des Sommers an Feuchtigkeit zu kommen.

Besondere Vinifikation

Hinzu kommt die besondere Vinifikation des Metagitnion: Spontangärung, keine Schönung, keine Filtration, kein Schwefel. Wein pur. Im Gegensatz zu den meisten anderen natural wines der Welt lässt Sclavos den Metagitnion auch nicht auf Maische stehen, sondern vergärt den Most ohne Schalen. Die tiefe Farbe kommt vom Ausbau in großen Holzfässern.

Sclavos erzeugt noch andere Weißweine, unter anderem aus Robola und Tsaousi. Auch sie sind Bio-Weine und werden ähnlich vinifiziert. Doch keiner besitzt die Komplexität und Größe des Metagitnion. Sicher, er ist auch der teuerste Wein im Sortiment des Winzers. Aber was heißt teuer bei derart niedrigen Traubenerträgen? Knapp 24 Euro kostet die Flasche.

Immer ein Hauch von Unfrische

Evriviadis Sclavos
Evriviadis Sclavos

Unter Sclavos Rotweinen ist, bei allem Respekt, keiner, der dem Metagitnion gleich kommt. Es sind gute, gehaltvolle Weine, die er erzeugt, immer ein bisschen rauh, animalisch, wild, teilweise knorrig, nie langweilig. Und sie sind oxidativ ausgebaut. Das heißt: immer von einem Hauch Unfrische umweht. Sie müssen dekantiert oder, besser noch, ein paar Jahre gelagert werden, um die volle Genussreife zu erlangen. Ebenso eigenwillig wie die Weine ist der Winzer selbst: einsilbig, dickköpfig,  nur auf seine Reben fokussiert, misstrauisch und lustlos gegenüber jeder Art kommerzieller Aktivität. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich. Aber von den Flaschen, die er mir schicken ließ, kamen wegen nachlässiger Verpackung nur wenige heil an. Und das auch noch zwei Monate später als vereinbart. Soll ich mich deswegen beklagen? Mir gefällt, was die englische Weinzeitschrift Decanter über den Griechen schrieb: „Sclavos’ Sinn für Marketing ist vorsintflutlich. Aber damit ist er auch ein Trendsetter.“

Trotzdem werden, wenn die neuen Jahrgänge Ende Juli freigegeben werden, wieder Dutzende von Händlern und Konsumenten in Athen, Frankreich, England, USA und Deutschland sich auf sie stürzen. Ich auch. Warum? Weil sie einmalig sind.

Der Wein


2016 Metagitnion, Slopes of Aenos, E. Sclavos
Preis: 23,90 Euro
Bezug: www.stelios-weine.de


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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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