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Lange Twins: Kalifornische Weine für die „normal ones“

Wer an kalifornischen Wein denkt, denkt zuerst an das Napa Valley. Er sieht dunkle, konzentrierte Cabernets vor sich, noble Merlots, schwere Chardonnays – Luxusweine, gemacht für Dreisterne-Restaurants, Etikettentrinker, texanische Ölmillionäre. Das Bild ist so schief wie die Behauptung, in Kalifornien würde immer nur die Sonne scheinen. Kalifornien hat 144 Weinanbaugebiete, AVA genannt. Napa ist nur eines dieser Gebiete. Aus vielen AVA aber kommen Weine, für die das Label Luxus überhaupt nicht passt. Sie sind für Terrasse und Strand gemacht, für Barbecue und Gartenparty, man trinkt sie zu Burgers, Bowls und Sushi. Sie kosten kein Vermögen, sind leicht erhältlich und schmecken nicht nur gut, sondern sind es auch – zum Beispiel die von Lange Twins.

Lodi – bekannt, aber nicht berühmt für seine Weine

Das Weingut Lange Twins ist in Lodi ansässig, einer Kleinstadt von 61.000 Einwohnern im Hinterland von San Francisco, eine gute Autostunde von der Millionenmetropole entfernt. Es gibt dort keine Wolkenkratzer, keine glitzernden Shopping Malls. Die Stadt ist schachbrettähnlich angeordnet mit vielen kleinen Häusern und Häuschen, die alten aus rotem Ziegelstein, die neueren flach und aus Holz, dazwischen Cafès, Eateries, Wineshops, Beauty Studios. Das markanteste Bauwerk der Stadt ist der Mission Arch, ein Torbogen im mexikanischen Stil, der sich über eine der Verkehrsachsen spannt. Auf ihm thront der goldene Bär, das Wappentier Kaliforniens.

Der „Mission Arch“ im Zentrum der Stadt Lodi.

Lodi ist eine alte Stadt, bekannt für seine Weine, speziell für Zinfandel. Aber berühmt ist Lodi deswegen nicht. Berühmt ist die Stadt durch einen Song der Rockband Creedence Clearwater Revival aus dem Jahre 1969, der von einem mittellosen Hippie auf der Suche nach Glück erzählt. In dem Refrain klagt dieser immer wieder: Oh Lord, stuck in Lodi again. Zu Deutsch: Mein Gott, sitze schon wieder in Lodi fest. 

Rebflächen in Lodi größer als in Napa

Das wenig schmeichelhafte Urteil über die Stadt (ausgesprochen „Lodei“) steht in krassem Gegensatz zu seiner tatsächlichen Bedeutung. Lodi ist ein Hotspot der kalifornischen Weinindustrie. Die Lodi AVA umfasst 40.000 Hektar Reben – deutlich mehr als das Napa Valley. Und in den benachbarten AVA stehen nochmal so viel Rebstöcke. Ohne die Trauben, die an ihnen hängen, ginge vielen kalifornischen Markenweinen buchstäblich der Saft aus. Die Regale in den Supermärkten blieben leer, auf Partys und bei Barbecues müsste Dosenbier getrunken werden.

Selbst renommierte Weingüter in Napa und anderen Gebieten hätten zu kämpfen. Denn Lodi beliefert sie mit Wein, und einer der wichtigsten Lieferanten ist Lange Twins. Die aus Deutschland stammende, vor über 170 Jahren eingewanderte und mit dem Melonen-Anbau wohlhabend gewordene Familie verfügt über 3.000 Hektar Weinberge in und um Lodi. Der größte Teil ihrer Trauben beziehungsweise ihres Weins gehen an Grosskellereien wie Gallo, Constellation und andere Markenweinproduzenten. 

Easy drinking und anspruchsvoll zugleich

Vor einigen Jahren haben sich die Langes (ausgesprochen: läng) entschlossen, einen Teil ihrer Trauben zu eigenem Wein zu machen und unter eigenem Namen auf den Markt zu bringen: Sand Point steht für die einfachen Weine, Lange Twins für das gehobene Sortiment. Cabernet Sauvignon, Cabernet franc, Zinfandel, Merlot, Rosés aus verschiedenen Rebsorten sowie 30 andere Weine von Sauvignon blanc bis zu Pinot Grigio gehören zu ihrem Portfolio – alles delikate, blitzsaubere Weine, die zwischen 12 und 32 Dollar kosten und Zweierlei gemeinsam haben: Sie sind ausdrucksstark und trinkanimierend zugleich.

Zehn Kilometer nördlich von Lodi, wo sich die Lange-Keller befinden, hat die Familie einen Probierraum eröffnet, bietet Kellerführungen an, organisiert Straßenverkauf für Leute aus der Nachbarschaft, die spontan feiern wollen und gerade nichts zu trinken im Haus haben. Die Menge des eigenen Weins, den die Lange Family selbst vermarktet, steigt von Jahr zu Jahr. Auch in Deutschland sind die Weine inzwischen erhältlich. Wir sprachen mit Joseph Lange, dem Export Manager, der gerade von einem Deutschland-Trip zurückgekehrt ist.

Die Lange Familie. © LangeTwins Winery

„Kalifornischer Wein ist einzigartig“

weinkenner Wie war die Resonanz in Deutschland?
Joe Lange Ich war auf der Weinmesse ProWein in Düsseldorf und habe gesehen, wie groß die Konkurrenz in Europa ist. Aber ich habe auch registriert, dass Geschmack und Stil unserer Weine in Deutschland ankommen: anspruchsvoll und easy drinking zugleich. Und erschwinglich.

weinkenner Kalifornische Weine gelten in Deutschland als qualitativ gut, aber als schwere Kaliber und als sehr teuer – nicht unbedingt das, was gerade im Trend liegt.
Joe Lange Vielleicht kennen die Deutschen nur die berühmten Kultweine, nicht aber die große Menge an handwerklich guten, die Besonderheiten der Anbaugebiete widerspiegelnden Weine, die zu ganz normalen Preisen angeboten werden. Vielleicht fragen sie sich auch, warum man unbedingt Wein über die Weltmeere transportieren soll, wo es doch genug guten Wein in Europa gibt. Meine Antwort ist: Weil unser Wein von einem Terroir kommt, wie es es in Europa nicht gibt.

Joe Lange. © LangeTwins Winery

weinkenner Außerdem ist der CO2 Footprint, den der Transport einer Flasche von Hamburg nach Stuttgart per LKW hinterlässt,  größer als der einer Flasche im Container von San Francisco nach Rotterdam. Aber zurück zum Terroir-Gedanken: Ist Lodi Terroir?
Joe Lange Absolut. Wir haben überwiegend alluvionale Böden aus Flusskiesel und sandigem Lehm – ideal für den Weinbau. Wir haben ein warmes Klima, in dem die Trauben sicher ausreifen. Nachts fällt das Thermometer um bis zu 20° Celsius, auch ohne kühlende Nebel, wie sie in den Pazifik-nahen Teilen Kaliforniens auftreten. Dadurch wird die geschmackliche Komplexität gefördert. Wir haben in Lodi viele alte Rebstöcke und über hundert Rebsorten, die in Europa nicht oder nur noch sehr wenig angebaut werden.

Robert Mondavi hatte seine Kindheit in Lodi verbracht

weinkenner Aber nur wenige Menschen kennen Lodi…
Joe Lange Das liegt daran, dass Lodi immer nur als Trauben- beziehungsweise Weinlieferant in Erscheinung getreten ist. Als Produzent von Verschnittweinen, die anonym in Markenweine anderer Hersteller eingehen. Die einzige Ausnahme war Woodbridge, jene Kellerei, die 1979 von Robert Mondavi gegründet worden war. Mondavi kannte Lodi sehr gut, er hat seine Kindheit dort verbracht. Woodbridge hat Pionierarbeit für Lodi geleistet. Gab es in den 1990er Jahren nur zehn Weingüter in Lodi, so sind es heute über 80. Auch wir haben jahrzehntelang als reine Traubenfarmer gearbeitet. Das hat sich erst geändert, als wir 2006 unsere eigene Kellerei eröffnet haben und David Akiyoshi als Önologen gewinnen konnten. Er war der Chief Winemaker von Woodbridge und Garant für hohe und konstant gute Qualität. Heute sind wir soweit, dass wir ein Drittel unserer Trauben selbst vinifizieren und vermarkten können. 

weinkenner Und was passiert mit den anderen zwei Dritteln?
Joe Lange Die verkaufen wir nach wie vor an große Kellereien, teilweise aber auch an berühmte Weingüter, unter anderem im Napa Valley. Wenn ich Namen nennen würde, wird mir der Kopf abgerissen. Aber 15 Prozent der Trauben aus anderen Anbaugebieten dürfen ganz legal den Weinen hinzugefügt werden, und da die Traubenpreise in Napa zehnmal höher sind als in Lodi, nutzen viele diese Möglichkeit. 

Ziel: Die Belastung für Boden, Luft, Wasser so gering wie möglich halten

weinkenner Was hat sich geändert, seitdem Lange Twins selbst Wein auf die Flasche bringt?
Joe Lange In erster Linie die Wertschöpfung. Wein ist added value gegenüber dem Rohstoff Traube. Aber wir haben nun auch die Möglichkeit, die Qualität von der Rebe bis zum Glas zu kontrollieren. Wir fühlen uns dem Konsumenten gegenüber verantwortlich für das, was wir tun. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind wichtige Parameter für unsere Produktion geworden. Wir achten penibel darauf, Boden, Luft und Wasser nicht oder nur so wenig wie möglich zu belasten. Wir nehmen in unseren Maschinenpark verstärkt emissionsarme Fahrzeuge auf. Gerade machen wir erste Versuche mit E-Traktoren und E-Trucks. Auf Herbizide verzichten wir schon lange. Alle unsere Weinberge sind begrünt. Für den Laubschnitt benutzen wir breite Überzeilen-Schlepper, die mehrere Rebzeilen überfahren können. Dadurch reduzieren wir die Zahl der Passagen. Pumpen und Kühlaggregate in unseren Weingut werden schon lange mit Energie aus Solarpanels betrieben. 

Renaturierung der Landschaft

weinkenner  Kompliment!
Joe Lange Ganz wichtig ist für uns die Renaturierung der Landschaft. Wir schützen und pflegen die alten Eichen an den Ufern des Mokelumne River, der sich durch unsere Weinberge schlängelt. Wir pflanzen alte, heimische Gewächse wie den Salzbusch, die Schwarzpappel, den Holunder, die ein Habitat für zahlreiche kleine Säugetiere sind. Wir hängen Nistkästen auf. Und wir haben ein paar Hektar Weinberge mit alten Zinfandel-Kopfreben aus der Produktion genommen und gestatten Hirsch und Reh, die jungen Triebe zu fressen. Wir wollen der Natur ein bisschen etwas zurückgeben von dem, was wir ihr genommen haben. Sowas machen nur Betriebe, die in Familienhand sind.

weinkenner Die wievielte Generation ist jetzt am Zuge?
Joe Lange Die fünfte. Im Moment sind die Mitglieder aller zehn Familienstämme in dem Unternehmen tätig. Die meisten Mitglieder unserer Familie sind in Lodi aufgewachsen und haben eine Kindheit wie Tom Sawyer verlebt. Unsere Eltern haben uns von Anfang an aufs Feld und in die Weinberge mitgenommen. Wir haben die Natur selbst erlebt und entdeckt. Wir haben mit angepackt und teilen untereinander die gleichen Werte. Sollte sich in der nächsten Generation einer von uns nicht die Hände schmutzig machen wollen und einen anderen Job wählen, ist das natürlich auch okay. Aber Arbeit gibt es bei uns genug.

Mangel an Fachkräften, Mangel an Wasser

weinkenner Apropos Arbeit. Man hört, dass es schwierig sei, Arbeitskräfte zu finden?
Joe Lange Ein Riesenproblem. Wir zahlen zwar gute Löhne, aber Kalifornien ist teuer geworden. Die Mieten sind hoch und die Inflation lässt die Preise weiter steigen. Viele Familien sind schon weggezogen in Bundesstaaten, in denen das Leben weniger teuer ist. Uns fehlt qualifiziertes Personal. 

weinkenner Zwang zur Mechanisierung?
Joe Lange Für die Lese benutzen wir Vollernter. Aber der Rebschnitt geschieht bei uns zu hundert Prozent von Hand. Leider lassen sich 3000 Hektar nicht mit ein paar Hilfskräften bewirtschaften. Der Mechanisierung sind also Grenzen gesetzt. Noch größere Probleme aber schafft die Wasserknappheit. Früher regnete es praktisch jede Woche einmal, seit 15 Jahren nicht mehr. Manchmal fällt im gesamten Januar und Februar kein Tropfen Regen – also in den traditionell niederschlagreichsten Monaten des Jahres. Die Brunnen sind leer. Wie sollen wir da unsere Reben im Frühjahr und im Sommer tropf-beregnen?

Auch das Schmelzwasser aus der Sierra wird immer weniger, weil die Winter zu warm sind und in den Bergen zu wenig Schnee fällt. Übers Jahr gesehen sind Niederschlagsmengen zwar nicht gesunken. Aber der Niederschlag, der fällt, kommt als plötzlicher Sturzregen. Die Böden können in der kurzen Zeit nicht so viel Wasser aufnehmen, wie vom Himmel fällt. Das heißt: Das Wasser fließt ungenutzt  in den Pazifik ab. Die Landwirtschaft geht leer aus.

weinkenner Wie begegnen Sie diesen Wetterkalamitäten?
Joe Lange Wasser können wir nicht herzaubern. Aber wir untersuchen genau die Bodenfeuchtigkeit in unseren Weinbergen und versuchen, die Wasserzufuhr so gering wie möglich zu halten. Wir leben vom Wein und wollen auch in Zukunft mit ihm und von ihm leben.

Lange Twins: Die Weine

2017 Lodi Cabernet Sauvignon „Sand Point“

Dunkel, saftig, leicht röstig  mit Brombeer- und Cassis-Noten und schwarzem Pfeffer in der Nase, im Mund weich und homogen, mittlere Struktur, samtig über den Gaumen laufend. Preis: 13,50 Euro.

2018 Lodi Old Vine Zinfandel „Lange Twins“

Reicher, aber nicht überladener Wein mit Fruchtnoten von schwarzen Beeren sowie Würznoten von Kräutern und Schokolade, von über 100jährigen Reben stammend. Preis: 14,50 Euro.

Die Weine sind bei www.vioneers.com erhältlich

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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