Beim Barolo gibt es Licht und Schatten. Nicht jede Flasche, auf der Barolo steht, hält, was der Name verspricht. Die sieben Barolo, die Barbara Sandrone, die Tochter des vor einem Jahr verstorbenen Luciano Sandrone, zu einer kulinarischen Weinprobe mit nach München gebracht hatte, leuchteten. Ja, man könnte sogar sagen: Sie strahlten. Es waren Barolo aus drei Jahrzehnten, der jüngste aus 2012, der älteste aus 1996. Sie standen – könnte man pathetisch sagen – majestätisch im Glas. Aber ich bin weder ein Freund schräger Metaphern noch von Majestäten. Lieber würde ich sagen: Die Weine hatten eine gute Balance. Die jüngeren charmierten noch mit Frische, die älteren strahlten schon das Charisma des Abgeklärten aus.
Verschieden von allen anderen Weinen auf der Welt
„Der Barolo ist ein Wein, der anders schmeckt, als man denkt“, sagte Barbara in ihrer Tischrede. Stimmt. Aber was denkt man von ihm? Wessen Geschmack an Bordeaux geschult ist, wird nur abstrakt Ähnlichkeiten finden: die Komplexität, Tanninfülle, Langlebigkeit. Wer von Burgundern kommt, wird vielleicht in der hellen Farbe und in der erhöhten Säure Parallelen finden. Aber in der Praxis zeigt sich, dass ein Barolo völlig verschieden ist von allen anderen Weinen der Welt. Sein Aromenspektrum reicht von Weichselkirsche, Veilchen, getrockneten Blumen, Lakritz, Blutwurst, Trüffel, Teer bis zu Leder, Zimt, Nelken, Moos, Waldpilzen. Ein Exzentriker in der Welt der großen Rotweine. Manche Weintrinker können mit einem Barolo rein gar nichts anfangen, auch ausgewiesene Weinkenner nicht. Andere lieben ihn umso mehr. Am Tisch im Restaurant „Jan“ saßen natürlich letztere. Auch Jan Hartwig, der Chef, outete sich als Barolo-Fan. Er musste am Herd stehen, stieß nur kurz zu uns, um zu bekennen: „Ich liebe es, zu großen Weinen zu kochen.“
Einpegeln mit dem Nebbiolo d’Alba Valmaggiore
Zum Einpegeln begannen wir mit zwei Nebbiolo d’Alba. Sie stammten dem Roero, ein benachbartes Anbaugebiet, das sandige Böden aufweist und leichtere Weine hervorbringt als die Anbaugebiete von Barolo und Barbaresco. Sandrone besitzt dort die Lage Valmaggiore, einer der besten Crus der Zone. Der Valmaggiore aus dem großen Jahrgang 2021 war noch ziemlich jung, aber ließ immerhin eines sicher erkennen: Balance und Eleganz. Ansonsten zeigte er viel Frische, viel Primärfrucht, einen zarten Süßholzton. Seine Zeit kommt noch. Er sollte deshalb in keinem Keller eines Nebbiolo-Liebhabers fehlen. Der 2016er Valmaggiore, ebenfalls ein großer Jahrgang, ist ganz anders: strukturierter, konzentrierter, tanninhärter. Glücklich wer ihn besitzt. Aber Geduld verlangt auch er.
2013 wurde aus Cannubi Boschis Aleste
Weintrinker, die im Nebbiolo d’Alba (oder im Roero) eine preiswerte Alternative zum Barolo sehen, würden schnell erkennen, dass er das nur sehr bedingt ist. Barolo ist Barolo. Diese Erkenntnis werden auch Laien schnell haben. Wir begannen mit dem 2012er Barolo Cannubi Boschis. Er ist vertikaler, tiefer, mit einem ungleich breiteren Aromenspektrum, das aus einer Mischung aus frischer und Trockenfrucht mit vielen Würznoten besteht. Noch spannender der 2013er Barolo aus derselben Lage: ein monumentaler Wein mit Teernoten, Barbecue-Gewürzen, Süßholzparfum. Einer der genialsten Barolo, die Sandrone in all den Jahren auf die Flasche gebracht hat. Ich wünschte, ich hätte ihn im Keller. Jan Hartwig servierte dazu gegrillten Stör mit Ochsenschwanz. Ab dem Jahrgang 2013 heißt der Cannubi Boschis übrigens Aleste: eine Hommage an Lucianos Enkel Alessia und Stefano, die beide noch jung sind, aber bereits die Weinbauschule besuchen.
Zwei der größten Barolo: 2008 und 2009 Cannubi Boschis
Weiter ging es mit Sandrones zweitem Barolo, Le Vigne. Zu Deutsch: die Weinberge. Er ist eine Cuvée von fünf verschiedenen Lagen (wer es genau wissen will: Baudana in Serralunga, Le Coste in Monforte, Villero in Castiglione Falletto, Merli in Novello und Vignane in Barolo). Wir tranken die 2008er und den 2009er parallel aus zwei Magnumflaschen (dank einer klugen Sommelière bei „Jan“ mit kühlen 15°C serviert). Der 2008er wird von den einschlägigen Experten wegen seiner kühlen Eleganz als einer der größten Jahrgänge der letzten zwanzig Jahre gefeiert. Ich würde nicht widersprechen. Aber der 2009er hat doch noch einen Tick mehr. Er ist opulenter, besitzt die süßere Frucht und die Würze eines orientalischen Bazaars, ist zugleich streng und überhaupt nicht plump – eine Eigenschaft, die vielen Barolo dieses warmen Jahres nach gesagt wird. Er kam in diesem Jahr übrigens nur aus einer Lage, nämlich Le Coste in Monforte. Wow – eine Art Grand Cru im Anbaugebiet. Jan Hartwig hatte sich zu ihm ein vergleichsweise einfaches Gericht einfallen lassen: Agnolotti al Plin – von Hand geformte kleine Ravioli aus hauchdünnem Pastateig, gefüllt mit geschmortem Rindfleisch. Piemont-Reisende kennen das Gericht. Es gibt es in jeder Trattoria, aber so fein wie bei „Jan“ selten.
Vite Talin: „Jeder Schluck ein Erlebnis“
Seit 2013 macht Sandrone in guten Jahren noch einen dritten Barolo. Er heißt Vite Talin und kommt aus einem Weinberg, in dem eine Nebbiolo-Mutation mit besonders kleinen Beeren und dicken Schalen wächst. In puncto Struktur und Tanninbetontheit ist dieser Barolo immer der Superstar des Sandrone-Sortiments (auch in puncto Preis: fast vier Hunderter muss man für diesen raren Wein auf den Tisch legen). Ich habe den Vite Talin schon einmal, nämlich 2019, probiert, als er zum ersten Mal öffentlich präsentiert wurde, und ich habe damals in einem weinkenner-Artikel Sandrone zitiert: „Ein weicher Wein ist er jedenfalls nicht. Sicher sind wir uns nur, dass er sich in 20 Jahren bestens entwickeln wird, mindestens.“ Jetzt, nach sechs Jahren Reife in Tonneaux und auf der Flasche und nochmal fünf Jahren Verfeinerung auf der Flasche, erweist sich der Vite Talin nicht sehr viel zugänglicher als damals. Aber der Mythos lebt. „Jeder Schluck dieses Ur-Barolo ist ein Erlebnis“, bekannte Barbara Sandrone.
Barolo ist ein Generationenprojekt
Als letzten Wein präsentierte Barbara uns etwas Reifes: den 1996er Barolo Cannubi Boschis. Ein Barolo aus der mittleren Ära Sandrones, als die Weine schon nicht mehr wild und unberechenbar waren, sondern bereits einen hohen Grad an Präzision und Sauberkeit auswiesen. Sauberkeit, das war für Luciano Sandrone immer die Basis-Anforderung an einen Barolo. Und was Präzision betrifft, so könnte dafür der 1996er stehen: ein muskulöser, dicht gewobener Barolo, perfekt gereift mit süßem Tannin und pikanter, leicht malziger Note. Kontrollierte Exzentrik, würde ich sagen, so wie der Lammrücken mit gepökelter Lammzunge, den wir dazu aßen.
„Barolo ist ein Generationenprojekt“, sagte Barbara zum Schluß. Zumindest Barolo ihrer Klasse. Sie führt nach dem Tod ihres Vaters das Weingut zusammen mit dessen jüngerem Bruder Luca weiter. Luca und Luciano waren ein eingespieltes Team. Kein Tag, an dem sie nicht ihren Fuß in die Weinberge setzten. Als Luciano sich selbstständig machte (1990), schmiss Luca seinen Job als Elektriker und stieg ins Weingut seines Bruders ein. Über 30 Jahre lang arbeiteten die beiden zusammen, im Keller wie im Weinberg. Luca kennt nicht nur den Stil Lucianos, er hat ihn mitentwickelt. Seine Leidenschaft überträgt sich nun auf Barbaras Kinder.
Preise
Nebbiolo d’Alba Valmaggiore 28 bis 35 Euro
Barolo Aleste: 95 bis 120 Euro
Barolo Le Vigne: 95 bis 120 Euro
Barolo Vite Talin 370 bis 390 Euro