Mathieu Kauffmann: „Lebensqualität besser als in Frankreich.“

Mathieu Kauffmann
Mathieu Kauffmann
Seit anderthalb Jahren hat das Deidesheimer Weingut Reichsrat von Buhl einen neuen Kellermeister. Er heißt Mathieu Kauffmann und kommt vom Champagnerhaus Bollinger. Jens Priewe sprach mit ihm über seinen neuen Sekt, über Riesling und über Deutschland im Allgemeinen.

Mathieu Kauff­mann, gebür­ti­ger Elsäs­ser, wech­sel­te im Sep­tem­ber 2013 von Eper­nay in die Pfalz zum Dei­des­hei­mer Wein­gut Reichs­rat von Buhl. Der Wech­sel hat­te in Frank­reich eini­gen Staub auf­ge­wir­belt, weil Kauff­mann in Eper­nay chef du chai beim Cham­pa­gner­haus Bol­lin­ger war und es höchst unge­wöhn­lich ist, dass ein Mann in die­ser Posi­ti­on frei­wil­lig sei­nen Pos­ten ver­lässt. Doch Kauff­mann hat­te sei­ne Grün­de, über die er im Inter­view mit Jens Prie­we spricht. Erleich­tet hat ihm den Weg­gang, dass er Deutsch­land gut kennt (in frü­he­ren Jah­ren hat­te er schon ein­mal beim badi­schen Wein­gut Salw­ey gear­bei­tet) und flie­ßend Deutsch spricht. Er lebt mit sei­ner Frau und drei Töch­tern in der Pfalz.

Wein­gut Reichs­rat von Buhlweinkenner.de: 2013 war der ers­te Jahr­gang, den Sie in der Pfalz vini­fi­ziert haben – ein schwie­ri­ges Jahr. Sind Sie mit den Ergeb­nis­sen zufrieden?
Mathieu Kauff­mann: Für mich war 2013 ein sehr gutes Jahr, beim Sekt sogar das per­fek­te Jahr. Ich wür­de es mit 1996 in der Cham­pa­gne ver­glei­chen, ein Jahr­gang, der hohe Most­ge­wich­te, aber auch hohe Säu­ren gebracht hat. So etwas ist selten.
weinkenner.de: Kurz vor Weih­nach­ten ist Ihr ers­ter Ries­ling Brut auf den Markt gekom­men, den Sie von der Trau­be bis zum Deg­or­gi­e­ren ver­ant­wor­ten. Die Tages­zei­tung Die Welt sprach vom „bes­ten deut­schen Sekt“.
Mathieu Kauff­mann: Vie­le Leu­te unter­stel­len, dass ich, weil ich vie­le Jah­re beim Cham­pa­gner­haus Bol­lin­ger gear­bei­tet habe, den Deut­schen zei­gen wol­le, wie man Sekt macht. Das ist falsch. Vom bes­ten Sekt habe ich nie gesprochen.

Das Problem vieler Sekte ist die Bitterkeit im Abgang

Riesling Brut von Buhl
Ries­ling Brut von Buhl

weinkenner.de: Anders gefragt: Was ist an Ihren Ries­ling Brut bes­ser als an ande­ren deut­schen Sekten?
Mathieu Kauff­mann: Der Sekt ist anders. Er hat kei­ne Bit­ter­stof­fe im Abgang. Das ist wich­tig. Dann ver­trägt er auch die hohe Säu­re, die der Ries­ling mitbringt.
weinkenner.de: Wie schaf­fen Sie es, die Bit­ter­keit vom Wein fernzuhalten?
Mathieu Kauff­mann: Das Pro­blem beginnt damit, dass die meis­ten Win­zer zum Ver­sek­ten Trau­ben neh­men, die für Still­wei­ne nicht gut genug sind. Ich benut­ze kein B- oder C-Lesegut, son­dern ver­wen­de nur Trau­ben, die wir gezielt für unse­ren Sekt aus­ge­wählt haben. Kei­ne Spätlese-Qualitäten, aber auch kei­ne unrei­fen, grü­nen Trau­ben. Sekt-Trauben soll­ten gera­de eben reif sein. Als Obst zum Nach­tisch wür­de ich sie nicht essen wol­len. Dazu sind sie zu sau­er. Ande­rer­seits dür­fen sie auch nicht so sau­er sein, dass sie einem die Backen zusam­men­zie­hen. Die Trau­ben wer­den dann mit Stie­len, aber nur sehr vor­sich­tig gepresst, damit die Ker­ne nicht ver­letzt wer­den. Wir ver­wen­den prak­tisch nur Vor­lauf­most. Das Resul­tat ist ein sehr puris­ti­scher Grund­wein, der kei­ne Bit­ter­stof­fe, aber viel Schmelz besitzt.
weinkenner.de: Ihr Ries­ling Brut hat eine Säu­re von zehn Pro­mil­le. Wie hoch war die Dosa­ge, mit der Sie die hohe Säu­re abpuf­fern mussten?
Mathieu Kauff­mann: Nicht sehr hoch. Der Frucht­schmelz gibt dem Sekt eine natür­li­che Süße, die ihn har­mo­nisch macht. Eine Abrun­dung durch Zucker ist nicht nötig. Das ein­zi­ge, was ich dem Kon­su­men­ten rate: ein paar Mona­te war­ten. Wer zum Bei­s­peil im Mai hei­ra­tet, wird die­sen Ries­ling Brut sehr genießen.

Praktisch ungeschwefelt

Der neue Ries­ling Brutweinkenner.de: Haben Sie den Most ent­säu­ert oder einen Bio­lo­gi­schen Säu­re­ab­bau (BSA) gemacht?
Mathieu Kauff­mann:
Weder das eine noch das ande­re. Aber in den neun Mona­ten auf der Hefe hat er eine leich­te Cre­mig­keit ent­wi­ckelt, die ihn eben­falls abrun­det. Außer­dem ist er prak­tisch ungeschwefelt.
weinkenner.de: Nicht geschwe­felt? Fürch­ten Sie nicht, dass er auf der Fla­sche nach­gärt oder schnell altert?
Mathieu Kauff­mann: Der Sekt hat nur etwa zehn Mil­li­gramm freie schwe­fe­li­ge Säu­re. Das ist extrem wenig. Aber bei Schaum­wei­nen mit hohem Fla­schen­druck ist die Gefahr einer Nach­gä­rung gering. Ich weiß, dass das das Gegen­teil von dem ist, was man in Gei­sen­heim lernt. Aber wenn mich ein Pro­fes­sor fra­gen wür­de, war­um ich kei­ne Angst habe, dann wür­de ich ihm ant­wor­ten: Weil ich das in all den Jah­ren bei Bol­lin­ger gelernt habe.

Gär­kel­ler bei Reichs­rat von Buhlweinkenner.de: Aber er könn­te schnell altern?
Mathieu Kauff­mann: Auch das glau­be ich nicht nach mei­nen Bollinger-Erfahrungen. Ein guter Cham­pa­gner altert bes­ser als vie­le Rot­wei­ne. Das gilt auch für Sekt. Des­we­gen braucht man nicht schwe­feln. Es sei denn, Sie sind ein Sicher­heits­fa­na­ti­ker. Aber dann emp­feh­le ich Ihnen, nicht im Wein zu arbeiten.
weinkenner.de: Ver­mis­sen Sie vor lau­ter Riesling-Sekt nicht manch­mal den Champagner?
Mathieu Kauff­mann: Wenn ich Cham­pa­gner trin­ken will, gehe ich in den Laden und kau­fe mir eine Fla­sche. Aber die Cham­pa­gne ver­mis­se ich nicht. Das Wet­ter in der Pfalz ist bes­ser. Die Men­schen sind kon­takt­freu­di­ger. Die Lebens­qua­li­tät emp­fin­de ich in Deutsch­land als besser.

In Frankreich ist das Klassendenken ausgeprägt

weinkenner.de: Die Lebens­qua­li­tät ist in Frank­reich schlechter?
Mathieu Kauff­mann: Ich mei­ne nicht unbe­dingt das Essen und das Trin­ken. Ich mei­ne die Stim­mung und die Struk­tu­ren im Land. In Frank­reich mit sei­nen star­ken Gewerk­schaf­ten ist das Klas­sen­den­ken noch stark aus­ge­prägt, beson­ders in der Cham­pa­gne. Wenn ich im Kel­ler etwas ändern möch­te, muss ich die Arbei­ter fra­gen, ob sie dazu bereit sind. Auch außer­halb der Arbeit zeigt sich, dass das Klas­sen­den­ken noch stark in den Köp­fen der Fran­zo­sen ver­an­kert ist. Die Arbei­ter gehen ins Bis­tro oder in die Piz­ze­ria, die Direk­to­ren ins Nobel­re­stau­rant. Die Bos­se spie­len Golf und Ten­nis, die Arbei­ter gehen zum Fußball.

Eva-Skulptur im Deidesheimer Paradiesgarten
Eva-Skulptur im Dei­des­hei­mer Paradiesgarten

weinkenner.de: Und in Deutsch­land gehen die Arbei­ter ins Nobelrestaurant?
Mathieu Kauff­mann: Nein, aber die Bes­ser­ver­die­nen­den ins Gast­haus, wo auch die ein­fa­chen Leu­te sit­zen und ihr Schnit­zel essen. Es gibt weni­ger Dün­kel, weni­ger Vor­ur­tei­le, kei­ne Kon­tak­t­ängs­te. Den­ken Sie nur an die Wein­fes­te in der Pfalz: Da hocken Mana­ger und Fern­fah­rer neben­ein­an­der, essen ihre Wurst, trin­ken ihren Wein und unter­hal­ten sich über Poli­tik, über Schu­le, über das Wetter.
weinkenner.de: Dann sind Sie nach den ers­ten andert­halb Jah­ren in Deutsch­land offen­bar sehr zufrieden?
Mathieu Kauff­mann: Ich füh­le mich in der Pfalz sehr wohl, was natür­lich auch mit der Arbeit zu tun hat. Reichs­rat von Buhl ist ein fan­tas­ti­sches Wein­gut. Es besitzt 20 Hekt­ar Gro­ße Lagen – wo gibt es das in der Welt? Richard Gro­sche (Anm.: Geschäfts­füh­rer), Wer­ner Sebs­ti­an (Anm.: Außen­be­triebs­lei­ter) und ich – wir haben zwei Zie­le: gro­ße Wei­ne und gro­ße Sek­te zu produzieren.

Großer Sektjahrgang, aber die Stillweine?

Etikett Musenhang
Eti­kett Musenhang

weinkenner.de: Beim Sekt war Ihr Ein­stand über alle Erwar­tun­gen gut. Bei den Still­wei­nen fiel die Begeis­te­rung ver­hal­te­ner aus…
Mathieu Kauff­mann: Die­je­ni­gen Kri­ti­ker, die etwas vom Ries­ling ver­ste­hen, haben die Qua­li­tät der 2013er Still­wei­ne durch­aus erkannt.
weinkenner.de: Aber es gab auch vie­le, die rat­los waren. Ihr 2013er Ries­ling vom Fors­ter Musen­hang, einer Ers­ten Lage, weist zehn Gramm Säu­re auf und hat null Gramm Rest­zu­cker. Ist das nicht eine Her­aus­for­de­rung für den Gaumen?
Mathieu Kauff­mann: Der Musen­hang ist ein extre­mer Wein. Am Anfang war er sicher­lich schwie­rig zu zu ver­kos­ten. Aber schon jetzt wirkt er schmelzig-weich, und die Säu­re ist zwar hoch, aber weinig.
weinkenner.de: Sie bau­en die Ries­lin­ge gene­rell viel tro­cke­ner aus als ande­re Wein­gü­ter. Fast alle Gro­ßen Gewäch­se (GG) von Reichs­rat von Buhl lie­gen zwi­schen null und einem Gramm Rest­zu­cker. Ist das in einem säu­re­s­tar­ken Jahr­gang nicht problematisch?
Mathieu Kauff­mann: Der Tes­ter von Robert Par­ker hat geschrie­ben: „Kauff­mann hat eine natür­li­che Süße in den Wein gebracht…“
weinkenner.de: Die Süße schei­nen nicht alle her­aus­ge­schmeckt zu haben.
Mathieu Kauff­mann: Die Wei­ne wur­den zu früh ver­kos­tet. Da kann es pas­sie­ren, dass ich nur 90 Punk­te für mei­ne voll­stän­dig durch­ge­go­re­nen Wei­ne bekom­me, wäh­rend ande­re 93 Punk­te für ihre Wei­ne bekom­men. Das ist natür­lich nicht gut für das Wein­gut und bit­ter für mich. Aber ich bin ja nicht doof. Ich brin­ge kei­ne Wei­ne auf die Fla­sche, die nicht aus­ba­lan­ciert sind. Ich ken­ne das Poten­zi­al jeden Weins. Und ich weiß, dass man für sie ein biss­chen Geduld braucht. Wenn man unse­re GG heu­te pro­biert, prä­sen­tie­ren sie sich ganz anders als bei der Vor­stel­lung. Ihre Zeit kommt noch.

Qualität der Trauben wichtig, nicht die Analysewerte

Eti­kett Jesui­ten­gar­tenweinkenner.de: Was macht Sie so sicher, dass die Wei­ne ihre Balan­ce finden?
Mathieu Kauff­mann: Ich ver­las­se mich nicht auf Ana­ly­se­wer­te, son­dern ver­traue auf die Qua­li­tät der Trau­ben, die wir geern­tet haben. Und die Trau­ben waren in 2013 gelb und reif. Das zählt für mich.
weinkenner.de: Wie kommt es, dass Sie in einem so küh­len, reg­ne­ri­schen Jahr­gang wie 2013 rei­fe Trau­ben ern­ten konnten?
Mathieu Kauff­mann: Reichs­rat von Buhl ist zwar nicht Demeter-zertifiziert, bewirt­schaf­tet aber sei­ne gesam­ten Reb­flä­chen dem Prin­zip nach bio­dy­na­misch. Wir machen viel Laub­ar­beit und inves­tie­ren viel in die Boden­pfle­ge. Wir sprit­zen nur Prä­pa­ra­te zur Reben­stär­kung, nicht zur Schäd­lings­be­kämp­fung. Die Fol­ge ist, dass die Bee­ren­häu­te robus­ter sind und dem Botrytis-Druck län­ger stand­hal­ten. Benach­bar­te Wein­ber­ge kon­ven­tio­nell arbei­ten­der Win­zer waren, das habe ich mit eige­nen Augen gese­hen, im Herbst 2013 in viel schlech­te­rem Zustand als unsere.

Eti­kett Rei­ter­pfadweinkenner.de: Haben Sie im Kel­ler gro­ße Ände­run­gen vorgenommen?
Mathieu Kauff­mann: Nur klei­ne. Ich schal­te kei­ne Mai­sche­stand­zeit vor und ver­gä­re nicht spon­tan. Ich las­se alle GG lan­ge auf der Voll­he­fe, zie­he nur ein­mal um und fil­trie­re nur vor der Fül­lung. Ich bin von Natur aus faul. Wenn die Trau­ben, die ich krie­ge, gut sind, geht der Wein sei­nen Weg. Da braucht man nicht viel eingreifen.
weinkenner.de: 2013 war also ein guter Ein­stiegs­jahr­gang für Sie?
Mathieu Kauff­mann: Ich bin mehr als zufrie­den. Aber als ich die Ent­schei­dung traf, Frank­reich zu ver­las­sen und nach Deutsch­land zu gehen, konn­te ich nicht wis­sen, dass gleich der ers­te Jahr­gang so gut wird. Für mich und mei­ne Fami­lie gab es vie­le Grün­de, die mich zu einem Wech­sel bewegt haben. Einer hieß zum Bei­spiel Fran­çois Hollande.

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