Dicker als Quelle, Neckermann, Otto Versand: Lobenbergs neuer Weinkatalog

Heiner und Luca Lobenberg
Stell dir vor, es ist Digitalisierung und ein Weinhändler bringt den dicksten je in Deutschland gedruckten Katalog heraus. Jens Priewe wollte wissen, was der Bremer Weinhändler sich dabei gedacht hat.

Die­ses Kon­vo­lut ist nicht ein­fach nur ein Kata­log. Er ist eine Doku­men­ta­ti­on der Außen- und Innen­welt des Weins im 21. Jahr­hun­dert, betrach­tet durch die Bril­le des Bre­mer Wein­händ­lers Hei­ner Loben­berg. Fast 30 Jah­re lang ist er nun schon im Geschäft, und es gibt wahr­schein­lich kei­nen Kol­le­gen in sei­ner Bran­che, der so viel gereist ist, so vie­le Win­zer besucht und so vie­le Wei­ne ver­kos­tet hat wie er. Über 800 Win­zer und Wein­gü­ter sind bei ihm gelis­tet. Besucht haben dürf­te er im Lau­fe der Jah­re nach vor­sich­ti­ger Schät­zung dop­pelt so vie­le. „Eine an Beses­sen­heit gren­zen­de Lei­den­schaft für Wein“ – so beschreibt er sich selbst. Das stimmt. Loben­berg ist ein Hedo­nist. Er will Wein genie­ßen und den Genuss­wert des Weins schwel­ge­risch kommunizieren.

Dar­über hin­aus wird der Leser über Regio­nen, Anbau­ge­bie­te, kul­tu­rel­le Zusam­men­hän­ge und – natür­lich – über die Per­so­nen, die hin­ter den Wei­nen ste­hen, aus­führ­lich infor­miert. Am Ende wiegt die­ses Opus Magnum 4,2 Kilo­gramm und umfasst 1488 Sei­ten – mehr als die Quelle-, Neckermann- und Otto-Versand-Kataloge je stark waren, mehr auch als „Zet­tels Traum“ von Arno Schmidt, das Haupt­werk des Schriftsteller-Eremiten aus der Lüne­bur­ger Hei­de und das dicks­te Buch der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te. Natür­lich ist, was Hei­ner Loben­berg und sein Sohn Luca (dem er die Fir­ma vor zwei Jah­ren über­schrie­ben hat) haben dru­cken und gra­tis an ihre Kun­den schi­cken las­sen, kei­ne Lite­ra­tur im bel­le­tris­ti­schen Sin­ne. Aber es ist ein Who is Who der bes­ten Win­zer von Euro­pa bis Neu­see­land, von Liba­non bis nach Chi­le, von Isra­el bis nach Kali­for­ni­en. „Ver­eint im Genuss“ lau­tet der Titel.

Dass einer den Mut hat, in einer Zeit, da Online-Shopping boomt und Digi­ta­li­sie­rung das Gebot der Stun­de ist, den Wein ganz alt­mo­disch in Buch­form zu prä­sen­tie­ren, über­rascht. Man­che Kol­le­gen wer­den heim­lich den Kopf schüt­teln, ande­re hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand über so viel Unver­nunft spot­ten. Doch wer sich mal die Online­shops jun­ger Start Ups anschaut, die mit abge­schrie­be­nen Tex­ten, nichts­sa­gen­den Promi-Testimonials, an Belie­big­keit gren­zen­den Punkt­be­wer­tun­gen, chlo­ro­for­mie­ren­den Lob­prei­sun­gen und mit erfun­de­nen Rabat­ten um Kund­schaft buh­len, bei dem wird die Begeis­te­rung für die schö­ne, neue Digi­tal­welt schnell abschmelzen.

Die­ser Welt set­zen die Loben­bergs den dicks­ten Kata­log aller Zei­ten ent­ge­gen. Sicher, aus­ufern­des Wein­wis­sen, das zwi­schen zwei Buch­de­ckeln gesam­melt ist, kann ermü­dend sein. Man kann es aber auch als erhel­lend, unter­halt­sam und ani­mie­rend emp­fin­den – wenn man Wein nicht nur trin­ken, son­dern auch ver­ste­hen will. Ich habe Mit­te April bei Hei­ner und Luca Loben­berg nach­ge­fragt, was sie sich bei die­sem Kata­log gedacht haben.

weinkenner.de Loben­bergs Gute Wei­ne war schon immer für sei­ne dicken Wein­ka­ta­lo­ge bekannt. Jetzt aber top­pen Sie Ihre dies­be­züg­li­chen Akti­vi­tä­ten mit einem Kata­log, wie es ihn noch nie gege­ben hat. Das Opus ist dicker, als die Quelle-, Neckermann- und Otto-Kataloge es je waren. Es mit auf­wen­di­ger Stich­hef­tung gebun­den und mit Hard­co­vern ver­se­hen. „Ver­eint im Genuss“ lau­tet der Titel. Ihre Kun­den haben es gra­tis bekom­men. Was haben Sie sich dabei gedacht?

Luca Loben­berg Es ist nicht nur ein Kata­log. Es ist ein Buch, in dem man schmö­kern kann, ohne sich gedrängt zu füh­len, etwas zu kau­fen. Wir bil­den in dem Buch gar nicht alle Wei­ne ab, die wir anbie­ten. Oft wird nur ein ein­zi­ger Wein eines Wein­guts beschrie­ben, obwohl wir meh­re­re im Pro­gramm haben. Wir wol­len mit dem Buch infor­mie­ren, inspi­rie­ren, unse­re Lei­den­schaft für Wein dokumentieren.

weinkenner.de Was haben Papier und Druck gekostet?

Hei­ner Loben­berg Etwa 15 Euro, dazu kom­men vier Euro Ver­sand­kos­ten pro Person.

weinkenner.de Für das Geld hät­ten Sie Ihren Kun­den auch eine Fla­sche guten Wein schen­ken können.

Hei­ner Loben­berg Wir glau­ben, dass das Buch eine nach­hal­ti­ge­re Wir­kung hat.

weinkenner.de Wer hat­te die Idee zu die­sem Opus Magnum?

Luca Loben­berg Mein Vater und ich saßen im Restau­rant und waren uns einig, dass der nächs­te gedruck­te Kata­log der letz­te sein wer­de, den wir ver­schi­cken. Ich war vor zwei­ein­halb Jah­ren ins Unter­neh­men ein­ge­stie­gen, um die Digi­ta­li­sie­rung vor­an­zu­trei­ben. Loben­bergs soll­te künf­tig nur noch ein Online­shop sein. Doch plötz­lich hat­ten wir bei­de das Gefühl, dass wir den gan­zen Fun­dus an Infor­ma­tio­nen, der sich im Lau­fe der Jah­re ange­sam­melt hat­te, noch ein­mal kom­pakt auf Papier fixie­ren soll­ten, um ihn zu sichern und unse­ren Kun­den auch spä­ter noch die Mög­lich­keit des Zugriffs auf die­se Infor­ma­tio­nen zu ermöglichen.

Hei­ner Loben­berg  Ich hat­te, als ich die Fir­ma vor fast 30 Jah­ren grün­de­te, das Ziel, das span­nends­te Wein­pro­gramm Deutsch­lands zusam­men­zu­stel­len. Das ist mir, glau­be ich, gelun­gen. Mit dem Pro­gramm ist auch die Zahl und die Qua­li­tät unse­rer Kun­den gewach­sen. Vie­le von ihnen sind Men­schen, die nicht ein­fach nur Wein trin­ken wol­len. Sie wol­len Wein ver­ste­hen, dar­über fach­sim­peln, ihn ver­glei­chen mit ande­ren Wei­nen. Dafür ist das Lesen über Wein enorm hilf­reich. Lan­ge und detail­rei­che Tex­te liest man lie­ber im Buch als auf dem Han­dy oder Tablet.

weinkenner.de Trotz­dem: Wir leben im digi­ta­len Zeit­al­ter. Da kom­men Sie mit etwas so Alt­mo­di­schem wie einem Buch her­aus, und dann noch mit so einem Umfang…

Luca Loben­berg Ja, es ist eine Rol­le rück­wärts, die wir gemacht haben. Aber wir haben uns etwas dabei gedacht. Wir woll­ten der Flüch­tig­keit des Inter­nets etwas ent­ge­gen set­zen: soli­de, halt­ba­re Infor­ma­ti­on, die über den Tag hin­aus Gül­tig­keit besitzt. Und sie soll nicht irgend­wo in der Cloud gespei­chert sein, son­dern sich zwi­schen zwei Buch­de­ckeln im Regal zu Hau­se befin­den. Sie soll sicht­bar, anfass­bar und leicht abruf­bar sein, gera­de in Corona-Zeiten, in der die Men­schen mehr Zeit in den eige­nen vier Wän­den ver­brin­gen als sonst.

Hei­ner Loben­berg Das Buch ist nicht als Umsatz­brin­ger gedacht. Aber es soll die Bin­dung an uns stär­ken. Wenn ein Kun­de 20, 30 oder mehr Euro für eine Fla­sche Wein aus­gibt, will er über den Inhalt mehr wis­sen, als das Eti­kett ver­rät. Ein Buch wie „Ver­eint im Genuss“ ermög­licht neue Sicht­wei­sen auf den Wein und auf den Win­zer. Auch wenn es pathe­tisch klingt: Es trans­por­tiert den Wein auf eine phi­lo­so­phisch höhe­re Ebene.

weinkenner.de Wo liegt der durch­schnitt­li­che Preis einer Fla­sche Wein, die bei Loben­bergs gekauft wird?

Luca Loben­berg Zwi­schen 17 und 20 Euro.

weinkenner.de Funk­tio­niert der Zugang zu Wei­nen die­ser Preis­klas­se ana­log bes­ser als digital?

Hei­ner Loben­berg Ich weiß nicht, ob man das pau­schal so sagen kann. Aber wenn man wer­ti­ge Infor­ma­tio­nen zu Wei­nen und Wein­an­bau­ge­bie­ten kom­mu­ni­zie­ren will, ist das gedruck­te Wor­te dafür auf jeden Fall sehr gut geeignet.

Luca Loben­berg Wenn ich in Grie­chen­land Urlaub mache, lau­fe ich auch nicht mit dem Smart­phone vor dem Gesicht durch die Tem­pel­rui­nen, son­dern kau­fe mir einen gedruck­ten Rei­se­füh­rer. Trotz­dem ist und bleibt Loben­bergs eine digi­ta­le Wein­hand­lung. Unse­re Kun­den bestel­len ihre Wei­ne fast aus­schließ­lich über unse­re Internetseite.

weinkenner.de Im Pro­gramm von Loben­bergs sind etwa 800 Win­zer gelis­tet. Sie, Hei­ner Loben­berg, ken­nen alle per­sön­lich, haben ihre Wein­gü­ter besucht und die Ent­wick­lung ihrer Wei­ne über Jah­re ver­folgt. Der Inhalt des Buches spie­gelt Ihre Erfah­run­gen, Ihre Kennt­nis­se und Ihre Urtei­le wider, die Sie seit Jahr­zehn­ten gesam­melt haben. Wenn das Buch kein Mar­ke­ting­in­stru­ment sein soll, dient es dann der Glo­ri­fi­zie­rung eines pas­sio­nier­ten Weinhändlers?

Hei­ner Loben­berg Bre­men ist eine alte Wein­han­dels­stadt. Kei­ner der berühm­ten frü­he­ren Wein­kauf­leu­te war ein Nar­zist, der sich glo­ri­fi­zie­ren woll­te. Ich bin es auch nicht. Nar­zis­mus passt nicht zur han­sea­ti­schen Men­ta­li­tät. Ich möch­te, dass mei­ne Lei­den­schaft für Wein auf ande­re Men­schen über­springt. Die Emo­tio­na­li­tät, die mir vie­le nach­sa­gen, ist wahr­schein­lich mein größ­tes Talent – grö­ßer als mei­ne kauf­män­ni­schen Fähig­kei­ten. Die steu­ert mein Sohn bei. Natür­lich ver­die­ne ich mei­nen Lebens­un­ter­halt mit dem Ver­kauf von Wein. Aber eine noch grö­ße­re Befrie­di­gung ist es, wenn es mir gelingt, Men­schen von Mine­ral­was­ser­trin­kern zu Wein­trin­kern zu machen.

weinkenner.de Um noch ein­mal auf den Inhalt des Buches zurück­zu­kom­men: Stam­men die Tex­te alle aus frü­he­ren Katalogen?

Luca Loben­berg Wir haben zwar vie­le Wein­be­schrei­bun­gen mei­nes Vaters aus frü­he­ren Kata­lo­gen über­nom­men. Aber die Info­sei­ten über die Regio­nen, die Wein­gü­ter und die Wein­bau­län­der sind alle über­ar­bei­tet, aktua­li­siert und stark aus­ge­wei­tet wor­den. Dar­an war nicht nur mein Vater betei­ligt. Wir haben im Unter­neh­men inzwi­schen meh­re­re Per­so­nen, die im The­ma Wein abso­lut fit sind und sich dar­in bes­tens auskennen.

weinkenner.de Fürch­ten Sie nicht, dass das Buch beim Kun­den im Regal ver­staubt oder gar in der Ton­ne landet?

Hei­ner Loben­berg Wir haben, bevor wir zum Druck schrit­ten, rund 20 000 unse­rer Kun­den ange­schrie­ben und gefragt, ob sie Inter­es­se an so einem Buch haben. 200 Kun­den haben mit Nein geant­wor­tet, der Rest war von der Idee begeistert.

weinkenner.de Was umsonst ist, wird ger­ne angenommen…

Hei­ner Loben­berg Ein Buch, das so wer­tig ist, schmeißt man nicht weg wie einen Hawesko-Katalog nach der Bestellung.

weinkenner.de Und wie sind die Kom­men­ta­re aus­ge­fal­len, nach­dem die Kun­den das Buch in der Hand hatten?

Luca Loben­berg  Alle Rück­mel­dun­gen, die wir bekom­men haben, sind äußerst posi­tiv. Die Leu­te sind echt ange­tan von dem Werk.

Hei­ner Loben­berg Und ver­ges­sen Sie nicht die Win­zer, die in dem Buch vor­ge­stellt wer­den. Die sind teil­wei­se rich­tig aus dem Häus­chen vor Freu­de. Sich so aus­führ­lich dar­ge­stellt zu sehen mit ihrer Geschich­te, ihrer Phi­lo­so­phie, ihrer Lei­den­schaft – das pas­siert ihnen sel­ten. Das gilt für einen klei­nen Pro­du­zen­ten wie das Wein­gut Kress am Boden­see eben­so wie für einen welt­be­rühm­ten Win­zer wie Bar­to­lo Mas­ca­rel­lo aus Baro­lo. Selbst ein Glo­bal Play­er wie Moët & Chan­don hat sich bei uns über­schwäng­lich bedankt für den Platz, den wir sei­nen Cham­pa­gnern ein­ge­räumt haben. Ganz zu schwei­gen von Bordeaux…

Luca Loben­berg In Bor­deaux wer­den die Cha­teaux mei­nem Vater viel­leicht mal ein Denk­mal setzen.

weinkenner.de Schaun wir mal. Haben Sie nach Erschei­nen des Buches schon ein erhöh­tes Bestell­auf­kom­men registriert?

Luca Loben­berg Nein. Wir könn­ten im Moment auch gar nicht mehr lie­fern. Unser Lager platzt aus allen Näh­ten. Unser Umsatz ist in den letz­ten zwei Jah­ren um 50 Pro­zent gestie­gen, und Coro­na hat uns noch ein­mal einen Schub gege­ben. Unse­re Logis­tik ist an ihre Gren­zen gesto­ßen. Aber der Traf­fic auf unse­rer Web­site hat stark zuge­nom­men, seit wir das Buch ver­schickt haben.

Hei­ner Loben­berg Es zeigt, wie man die Men­schen mit dem tra­di­tio­nel­len Medi­um Buch zum Inter­net füh­ren kann.

weinkenner.de Wird die­ses Buch wirk­lich der letz­te gedruck­te Kata­log sein, den Sie her­aus­brin­gen? Oder wird es irgend­wann eine Neu­auf­la­ge geben?

Luca Loben­berg Viel­leicht schon in drei Jah­ren. Aber das hängt von mei­nem Vater ab. Er wird immer den größ­ten Teil der Tex­te lie­fern müssen.

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