95 Punkte für einen Lugana-Weißwein? Ich schmunzelte. Mit dieser Punktzahl war der 2015er Lugana „Orestilla“ aus dem Weingut Montonale bei den Decanter World Wine Awards 2017 best of show. Anders gesagt: der beste Weißwein der Welt. Zumindest der beste reinsortige Weißwein. Resultate von Weinwettbewerben sollte niemand zu ernst nehmen. Jeder, der sich in der Weinszene bewegt, weiß das. Doch die englische Weinzeitschrift Decanter hat in der Branche einen guten Ruf. Viele bekannte Autoren schreiben für sie, und das Weinnetzwerk, über das sie verfügt, ist weltumspannend. Andererseits: Zeitschrift und World Wine Awards sind zweierlei. Mit den Medaillen, die vergeben werden, verdient die Publikation mehr Geld als mit den Abos. Von den 17.200 Weinen, die diesmal zur Bewertung angestellt waren, haben 11.023 eine Medaille gewonnen. Jede einzelne Medaille muß von den ausgezeichneten Weingütern hinterher käuflich erworben werden, wenn sie ihre Flaschen damit schmücken wollen. Man ahnt, welch hübsches Sümmchen da zusammen kommt.
Hochkarätige Jury
Der kommerzielle Aspekt ist das eine, die Wertungen das andere. Immerhin zählte die Jury des Decanter 219 Personen, darunter 65 Masters of Wine und 25 Master Sommeliers. Chef der Jury war Stephen Spurrier, jener Journalist, der 1976 das berühmte Paris Tasting organisiert hatte, bei dem kalifornische Weine ihren französischen Pendants den Rang abgelaufen hatten. Kein Unbekannter also. Wenn eine solche Jury einem Wein durchschnittlich 95 Punkte gibt, neigt man dazu, dass Ergebnis ernst zu nehmen. Auch ich. Als ein italienischer Bekannter mich fragte, ob ein befreundeter Winzer mir einmal zwei Flaschen seines hoch prämierten Lugana zuschicken dürfte, willigte ich ein. Ein paar Tage später kamen zwei Flaschen des Weinguts Montonale in meinem Büro an: der einfache Lugana „Montunal“ und der prämierte Lagen-Lugana „Orestilla“.
Aufwendige Vinifikation
Beide Weine sind, um es vorweg zu nehmen, außergewöhnlich. Sie haben nichts mit den banalen Tröpfchen zu tun, die in Deutschland unter dem Namen Lugana die Regale von schlechten Wein-Onlineshops, Supermärkten, Discountern und die Weinkarte von Vorstadt-Pizzerien füllen. Beide sind reinsortig aus der Turbiana-Traube gewonnen (die zur großen Familie der Trebbiano-Gewächse gehört). Sie ist die Leitsorte im Anbaugebiet Lugana. Beide Weine haben eine Maischestandzeit von zehn Tagen bei kühlen 6°C durchgemacht, bevor sie vergoren wurden – ungewöhnlich lange für Weißweine. Beide sind danach spontan vergoren und mehrere Monate im Stahltank ausgebaut worden – unter regelmäßigem Aufrühren der Feinhefe. Der „Montunal“ wurde nach sechs Monaten, der „Orestilla“ nach acht Monaten gefüllt: eine aufwendige, nicht ungefährliche Vinifikationsprozedur wegen der Gefahr einer Oxydation durch das ständige Aufrühren der Hefe.
Mundgefühl wie ein weißer Burgunder
Doch es scheint geklappt zu haben. Beide Weine sind reintönig und durchgegoren (was bei spontan vergorenen Weinen nicht immer der Fall ist). Auffällig ist die cremige Textur, die beim Konsumenten ein Mundgefühl hervorruft wie ein großer weißer Burgunder aus Frankreich. Ihr Aromaprofil ist natürlich ganz anders: viel fruchtbetonter mit Pfirsich und Zitrus, beim „Orestilla“ auch mit einem Hauch reifer Mango. Dafür ist die mineralische Komponente weniger ausgeprägt alsbei französischen Burgundern. Toastige Noten gibt es gar nicht. Mit Barriques sind beide Lugana-Weine nicht in Berührung gekommen. Dafür haben sie eine feine zarte Kräuterwürze von Thymian, Salbei und Safran, wie sie für Weine aus mediterranen Anbaugebieten typisch ist. Die Lugana, das Anbaugebiet, liegt südlich des Gardasees.
Mit 95 Punkten sehr üppig bedacht
Beide Weine zeigen die gleiche Grundstilistik. Der Unterschied zwischen ihnen ist jedoch beträchtlich. Die Basisversion „Montunal“ ist frischer und schlanker, der „Orestilla“ reifer und fülliger. Die Lage, von der letzterer kommt, befindet sich auf einer leicht nach Süden abfallenden Moränenkuppe, ist also wärmer. Diese Klimakomponente wirkt sich positiv auf den Wein aus. Fazit: ein höchst gelungener, ja wunderschöner Weißwein, der bei aller Fülle stattlich und elegant ist. Die Decanter-Jury hat also eine gute Wahl getroffen. 95 Punkte sind, zugegeben, sehr generös. Und als besten Weißwein der Welt würde ich den „Orestilla“ auch nicht bezeichnen. Best of show heißt: bester des Wettbewerbs, und der Wettbewerb fand unter Abwesenheit der großen internationalen Konkurrenz statt.
Junges Weingut mit alten Wurzeln
Insgesamt gehören 25 Hektar zu dem Weingut. Es liegt südlich von Desenzano bei dem Dörfchen Montonale. Nach ihm ist es benannt. Den lehmigen Kalk, der dort den Untergrund bildet, findet man nur auf 400 des insgesamt 1100 Hektar großen Lugana-Anbaugebiets. Dort liegen auch Weingüter wie Ottella, Ca’dei Frati, Zenato, Visconti, Ca’Maiol, von denen einige besten Weine der Lugana kommen. Weinkenner.de hat [intlink id=“24012″ type=“post“]vor einigen Jahren[/intlink] schon einmal darüber berichtet. Montunale ist ein altes und junges Weingut zugleich. Es wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet, wegen Erbstreitigkeiten jedoch 1998 aufgegeben. Alle Reben wurden gerodet.
Roberto Girelli aus der jungen Generation der alten Besitzerfamilie entschied sich jedoch weiterzumachen. Schon ein Jahr später begann er, das Land zurückzukaufen und neu zu bestocken. Nach und nach stiegen seine beiden Brüder ein. Heute ist Montunale wieder ganz von der Familie bewirtschaftet. Im Gambero Rosso, dem maßgeblichen italienischen Weinführer, ist es nicht gelistet, in den anderen italienischen Weinführern auch nicht. Schlagzeilen hat das Weingut nur gemacht, als vor ein paar Jahren der neue Keller in Betrieb genommen wurde. Seine Mauern bestehen aus atmungsaktivem Reisstroh. Das Material stammt von den nur wenige Kilometer weiter südlich befindlichen Reisfeldern der Po-Ebene. Aber vom Wein war nie die Rede.
Die Weine
2016 Lugana „Montunal“ | Azienda Agricola Montonale
Preis: 10,90 Euro
2015 Lugana „Orestilla“ | Atzienda Agricola Montonale
Preis: 16,90 Euro