Justin Leone: Was macht ein Sommelier nach Feierabend? Teil 1

Weinkenner.de hat sein Büro zugesperrt. Eine Woche Pause. Das Personal braucht Erholung. Der Betrieb geht unterdessen weiter. Justin Leone, 30 Jahre alt, Amerikaner und Sommelier in einem Münchener 2-Sterne-Restaurant, übernimmt die Federführung. In drei Teilen erzählt er, was er macht, wenn Feierabend ist, er aber noch nicht nach Hause will.

„Die üblichen Verdächtigen“


Ein voy­eu­ris­ti­scher Bericht von einem ganz nor­ma­len Tag im Jen­seits. Von Jus­tin G. Leo­ne
| Über­set­zung: Jan Schönherr

Justin LeoneWas glau­ben Sie eigent­lich, was wir Som­me­liers machen, wenn der letz­te Gast gegan­gen, die Tür abge­schlos­sen und das letz­te Polier­tuch zum Trock­nen auf­ge­hängt ist? Was für eine Fra­ge! Wir packen unse­re Taschen, lockern behut­sam die dop­pel­ten Wind­sor­kno­ten unse­rer Kra­wat­ten und eilen ohne Umwe­ge zu unse­ren akku­rat auf­ge­räum­ten, IKEA-möblierten Woh­nun­gen in einem pseudo-schicken und doch irgend­wie Grunge-Hipster-mäßig tren­di­gen Vier­tel der Stadt. Natür­lich nur, um Tee auf­zu­set­zen, die Nadel des Plat­ten­spie­lers auf das von Kara­jan diri­gier­te Ada­gio aus Mozarts 40. zu set­zen und über der nächt­li­chen Lek­tü­re des Faust einzuschlafen.

Falsch. In mei­ner Woh­nung regiert das Chaos.

Wie es sich für gute Außen­sei­ter gehört, haben urba­ne Som­me­liers gelernt, ihrem sozi­al oft begrenz­ten Umfeld zu ent­ge­hen. Sie fin­den Zuflucht in den Ecken und Win­keln ver­steck­ter Restau­rants und absei­ti­ger Knei­pen. Sie klam­mern sich fest an brau­ne Papier­tü­ten vol­ler Schmug­gel­wa­re und wer­den von mit­füh­len­den Laden­be­sit­zern eilig durch Hin­ter­tü­ren und Sei­ten­ein­gän­ge gelei­tet, als wären sie Vam­pi­re, die ver­su­chen, dem töd­li­chen Tages­an­bruch zu ent­kom­men. Lie­ber als den arg­lo­sen leben­di­gen Geschöp­fen der Gegend stel­len die­se Kin­der der Nacht jedoch einer schwe­rer greif­ba­ren, exo­ti­sche­ren Beu­te nach; wobei wenigs­tens das Ein­brin­gen der „Ern­te“ in die­sem Fall etwas weni­ger bizarr ist. Schat­tie­run­gen von Kar­me­sin, Gra­nat, Rubin­rot und Sepia strö­men in einem wahr­haft bac­chan­ti­schen Blut­bad zusam­men, aus Fla­schen, deren Eti­ket­ten im Lau­fe eines erleb­nis­rei­chen Daseins abge­nutzt wur­den. Ihr Äuße­res lässt eher an ver­gra­be­ne Schät­ze oder Muse­ums­ob­jek­te den­ken. Welt­krie­ge und Revo­lu­tio­nen haben sie über­stan­den, jetzt brei­ten sie bei jedem Schwen­ken, Schlür­fen und Gur­geln sämt­li­che berau­schen­den Details ihrer Geschich­te vor uns aus.

An jenem Mon­tag aber erin­ner­te die Zusam­men­kunft nicht ganz so sehr an Bram Sto­ker. Eher ein wenig an einen kun­ter­bunt zusam­men­ge­wür­fel­ten Hau­fen von Künst­lern und Aus­stei­gern, Gelehr­ten und Wirt­schafts­bos­sen, einig in ihrem Stre­ben, einen Beu­te­zug hin­zu­le­gen, wie ihn die­se beschei­de­ne Knei­pe noch nie zuvor gese­hen hat­te. Nein, das ist nicht der Anfang einer Sze­ne voll Deka­denz und wil­der Mas­sa­ker aus From Dusk Till Dawn, auch wenn der „Body Count“ gefal­le­ner Fla­schen viel­leicht etwas ande­res ver­heißt. Bedenkt man außer­dem, wie nah alle Betei­lig­ten wohl am nächs­ten Tag dem Tode schie­nen, wäre es wohl kaum glaub­haft, unse­re Ver­wick­lung in die­ses bis zum Äußers­ten gehen­de Feu­er­ge­fecht abzu­strei­ten. Beim Ver­such, an einem neb­li­gen Münch­ner Vor­mit­tag die Ereig­nis­se des Vor­abends zu rekon­stru­ie­ren, begin­nen wir natür­lich damit, die übli­chen Ver­däch­ti­gen zu befragen.

Alles begann unge­fähr so: Ein bekann­ter Samm­ler beschloss, sei­nen pri­va­ten Vor­rat ein wenig anzu­zap­fen und jenen Mon­tag wie sei­nen letz­ten auf Erden zu ver­brin­gen. Als Kulis­se soll­te der win­zi­ge Spareribs- und Longdrink-Schuppen „Red Hot“ her­hal­ten – eine bei den Jün­gern des Ver­falls und der aka­de­mi­schen Welt glei­cher­ma­ßen höchst belieb­te Wein­bar in der Ama­li­en­pas­sa­ge, in der man zu kräf­ti­gem Essen, güns­ti­gem Bur­gun­der und über­trie­ben nach­sich­tig geführ­ten intel­lek­tu­el­len Geplän­keln zusam­men­kommt. Der Besit­zer, ein enger Freund des Samm­lers, dien­te als Ver­bin­dungs­mann und wur­de mit der Auf­ga­be betraut, eine geeig­ne­te „Fün­fer­gang“ zusam­men­zu­trom­meln, mit der man einen so chao­ti­schen Coup durch­zie­hen konn­te. Er kon­tak­tier­te die her­un­ter­ge­kom­mens­ten Gestal­ten – mit Erfolg. Nun wur­de nur noch der pas­sen­de Zeit­punkt festgelegt.

Auf der Lis­te stan­den: ein erfolg­rei­cher, umgäng­li­cher Wein­händ­ler, Mar­ke „Typ von neben­an“, mit einem der tiefs­ten Kel­ler der Gegend. Ein begeis­ter­ter Samm­ler mit wenig Ahnung von der zwie­lich­ti­gen Schat­ten­sei­te des „Geschäfts“ und einer fast chir­ur­gi­schen Selbst­be­herr­schung. Ein wei­te­rer Händ­ler – schrul­lig, eher ruhig und nach­denk­lich, mit pol­ni­schen Wur­zeln. Ein fröh­li­cher Wein­im­por­teur mit einer Vor­lie­be für alles leicht Schrä­ge. Und schließ­lich ich selbst: ein über­ar­bei­te­ter, heiß­blü­ti­ger Yan­kee, fast schon krank­haft fas­zi­niert von allem, das alt genug ist, um sei­ne Mut­ter zu sein. Ich muss zuge­ben, dass es mir nach all dem Gemet­zel gar nicht so leicht fällt, mich zu erin­nern, aber ich glau­be, es lief unge­fähr so ab …


Fort­set­zung folgt … : hier.


“The Usual Suspects”


A Voy­eu­ristic nar­ra­ti­ve of just ano­ther day in the after-life. By Jus­tin G. Leone

What do you sup­po­se we som­me­liers do, when the last table has left, the doors locked, and the last poli­shing cloth is hung to dry? Why, sure­ly, we pack up our brief­ca­ses, gin­ger­ly loo­sen our double-windsor-knotted ties, and make a bee-line for our anal-retentively orga­ni­zed, ikea-furnished flats in a semi-posh, yet-edgy- in-a-grungy-hipster-kind-of-way part of town. Only, of cour­se, to start the tea kett­le, set the record need­le on the Ada­gio move­ment of Von Karijan’s Mozart No. 40 and fall asleep mid­way through the night­ly rea­ding of “Faust.”

Wrong. My apart­ment is a holy mess.

You see, like the good mis­fits they are, urban som­me­liers have beco­me high­ly adapt­ed to cir­cum­ven­ting their often socially-limited sur­roun­dings. Fin­ding sanc­tua­ry in the various nooks and cran­nies of the city’s tucked-away restau­rants and off-the-beaten-path pubs. Clut­ching tight­ly to brown-papered bund­les of con­tra­band, ushe­red hur­ried­ly through back­doors and alley­way ent­ran­ces by sym­pa­the­tic shop-owners, as though vam­pi­ric fugi­ti­ves, fle­e­ing from the assu­red­ly fatal break of dawn. Rather than unsu­spec­ting local live­stock, howe­ver, the­se crea­tures of the night fan­cy a more elu­si­ve and exo­tic prey; if not, at least the har­ve­st of which, so to speak, being slight­ly less gro­tes­que. San­gui­ne hues of crims­on, gar­net, ruby, and sepia, flow forth in a veri­ta­ble bac­chana­li­an blood­bath, from well-experienced bot­t­les with appro­pria­te­ly tat­te­red tickets. Their coun­ten­an­ce sug­ges­ti­ve more of buried tre­asu­re, or museum-quality arti­fact; having lived through World Wars and Revo­lu­ti­ons, now unf­ur­ling every into­xi­ca­ting detail of such accounts with each swirl, slurp, and garg­le. On this par­ti­cu­lar Mon­day in ques­ti­on, the con­gre­ga­ti­on was slight­ly less Bram Sto­ker in appearance. A litt­le more…..like a rag-tag, mot­ley crew of artists and devi­ants, scho­lars and tycoons, each with their moti­va­tions, howe­ver united in their quest to pull off a heist like no other this hum­ble spea­k­ea­sy had seen. No, this is not the begin­ning of some dusk-till-dawn sce­ne of utter mas­sacre and deca­dence, howe­ver the “body count” of fal­len bot­t­les may other­wi­se sug­gest. Con­side­ring how clo­se to death all par­ties invol­ved must have appeared the next mor­ning, deny­ing our invol­vement in an all-out, dock-side fire­fight of a night was sim­ply not via­ble. When pie­cing tog­e­ther the events of the pre­vious evening one fog­gy Munich mor­ning, we begin by ques­tio­ning, of cour­se, the usu­al suspects.

It all starts like so; a well-known coll­ec­tor deci­des to dip in to his pri­va­te stash, living this par­ti­cu­lar Mon­day as though it were his last. Using the tiny rib-shop known as “Red Hot,” (a par­ti­cu­lar­ly well-loved loca­le for deni­zens of deca­dence and aca­de­mia ali­ke, to con­gre­ga­te over robust fare, under­pri­ced Bur­gun­dy, and overly-indulgent intellec­tu­al ban­ter) as the front, his clo­se fri­end and owner ser­ving as liai­son; char­ged with the duty of assembling the pro­per gang of 5 with which to make such a rau­cous coup pos­si­ble. The most dere­lict par­ties were suc­cessful­ly rea­ched, and the time was set. The list was almost pre­dic­ta­ble; A suc­cessful, plea­sant, guy-next-door-wine dea­ler with one of the deepest cel­lars around, a quir­ky yet quiet and con­tem­pla­ti­ve polish-born wine-runner, an avid coll­ec­tor and rela­ti­ve new comer to the see­dier under­bel­ly of “the indus­try,” with an almost sur­gi­cal sen­se of con­trol, a jovi­al wine importer with a pre­dil­ec­tion towards any­thing slight­ly askew, and mys­elf; an over-worked, hot-tempered Yan­kee with a bor­der­line devi­ant fasci­na­ti­on with any­thing old enough to be my mother. Amidst all the car­na­ge, I must admit it’s not so easy to remem­ber, but I think it went a litt­le like this …

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